Ein Hörgerät soll den Alltag positiv verändern, doch viele sind von der Intensität der wiederentdeckten Klänge nicht nur überrascht, sondern manchmal auch darüber entsetzt. Sie empfinden die Geräuschkulisse als unangenehm und wünschen sich zurück in ihre stille Welt. Wer sich einmal an die Schwerhörigkeit gewöhnt hat, schreckt mitunter vor den Alltagsgeräuschen wie Telefonklingeln, Vogelgezwitscher oder Verkehrslärm zurück. Mit dem richtigen Training gelingt die Anpassung leichter.
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Die ersten Wochen mit dem neuen Hörgerät
Um einen sanften Start mit einem neuen Hörgerät zu ermöglichen, sollen die folgenden Tipps helfen:
- Es ist ratsam, Hörgeräte so viel wie möglich zu tragen. Dann erfolgt die Gewöhnung schneller und es lässt sich am meisten aus ihnen herausholen.
- Hörgeräte sollten auch zu Hause getragen werden. Das gilt zum Beispiel bei persönlichen Gesprächen oder im Rahmen von anderen eher ruhigen Situationen. Gespräche in ruhiger Umgebung sind ein erster, wichtiger Schritt im Umgang mit der wiedergewonnenen Hörfähigkeit.
- Die ersten Hörversuche mit dem neuen Gerät gelingen gut mit Menschen, die deutlich sprechen. Infrage kommen dazu Fernsehnachrichten- oder Radionachrichtensprecher. Diese sprechen berufsbegründet besonders deutlich. Danach können Magazinsendungen und nach und nach andere Sendungen hinzukommen.
- Nach der ersten Gewöhnung in den eigenen vier Wänden unter kontrollierten Bedingungen kommen die Hörgeräte auch draußen in lauter Umgebung zum Einsatz: auf der Straße, im Supermarkt, in öffentlichen Verkehrsmitteln.
- Ist das Ohr an die unregelmäßigen Geräuschbelastungen gewöhnt, kann das erste Telefonat geführt werden. Es ist ratsam, den Telefonhörer am Wangenknochen leicht anzukippen, so dass der Hörer sich knapp über dem Mikro des Hörgeräts befindet. So vermeidet man unangenehmes Pfeifen und die Gesprächsbedingungen sind besser.
Es ist üblich, dass der zuständige Hörakustiker zu einem Kontrolltermin bittet, damit bei den Hörgeräten die Feinanpassung vorgenommen werden kann. Die Anpassung richtet sich nach dem individuellen Gehör und nach den typischen Alltagsaktivitäten. Bei diesem Kontrolltermin lassen sich konkrete Fragen stellen und Probleme mit dem Hörakustiker besprechen, die sich im Praxistest ergeben haben. Manchmal ist es sinnvoll, eine zweite Person mitzunehmen, die den Alltag der betroffenen Person kennt. Die Begleitpersonen kann aus ihrer Sicht wertvolle Informationen hinsichtlich des Hörvermögens preisgeben, die für den Hörakustiker von Wert sind und beim Feintuning helfen.
Hörtraining für den Einstieg
Um möglichst schnell bestmögliches Hören zu realisieren, ist ein qualifiziertes Hörtraining hilfreich. Wer unter einer Hörminderung leidet, kann Störgeräusche oftmals schlecht identifizieren und aus dem bestehenden Klangteppich herausfiltern. Eigentlich bekannte Geräusche klingen plötzlich anders. Um mit dem neuen Hörgerät optimal zu hören, ist ein gezieltes Hörtraining eine gute Entscheidung. Mit einem neuen Hörgerät müssen Betroffene neu hören lernen. Laute und fremde Geräusche schrecken ab, man muss sich neu mit ihnen vertraut machen. Ziel eines Hörtrainings ist, die Zusammenarbeit von Gehör und Gehirn zu optimieren. Hörreize müssen die entsprechenden Informationen an das Gehirn weitergeben, damit diese dort richtig verarbeitet werden können. Mit einem gezielten Hörtraining wird es leichter, Störgeräusche von relevanten Geräusche zu trennen. Der Klangteppich ist nicht mehr ein undurchdringliches Dickicht, sondern Sprache lässt sich nach einer Weile gezielt herauskristallisieren. Wer von Tinnitus betroffen ist, kann mit professioneller Unterstützung lernen, die Aufmerksamkeit vom Tinnitus abzuwenden. Zwar lässt sich der Tinnitus nicht abschalten, aber man kann den Umgang damit verändern und verbessern.
Übungen optimieren das Hörverständnis
Im Rahmen des professionell aufgebauten Hörtrainings wird regelmäßig der Fortschritt dokumentiert, wodurch die Entwicklung nachprüfbar aufgezeichnet wird. Damit lassen sich Hörgeräteanpassungen optimal gestalten. Beim Hörtraining werden die folgenden Fähigkeiten geschult:
- Hörerinnerung
- selektives Hören
- kurze Hörimpulse verstehen
- Alltagsgeräusche wahrnehmen und differenzieren
- Töne unterscheiden
- Wörter und Sätze unterscheiden
- Texte verstehen
Das Hörverständnis lässt sich mit ausgewählten Übungen schon innerhalb von 14 Tagen so weit verbessern, dass die Erfolge persönlich spür- und hörbar sind.
