Benutzerprofil von elisa7
Abends spät klingelte noch das Telefon, und meine Freundin wollte mir noch unbedingt eine schöne Sache erzählen. So nannte sie ihre persönlichen Tageserlebnisse. Weil sie sehr gut erzählen kann, höre ich ihr immer gerne zu. Also in diesem Fall war die Sache so:
"In dem orthopädischen Fachgeschäft, in dem ich arbeitete, hatte eine Kundin schon mehrmals eine Versorgung reklamiert; nach wie vor habe sie Probleme, konnte diese aber nicht genauer beschreiben. Da die Frau eine unangenehme und schrille Stimme hatte, war sie uns allen unsympathisch. In Übereinstimmung mit unserem Chef, der sich auch nicht mehr zu helfen wusste, wollten wir die Ware auch nach der offiziellen Rücknahmeverpflichtung zurücknehmen und ihr das Geld zurückerstatten, dann wäre für uns Ruhe gewesen. Das wollte aber die Kundin so nicht annehmen und lamentierte weiter. Niemand wollte mehr mit ihr zu tun haben, und alle verschwanden, wenn sie auftauchte.
Ich selbst spürte, dass ich das nicht so machen konnte und dass ich mir am Monatsanfang vorgenommen hatte, alle Mitmenschen so zu akzeptieren, wie sie waren, auch mit einer schrillen Stimme, wie das hier der Fall war. So gab ich mir einen Ruck, durchdachte alle möglichen Varianten und zeigte der Frau Alternativen, die sie ausprobieren konnte. Jedes Mal, wenn sie wiederkam, überlegte ich andere Möglichkeiten, bis ich schließlich eine Idee hatte, was die Ursache ihrer Beschwerden sein könnte. Und tatsächlich, das war das Richtige und wir konnten ihr dadurch eine Linderung verschaffen.
Mehrere Wochen vergingen, ohne dass wir etwas von ihr hörten. Eines Tages stand sie wieder im Geschäft und sagte sofort, wir sollten nicht erschrecken; sie wollte sich einfach nur bedanken. Dann drückte sie mir Süßigkeiten für alle in die Hand mit einer Karte, auf der sie sich schriftlich bedankte für unsere Geduld. Beim Rausgehen schickte sie mir noch ganz persönlich und unauffällig ein Augenzwinkern." E.B.
Die letzten Wochen hatten mich in der Arbeit und auch privat viel Kraft gekostet. Ganz allgemein hatte ich mit der Angst vorm Scheitern und auch mit Schuldgefühlen gekämpft. Eigentlich hätte ich dringend Ruhe gebraucht. Aber stattdessen musste ich auf einer mehrtägigen Veranstaltung konzentriert arbeiten.
Als ich mich nun am Abend des ersten Tages verschwitzt, müde und durstig die Treppen zum Gästezimmer hochschleppte, zog ich eine düstere Bilanz: Weder hatte ich bei der Arbeit Glanzleistungen vollbracht, noch war ich gegenüber meinen Mitmenschen aufmerksam gewesen - und Letzteres hatte ich mir wirklich ernsthaft vorgenommen. Stattdessen habe ich nur um mich selbst gekreist. So saß ich leicht deprimiert in dem Sessel und dachte darüber nach.
Da fielen mir mehrere Mitarbeiter derselben Veranstaltung ein, die immer noch arbeiteten. "Vielleicht sind die ebenso müde und durstig wie ich", dachte ich. Nach kurzem Zögern ging ich zurück ins Erdgeschoß. Dort kaufte ich einige Flaschen Mineralwasser und brachte sie der Gruppe. Danach fiel ich erschöpft ins Bett.
Am nächsten Tag sagte mir eine Frau von der Gruppe: "Das mit dem Wasser gestern war ein Volltreffer. Auch wenn es nur eine kleine Aufmerksamkeit war, uns hat es richtig gut getan." Ich merkte, dass ich verlegen wurde, aber ich dachte, dann war der gestrige Tag doch nicht nur ganz schief gelaufen, und das hat auch mir gut getan.
