Interview mit Dr. Klaus Michael Lücking, dem Organspendebeauftragten des Universitätsklinikums Freiburg
Die Fragen stellten Margit Fischbach und Prof. Dr. Karl-Friedrich Fischbach für den Seniorentreff im Internet am 5. 2. 2020
Vorbemerkung
Die Diskussion über die Organspende in unserem Forum zeigte, dass unseren Mitgliedern die Entscheidung für oder gegen eine Organspende schwer fällt, weil für sie noch viele Fragen offen sind. Es zeigte sich auch, dass weitverbreitete Falschinformationen diese Entscheidung beeinflussen können. Deshalb sind wir dem Organspendebeauftragten der Freiburger Universitätsklinik, Herrn Dr. Lücking für seine Bereitschaft, uns für den Seniorentreff ein Interview zu geben, dankbar.
Vorstellung / Zur Person
Dr. Klaus Michael Lücking ist von Haus aus Kinderarzt und war viele Jahre als Fach- und Oberarzt in der Kinderintensivmedizin und Neonatologie (Behandlung von Früh- und Neugeborenen) tätig. Zu seinen Patient*innen gehörten dabei auch Kinder vor und nach Organtransplantationen. Daneben qualifizierte er sich als Systemischer Therapeut und Berater und bringt diese Kompetenzen heute in die Beratung von Angehörigen und Intensivteams ein, wenn bei Patient*innen des Freiburger Uniklinikums eine Organspende diskutiert werden muss. Dr. Lücking war einige Jahre Mitglied des klinischen Ethikkonsildienstes am Uniklinikum Regensburg. Die vor einigen Jahren neu geschaffene Position des „Transplantationsbeauftragten“ (besser „Organspendebeauftragten“) am Uniklinikum ermöglichte ihm auch die Rückkehr in seine Geburtsstadt Freiburg.
Interview-Fragen
Worin besteht der Unterschied zwischen Organ- und Gewebespenden?
Dr. Lücking: Blut-, Hornhaut-, Knochenmark- und Stammzellspenden sind keine Organspenden, sondern Gewebespenden, für die auch andere gesetzliche Regeln gelten. Zu Organspenden gehören die großen Organe wie z.B. Herz, Lunge, Leber, Nieren, aber auch Bauchspeicheldrüse und Darm.
Wer kann spenden? Gibt es eine Altersbeschränkung?
Dr. Lücking: Es gibt keine Altersobergrenze für Organspenden. Da das biologische und chronologische Alter nicht unbedingt übereinstimmen, kommt es immer auf den Einzelfall an. Das Durchschnittsalter von Organspendern liegt bei uns in Deutschland bei ca. 55 Jahren. Der jugendliche Motorradfahrer, der ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erleidet, ist heute als Organspender deutlich weniger häufig als ältere Menschen, die eine riesige Hirnblutung erleiden.
Ältere Menschen haben allerdings häufiger auch chronische Erkrankungen. Es geht nicht darum, wie alt jemand ist, sondern welche Krankheiten er im Lauf seines Lebens „angesammelt“ hat. Klare Ausschlusskriterien für eine Spende sind akute bösartige Tumorerkrankungen. Wenn diese jedoch einmal 10 Jahre oder länger zurückliegen, muss sehr sorgfältig recherchiert werden nach Art und Stadium, der Biologie und dem bisherigen Verlauf, um vielleicht doch eine Organspende möglich werden zu lassen. Weiter sind bestimmte Infektionskrankheiten wie z.B. eine Prionenerkrankung absolute Ausschlusskriterien.
Auf der anderen Seite ergibt sich die Frage, welchen Einfluss das Alter auf das Ranking auf der Warteliste hat. Da ist auf der Transplantationsseite wie auch bei der Organspende viel in Bewegung gekommen. Ich möchte das „old for old“-Programm (Eurotransplant-Senior-Programm ESP) als Beispiel nennen, wo das Alter eine positive Rolle bei der Zuweisung eines Organs spielt. Organe älterer Spender werden aus biologischen und aus Gerechtigkeitsgründen, wenn sie passen, bevorzugt älteren Empfängern zugeteilt. Hier ist dann das Alter eher von Vorteil.