Tipps für den Alltag mit einem neuen Hörgerät
Das erste Mal mit Hörgerät eine geräuschintensive Umgebungen zu besuchen, kann beängstigend sein. Kino oder Theater, Restaurant oder Café, Seminar oder Tagung – die alltäglichen Herausforderungen sind vielfältig. Die Erfahrung zeigt, dass es mit der Zeit leichter wird, auch in solchen anspruchsvollen Situationen zurechtzukommen. Betroffene sollten sich nicht abschrecken lassen, denn das würde bedeuten, auf ein wichtiges Stück Lebensqualität zu verzichten. Stattdessen ist es ratsam, sich Stück für Stück an die Herausforderungen heranzuwagen.
Kino- oder Theaterbesuch
Vor einem Besuch im Kino oder Theater können schwerhörige Personen dort nachfragen, ob eine induktive Höranlage installiert ist, mit denen sie ihr Hörgerät verbinden können. Die induktive Höranlage, auch als Induktionsschleifenanlage oder Ringsschleifenanlage bezeichnet, ist eine Technik, die Töne und andere Audiosignale umwandelt, sodass Hörgeräte diese aufnehmen und verarbeiten können. Je nach Hörgeräte-Modell ist diese Variante empfehlenswert und hilft dabei, die Tonbeiträge besser zu verstehen.
Extratipp: Für den Anfang sind kurze Vorstellungen eine sinnvolle Wahl.
Extratipp: Für den Anfang sind kurze Vorstellungen eine sinnvolle Wahl.
Restaurant und Cafe
Um in einem belebten Restaurant oder in einem Straßencafé den Unterhaltungen am eigenen Tisch folgen zu können, sollten Betroffene um einen Platz bitten, der etwas ruhiger gelegen ist. Ungünstig liegen Tische direkt am Kücheneingang, weil dort ständig Personal auf und ab läuft, mit Tellern klappert und redet. Das erschwert das Hörverständnis. Auch ist ein Sitzplatz direkt am Eingang, an der Bar oder in unmittelbarer Nähe einer Box ungünstig. Nach Möglichkeit sollten Menschen mit Hörbehinderung weit weg und mit dem Rücken zu solchen Lärmquellen sitzen.
Seminare und Tagungen
Je näher der Sitzplatz beim Vortragenden ist, desto besser. Weit vorne in einem Seminar- oder Tagungsraum zu sitzen bedeutet, mit dem Rücken zu vielen möglichen Geräuschquellen – nämlich den anderen Teilnehmern – zu sitzen. Falls der Redner nicht laut genug spricht sollten hörgeschädigte Menschen nicht zögern und nachfragen, ob der Referent lauter sprechen oder sogar ein Mikrofon benutzen kann.
Partys und Gesellschaften
Auf Partys und Gesellschaften ist die Geräuschkulisse meist besonders intensiv. Viele Menschen reden durcheinander, Musik läuft, Gläser klirren. Um hier nicht zu kapitulieren braucht es eine wirkungsvolle Unterstützung. Manche Hörgeräte lassen sich mit externen Mikrofonen koppeln. Diese Mikrofone trägt der Gesprächspartner bei sich und seine Worte werden laut und deutlich über das Hörgerät ins Ohr der hörgeschädigten Person übermittelt. Auf diese Weise sind auch Unterhaltungen bei hohem Geräuschpegel möglich. Die Digitalisierung hat hier viel beigetragen, um das Leben von Hörgeschädigten zu vereinfachen. Es gibt passende Apps für Smartphones oder seniorengerechte Tablets, die sich personalisieren lassen. Die Geräte/Mikrofone sind relativ klein und können diskret verwendet werden.
Kommentare (2)
El_Lobo
Sehr gut sind Geräte wie die Widex Evoke, die man mittels einer App auf dem Handy kontrollieren kann. Man kann damit verschiedene Hörprofile herstellen wie z.B. TV, Filme, Autoverkehr, Party, Conversation, Restaurant usw. Wichtig ist, dass vor dem Kauf die Frequenzen festgestellt werden, die man im Alter nur noch schwer hört. Typisch, wie in meinem Fall, sind es die hohen Frequenzen, die man altersbedingt nur noch teilweise hört. Mit einer App lassen sich die höheren Töne verstärken und man hört viel besser.
Nicht unerwähnt sollte auch sein, dass es auch bei den Hörgeräten
sehr darauf ankommt, wieviel Geld der Gehörgeschädigte aufwenden
kann. Es gibt wunderbare Geräte, die z.B. Nebengeräusche ausblen-
den können. Und die noch viele andere Extras haben
Bei mir ist es so, dass ich mir nur die preiswerteste Ausgabe eines
Im-Ohr-Gerätes erlauben konnte. Damit sind etliche Dinge nicht
möglich. Aber: Auch daran habe ich mich gewöhnt. Gruppenunter-
haltungen werden gemieden. Bei dem Treffen einer COPD-Selbst-
hilfegruppe hat mir die neben mir sitzende Betroffene gesagt, was
gerade zur Debatte stand.
Übrigens, die Im-Ohr-Geräte trage ich hauptsächlich deswegen, weil
das Tragen von Hinter-dem-Ohr-Geräten (auch bei sehr kleinen Vari-
anten) starke Schmerzen verursacht.
xenia