Wenn ein Sack Reis umfällt
Mein Freund Zimmermann hat sich die Unart zu eigen gemacht, immer, wenn er Etwas als nicht bemerkenswert erachtet, zu sagen:
„Das interessiert mich ebenso wenig, als wenn in China ein Sack Reis umfällt.“
Es nervt - und Zimmermann weiß das. – Genau deshalb verwendet er diesen Spruch bei jeder passenden oder auch unpassenden Gelegenheit.
Selbstverständlich werde ich die Nervensäge nicht bitten, damit aufzuhören; - dazu kenne ich Zimmermann zu gut. – Doch werde ich es ihm heimzahlen. – Beim Damenbart meiner Großtante – ich werde es ihm heimzahlen - und wie !
- Mein neuestes Buch wird demnächst erscheinen – und ich informiere meinen Freund telefonisch über diesen Umstand.
„Das interessiert....“, beginnt Dieser, doch unterbreche ich ihn.
„Sag’ es nicht, sonst werde ich meine Einladung noch einmal überdenken und alleine zum Essen gehen.“
„Schon gut, schon gut,“ erwidert der Vielfraß, „wo soll es denn hingehen ?“
Ich überlege einen Moment.
„Ich habe mich noch nicht entschieden,“ sage ich dann, „doch werde ich dir rechtzeitig Bescheid geben, zumal du ja ein vielbeschäftigter Mann bist. – Woran arbeitest du denn im Moment ?“
... Aufgelegt......
Bei der Verlagsfeier im kleinen Kreise bitte ich eine der Sekretärinnen, mir eine mitgebrachte Kassette zu besprechen. Die Dame hat eine sehr schöne Stimme und ist bestens geeignet für diese – wenn auch infame – Aufgabe, welche ich ihr zugedacht habe.
Wieder Zuhause angekommen, führe ich ein Telefongespräch mit einem befreundeten Arzt, welcher gleichzeitig Zimmermanns Hausarzt ist. --- Danach steht meinen weiteren Plänen nichts mehr im Wege.
Voller Vorfreude führe ich ein weiteres Gespräch mit dem Eigentümer eines China-Restaurants und bestelle über Dessen Party–Service für das kommende Wochenende eine opulente Mahlzeit für zwei Personen.
Mit einem dritten Telefonat informiere ich meinen Freund.
„Die Festlichkeit wird in deinem Garten stattfinden,“ erkläre ich, „da für das kommende Wochenende schönes Wetter vorausgesagt wurde, sollte dem wohl Nichts im Wege stehen. – Außer, du bist zu sehr beschäftigt....“
Dies Letztere füge ich mit leicht ironischem Unterton hinzu. - Der Vielfraß freut sich:
„Keine Sorge - ich werde mich für Samstag freihalten. Hoffentlich hast du etwas Gutes bestellt.“
„Lass’ dich überraschen.“ Damit beende ich das Gespräch.
Samstag. Mein altes, japanisches Kassettenradio mit der Fernbedienung in der Hand, begebe ich mich zu meinem Wagen, fahre diesen aus der Garage und mache mich auf den Weg zu meinem unterbelichteten Freund.
Die von der freundlichen Lektorin besprochene Kassette habe ich bereits ins Kassettenfach eingelegt; - auch alles Weitere wurde von mir genauestens berechnet.
Der nimmersatte Zimmermann erwartet mich bereits in seinem Garten an der schon gedeckten
Tafel.
„Wo bleibst du nur ? Warum kommst du so spät ?“
Ich beruhige ihn:
„Wir haben Zeit im Überfluss. Es wird mindestens noch eine Stunde dauern, bis das Essen geliefert wird. Ich gab dir doch die genaue Zeit an.“
Ich hole Zimmermanns Kabeltrommel aus der Garage, um das mitgebrachte Radio anzuschließen, während mein durstiger und darum ungeduldiger Freund die ersten zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank holt und diese gleich öffnet.
Das Radio ist bereit und spielt leise Musik - die Fernbedienung befindet sich in meiner Hosentasche.
Wir trinken Bier und warten auf das Eintreffen des bestellten Essens. Unter Anderem bestellte ich Tomaten– und Gurkensalat, da mir bekannt ist, dass Zimmermann diese Kombination liebt.
Außerdem hat er die Angewohnheit, seinen Salat erst nach dem Hauptgang zu essen, welcher Umstand meinen Plänen in höchstem Maße entgegenkommt.
Endlich ist es soweit. Das Bestellte wurde gebracht – und während der Hausherr sich um die Speisen im Garten kümmert, bringe ich den Salat in die Küche, um diesen, nachdem ich meines Freundes Portion etwas verfeinerte, in den Kühlschrank zu stellen.
Danach begebe ich mich wieder nach Unten, stecke den Bediensteten des Chinarestaurants ein großzügiges Trinkgeld zu – die Rechnung wurde von mir bereits vorab beglichen – und geselle mich zu meinem Freund in den Garten.
