"Wenn ihr wenigstens verlobt wäret ...!"
Im Herbst 1964 beging ich, gerade 19 Jahre jung und im Glauben, nun fast erwachsen zu sein, ich dürfte diese oder jene Entscheidung selber treffen, ohne den Vater zu fragen, einen großen Fehler. Welch ein meine ganze Zukunft bestimmender Fehler!
Ich lebte in meiner Verliebtheit für meine erste große Liebe, die in der Nähe meiner Kusine im Sauerland lebte und die ich seit zwei Jahren nicht mehr sehen durfte, in meinem Elternhaus. Mein Vater hatte mit großem Können und Fleiß sich nach dem Krieg als DER Friseurmeister in Münster einen guten Namen gemacht. Als ich nun in meiner Naivität glaubte, es wäre nur ein Ausflug in den Harz, den ich so ein wenig mit einer überraschenden Begleitfahrt meinem Tanzpartner zusagte, erfuhr ich nach dieser Wochenendfahrt, die der Mutter meines Partners sowie seinem Onkel galt, dass mein Vater dieses über Nacht Fortbleiben ein wenig anders sah.
Niemand außer meiner eigenen Familie wusste davon, dass ich diese Nacht nicht zuhause verbracht hatte. Mein Vater aber mochte nicht glauben, dass in dieser Nacht auch nichts „Unsittliches“ geschehen war und ich bekam den Vorwurf zu hören: ´“... wenn ihr wenigstens verlobt wäret!“ Ihn hatte seine Fantasie gleich weiter getrieben. Er war – obwohl seit sechs Jahren erneut verheiratet – so sicher, dass seine prominente Damenkundschaft vom Prinzipalmarkt gleich wissen würde, dass ich mich „daneben benommen haben könnte“ mit dem Ergebnis, meinem „alleinerziehenden“ Vater nun ein „Chrisjöhnken“ zu präsentieren. Welche Schande!! 18 Monate später war klar: es gab kein Chrisjöhnken, sondern einen Elf-Monatssohn, der so absolut nicht auf diese Welt wollte!
Doch zuvor verlangte mein Vater, dass ich ihm umgehend diesen Übeltäter vorstellte, um ihn zur Rede zu stellen, ihn aber auch als Heiratskandidaten zu überprüfen. Bei diesem Männergespräch durfte ich nicht dabei sein, obwohl es mich, ja, mein Leben betraf. Es endete damit, dass mein Zukünftiger recht widerwillig in eine Heirat einwilligte, aber nur, weil mein Vater durchblicken ließ, dass ich ja irgendwann einmal nach seinem Tod Miterbin seines Elf-Familien-Hauses sein würde und der junge Mann dann eben Anteil an diesem Erbe haben würde. Dem konnte der 21-Jährige nicht widerstehen.
Also wurde beschlossen, dass die Verlobung im kleinen Kreis Weihnachten stattfand und da gerade der Schwiegervater meines Vaters verstorben war, die Witwe näher zu ihrer Tochter ziehen wollte, in meinem Elternhaus eine Wohnung frei wurde, dies die erste Wohnung für uns sein sollte. Mein Vater fuhr mit mir in den Folgewochen in diverse Möbelgeschäfte, wir Zwei kauften meine erste Wohnungseinrichtung. Er sah diese Anschaffung als meine Mitgift an. Also hatte mein Zukünftiger auch keine Meinung dazu zu haben. Aber ihm war es offensichtlich Recht, denn er hätte sowieso nichts dazu beitragen können.
Im März erkrankte mein Vater am Parkinson. Somit war es ausgeschlossen, dass die Hochzeitsfeier, für Mitte Mai geplant, nicht so groß ausfallen würde, wie ursprünglich gedacht. Doch ein wenig musste schon an den Ruf meines Vaters gedacht werden. Großeltern, Onkel und Tanten beider Familien wurden zur kirchlichen Trauung zu 11 Uhr am 17. Mai eingeladen. Die Trauung war wegen mehrerer Friseursfamilien auf einen Montag (damals freier Tag für Friseure) festgelegt worden. Damit war dann auch geklärt, dass es keine ausufernde Hochzeitsfeier geben würde. Lediglich eine „Schleichtour“ durch Münsters Promi-Straßen zum Lokal nahe Handorf gab es als kleines Schmankerl. Die Hochzeitsfeier endete aber tatsächlich wegen der Erkrankung meines Vaters und der zu berücksichtigenden Rückfahrzeiten anfangs einer Arbeitswoche einiger Gäste bereits um 18 Uhr!
Und nur wenig später standen wir als junges Ehepaar in unserer neu eingerichteten eigenen Wohnung – und stritten das erste Mal. Mein Mann gestand mir, er hätte überhaupt nicht heiraten wollen – und Kinder wolle er auch keine!! Ich wollte ihn ja auch nicht! Als mir das bewusst wurde, stand ich da wie ein begossener Pudel und langte ihm fast ins Gesicht! „Das machst Du nie wieder!“ kam sein berechtigter Protest und damit drehte er sich um und verschwand.
Ich wollte so gerne eine wenigstens kleine Hochzeitsreise machen. Doch mein Angetrauter wollte nicht. Es kostete mich einige Tage Überredungskunst, bis er sich den VW-Käfer von seinem Onkel lieh und wir uns auf den Weg in Richtung Bodensee machten. Ich wählte den Weg über den Schwarzwald, weil er bislang nur wenig in Deutschland unterwegs gewesen war, lediglich die Strecke ins westliche Ruhrgebiet kannte oder halt nach Brilon-Wald. Dass wir als Münsteraner so gar nicht den oder die Dialekte der Menschen im Schwarzwald kannten, zeigte uns dort dann schnell, was wir noch alles hinzulernen mussten, um uns zurecht zu finden. Aber verhungert sind wir auf der langen Tagesfahrt nach Meersburg dann doch nicht.
Von Meersburg am Bodensee, mit den Augen der Annette von Droste-Hülshoff gesehen, sahen wir nicht viel. Den Rheinfall von Schaffhausen besuchten wir noch, ebenso den Flughafen Kloten in der Schweiz nahe Basel. Aber schon nach Konstanz überzusetzen und von dort die Blumeninsel Mainau zu genießen, war ihm zu viel. Doch nachdem wir noch versucht hatten, etwas in die Berge hoch zu fahren, war es meiner besseren Hälfte doch wichtig, wieder gen Norden zu fahren, um den gefahrenen km-Stand nicht allzusehr vor seinem Onkel rechtfertigen zu müssen.
All diese Sehenswürdigkeiten wollte ich zehn Jahre später meinen inzwischen hinzu gekommenen Kindern zeigen. Teils gelang das auch. Wir besichtigten Lindau, waren auch auf der Blumeninsel. Aber das sehr heiße Wetter - im Mai - hatte für eine Schnakenplage gesorgt und so düsten wir dieses Mal mehrfach per Schiff über den Bodensee, was besonders unserer damals Vierjährigen gefiel. Das am Bug des Schiffes entlangspritzende Wasser ließ sie mit so gutturaler Lache immer wieder andere Fahrgäste an ihre Seite stehen bleiben. Sie mochten fast nicht glauben, dass so ein kleines Mädchen so lachen konnte!
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