10 000 Menschen warten in Deutschland auf eine Organspende, darunter 8000 auf eine Niere. Treffen diese Zahlen zu? Wie werden die Organe verteilt?
Dr. Lücking: Ja, die Zahlen stimmen. Wichtig ist zu wissen, dass der grösste Teil der z.B. in Freiburg gespendeten Organe nicht in Freiburg transplantiert wird. Organspende und Transplantation sind zwei strikt voneinander getrennte Bereiche. Die Transplantationsmedizin ist ohne Organspende nicht möglich; trotzdem ist die Organspende keine „Hilfsdisziplin“ der Transplantationsmedizin.
Die Eurotransplant-Zentrale im niederländischen Leiden vermittelt für acht europäische Länder die Organspenden an den aufgrund von Gewebemerkmalen am besten passenden Empfänger. Wenn das Organ an diesen nicht vermittelt werden kann, wird in Leiden vom Computer der zweitbeste Empfänger ermittelt.
Bei der Zuordnung muss auch beachtet werden, dass nicht alle Organe stundenlang „auf Eis“ transportiert werden können. Beim Herz handelt es sich z. B. um einen Zeitraum von nur vier Stunden, bevor ein gespendetes Herz in einen neuen Empfänger transplantiert sein muss. Leber und Nieren ertragen ca 24 Stunden Transport auf Eis
Im Vergleich zum europäischen Ausland gibt es bei uns fast die wenigsten Spender. Woran liegt das, sind es Vorurteile, mangelnde Aufklärung, …?
Dr. Lücking: Es gibt einen ganzen Strauß von Gründen, teilweise ist das auch von der jeweils gültigen Gesetzgebung abhängig.
Eine Information vorweg: 85% der Deutschen finden Organspende gut, angeblich haben 35 % davon einen Ausweis oder ihre Spendenbereitschaft schriftlich niedergelegt. Auf der Intensivstation haben allerdings höchstens 5 % der Patienten, welche Organspender sein könnten, einen Ausweis oder ähnliches.
Grund 1: In Deutschland lehnen Angehörige, wenn kein Ausweis vorliegt und der Betroffene im Vorfeld seine Einstellung nicht geäußert hat, eine mögliche Organentnahme meist ab, um „nichts falsch zu machen“. Aus dieser Angst heraus können sie sich nicht für die Organspende entscheiden. Das ist kein „Nein“ des Patienten, sondern die Überforderung der Angehörigen, in diesem Moment eine Entscheidung zu treffen.
Grund 2: In der Intensivmedizin wurde lange darum gekämpft, Intensivtherapie nur mit klarer Zustimmung des Patienten durchzuführen. Der Patientenwille wurde für den Beginn und die Fortführung von Intensivbehandlung also immer wichtiger. In diesem Spannungsfeld kam der Aspekt der Organspende vielleicht etwas zu kurz.
Früher wurde der Patient über einen längeren Zeitraum hin intensivmedizinisch behandelt und es kam zum „Hirntod“. So war auch eine Organspende eher möglich. Heute richtet sich das Augenmerk mehr auf das Ziel der Behandlung und darauf, ob der Patient mit einer Intensivbehandlung einverstanden ist.
Das könnte doch dann ein Widerspruch sein, wenn jemand sich in seiner Patientenverfügung gegen Intensivmedizin ausspricht und gleichzeitig einen Spenderausweis hat?
Dr. Lücking: Das passt schlecht zusammen, weil die wenigsten Menschen wissen, dass in Deutschland eine Organspende nur nach dem Hirntod möglich ist. Und der Hirntod kann nur diagnostiziert werden, wenn der Patient intubiert ist und beatmet wird. Das wiederum ist eine intensivmedizinische Behandlung.
Wenn auf dem Ausweis „nach meinem Tod“ steht, so verstehen die meisten Menschen darunter den Herztod, also dass sie eine Leiche sind. Dass Organspende Intensivmedizin voraussetzt, ist den meisten nicht bewusst. Es kann also eine Dissonanz zwischen Organspende und Patientenverfügung geben.