Auch die Zeit danach war oft mühsam. Doch die Erinnerung an diese Episode richtete mich meist innerlich wieder auf. Denn sie machte mir deutlich: Eine kleine Aufmerksamkeit für die Mitmenschen ist immer drin. Und wer weiß, wie viel Gutes sie bewirken kann - im anderen und in mir selbst...
Diese kurze Erzählung von einem Krankenhausaufenthalt stammt von meiner Freundin:
"Ich hätte nie gedacht, dass es mir so schwer fallen würde, Hilfe anzunehmen! Als Sonderschullehrerin bin ich es gewohnt, anzupacken, zu helfen, zu trösten. Nun lag ich nach einem argen Knöchelbruch selbst im Krankenhaus und konnte mich anfangs vor lauter Schmerzen kaum bewegen. So musste ich mich betreuen und mir auch in sehr persönlichen Situationen helfen lassen. Oft hätte ich lieber nicht nach einer Schwester gerufen, weil ich ja wusste, wie viel sie zu tun hatten. Aber es musste eben sein.
Das quälte mich, und ich überlegte, wie ich mich in dieser Situation verhalten konnte. Da wurde mir klar: Ich kann vielleicht nicht anpacken, aber die anderen gernhaben und es ihnen zeigen kann ich immer!
Von da an versuchte ich, dem Krankenhauspersonal möglichst zuvorkommend zu begegnen. Die Schwestern bemerkten meine Haltung recht bald. Das hatte unter anderem zur Folge, dass sie immer wieder schwierige Patienten zu mir ins Zimmer legten. Auch mit diesen Leidensgenossen versuchte ich liebevoll umzugehen, obwohl das nicht immer einfach war.
In den ruhigeren Abend- und Nachtstunden ergaben sich oft sehr persönliche Gespräche mit einigen Krankenschwestern. Eine wollte sogar mit mir über ihren Liebeskummer sprechen. Und so kam ich mir im Laufe der Tage nicht mehr ganz so hilflos vor. Zugleich aber lernte ich, selbst Hilfe anzunehmen.
Als ich dann entlassen wurde, gab es Tränen. Die Freundschaften, die während dieser Zeit entstanden sind, halten teilweise noch bis heute." U.K.
Hier eine Erzählung aus unserem Familienkreis, die vielleicht auch viele von uns machen: Wenn ich meine Hilfe an andere verschenke, kommt auch ein Geschenk an mich zurück! Und wenn es auch nur die Freude ist!"
"Ich mache mir große Sorgen um Elke1). Sie musste sich zugleich um ihre Mutter und ihren kranken Mann kümmern. Die Mutter ist schon 96 und ganz auf Elke fixiert, weil sie ihre einzige Tochter ist. Manchmal erzählte Elke dann in unserem Familienkreis, dass die Mutter nachts bis zu zehnmal nach ihr gerufen hatte. Das brachte nicht nur Elke an ihre Grenzen, sondern wirkte sich auch auf die gesundheitliche Situation ihres Mannes negativ aus.
Deshalb beriet ich mich mit meinem Mann und meinen Kindern, was wir für Elke tun konnten. Schließlich boten wir ihr an, dass ich vier Stunden pro Woche zu ihr kommen könnte. Ich könnte mich dann um ihre Mutter kümmern, um Elke zu entlasten.
In diesen Stunden tat ich, was gerade anfiel. Oft holte ich das Bügelbrett und die Wäsche und setzte mich neben die Mutter. So konnte ich bügeln und mit ihr sprechen. Manchmal sangen wir sogar miteinander oder gingen mit dem Rollator im Garten spazieren. Während dieser Zeit konnte Elke sich ihrem Mann widmen, Behördengänge erledigen, eine Fahrradtour unternehmen - eben alles, was nicht möglich war, wenn sie allein zu Hause war.