Wir nehmen Platz. Da mir – wenn auch in Zimmermanns Garten – die Rolle des Gastgebers zufällt, verteile ich die verschiedenen Gänge der Speisen.
Mein Freund erhält zu den jeweils unterschiedlichen Fleischsorten Reis; - für mich sind mehrerlei Nudelsorten gedacht.
„Warum bekomme ich keine Nudeln,“ will der Hungrige kauend wissen, „warum ist für mich Alles nur mit Reis ?“
„Weil du bekanntlich kein Hundefleisch isst,“ lüge ich und gebe eine weitere Portion Glasnudeln auf meinen Teller. -
Misstrauisch beäugt Zimmermann mein Schweinegulasch, sagt jedoch nichts weiter, sondern schaufelt in gewohnter Manier die Nahrung in sich hinein. Unbemerkt stelle ich die Musik etwas lauter und genieße weiter das vorzügliche Mahl.
Nach Beendigung der Mahlzeit tragen wir gemeinsam das benutzte Geschirr in die Küche; Zimmermann greift nach weiteren Bierflaschen, - ich nach dem Salat.
Mit Beidem bewaffnet, begeben wir uns erneut an die Gartentafel. Wir essen unseren Salat, - und während der Hausherr das Bier öffnet, greife ich nach der Fernbedienung und schalte während einer Musikpause auf das Kassettenlaufwerk um....
Wieder ertönt Musik; - dann eine Unterbrechung. Wir hören eine Frauenstimme, welche eine Warnung an die deutsche Bevölkerung verliest:
`Meine Damen und Herren. Die Bevölkerung wird gebeten, in nächster Zeit auf den Konsum chinesischen Reises zu verzichten ! – Wie mittlerweile bekannt wurde, fiel vor etwa zwei Monaten in einer südchinesischen Provinz ein Lastwagen, beladen mit Reissäcken, um und die Ladung ergoss sich aus den beschädigten Säcken auf die nur wenig befahrene Straße.
Mehrere Tage blieb diese Reisladung auf der Straße liegen, wo sie von Mäusen und Ratten verunreinigt wurde.
Unglücklicherweise war dieser Reis für den Export nach Deutschland bestimmt, wohin er letztendlich auch gelangte.- Mehrere Fälle von Erkrankungen wurden bis jetzt gemeldet. Die Symptome beinhalten Brechreiz und Durchfallerscheinungen. –
Sollten Sie derlei Symptome an sich selbst beobachten, suchen Sie bitte umgehend Ihren Hausarzt auf ! – Bewahren Sie dennoch Ruhe und verzichten Sie unbedingt auf den Genuss von kaltem Bier, sofern Sie von
dieser chinesischen Reiskrankheit befallen sind ! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
-- Weiter geht es mit Musik. – Meinem Freund Zimmermann bleibt das letzte Stückchen Tomate im Halse stecken. Würgend und mit blaurot angelaufenem Gesicht keucht er:
„Hast du ..., hast du das... gehört ?“
„Ja,“ bestätige ich, „na und...? Es interessiert mich soviel, als wenn in China ein Sack mit Reis umfällt - ich esse keinen Reis.....“
Ein großer Schluck aus meinem Bierglas.
„Wirklich angenehm gekühlt, dein Bier.“
Zimmermanns Gesichtsfarbe wechselt nun zu einer ungesunden Blässe.
„Ich glaube, - ich glaube....“
Er läuft davon....
Lachend bleibe ich sitzen und genieße mein gekühltes Bier. -- Ja - Rizinusöl in Tomaten und Gurkensalat zeitigt schnelle Wirkung......
Montag. Das Telefon läutet. Ich nehme ab und höre Zimmermanns Stimme:
„Mein Hausarzt sagte, es sei die chinesische Reissackkrankheit ! Ich darf drei Wochen lang kein Bier mehr trinken ! – Was sagst du dazu ?“
„Nun,“ erwidere ich ungerührt,
„wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, dass mich das ebenso wenig interessiert, als wenn in China ein Sack mit Reis umfällt !“
Lachend lege ich auf und hole mir eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank ..…
BMG
Kommentare (4)
@Anna-Lena Ich habe ihn leider aus den Augen verloren und weiß nicht, ob ihm das fertige Buch in die Finger fiel. Die ersten drei Geschichten konnte er als Manuskript noch lesen.
Danke für das Lob.😄
GGG, so ein Schabernack machst du? Nun, deine Geschichte ist köstlich zu lesen.
Dem hast du es aber auch gegeben 😂
Liebe Grüße von
indeed
@indeed Freut mich, wenn Du auf meiner Seite bist - denn meistens gibt Zimmermann 'es' mir....😃
Ich hoffe, dein Freund konnte später auch darüber lachen. Eine schöne Geschichte.
Liebe Grüße Uschi