Konkret: Wenn der Patient eine Patientenverfügung gegen eine intensivmedizinische Behandlung hat und diese auch für die konkrete Situation anwendbar ist und der Patient auch Organspender sein könnte, gilt grundsätzlich, dass aus dieser Patientenverfügung nicht abgeleitet werden kann, dass er damit auch eine Organspende ablehnt. Die Bundesärztekammer empfiehlt, dass der Arzt die Angehörigen nach dem Willen des Patienten befragt und nicht automatisch die intensivmedizinische Behandlung abbricht. Diese Frage nach der Organspende wird jedoch oft nicht gestellt.
Die Bereitschaft zur Organspende sollte demnach sowohl in der Patientenverfügung wie im Organspenderausweis vermerkt sein?
Dr. Lücking: In neuen Patientenverfügungsvorlagen ist eine Entscheidung zur Organspendenbereitschaft vorgesehen, aber auch da verstehen die Menschen den Passus „mit meinem Tode“ häufig anders, als worum es in der Intensivmedizinischen Entscheidungssituation wirklich geht.
In unserer Forumsdiskussion wurden Internetseiten von Eltern verlinkt, die befürchten, ihr Kind sei zum Zeitpunkt der Organentnahme noch nicht tot gewesen, weil das Herz noch geschlagen habe, Reflexe vorhanden gewesen seien, der Körper noch warm gewesen sei …
Dr. Lücking: Es geht um die Frage, ob der Hirntod der Tod des Menschen ist.
Dazu gab es im Deutschen Ethikrat vor einigen Jahren interessanterweise zwei Meinungen: Das Mehrheitsvotum verstand den Hirntod als gleichbedeutend mit dem personalen Tod des Menschen. Die Minderheit vertrat die Meinung, spätestens der Hirntod sei der Point of no return, der Punkt, an dem der Sterbeprozess längst irreversibel begonnen habe, es also kein Zurück mehr gebe. Bildlich kann dies durch einen Turmspringer verdeutlicht werden, der bereits vom Sprungbrett abgesprungen ist und sich im Fall befindet.
Sowohl der Herztod wie der Hirntod als Definitionen des Todes sind aber auch eine gesellschaftliche Konventionen. Die Definition Herztod als Todeszeitpunkt geht bereits auf die alten Ägypter und Griechen zurück und scheint auch heute nach Tausenden von Jahren noch für viele eine absolute Wahrheit zu sein. Trotzdem können z. B. 48 Stunden nach dem Herztod noch Netzhäute entnommen und transplantiert werden. Das heißt nicht, dass der Mensch noch lebt.
Wie ist das Vorgehen im Fall einer möglichen Organspende? Haben die Angehörigen ein Vetorecht?
Dr. Lücking: Wie gesagt, in wenigen Fällen auf der Intensivstation liegt ein Spenderausweis vor. Auch in diesem Fall erfolgt immer ein Gespräch mit den Angehörigen, auch, um zu klären, ob der dort dokumentierte Wunsch des Patienten auch noch wirklich aktuell ist.
Es gibt eine klare Reihenfolge (Ranking):
- Wenn der Wille des Patienten schriftlich vorliegt, führt dieser. Gleiches gilt für einen mündlichen geäusserten Willen
- Wenn Angehörige dies beim besten Willen aber nicht ertragen können, dann wird eine Organspende nicht gegen die Not von Angehörigen „durchgezogen“. Maxime ist, auch an die zu denken, die weiterleben müssen.
- Wenn keine Willensäusserung vorliegt, wird mit Hilfe der Angehörigen versucht, den mutmaßlichen Willen herauszufinden.
- Wenn auch dies nicht gelingt, können Angehörige nach ihrem Willen entscheiden.
Allerdings können Angehörige nicht gegen den Willen des Patienten eine Organspende veranlassen.
Auf dem Organspendeausweis kann übrigens auch „Ich stimme der Organspende nicht zu“ angekreuzt werden. In der Entscheidungssituation ist allen extrem geholfen, wenn solch ein Ausweis, sei es mit einem „Ja“ oder auch mit einem „Nein“ überhaupt vorhanden ist.