Doch auch ich fühle mich sehr von Elke und ihrer Mutter beschenkt. Elke sagte mir einmal: "Ich freue mich schon die ganze Woche darauf, wenn du kommst." Auch zu ihrer Mutter hat sich eine schöne Beziehung entwickelt. Vor kurzem sagte sie zu mir in ihrem Dialekt: "Du bist ein Segen für mich." Als sie merkte, dass ich versuchte, genauer zuzuhören, wiederholte sie - als ob sie es noch betonen wollte - den Satz auf Hochdeutsch. Ich war glücklich über diese Worte. Hat nicht Gott zu Abraham - und damit auch zu jedem Menschen - gesagt: "Ein Segen sollst du sein."? (E.Z.)
Meine Freundin ist im Gesundheitswesen tätig. Keine einfache Aufgabe; sie erzählte mir davon...:
"Ständig legte mir die Frau meines Patienten Steine in den Weg. Ihr Mann hatte einen Schlaganfall gehabt. Als Physiotherapeutin habe ich jetzt die Aufgabe, mit ihm zu trainieren, damit er seinen Körper nach und nach wieder bewegen und kontrollieren lernt. Seine Frau wollte nicht, dass ich ihn behandle. "Das nützt ohnehin nichts", hielt sie mir vor. Schon beim Hereinkommen in die Wohnung versuchte sie immer wieder, mich abzuwimmeln. Ihrem Mann ging es nicht gut, und ich solle ihn in Ruhe lassen.
Einmal versuchte sie es wieder. Sie erklärte mir: "Der Arzt war schon da und hat meinem Mann eine Spritze gegeben." Ich glaubte ihr und fuhr wieder davon. Aber ich blieb unruhig und machte mir Sorgen um den Patienten. "Was mag er wohl haben?", fragte ich mich. Ich rief also den Arzt an, um mich zu erkundigen. "Nein, ich habe ihm keine Spritze gegeben; dem Mann geht es gut", sagte der Arzt zu meinem Erstaunen, "eigentlich hat er keine Probleme".
Da wurde ich wirklich wütend. "Sie hat es wieder geschafft! Und ich bin darauf hereingefallen", dachte ich verärgert. Ich nahm mir vor, nach meinem letzten Krankenbesuch dieses Tages noch einmal zu ihm zu fahren, um ihn doch zu behandeln.
Auf dem Weg dachte ich darüber nach, was ich ihr sagen könnte. Am liebsten hätte ich ihr mein Telefonat mit dem Arzt unter die Nase gerieben. Aber das wollte ich dann doch nicht tun, aber ich wünschte mir, dass sie wenigstens ein einziges Mal nicht nörgelte und meine Arbeit behinderte.
Als ich bei ihr schellte, wollte sie mir wieder die Tür vor der Nase zuschlagen. Aber diesmal ließ ich mich nicht abwimmeln und ging einfach an ihr vorbei in das Zimmer ihres Mannes. Während der Behandlung stand sie neben mir. Noch bevor sie etwas sagen konnte, fragte ich sie: "Wie geht es I h n e n ?" Sie war zunächst völlig perplex über diese Frage, fing dann aber an, von ihren Problemen zu erzählen, und ich hörte ihr zu. Am Ende dankte sie mir: "Es war gut, dass Sie noch einmal gekommen sind." Da war ich innerlich ganz froh und dankte dem Herrgott, dass ich mich richtig verhalten hatte. Die nächsten Male empfing sie mich immer freundlich und kritisierte mich nicht mehr bei meiner Arbeit." M.Z.
In unserem Freundeskreis kamen wir darauf zu sprechen, was einem in der Paar-Beziehung helfen kann. Meine Freundin Irene, die auch mit ihrem Mann dabei war, erzählte uns eine scheinbare nebensächliche Begebenheit aus ihrer Beziehung, die ich aber beachtlich fand, und ich möchte sie euch erzählen:
"Seit einiger Zeit war es wieder schwieriger, unsere dreijährige Tochter Annalisa zeitig ins Bett zu bringen. Vor allem wenn mein Mann und ich es gemeinsam versuchten. Dann trödelte die Kleine noch mehr und versuchte, uns gegeneinander auszuspielen. Daher beschlossen wir, uns künftig abzusprechen, so dass nur einer von uns beiden Annalisa ins Bett bringen würde.
