Warum der Beamte Albert Höhmer ausrastete


Eine Provinzposse aus dem Jahre 1916

Mitte Mai musste sich der in Radeberg wohnende und in Dresden bei der Königlich – Sächsischen Amtshauptmannschaft beschäftigte Verwaltungsbeamte Albert Höhmer vor dem Radeberger Amtsgericht verantworten. Höhmer hatte eine Schaufensterscheibe im Kolonialwarenladen Benad eingeworfen. Die Vorgeschichte zu dieser Tat begann Anfang März 1916.

Das Dienstmädchen der Familie Höhmer kaufte ein halbes Pfund Reis bei Benad, Hier war man seit Jahren Kunde. Für das halbe Pfund wurden der Hauswirtschaftskraft 80 Pfennig abgenommen. Die Dienstherrschaft äußerte gegenüber dem Mädchen ihr Befremden über den ihrer Meinung nach zu hohen Preis. Man glaubte, die Dienstmagd habe nicht aufgepasst und habe sich ein Pfund anrechnen lassen. Sie beteuerte ihre Unschuld: „Herr Benad hat mir gesagt, das Pfund kostet1.60 Mark“. In den gängigen Marktberichten jener Tage war aber zu lesen, dass der Preis mit 70 bis 90 Pfennig festgesetzt worden war.

Mit dem Zeitungsausschnitt ging nun Albert Höhmer zum Händler und fragte an, ob denn hier ein Irrtum vorläge. Benad daraufhin: „Was kümmert mich ihr Marktbericht. Hier ist meine Rechnung! Mein Reis ist nicht aus der Verteilstelle bzw. der Markthalle. Bei mir kostet das Pfund 1.60 Mark!“ Worauf Albert Höhmer ihm klar machte, dass er für diesen Preis den Reis nicht haben möchte und bat um Zurücknahme. „Lebensmittel werden unter keinen Umständen zurück genommen!“ Auch ein nochmaliges Nachfragen erbrachte ein striktes „Nein!“ als Antwort. Da nun Höhmer diese Art und Weise im Vergleich zu früheren Preisen als abnorm empfand, entsann er sich des Aufrufs der Behörden, die die Käufer immer wieder aufforderte, Wucherpreise bei Waren aller Art, insbesondere bei Lebensmitteln anzuzeigen.

Höhmer schrieb nun an das Kriegswucheramt und schilderte kurz und sachlich den Tatbestand.
Es vergingen etwa acht Tage. Der Beamte erhielt vom Kaufmann Benad einen Brief. In diesem stand u. a. „…soeben wurde mir zu Ohren gebracht, dass Sie mich bei der Behörde wegen Wucherpreisen gemeldet hätten. Ich habe Ihnen seinerzeit meinen Selbstkostenpreis gezeigt, damit Sie meinen Verdienst bei diesem Artikel ersehen konnten und hielt die Sache für erledigt. Aber trotzdem erzählen Sie diesen Vorfall überall herum, ebenso haben Sie mich in meinem Geschäft vor meinem Personal beleidigt, in dem Sie mich u. a. „Wucherknecht“ nannten. Mir persönlich wäre daran gelegen, dass wir uns im Guten einigen könnten. Ich stelle es Ihnen anheim, 50 Mark der örtlichen Kriegerhilfe zu überweisen und mir hierüber die Quittung vorzuzeigen.“
Diese höchst seltsame Art den Streitfall zu klären war fortan in aller Munde. Viele ergriffen im Wort Partei für Albert Höhmer, hatte doch das Pfund Reis in Friedenszeiten höchstens 40 Pfennig gekostet. Noch hämischer wurde über den Vorschlag diskutiert, dass Höhmer mittels einer Zahlung von 50 Mark die scheinbare oder wirkliche Beleidigung tilgen sollte. Nach solch einer hitzigen Debatte am Stammtisch im „Pillnitzer Hof“, packte Albert Höhmer die Wut. Auf dem Nachhauseweg warf er dem Kaufmann eine Schaufensterscheibe ein.

Das Gericht entschied auf Schadensersatz, die Zahlung einer Buße von 50 Mark zugunsten der Stiftung „Heimatdank“ und dem Tragen der Gerichtskosten zu zwei Dritteln. Wegen erwiesenen Wuchers musste sich dennoch auch Benad verantworten. 400 Mark Geldstrafe und das Tragen der Gerichtskosten aus dem Amtsgerichtsurteil Höhmer zu einem Drittel. So gab es keinen Gewinner. Höhmer soll nie wieder den Kolonialwarenladen von Benad betreten haben. Hierzu musste jedoch die Stadt einen Beschluss fassen, denn in Kriegszeiten konnte man bestimmte Waren nur bei vorgeschriebenen Kaufleuten erwerben.

Alltag im 1. weltkrieg, nach Akten gestaltet, Haweger

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