Walter H a s e n c l e v e r - ein vergessener Exil-Dichter
Walter Hasenclever
Um eines deutschen, fast vergessenen Dichters zu gedenken:
Walter Hasenclever (8. Juli 1890 in Aachen - 21.Juni 1940 in Les Milles bei Aix-en-Provence) war ein expressionistischer deutscher Schriftsteller und Übersetzer.
Er wurde auch als Freund und Mitarbeiter von Kurt Tucholsky bekannt.
Auch wegen seines tragischen Lebensendes durch den von den kriegerischen Umständen erzwungenen Suizids ist er in der Nachkriegs-BRD persönlich und literarisch fast unbekannt geblieben.
Zu Leben und Werk unterrichtet Wiki:
Über Hasenclever
Zitate von W.H.:
• "Du hast, unter dem Deckmantel der Erziehung ein Verbrechen an mir begangen." - Aus "Der Sohn". Zu diesem Drama vgl.:
Das Drama "Der Sohn"
• "Ich werde ein Buch von Frauen schreiben. Denn schließlich waren sie das größte Wunder für mich." - aus "Irrtum und Leidenschaft".
• "Heutzutage regiert der Rekord, die Sensation, die Freude am Sinnlosen. Die Zeit war nie so günstig für Verbrecher." - Napoleon greift ein (Landru)
• "Räumen wir langsam ab. Entstehung, Entwicklung, Entscheidung." (Aus "Irrtum und Leidenschaft".
In Aachen gibt es eine rührige Hasenclever-Gesellschaft.
Die Hasenclever-Gesellschaft
*
Wichtig ist mir Hasenclver wegen der Freundschaft und Zusammenarbeit mit Tucholsky:
Dazu folgende Briefzitate:
Tucholsky an Walter Hasenclever (4.3.33)
Zürich, Florhofgasse
4.3.33
Lieber Max, schönen Dank für Ihre beiden Schreiben vom 28.2. und vom 2.3.
Entschuldigen Sie meinen letzthinnigen diktierten, ich war ganz herunter und hatte solche Ohrenschmerzen, daher war er so unpersönlich. Item:
Krankheit geht so, Dank der Nachfrage. Ich mache noch eine Inhalationskur, die besonders billig ist, man muß sehr viel Geduld haben. Nochmals, gehe ich so, schwach und schwer gehandicapt, unter Leute, dann mache ich mir alles kaputt. Lieber abwarten, anderswo wachsen jetzt auch keine goldenen Blümlein. Ich hoffe aber doch sehr, daß wir uns denn doch einmal in Mitteleuropa in die Arme sinken werden. Ich habe nicht genau lesen können, wohin Sie nach Paris gehn. Südfrankreich? Mentone?/Natürlich ist die Schweiz kein erfreuliches Land. Die Ostschweizer sind wie die Boches, sehr hochmütig, ekelhaft saturiert, grauslich./
Jetzt muß ich aber vor Rührung einen Absatz machen.
Lieber Max, daß Sie mir da Ihre Hilfe in dieser schweren Zeit anbieten, hat mich auf das tiefste gepackt. Es wird nicht erforderlich sein, daß ich sie annehme – aber daß Sie es überhaupt tun, das werde ich Ihnen nicht vergessen. Händedruck, alter Bursche.
Das Haus in Schweden habe ich noch, ich will auch, wenn auch nur leise hergestellt, zurück und da arbeiten. ›Weltbühne‹ ... da ist die Frau J. in Wien, berät, ob Wien oder Zürich. Hierzu wie zur ganzen Lage:
Ich glaube nach wie vor nicht an extrem blutige Sachen in Deutschland. Es kann aufflackernde kommunistische Putsche geben, die werden blutig unterdrückt, 80 Tote, und 80 nutzlose Tote. Dann aber Totenstille. Dann setzt etwas viel, viel Schlimmeres ein: nach dem Spiel "Das dürfen die Leute ja gar nicht!" kommt das Spiel: "Ich weiß gar nicht, was Sie wollen – so schlimm ist es nun auch wieder nicht!" Das möchte ich nicht mitspielen, und ich werde es nicht mitspielen.