Eines Abends war mein Mann an der Reihe. Es dauerte lange, und ich hörte, dass Annalisa immer noch wach war. Ich hielt mich an unsere Abmachung und wartete. Um die Zeit sinnvoll zu nützen, las ich Zeitung. Im Fernsehprogramm stieß ich zufällig auf eine Sendung, von der ich wusste, dass sie meinen Mann sehr interessierte. Sie würde in fünf Minuten beginnen. Abmachung hin oder her, mir war klar, dass es jetzt die größere Liebe war, meinen Mann abzulösen, damit er sich diesen Film ansehen konnte.
Mein Mann war sehr gerührt darüber und hat sich gefreut, und auch Annalisa hat den späten Wechsel ohne Probleme hingenommen. Sie schlief ziemlich schnell ein, so dass mein Mann und ich noch einen schönen Abend miteinander verbrachten und wir einmal mehr verstanden, das solche 'Kleinigkeiten' in unserer Beziehung wichtig sind..." I.M.
Bei mir zu Hause traf sich mal wieder unsere Großfamilie mit Kind und Kegel. Es ging hoch her, die Kinder tobten und schrieen; aber ich fühle mich wohl in einer solchen Umgebung.
Es schellte. Als ich aufmachte, stand draußen eine dunkelbraune Frau mit zerrissener und schmutziger Kleidung. Sie bat mich in gebrochenem Deutsch um eine Kleinigkeit für sich und ihre Familie. Ich empfand das als etwas ungewöhnlich... Aber es fiel mir ein, dass wir kürzlich in unserem Frauenkreis darüber gesprochen hatten, wie man sich in solchen Situationen verhalten sollte.
Mir war übrigens klar, dass meine übliche Haltung, jemandem in einem solchen Fall einen Euro zu geben - und dann hat es sich - hier nicht angebracht war. Wir hatten nämlich auch über die Würde von Menschen gesprochen, die zum Betteln gezwungen waren. Und hier schlug mein Gewissen, diese Frau, die im übrigen sehr bescheiden und demütig aufgetreten war, nicht einfach nach meiner üblichen Methode abzuspeisen. Ich bat sie, einen Moment zu warten, ging in unser Schlafzimmer, und sah, dass ich doch eine schöne Anzahl an Keidern hatte. Einem Impuls folgend und ohne allzuviel nachzudenken, suchte ich das schönste aus und gab es ihr. Die Kinder hatten inzwischen in all ihrer Einfachheit mit ihr gesprochen und herausbekommen, dass sie aus Indien kam und hier mit ihrer Familie in Deutschland bleiben wollte.
"Du bist ja verrückt", rief meine Schwester ganz aufgeregt, nachdem die Frau weggegangen war: "Ausgerechnet das Schönste hast du ihr gegeben!" - "Hast du nicht gesehen, wie glücklich sie war?"
Und jetzt kommt der Hammer, und manch eine wird den weiteren Verlauf dieser Geschichte als märchenhaft empfinden, nämlich am nächsten Tag kam, zwar verspätet, meine andere Schwester. Sie überreichte mir ein Paket, und ich war schrecklich neugierig, denn bis dahin hatte sie mir über Jahre hin nie etwas geschenkt. Ich öffnete das Paket und musste tief Luft holen, denn drinnen waren zwei (schöne!) neue Kleider, genau meine Größe... Was sagt man dazu?
Hier eine Begebenheit von Maria T. aus ihrer Arbeitswelt, die sie uns kürzlich in unserem Monatskreis erzählte:
"Bereits als ich ihr das erste Mal begegnet war, hatte ich geahnt, dass die Zusammenarbeit mit ihr nicht gerade einfach würde. Die Kollegin, mit der ich nun schon seit einigen Monaten zusammenarbeiten muss, hat tatsächlich einen ganz anderen Charakter als ich.