Ab wann unterscheidet sich die Behandlung eines hirntoten Spenders von der Behandlung eines hirntoten Nichtspenders?
Dr. Lücking: Ein Nicht-Organspender erfährt nach dem Hirntod keine medizinische Behandlung mehr, weil er tot ist. Eine Organspende dagegen ist Verpflichtung und Rechtfertigung die Behandlung fortzuführen.
Ein Spender wird also länger intensivmedizinisch behandelt als ein Nichtspender.
Menschen haben Angst, als Organspender weniger intensivmedizinisch behandelt zu werden, obwohl das Gegenteil der Fall ist.
Natürlich kommt kein Mensch als Organspender in die Klinik, aber im Verlauf der ersten Tage auf der Intensivstation stellt sich die Frage nach der Prognose und nach dem Wunsch des Patienten. Eine „infauste Prognose“ bedeutet, dass der Zustand des Patienten keine Heilung ermöglicht und mit dem Tod zu rechnen ist. Für eine solche ernste Prognose werden zur Sicherheit verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Erst dann darf über Organspende diskutiert werden.
Für das Vertrauen ist es wichtig, dass Organspende von Transplantation getrennt wird, so dass nicht direkt im Nachbarzimmer bereits jemand auf das Organ wartet.
Dr. Lücking: Wir haben hier in Freiburg ein Transplantationszentrum, aber wir entscheiden bei der Organentnahme nicht darüber, wer das Organ erhält. Seit 1997 sieht das Transplantationsgesetz vor, dass ein Organ nicht mehr einem Transplantationszentrum, sondern einem bestimmten Patienten zugeordnet wird. Dieser kann auch in Freiburg auf der Warteliste sein. Die Entscheidung zur Organvergabe trifft jedoch alleine Eurotransplant in Leiden.
Für Angehörige ist die Situation extrem belastend. Wie gehen Sie damit um?
Dr. Lücking: Das Privileg meiner Position liegt darin, dass ich viel Zeit mitbringe, die auf einer Intensivstation oft Mangelware ist. Den Angehörigen eines bewusstlosen, komatösen Patienten, der sich nicht mehr äußern kann, muss zunächst die ernste und hoffnungslose Situation vermittelt werden. Besonders schwierig ist es, kleinen Kindern zu vermitteln, dass Vater oder Mutter sterben werden. Das hat zunächst einmal gar nichts mit Organspende zu tun. Bevor über eine Organspende gesprochen werden kann, muss auch gesehen werden, ob die Angehörigen in dieser Situation darüber sprechen können. Die Entscheidung ist eine große Last und es hilft zu wissen, was unser Patient gewollt hätte.
Werden die Angehörigen nach der Entscheidung weiter betreut?
Dr. Lücking: Das ist auch im Transplantationsgesetz geregelt. Es gibt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (https://dso.de/), welche u.a. die längerfristige Nachsorge für die Angehörigen von Organspendern übernimmt.
Weshalb geschieht in einigen Länder die Organentnahme unter Narkose? Spüren Hirntote doch noch Schmerz?
Dr. Lücking: Kürzlich stand bei einem meiner Vorträge ein erfahrener Anästhesist auf und sagt: „Ich verstehe das mit dem Hirntod ganz genau - ich will trotzdem eine Vollnarkose haben.“ Das zeigt sehr gut den Unterschied zwischen rationalem und emotionalem Umgang mit der Frage.
In der Schweiz und in England wird eine Vollnarkose empfohlen. Es geht dabei nicht um Schmerzbetäubung, da es keine Schmerzempfindung in einem toten Gehirn mehr gibt.
Es gibt aber im Laufe einer Operation ohne analgesierende und muskelrelaxierende Mittel vegetative Reaktionen oder auch Muskelzuckungen - ganz ohne eine zentralnervöse Kontrolle im Gehirn. In England werden für die Vollnarkose Narkosegase empfohlen, weil Studien zeigen, dass die gespendeten Organe nach einer solchen Narkose widerstandsfähiger gegenüber dem Sauerstoffmangel „auf Eis“ während des Transportes sind.