An einer etwa einsetzenden deutschen Emigrationsliteratur sollte man sich unter keinen Umständen beteiligen. Lieber Max, erstens wird es keine große Emigration geben, weil, anders wie damals bei der russischen, 1917, Europa nicht aufnahmefähig für solche Leute ist. Sie verhungern. Zweitens zerfallen sie, wie jede Emigration, und nun noch deutsche, in 676 kleine Grüppchen, die sich untereinander viel mehr bekämpfen werden als etwa alle zusammen Adofn (dem wir das L nun endgültig wegnehmen wollen, wir brauchen es ja für Eckner, Hei Adof!). Drittens sollte man es nicht tun, weil es den Charakter verdirbt, man bekommt Falten um die Mundwinkel und wird, bei allem Respekt, eine leicht komische Figur. Lieber Freund, ich kann das nicht vergessen, wie damals im Salon der Frau Ménard-Dorian das ganze durchgefallene Europa da war: der unsägliche Kerenski, Nitti, Karolyi, die Italiener – und alle hatten recht, nur leider eben bloß im Salon. Und da fragte jemand den Nitti: "Qu'est-ce que vous faites à Paris, Monsieur Nitti?" – Und da sagte der, und der Satz ist mir als Lehre eingebrannt: "J'attends." Und wenn er nicht gestorben ist, dann wartet er heute noch. Und das wollen wir nicht mitmachen.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, lieber Max, daß ich nicht inzwischen die "aufbauwilligen Kräfte im Nationalsozialismus" entdeckt habe. Ich werde nie einen Finger breit abgehn. Aber ich muß nicht meine Kraft und meine Arbeit an eine Sache setzen, die mir nicht einmal in der Negation wert ist, mich nach ihr herumzudrehn. Ich habe dazu kaum noch Beziehungen; es ist möglich, daß ich nichts mehr zu fressen habe, aber daß ich mich mit den Konvulsionen von Kru-Negern abgeben soll, also ich nicht. Die Leute wollen das ja so, im Grunde. Die letzte Tat des Reichsbanners ist ein Werbemarsch für den Wehrsport gewesen, die SPD versichert heute noch, sie sei doch aber patriotisch und ruhrkämpferisch, fast alle erkennen die von Adof gesetzten Kategorien an und streiten sich nur um ihre Einordnung, niemand hat den Mut zu sagen: Der Wert eines Menschen hängt nicht von seinem Soldbuch ab. Und damit soll ich mich befassen? Nein, lieber Herr. Mich geht das nichts an, nur eben als Zeichen der Zeit, in der wir ja leben. Aber sonst – ohne mich.
Vorgestern haben wir hier einen Radio installiert und Adof gehört. Lieber Max, das war sehr merkwürdig. Also erst Göring, ein böses, altes blutrünstiges Weib, das kreischte und die Leute richtig zum Mord aufstachelte. Sehr erschreckend und ekelhaft. Dann Göbbeles mit den loichtenden Augen, der zum Vollik sprach, dann Heil und Gebrüll, Kommandos und Musik, riesige Pause, der Führer hat das Wort. Immerhin, da sollte nun also der sprechen, welcher ... ich ging ein paar Meter vom Apparat weg und ich gestehe, ich hörte mit dem ganzen Körper hin. Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges.
Dann war nämlich gar nichts. Die Stimme ist nicht gar so unsympathisch wie man denken sollte – sie riecht nur etwas nach Hosenboden, nach Mann, unappetitlich, aber sonst gehts. Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er. Aber sonst: nichts, nichts, nichts. Keine Spannung, keine Höhepunkte, er packt mich nicht, ich bin doch schließlich viel zu sehr Artist, um nicht noch selbst in solchem Burschen das Künstlerische zu bewundern, wenn es da wäre. Nichts. Kein Humor, keine Wärme, kein Feuer, nichts. Er sagt auch nichts als die dümmsten Banalitäten, Konklusionen, die gar keine sind – nichts.
Ceterum censeo: ich habe damit nichts zu tun.
Marginalie: Ossietzky unbegreiflich. Man hat mir erzählt, daß man ihm seinen Paß nach Tegel gar nicht wiedergegeben habe. Ob das wahr ist, weiß ich nicht – er schreibt ja keine Briefe. Dieser ausgezeichnete Stilist, dieser in der Zivilcourage unübertroffene Mann, hat eine merkwürdig lethargische Art, die ich nicht verstanden habe, und die ihn wohl auch vielen Leuten, die ihn bewundern, entfremdet. Es ist sehr schade um ihn. Denn dieses Opfer ist völlig sinnlos. Mir hat das mein Instinkt immer gesagt: Märtyrer ohne Wirkung, das ist etwas Sinnloses. Ich glaube keinesfalls, daß sie ihm etwas tun, er ist in der Haft eher sicherer als draußen. Nur bei einem wenn auch mißglückten Attentat auf Adof kann etwas passieren, dann würde die SA die Gefängnisse stürmen und von den Wärtern an nichts gehindert werden. Sonst aber kommt er nach zwei, drei Wochen, denke ich, heraus. (Wenn nicht Konzentrationslager gemacht werden!)
