Wer klopfet an?
Wer klopfet an
Bruck an der Mur, am 24. Dezember 1954. Ich war acht Jahre alt und wartete auf das Christkind. Mein Vater hatte wieder einmal den ganzen Tag in Wirtshäusern verbracht und das letzte Geld verjubelt. Er kam erst nach Hause, nachdem die letzte Spelunke geschlossen hatte. Ich war schon froh, dass ich keine Schläge abbekommen habe, das war sein Geschenk für mich an diesem Abend.
Ich hatte vom Nachbarn ein paar alte Ski, besser gesagt ein paar Eschenbrettl ohne Stahlkanten und ohne Bindung, geschenkt bekommen. Die fehlende Bindung sollte an diesem Tag mein Vater besorgen. Wie so oft kam er mit leeren Händen an. Er brummelte etwas Unverständliches und verkroch sich in sein Bett. Vielleicht hat er sich geschämt, ich weiß es nicht.
Aber da war ja noch meine Mama, die immer eine Lösung fand. Sie nahm mich an der Hand und lief mit mir zum „Renner”. Das war ein kleines Geschäft für Waren aller Art in der Altstadt. Der Besitzer des Ladens, Herr Renner, war ein allseits beliebter und freundlicher Mann. Bei ihm konnte man alles kaufen, was ein Haushalt benötigte. Auch einfache Ski und Bindungen mit Seilzug und Lederriemen, wie sie zu dieser Zeit üblich waren.
Es war schon finster geworden, die Straßen waren gespenstisch leer, die Geschäfte hatten längst geschlossen. Alle feierten den Heiligen Abend mit der Familie. Meine Mama hatte die Courage und klopfte den Ladenbesitzer heraus. Sie erzählte ihm irgendeine Notlüge als Entschuldigung für die Störung. Herr Renner hörte sich geduldig ihre Bitte an, dann wandte er sich an mich und sagte: „Komm Burli, wir schauen, was wir machen können”, legte seine Hand auf meine Schulter und ging mit mir in sein Magazin. Dort zog er eine einfache, aber für mich traumhafte Skibindung aus dem Regal. Dazu schenkte er mir die passenden Schrauben und ein kleines Paket Skiwachs: Toko-Silver. Das war das Größte für mich. Jetzt konnte ich es nicht mehr aushalten und wollte nur noch nach Hause, meine Mama musste sich für mich noch bedanken, ich war schon zur Tür gelaufen.
„Bezahlen?”, wiederholte Herr Renner die Frage meiner Mama, „bezahlen geht nicht, die Kasse ist zu.“
„Wie zu …?“
„Es ist alles abgerechnet. Die Journale sind geschrieben.“
„Und jetzt?”, fragte Mama.
„Jetzt ist Weihnachten! Gehen Sie mit dem Buben nach Hause und freuen sich über ein Geschenk vom alten Renner.”
Bis spät in die Nacht habe ich unter einem winzigen Fichtenbäumchen, mit ein paar Kerzen darauf, an meinen Bretteln herumgeschraubt und dem lieben Gott gedankt, dass es mir so gut geht.
Im Leben ist eben alles relativ. Auch Weihnachten.
Kommentare (3)
Was für eine tolle Engel-Kooperation, gepaart aus Energie und liebevoller Großzügigkeit, die es schaffte, einen kleinen Jungen zu Weihnachten so richtig glücklich zu machen.
Eine wunderschöne Erinnerung. Danke für Deine Erzählung, lieber Ferdinand.
Herzliche Grüße
Rosi65
Lieber Ernst,
das hat sich vor nunmehr 69 Jahren zugetragen und so eine Geste vergisst man nie, nicht wahr? Eine mich sehr berührende Erinnerung hast du hier mit uns geteilt.
Herzlichen Dank dafür und ich wünsche dir wunderschöne Festtage mit besinnlichen und freudigen Momenten.
Viele Weihnachtsgrüße fliegen zu dir von
indeed