Was bedeutet der Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz, die Ausschüttung von Adrenalin, also von Stressindikatoren, bei einem solchen Eingriff?
Dr. Lücking: Diese Merkmale bedeuten nicht, dass Schmerz empfunden wird. Alle Reaktionen, die im peripheren und vegetativen Nervensystem möglich sind, sind auch beim hirntoten Patienten möglich. Viele Menschen haben nicht verstanden, was Hirntod bedeutet. Nicht jede Adrenalinausschüttung oder erhöhte Blutdruck ist auf eine Schmerzempfindung zurückzuführen, weder beim gesunden Menschen noch beim hirntoten Patienten.
Es wäre ja gut, wenn die Kritiker des Hirntodkonzeptes für sich die Entscheidung treffen würden, nicht Organe zu spenden, anstatt Verschwörungstheorien zu entwickeln. Leider werden wilde Theorien verbreitet von Leuten, die wenig bereit erscheinen, sich auf eine sachliche Information und offene Diskussion einzulassen. Andererseits müssen wir Ärzte wohl noch umfassender erklären und transparenter beraten, damit Menschen vertrauen.
Wie kann Missbrauch, wie können Manipulationen verhindert werden?
Dr. Lücking: Nun, bei den sog. Transplantationsskandalen vor einigen Jahren sind die Patienten z. B. auf der Göttinger Warteliste „kränker gemacht worden“ als sie es tatsächlich waren. Damit wurde von Eurotransplant ein Organ nach Göttingen vergeben, anstatt nach z. B. Wien. Es ist meines Wissens kein Geld an die Ärzte geflossen. Die Ärzte konnten aber wohl nicht ertragen, dass „ihre Patienten“ ohne Transplantation hätten sterben müssen. Das ist vielleicht verständlich, aber schlicht unethisch, weil dann anderenorts Patienten sterben. Eurotransplant hat Konsequenzen gezogen, auch der Gesetzgeber. Wer heute Wartelisten verfälscht, wandert in den Knast.
Wenn alle Menschen bei uns Spender wären, würde dann die Anzahl der Organe ausreichen?
Dr. Lücking: Ja, Spanien ist ein gutes Beispiel. Die WHO hat das Ziel ausgegeben, jedes Land möge sich selbst versorgen mit Organen. Die Spanier können sich selbst versorgen. 45 Organe werden dort pro 1.000.000 Einwohner gespendet, also viermal so viel wie bei uns, bei uns sind es gerade 11. In Spanien warten Sie nicht 8 Jahre auf eine Niere wie in Deutschland.
Was halten Sie von der Möglichkeit künstliche Organe herzustellen?
Dr. Lücking: Ich bin zu weit weg von diesen experimentellen Ansätzen. Xenotransplantate werden kaum in den nächsten 10-20 Jahren kommen.
Das Herz ist eine Pumpe. Könnte man es nicht gut durch eine mechanische Pumpe ersetzen?
Dr. Lücking: Oh doch, es gibt seit Jahren kleine Unterstützungspumpen, die einzelne Herzkammern unterstützen, aber auch ganze künstliche Herzen. Doch diese Hilfen sind in aller Regel Überbrückungshilfen, da sie eigene neue Probleme aufwerfen. Fremdmaterial in der Blutbahn löst die Bildung von Thromben, also Blutgerinnseln aus; deshalb müssen die Patienten „Blutverdünner“ nehmen. Material kann ermüden. Kabel, welche von aussen in den Körper gelangen, sind eine deutliche Infektionsgefahr….
Wie ist die Lebensqualität der Transplantierten?
Dr. Lücking: Das hängt sehr davon ab, wie gut das Transplantat passt, wie häufig es zu Komplikationen wie Abstossung, Infektionen angesichts der Immun-Suppression usw kommt. Aber auch das emotionale „Annehmen“ des transplantierten Organs spielt eine Rolle. Lebensqualität scheint durchaus ein subjektives Phänomen zu sein:
Es gibt aufschlussreiche Untersuchungen bei ehemaligen Frühgeborenen mit ausgeprägten Handicaps. Nach 10 oder 15 Jahren mit zahlreichen gesundheitlichen und sozialen Problemen schätzen die Kinder ihre Lebensqualität höher ein als Eltern, Pfleger und Ärzte.