Kurz: ich lebe in keinerlei Panik. Und mein Pessimismus setzt genau da ein, wo der der andern aufhört, etwas zu dem Zeitpunkt, wo das Zentrum mitmacht. "Es wird ihnen die Kanten abschleifen!" sagen die falschen Propheten. An Schmarrn. Dann, erst dann, ist diese neue Herrschaft ganz totensicher fundiert, dann ist gar nichts mehr zu machen. Und wer wird und soll etwas machen? Man kann für eine Majorität kämpfen, die von einer tyrannischen Minorität unterdrückt wird. Man kann aber nicht einem Volk das Gegenteil von dem predigen, was es in seiner Mehrheit will (auch die Juden). Viele sind nur gegen die Methoden Hitlers, nicht gegen den Kern seiner "Lehre". Und wenn es die Opposition nicht von innen her geschafft hat, so werden wir es nie schaffen, wenn in Paris ein paar Käsblätter erscheinen. Ich werde das nicht mitmachen.
Ceterum censeo: Ihr Hindenburggeburtstags-Artikel sollte von den Kanzeln verlesen werden.
Lieber Max, hoffentlich lassen sie Rutchen heraus, er ist so schön und dick, und wir wollen ihn noch ins Krematorium tragen, wenn er tot ist, und dann trinken wir mit der Leiche einen Apéritif.
Hallo, lieber Max, das ist ein langer Brief geworden. Nie wieder Korreschpondanx. Kommt noch solche nach Hindås? Ich habe inzwischen nichts bekommen. Mögen Sie –!
[...] lesen Sie auf alle Fälle ›Voyage au Bout de la Nuit‹. Es lohnt sich.
In Treue fest
Ihr alter Mitkolumbus
Edgar, formalz Adof.
Verfasser broschierter und gebundener Werke.
Ehemal. Mitglied der deutschen Republik
aufgehörter Dichter
Böse Enttäuschungen werden wir nun an unsern berliner Freunden erleben. Es wird sehr übel werden.
*
Aus: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 20. Briefe 1933-1934
Erklärung zum Text von Friedhelm Greis:
Da Tucholsky sich nicht an einer Exil-Presse beteiligen wollte, - schließlich lebte er schon seit 1924 im Ausland -, erschienen nach dem Verbot der "Weltbühne" vom März 1933 keine Artikel mehr von ihm. Er führte jedoch bis zu seinem Tode noch eine ausführliche Korrespondenz weiter und kommentierte treffend das Zeitgeschehen, wie in einem "Brief an Walter Hasenclever" vom 4. März 1933. Allerdings mit einer spürbaren Resignation: "Mich geht das nichts an, nur eben als Zeichen der Zeit, in der wir ja leben. Aber sonst - ohne mich", schrieb er an seinen Freund und signierte den Brief mit: "Ihr alter Mitkolumbus, Edgar, formalz Adof. Verfasser broschierter und gebundener Werke. Ehemal. Mitglied der deutschen Republik, aufgehörter Dichter".
"Brief an Walter Hasenclever" Am 21. Dezember 1935 verstummte Tucholsky für immer. Die genauen Umstände seines Todes, ob Selbstmord oder Tod durch unbeabsichtigte Einnahme einer Überdosis Schlaftabletten, sind bis heute ungeklärt. In einem scherzhaften Requiem für sich selbst, das er bereits 1923 geschrieben hatte, hieß es am Ende: "Der freundliche Schein der Sonne fiel auf den granitenen Grabstein, mit dem sich der gute Ignaz Wrobel rechtzeitig eingedeckt hatte. In silbernen Buchstaben stand da zu lesen:
HIER RUHT EIN GOLDENES HERZ
UND EINE EISERNE SCHNAUZE.
GUTE NACHT -!
*
Ähnlich Tucholskys Reaktion auf die Bücherverbrennung in einem Brief vom 17. Mai 1933 an Walter Hasenclever:
„Unsere Bücher sind also verbrannt. Im Buchhändlerbörsenblatt ist eine große Proskriptionsliste für in vierzehn Tagen angekündigt. Dieser Tage stand an der Spitze des Blattes im Fettdruck: “Folgende Schriftsteller sind dem deutschen Interesse abträglich. Der Vorstand des Börsenvereins erwartet, daß kein deutscher Buchhändler ihre Werke verkauft. Nämlich: Feuchtwanger – Glaeser – Holitscher – Kerr – Kisch – Ludwig – Heinrich Mann – Ottwalt – Plivier – Remarque – Ihr getreuer Edgar [= Kurt Tucholsky] – und Arnold Zweig.” In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern. [...]
Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur, nun endlich, endlich ist die jüdische Konkurrenz weg – jetzt aber! Will Vesper in seiner Neuen Literatur: immer feste! (Ich werde nun langsam größenwahnsinnig – wenn ich zu lesen bekomme, wie ich Deutschland ruiniert habe. Seit zwanzig Jahren aber hat mich immer dasselbe geschmerzt: daß ich auch nicht einen Schutzmann von seinem Posten habe wegbekommen können.) Binding ist ein großer Mann. Dann: Lebensgeschichten der neuen Heroen. Und dann: Alpenrausch und Edelweiß. Mattengrün und Ackerfurche. Schollenkranz und Maienblut – also Sie machen sich keinen Begriff, Niveau null.“
**
Zu diesen zwei Briefen gibt es ein eigenes Buch von Stefan Altschaffel: „Kurt Tucholsky und das Autodafé - Untersuchung zweier Briefe an Walter Hasenclever“, in das man reinschauen kann:
): Dein Zorn galt Heinrich von Kleist (er berührt das Buch zärtlich); der hat dir nichts getan. - Welchen Maßstab legst du an!
DER VATER: Bist du schon Schiller oder Matkowsky? Meinst du, ich hörte dich nicht? Aber diese Bücher und Bilder werden verschwinden. Auch auf deine Freunde werde ich ein Auge werfen. Das geht nicht so weiter. Ich habe kein Geld gespart, um dir vorwärtszuhelfen; ich habe dir Lehrer gehalten und Stunden geben lassen. Du bist eine Schande für mich!
DER SOHN: Was hab ich verbrochen? Hab ich Wechsel gefälscht?
DER VATER: Laß diese Phrasen. Du wirst meine Strenge fühlen, da du auf meine Güte nicht hörst.
DER SOHN: Papa, ich hatte anders gedacht, heute vor dir zu stehn. Fern von Güte und Strenge, auf jener Waage mit Männern, wo der Unterschied unseres Alters nicht mehr wiegt. Bitte, nimm mich ernst, denn ich weiß wohl, was ich sage! Du hast über meine Zukunft bestimmt. Ein Sessel blüht mir in Ehren auf einem Amtsgericht. Ich muß dir meine Ausgaben aufschreiben - ich weiß. Und die ewige Scheibe dieses Horizontes wird mich weiterkreisen, bis ich mich eines Tages versammeln darf zu meinen Vätern. Ich gestehe, ich habe bis heute darüber nicht nachgedacht, denn die Spanne bis zum Ende meiner Schule erschien mir weiter als das ganze Leben. Nun aber bin ich durchgefallen - und ich begann zu sehn. Ich sah mehr als du, Papa, verzeih.
DER VATER: Welche Sprache!
DER SOHN: Eh du mich prügelst, bitte, hör mich zu Ende. Ich erinnre mich gut der Zeit, als du mich mit der Peitsche die griechische Grammatik gelehrt hast. Vor dem Schlaf im Nachthemd, da war mein Körper den Striemen näher! Ich weiß noch, wie du mich morgens überhörtest, kurz vor der Schule; in Angst und Verzweiflung mußt ich zu Hause lernen, wenn sie längst schon begonnen hatte. Wie oft hab ich mein Frühstück erbrochen, wenn ich blutig den langen Weg gerannt bin! Selbst die Lehrer hatten Mitleid und bestraften mich nicht mehr. Papa - ich habe alle Scham und Not ausgekostet. Und jetzt nimmst du mir meine Bücher und meine Freunde, und in kein Theater darf ich gehn, zu keinem Menschen und in keine Stadt. Jetzt nimmst du mir von meinem Leben das Letzte und Ärmste, was ich noch habe.
DER VATER: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Sei froh, daß ich dich nicht längst aus dem Hause gejagt.
DER SOHN: Hättest du es getan, ich wäre ein Stück mehr Mensch, als ich bin.
DER VATER: Du bist noch mein Sohn, und ich muß die Verantwortung tragen. Was du später mit deinem Leben tust, geht mich nichts an. Heute habe ich zu sorgen, daß ein Mensch aus dir wird, der sein Brot verdient, der etwas leistet. [...]
* (Walter Hasenclever: Der Sohn. Ein Drama in fünf Akten. Nachw. v. Michael Schulz. Stuttgart: Reclam 1994. Literatur zum Drama: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Sohn_(Drama)]Über die zwei Tucho-Briefe an Hasi:http://www.grin.com/e-book/46993/kurt-tucholsky-und-das-autodafe-untersuchung-zweier-briefe-an-walter
*
Und noch ein Hinweis auf ein Drama von Walter Hasenclever und Kurt Tucholsky (1932):
„Christoph Kolumbus oder Die Entdeckung Amerikas“. Komödie in sechs Bildern und einem Vorspiel. – Dieses Stück ist zwar mal für Fernsehen verfilmt worden. Ich habe es aber noch nicht gelesen und nicht gesehen.