Weil für mich die Arbeit neu war, musste ich sie des öfteren um Rat bitten. Das war nicht leicht, denn oft reagierte sie ziemlich barsch. Noch bevor ich ihr eine Frage stellte, fühlte ich mich genötigt, sie wegen der Störung um Entschuldigung zu bitten. Immer wieder nahm ich mir vor, nicht persönlich zu nehmen, was sie sagte und vor allem, wie sie es sagte.
Ich gab mir Mühe, die Beziehung mit ihr zu verbessern. Eines Tages zu Mittag wollte ich ihr daher einen Gefallen tun und auch für sie Essen aus der Kantine mitbringen. Der Koch fragte mich, für wen die zweite Portion sei. Als ich ihm antwortete, dass ich sie meiner Mitarbeiterin bringen wollte, sagte er: "Ich würde Ihnen raten, Ihre Kollegin vorher zu fragen, ob sie was haben möchte, denn sie nimmt nicht jedes Mals das Essen von hier." - Jetzt noch mal hinaufgehen und fragen, dachte ich bei mir, das ist etwas viel verlangt. Wer weiß, wie sie reagieren wird? Andererseits war das eine Gelegenheit, auch noch die 'zweite Meile' zu gehen, von der das Evangelium spricht. Ich ging zurück zu meiner Mitarbeiterin und fragte, ob ich ihr etwas zu Essen mitbringen könne.
Sie war überrascht. Als ich ihr aber das Tagesmenü mitteilte, lehnte sie energisch ab. "Ist in Ordnung", sagte ich. Diesmal konnte ich auch den Tonfall akzeptieren, denn mir schien, dass ich ihr durch mein Verhalten ermöglicht hatte, in Freiheit abzulehnen.
Erstaunlicherweise sprach sie von dem Moment an ganz anders mit mir. Meine Beziehung mit ihr hat an Tiefe gewonnen, und auch zu den anderen Mitarbeitern hat sie jetzt ein besseres Verhältnis. Kürzlich konnte ich ihr für ihre gute Arbeit ein aufrichtiges und von Herzen kommendes Kompliment machen." M.T.
Eines Abends rief mich nach der Arbeit eine Kollegin an und bat mich, ihr mein Auto für den folgenden Tag zu leihen, wie ich es schon einige Male getan hatte. Ich war einverstanden, und sie schickte ihren Mann vorbei, um den Wagen und die Autoschlüssel abzuholen. Als er endlich kam, merkte ich sofort, dass ihn etwas sehr bedrückte. Tatsächlich erzählte er mir von den Problemen in der Beziehung zu seiner Frau. Die Ehe wäre in einer starken Krise, und seine Frau hätte angedeutet, sich von ihm trennen zu wollen. Er regte sich sehr über ihr Verhalten auf, seinen guten Willen hingegen unterstrich er mir gegenüber sehr.
Während ich ihm zuhörte, merkte ich, dass ich im Begriff war, mir ein vorschnelles Urteil über die beiden zu bilden. Diese meine Reaktion gefiel mir nicht, denn ich wusste, dass ich ihm in meiner Voreingenommenheit keinen guten Rat würde geben können. Und mir fiel ein, dass wir bei unserem letzten Monatskreis darüber gesprochen hatten, dass man sich selbst zunächst mal ganz zurücknehmen müsse, wenn man als Ratgeber fungieren wollte. So versuchte ich bewusst, mich von meinen eigenen Gedanken und Bewertungen frei zu machen und ihm ganz zuzuhören. In Bezug auf den Rat, den er von mir erwarten würde, vertraute ich darauf, dass ich innerlich eine Hilfe erfahren würde, damit ich dazu die richtigen Worte fände...