Gibt es einen Organ-Schwarzmarkt? Was sagen Sie zu Menschen, die sich im Ausland ein Organ, z. B. eine Niere „kaufen“?
Dr. Lücking: Ja, es gibt einen Schwarzmarkt für Organe – zumindest in der sog. Dritten Welt. Das ist nicht die einzige Art von Post-Kolonialismus und natürlich ethisch verwerflich. Die Deklaration von Istanbul ächtet jeden Organhandel. Organtransplantation ist jedoch mehr als ein „Organ-Austausch“: Es braucht einen gesunden Spender, ein gutes genetisches match, eine saubere Operation und vor allem eine lebenslange Nachsorge und Betreuung. Ich bin mir sicher, dass Menschen, die in ihrer Verzweiflung für sich oder ihr Kind auf dem Schwarzmarkt ein Organ kaufen wollen, nicht vollumfänglich auf dem Schirm haben, in welche Gefahr sie sich und andere bringen.
Haben Sie selber einen Organspendeausweis?
Dr. Lücking: Ja - und ich würde spenden!
Seniorentreff: Herzlichen Dank für Ihre Zeit und die wichtigen Informationen.
Kommentare (5)
@Ann-Barbara
Krankheiten können Ausschlusskriterien sein:
Dr. Lücking:Wie das bei Multipler Sklerose ist, habe ich recherchiert und dabei Folgendes gefunden:
...
Ältere Menschen haben allerdings häufiger auch chronische Erkrankungen. Es geht nicht darum, wie alt jemand ist, sondern welche Krankheiten er im Lauf seines Lebens „angesammelt“ hat. Klare Ausschlusskriterien für eine Spende sind akute bösartige Tumorerkrankungen. Wenn diese jedoch einmal 10 Jahre oder länger zurückliegen, muss sehr sorgfältig recherchiert werden nach Art und Stadium, der Biologie und dem bisherigen Verlauf, um vielleicht doch eine Organspende möglich werden zu lassen. Weiter sind bestimmte Infektionskrankheiten wie z.B. eine Prionenerkrankung absolute Ausschlusskriterien.
Nur in Ausnahmefällen sollten MS-Kranke Organe, Stammzellen oder Blut spenden. Auch solche Einzelfälle bedürfen einer gründlichen Prüfung. Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, deren Auswirkungen noch immer nicht vollständig durchleuchtet werden konnten. Die Erkrankung als solche ist keinesfalls ansteckend. Die Defekte des Immunsystems können dennoch über Blut, Organgewebe oder Stammzellen auf den Organismus des Empfängers übertragen werden. Die Risiken sind dokumentiert.
Quelle: Chirurgie-Portal.de.
Karl
Ich habe seit Jahren einen Organspendeausweis in meinem Portemonnaie und das habe ich immer bei mir.....auch mein "Bevollmächtigter" weiss Bescheid, falls mir etwas passiert. Immer vorausgesetzt bei mir bleiben einige "Teile" so gesund, dass man die noch gebrauchen kann....
Danke..! Ich habe meinen Spendenausweis schon eine Weile und der Bleibt am Mann. dicker68
@dicker68
prima dicker. Es freut mich, wenn es Resonanz zum Interview gibt. Ich persönlich fand die Informationen für mich sehr nützlich. Als Biologe weiß ich zwar, was ein Hirntod ist und ich bin natürlich davon überzeugt, dass ich als Person tot bin, wenn mein Hirn tot ist, (auch wenn meine Haare danach noch wachsen), aber die Informationen über das Prozedere, insbesondere über die Trennung von Organspende und Transplantation und deren Verwaltung über eine zentrale europäische Instanz waren für mich sehr spannend und neu.
Karl
Hallo, habe früher Blut gespendet. Bis ich an Multiple Sklerose erkrankt bin, dann hieß es ich darf nicht spenden. Wie ist das mit Organspende?