*
WALTER HASENCLEVER
1890 in Aachen geboren, begann mit einem Band Lyrik, der 1913 erschien: "Der Jüngling".
Er wandte sich später dem dramatischen Schaffen zu und errang unbestrittenen Erfolg mit „Napoleon greift ein" und „Ehen werden im Himmel geschlossen". Hasenclever stand auf der ersten Liste der von den Nazis verfemten Literatur.
Er lebte bereits 1933 In Frank reich und kam bei Kriegsausbruch in ein französisches Internierungslager. Er beging er beim Anrücken der deutschen Truppen Suizid, obgleich er noch Möglichkeit zur Flucht gehabt hätte. -
Unter seinen frühen Versen ist das Gedicht „Der politische Dichter“ (1919) wichtig.
Walter Hasenclever:
DER POLITISCHE DICHTER:
Der Dichter träumt nicht mehr in blauen Buchten.
Er sieht aus Höfen helle Schwärme reiten.
Sein Fuß bedeckt die Leichen der Verruchten.
Sein Haupt erhebt sich, Völker zu begleiten.
Er wird ihr Führer sein. Er wird verkünden.
Die Flamme seines Wortes wird Musik.
Er wird den großen Bund der Staaten gründen.
Das Recht des Menschentums. Die Republik.
Kongresse blühn. Nationen sich beschwingen.
An weiten Meeren werden Ufer wohnen.
Sie leben nicht, einander zu verschlingen;
Verbrüdert ist ihr Herz in starren Zonen.
Nicht Kriege werden die Gewalt vernichten.
Stellt Generäle an auf Jahrmarktfesten.
Dem Frieden eine Staue zu errichten,
Versammelt sind dir Edelsten und Besten.
Nicht mehr in Waffen siegt ein Volk, du weißt es.
Denn keine Schlacht entscheidet seinen Laut.
So steige mit der Krone deines Geistes,
Geliebte Schar, aus taubem Grabe auf!
*
(Aus: W.H.: Der politische Dichter. Gedichte und Prosa. 1919)
*
http://www.kuenstlerkolonie-berlin.de/bilder/hasencl3.jpg[/img]
[i]Kurt Tucholsky und Hasenclever in Paris. 1926. (Foto eines unbekannten Künstlers)
*
W. H.: Der Sohn [Textausschnitt]
(1913/14 verfasst)
„DER VATER (geht zum Bücherschrank und wirft höhnisch die Bücher um): Anstatt diesen Unsinn zu lesen, solltest du lieber deine Vokabeln lernen. Aber ich weiß schon - Ausflüchte haben dir nie gefehlt. Immer sind andere schuld. Was tust du den ganzen Tag? Du singst und deklamierst - sogar im Garten und noch abends im Bett. Wie lange willst du auf der Schulbank sitzen? All deine Freunde sind längst fort. Nur du bist der Tagedieb in meinem Haus.
DER SOHN (geht hin zum Schrank und stellt die Bücher wieder au]): Dein Zorn galt Heinrich von Kleist (er berührt das Buch zärtlich); der hat dir nichts getan. - Welchen Maßstab legst du an!
DER VATER: Bist du schon Schiller oder Matkowsky? Meinst du, ich hörte dich nicht? Aber diese Bücher und Bilder werden verschwinden. Auch auf deine Freunde werde ich ein Auge werfen. Das geht nicht so weiter. Ich habe kein Geld gespart, um dir vorwärtszuhelfen; ich habe dir Lehrer gehalten und Stunden geben lassen. Du bist eine Schande für mich!
DER SOHN: Was hab ich verbrochen? Hab ich Wechsel gefälscht?
DER VATER: Laß diese Phrasen. Du wirst meine Strenge fühlen, da du auf meine Güte nicht hörst.
DER SOHN: Papa, ich hatte anders gedacht, heute vor dir zu stehn. Fern von Güte und Strenge, auf jener Waage mit Männern, wo der Unterschied unseres Alters nicht mehr wiegt. Bitte, nimm mich ernst, denn ich weiß wohl, was ich sage! Du hast über meine Zukunft bestimmt. Ein Sessel blüht mir in Ehren auf einem Amtsgericht. Ich muß dir meine Ausgaben aufschreiben - ich weiß. Und die ewige Scheibe dieses Horizontes wird mich weiterkreisen, bis ich mich eines Tages versammeln darf zu meinen Vätern.
