Wir, die Franzosen und alle anderen ...


Wir, die Franzosen und alle anderen ...

»Mein Junge, das musst du dir merken:
Die Franzosen, das sind unsere Erbfeinde!«

Ich weiß nicht, wie oft er mir das vorgepredigt hat.
Er - das war Onkel Dieter, ein alter Mann, bereits 1871 geboren. Er hatte damals in unserer Straße eine Tischlerei, werkte dort mit einem Angestellten herum und war sehr an Politik interessiert. Ich war damals so etwa zehn, elf Jahre alt und war oft bei ihm zu Gast. In seiner Werkstatt roch es immer so angenehm nach frischem Holz, Beize und anderen Zusätzen.
        Und Onkel Dieter konnte es nicht lassen - er musste mir immer seine Ansichten brühwarm erklären. Und bei einem Jungen meines Alters, der zudem gerade als Pimpf in das Jungvolk der Hitlerjugend aufgenommen worden war, fielen seine Worte damals auf fruchtbaren Boden! Was hat er mir alles erzählt - und nicht alles waren solche Döntjes, die man später schnellstens wieder vergessen musste!
        Ich fragte ihn Löcher in den Bauch - und er gab mir bereitwillig Antwort auf alle meine Fragen - auch wenn sie meist so braun gefärbt waren, wie sein Tischlerleim!
        Ich weiß noch, dass ich ihm einmal sagte: Ich begreife das nicht - erben kann man ja wohl Haus und Hof und Geld und alles, was damit zusammenhängt. Aber Hass? Wie geht das denn, fragte ich ihn?
        »Ja - nun, das ist nun mal so«, anders konnte er darauf wohl nicht antworten; und dann fing er an zu erzählen über den deutsch-französischen Krieg 1870/71 und dann - über 1914 und den Krieg, den ich gerade miterlebte, die Weltkriege hatten es ihm angetan. Er selbst hatte wohl, den Weltkrieg 14/18 mitgekämpft, er erzählte immer von der Somme-Schlacht!
              Irgendwann wurde mir klar, dass ihm die Mär von den Franzosen auch nur eingeprägt wurde, zu Kaiser Wilhelm’s II. Zeiten. Dann im 1.Weltkrieg und schließlich von der Nazipropaganda!
Und mir wurde klar, dass die Worte Feindschaft und Krieg dicht beieinander wohnen! Und was der »Krieg« bedeutet, hatte ich selbst am eigenen Leib erlebt.
              Vaters Begräbnis auf dem Ehrenfriedhof, die eigene Flucht aus der Heimat, Schiffsuntergänge, Panzerangriffe, Bomben auf unser Haus, all das hatte mir gezeigt, dass alle Bezeugungen von der sogenannten »Blut und Ehre« nichts weiter waren als leeres Gefasel von Menschen, die nichts weiter wollten, als ihre eigene Macht begründen und zu erhalten!
              In dem Alter - nach dem letzten Krieg - fing ich an, mich für Fußball zu interessieren, aber auch für die Politik! Und so bekam ich schnell mit, dass sich in Westeuropa etwas Besonderes anbahnte: Zwischen Frankreich und Deutschland war nicht bloß der Friede eingekehrt, nein, man war dichter zusammengerückt, man vertrug sich, trotz aller geschichtlichen Gegensätze.
              Die EWG wurde gegründet, weil man sicher war, dass man Frieden hält, wenn man miteinander arbeitet, Handel treibt und Kultur austauscht!
Und dass es am Ende immer dann Krieg gibt, wenn jedermann nur an sich selber denkt und nicht auch an den Nachbarn. Am Ende stand dann die EU, die europäische Gemeinschaft. Aber das war - und ist es immer noch -  eine ganz schwierige Angelegenheit.
Aber im Vertrag von Lissabon 2009 war das große Los gewonnen: »Die Europäische Union.« Alle, die ihr angehören, haben den Vertrag über die Grundrechte der Menschen unterschrieben, die in der EU leben. Welch ein Tag, miteinander im Frieden, anstelle von Streit und Krieg.