Und das musste wohl so geschehen sein, denn ich konnte ihm in einem vorwurfsfreien Tonfall sagen, dass er die Ansprüche nicht an seine Frau stellen solle, sondern vielmehr an sich selbst. Er verstand nicht sofort, was ich meinte. Anhand konkreter Beispiele erklärte ich ihm, wie er versuchen konnte, sích vorbehaltlos auf seine Frau einzulassen und ihre Denkweise und Anliegen zu verstehen. Er spürte, dass ich ihn nicht verurteilte und auch seinen Standpunkt zu verstehen versuchte. Ich merkte, wie er wirklich in sich hineinhorchte, auch still wurde, dann nickte er und meinte, so hätte er das alles noch nie gesehen. Als er dann ging, sagte er mir, dass er wieder etwas Hoffnung für seine Ehe geschöpft habe.
In unserem Monatskreis sprechen wir oft über unsere Probleme, auch über die persönlichen. Einen Bericht fand ich besonders bemerkenswert:
"Ich arbeite in einer Bank in der Kundenbetreuung. Nicht selten habe ich mit heiklen Geldangelegenheiten zu tun. Vor einiger Zeit gab es wieder einen solchen Fall: Ein Geschäftsmann hatte in seinem Testament verfügt, dass sein Nachlass von unserer Bank verwaltet werden sollte. Seine Frau in zweiter Ehe bekam die Zinserträge. Nach ihrem Tod sollte seinen Kindern aus erster Ehe das gesamte Vermögen zu fallen.
Diese Regelung führte zu ständigen Interessenskonflikten zwischen der Frau und ihren Stiefkindern. Ich verwaltete das Konto und hatte oft den Eindruck, es keinem recht machen zu können: Die Frau verlangte von mir, mit dem Guthaben möglichst hohe, kurzfristige Gewinne zu erzielen, während die Kinder das Geld langfristig angelegt haben wollten. Mein Handlungsspielraum war durch gesewtzliche Vorschriften stark eingeschränkt, so dass ich nicht mehr für die Witwe tun konnte.
Obwohl ich mich um ein Gespräch bemühte, bekam ich die Frau zunächst nicht zu Gesicht. Ich hörte nur über andere Kunden und Kollegen, dass sie mit unserer Arbeit sehr unzufrieden sei. Manche ihrer Äußerungen, die mir zugetragen wurden, empfand ich als rufschädigend oder gar beleidigend.
Nach über einem Jahr schließlich war sie bereit, mit mir zu sprechen. Ich war ein wenig aufgeregt, weil ich befürchtete, dass sie schwere Vorwürfe erheben würde. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, und als sie dann vor mir stand, fiel mir ein, dass jede Begegnung mit einem anderen Menschen auch eine Gelegenheit zum Zuhören ist. Ich nahm mir deshalb vor, meine Einwände und Rechtfertigungen, die ich mir schon zurechtgelegt hatte, zurückzustellen und offen für die Anliegen der Frau zu sein.
Sie war sehr kühl. Dann begann sie zu erzählen. Ich hörte ihr wirklich zu und begann, allmählich ihr Anliegen zu verstehen: Sie bekam nur eine kleine Rente und war auf die Kapitalerträge sehr angewiesen. Immer wieder betonte sie, wie sehr sie es bedauere, dass es wegen der Finanzen zum Streit mit ihren Stiefkindern gekommen sei. Als wir uns verabschiedeten, bedankte sie sich bei mir: "Mir ist durchaus bewusst, dass Sie an der Situation nichts ändern können. Aber Sie haben mich jetzt nicht mit schnellen Erklärungen abgefertigt, sondern versucht, mich zu verstehen. Dafür danke ich Ihnen sehr!"
Als sie weg war, dachte ich mir, es müsste doch möglich sein, hier zu helfen. Und so nahm ich diesen Besuch als Anlass, um einige Monate später alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, obwohl das gar nicht meine Aufgabe war. Aber erst jetzt gelang es uns, einen Weg zu finden, der für alle akzeptabel war. Und ich muss ehrlich sagen, darüber war ich wirklich froh!" L.R.