Ich gestehe, ich habe bis heute darüber nicht nachgedacht, denn die Spanne bis zum Ende meiner Schule erschien mir weiter als das ganze Leben. Nun aber bin ich durchgefallen - und ich begann zu sehn. Ich sah mehr als du, Papa, verzeih.
DER VATER: Welche Sprache!
DER SOHN: Eh du mich prügelst, bitte, hör mich zu Ende. Ich erinnre mich gut der Zeit, als du mich mit der Peitsche die griechische Grammatik gelehrt hast. Vor dem Schlaf im Nachthemd, da war mein Körper den Striemen näher! Ich weiß noch, wie du mich morgens überhörtest, kurz vor der Schule; in Angst und Verzweiflung mußt ich zu Hause lernen, wenn sie längst schon begonnen hatte. Wie oft hab ich mein Frühstück erbrochen, wenn ich blutig den langen Weg gerannt bin! Selbst die Lehrer hatten Mitleid und bestraften mich nicht mehr. Papa - ich habe alle Scham und Not ausgekostet. Und jetzt nimmst du mir meine Bücher und meine Freunde, und in kein Theater darf ich gehn, zu keinem Menschen und in keine Stadt. Jetzt nimmst du mir von meinem Leben das Letzte und Ärmste, was ich noch habe.
DER VATER: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Sei froh, daß ich dich nicht längst aus dem Hause gejagt.
DER SOHN: Hättest du es getan, ich wäre ein Stück mehr Mensch, als ich bin.
DER VATER: Du bist noch mein Sohn, und ich muß die Verantwortung tragen. Was du später mit deinem Leben tust, geht mich nichts an. Heute habe ich zu sorgen, daß ein Mensch aus dir wird, der sein Brot verdient, der etwas leistet. [...]
*
Walter Hasenclever: Der Sohn. Ein Drama in fünf Akten. Nachw. v. Michael Schulz. Stuttgart: Reclam 1994.
Literatur zum Drama:
http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Sohn_(Drama)
* ~ *
Ein Überblick über expressionistische, deutsche Dichter bei SPIEGEL-WISSEN:
Hasenclever neben anderen Expressionisten
*
Eine interessante Würdigung:
Würdigung Hasenclevers
*
Eine "Hausarbeit", die einen Überblick gibt:
http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/100858.html
Um eines deutschen, fast vergessenen Dichters zu gedenken:
Walter Hasenclever (8. Juli 1890 in Aachen - 21.Juni 1940 in Les Milles bei Aix-en-Provence) war ein expressionistischer deutscher Schriftsteller und Übersetzer.
Er wurde auch als Freund und Mitarbeiter von Kurt Tucholsky bekannt.
Auch wegen seines tragischen Lebensendes durch den von den kriegerischen Umständen erzwungenen Suizids ist er in der Nachkriegs-BRD persönlich und literarisch fast unbekannt geblieben.
Zu Leben und Werk unterrichtet Wiki:
Über Hasenclever
Zitate von W.H.:
• "Du hast, unter dem Deckmantel der Erziehung ein Verbrechen an mir begangen." - Aus "Der Sohn". Zu diesem Drama vgl.:
Das Drama "Der Sohn"
• "Ich werde ein Buch von Frauen schreiben. Denn schließlich waren sie das größte Wunder für mich." - aus "Irrtum und Leidenschaft".
• "Heutzutage regiert der Rekord, die Sensation, die Freude am Sinnlosen. Die Zeit war nie so günstig für Verbrecher." - Napoleon greift ein (Landru)
• "Räumen wir langsam ab. Entstehung, Entwicklung, Entscheidung." (Aus "Irrtum und Leidenschaft".
In Aachen gibt es eine rührige Hasenclever-Gesellschaft.
Die Hasenclever-Gesellschaft
*
Wichtig ist mir Hasenclver wegen der Freundschaft und Zusammenarbeit mit Tucholsky:
Dazu folgende Briefzitate:
Tucholsky an Walter Hasenclever (4.3.33)
Zürich, Florhofgasse
4.3.33
Lieber Max, schönen Dank für Ihre beiden Schreiben vom 28.2. und vom 2.3.
Entschuldigen Sie meinen letzthinnigen diktierten, ich war ganz herunter und hatte solche Ohrenschmerzen, daher war er so unpersönlich. Item:
Krankheit geht so, Dank der Nachfrage. Ich mache noch eine Inhalationskur, die besonders billig ist, man muß sehr viel Geduld haben. Nochmals, gehe ich so, schwach und schwer gehandicapt, unter Leute, dann mache ich mir alles kaputt. Lieber abwarten, anderswo wachsen jetzt auch keine goldenen Blümlein. Ich hoffe aber doch sehr, daß wir uns denn doch einmal in Mitteleuropa in die Arme sinken werden. Ich habe nicht genau lesen können, wohin Sie nach Paris gehn. Südfrankreich? Mentone?/Natürlich ist die Schweiz kein erfreuliches Land. Die Ostschweizer sind wie die Boches, sehr hochmütig, ekelhaft saturiert, grauslich./
Jetzt muß ich aber vor Rührung einen Absatz machen.