              Nichts aber ist so, als dass auch hier nicht ein Körnchen des Unfriedens lauert! So auch hier. Da sind ein paar mehr Leute, wo der Größte immer noch größer werden will. Wenn ein Gesetz oder Verordnung für alle Staaten gelten soll, dann müssen auch alle dafür sein. Das ist nun mal das Recht. Ist aber jemand dagegen, dann wird nichts daraus.
              In den letzten Jahren waren Ungarn und auch Polen dafür bekannt, dass sie aus der Reihe tanzten. Meist geschah es dann, wenn man ihnen auf die Finger sehen wollte, weil sie sich nicht so recht an die Werte-Ordnungen der EU halten und immer ein paar Rosinen mehr aus dem großen Kuchen haben wollen.
              Es ist schon eine traurige Sache, dass die EU immer nachgegeben hat, um Frieden zu halten. Das macht die EU zu einem großen Schiff ohne Steuer, man sieht doch, wohin solch ein Verhalten führen kann. Der ungarische Staatspräsident Viktor Orban dreht lustig an der Schraube gegen sein eigenes Volk; und die Regierungen von Polen und Slowenien stützen ihn, wenn es ihnen gerade passt.
              Alle drei nehmen gar nicht mehr so wichtig, was die EU-Werteregeln eigentlich untersagen. Radio, Zeitungen, Fernsehen werden immer mehr an die Leine genommen und zensiert. Richter, die nicht so arbeiten, wie die Machthaber es wollen, werden einfach kaltgestellt. Das Ganze ist so schiefgelaufen, dass »Reporter ohne Grenzen« den Viktor Orban in der letzten Woche weltweit als »Feind der Pressefreiheit nennen darf!« Man muss sich das einmal vorstellen.
              Ich denke, wer sich nicht an die beschlossenen EU-Werteregeln hält, hat bei uns in der EU nichts verloren. °Punktum!° Und darum muss der EU-Vertrag noch einmal an dieser Stelle auf den Tisch! Ansonsten sehe ich den Tag kommen, wo es mit der EU abwärts geht; weil die Egoisten und Populisten das Sagen haben.
         Wenn mein alter Onkel Dieter nochmal die Augen öffnen könnte, würde er erstaunt fragen: »Stimmt das wirklich, dass die Erbfeinde Deutschland und Frankreich seit 76 Jahren keinen Krieg mehr miteinander hatten?«
              Und sein Rat wäre, da bin ich mir ganz sicher: »Wenn das so ist, dann haltet bloß an der EU fest! Was zu verbessern ist - verbessert es. Aber haltet zusammen!«

Anzeige

Kommentare (2)

ehemaliges Mitglied

Als Kind erfuhr auch ich von meinem Vater, dass die Franzosen unsere schlimmsten Feinde wären. Ich fragte mich im Verlauf meiner Kinderjahre nur immer wieder, wieso seine Mutter, die uns an Mutterstelle erzog, 1951 unseren Dackel Filou nannte. Da rutschte ihr auch so manches französische Wort in ihre Alltagssprache herein - und zwar richtig seiner Bedeutung entsprechend verwendet.

Aber es ist gut, dass sich die europäischen Länder verbunden haben. Ich hoffe inständig, dass ein ungarischer, polnischer, slowenischer oder türkischer Präsident Europa oder der Welt keinen neuen Krieg bringt (auch ein USA-Trump hoffentlich nicht)!!

Frieden liebenden Gruß von Uschi

JuergenS

Die Grundidee der EU infrage zu stellen, ist nonsens, aber sie ist derzeit nicht gut unterwegs, sie hat zu viele "Häupter", zu wenig wirkliche Solidarität, ängstlichen Entscheidungs-Wirrwarr.
Eine grundlegende Reform ist nötig.
Bald.


Anzeige