Lieber Max, daß Sie mir da Ihre Hilfe in dieser schweren Zeit anbieten, hat mich auf das tiefste gepackt. Es wird nicht erforderlich sein, daß ich sie annehme – aber daß Sie es überhaupt tun, das werde ich Ihnen nicht vergessen. Händedruck, alter Bursche.
Das Haus in Schweden habe ich noch, ich will auch, wenn auch nur leise hergestellt, zurück und da arbeiten. ›Weltbühne‹ ... da ist die Frau J. in Wien, berät, ob Wien oder Zürich. Hierzu wie zur ganzen Lage:
Ich glaube nach wie vor nicht an extrem blutige Sachen in Deutschland. Es kann aufflackernde kommunistische Putsche geben, die werden blutig unterdrückt, 80 Tote, und 80 nutzlose Tote. Dann aber Totenstille. Dann setzt etwas viel, viel Schlimmeres ein: nach dem Spiel "Das dürfen die Leute ja gar nicht!" kommt das Spiel: "Ich weiß gar nicht, was Sie wollen – so schlimm ist es nun auch wieder nicht!" Das möchte ich nicht mitspielen, und ich werde es nicht mitspielen.
An einer etwa einsetzenden deutschen Emigrationsliteratur sollte man sich unter keinen Umständen beteiligen. Lieber Max, erstens wird es keine große Emigration geben, weil, anders wie damals bei der russischen, 1917, Europa nicht aufnahmefähig für solche Leute ist. Sie verhungern. Zweitens zerfallen sie, wie jede Emigration, und nun noch deutsche, in 676 kleine Grüppchen, die sich untereinander viel mehr bekämpfen werden als etwa alle zusammen Adofn (dem wir das L nun endgültig wegnehmen wollen, wir brauchen es ja für Eckner, Hei Adof!). Drittens sollte man es nicht tun, weil es den Charakter verdirbt, man bekommt Falten um die Mundwinkel und wird, bei allem Respekt, eine leicht komische Figur. Lieber Freund, ich kann das nicht vergessen, wie damals im Salon der Frau Ménard-Dorian das ganze durchgefallene Europa da war: der unsägliche Kerenski, Nitti, Karolyi, die Italiener – und alle hatten recht, nur leider eben bloß im Salon. Und da fragte jemand den Nitti: "Qu'est-ce que vous faites à Paris, Monsieur Nitti?" – Und da sagte der, und der Satz ist mir als Lehre eingebrannt: "J'attends." Und wenn er nicht gestorben ist, dann wartet er heute noch. Und das wollen wir nicht mitmachen.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, lieber Max, daß ich nicht inzwischen die "aufbauwilligen Kräfte im Nationalsozialismus" entdeckt habe. Ich werde nie einen Finger breit abgehn. Aber ich muß nicht meine Kraft und meine Arbeit an eine Sache setzen, die mir nicht einmal in der Negation wert ist, mich nach ihr herumzudrehn. Ich habe dazu kaum noch Beziehungen; es ist möglich, daß ich nichts mehr zu fressen habe, aber daß ich mich mit den Konvulsionen von Kru-Negern abgeben soll, also ich nicht. Die Leute wollen das ja so, im Grunde. Die letzte Tat des Reichsbanners ist ein Werbemarsch für den Wehrsport gewesen, die SPD versichert heute noch, sie sei doch aber patriotisch und ruhrkämpferisch, fast alle erkennen die von Adof gesetzten Kategorien an und streiten sich nur um ihre Einordnung, niemand hat den Mut zu sagen: Der Wert eines Menschen hängt nicht von seinem Soldbuch ab. Und damit soll ich mich befassen? Nein, lieber Herr. Mich geht das nichts an, nur eben als Zeichen der Zeit, in der wir ja leben. Aber sonst – ohne mich.
Vorgestern haben wir hier einen Radio installiert und Adof gehört. Lieber Max, das war sehr merkwürdig. Also erst Göring, ein böses, altes blutrünstiges Weib, das kreischte und die Leute richtig zum Mord aufstachelte. Sehr erschreckend und ekelhaft. Dann Göbbeles mit den loichtenden Augen, der zum Vollik sprach, dann Heil und Gebrüll, Kommandos und Musik, riesige Pause, der Führer hat das Wort. Immerhin, da sollte nun also der sprechen, welcher ... ich ging ein paar Meter vom Apparat weg und ich gestehe, ich hörte mit dem ganzen Körper hin. Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges.
Dann war nämlich gar nichts. Die Stimme ist nicht gar so unsympathisch wie man denken sollte – sie riecht nur etwas nach Hosenboden, nach Mann, unappetitlich, aber sonst gehts. Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er. Aber sonst: nichts, nichts, nichts. Keine Spannung, keine Höhepunkte, er packt mich nicht, ich bin doch schließlich viel zu sehr Artist, um nicht noch selbst in solchem Burschen das Künstlerische zu bewundern, wenn es da wäre. Nichts. Kein Humor, keine Wärme, kein Feuer, nichts. Er sagt auch nichts als die dümmsten Banalitäten, Konklusionen, die gar keine sind – nichts.
Ceterum censeo: ich habe damit nichts zu tun.
Marginalie: Ossietzky unbegreiflich. Man hat mir erzählt, daß man ihm seinen Paß nach Tegel gar nicht wiedergegeben habe. Ob das wahr ist, weiß ich nicht – er schreibt ja keine Briefe. Dieser ausgezeichnete Stilist, dieser in der Zivilcourage unübertroffene Mann, hat eine merkwürdig lethargische Art, die ich nicht verstanden habe, und die ihn wohl auch vielen Leuten, die ihn bewundern, entfremdet. Es ist sehr schade um ihn. Denn dieses Opfer ist völlig sinnlos. Mir hat das mein Instinkt immer gesagt: Märtyrer ohne Wirkung, das ist etwas Sinnloses. Ich glaube keinesfalls, daß sie ihm etwas tun, er ist in der Haft eher sicherer als draußen. Nur bei einem wenn auch mißglückten Attentat auf Adof kann etwas passieren, dann würde die SA die Gefängnisse stürmen und von den Wärtern an nichts gehindert werden. Sonst aber kommt er nach zwei, drei Wochen, denke ich, heraus. (Wenn nicht Konzentrationslager gemacht werden!)
Kurz: ich lebe in keinerlei Panik. Und mein Pessimismus setzt genau da ein, wo der der andern aufhört, etwas zu dem Zeitpunkt, wo das Zentrum mitmacht. "Es wird ihnen die Kanten abschleifen!" sagen die falschen Propheten. An Schmarrn. Dann, erst dann, ist diese neue Herrschaft ganz totensicher fundiert, dann ist gar nichts mehr zu machen. Und wer wird und soll etwas machen? Man kann für eine Majorität kämpfen, die von einer tyrannischen Minorität unterdrückt wird. Man kann aber nicht einem Volk das Gegenteil von dem predigen, was es in seiner Mehrheit will (auch die Juden). Viele sind nur gegen die Methoden Hitlers, nicht gegen den Kern seiner "Lehre". Und wenn es die Opposition nicht von innen her geschafft hat, so werden wir es nie schaffen, wenn in Paris ein paar Käsblätter erscheinen. Ich werde das nicht mitmachen.
Ceterum censeo: Ihr Hindenburggeburtstags-Artikel sollte von den Kanzeln verlesen werden.
Lieber Max, hoffentlich lassen sie Rutchen heraus, er ist so schön und dick, und wir wollen ihn noch ins Krematorium tragen, wenn er tot ist, und dann trinken wir mit der Leiche einen Apéritif.
Hallo, lieber Max, das ist ein langer Brief geworden. Nie wieder Korreschpondanx. Kommt noch solche nach Hindås? Ich habe inzwischen nichts bekommen. Mögen Sie –!
[...] lesen Sie auf alle Fälle ›Voyage au Bout de la Nuit‹. Es lohnt sich.
In Treue fest
Ihr alter Mitkolumbus
Edgar, formalz Adof.
Verfasser broschierter und gebundener Werke.
Ehemal. Mitglied der deutschen Republik
aufgehörter Dichter
Böse Enttäuschungen werden wir nun an unsern berliner Freunden erleben. Es wird sehr übel werden.
*
Aus: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 20. Briefe 1933-1934
Erklärung zum Text von Friedhelm Greis:
Da Tucholsky sich nicht an einer Exil-Presse beteiligen wollte, - schließlich lebte er schon seit 1924 im Ausland -, erschienen nach dem Verbot der "Weltbühne" vom März 1933 keine Artikel mehr von ihm. Er führte jedoch bis zu seinem Tode noch eine ausführliche Korrespondenz weiter und kommentierte treffend das Zeitgeschehen, wie in einem "Brief an Walter Hasenclever" vom 4. März 1933. Allerdings mit einer spürbaren Resignation: "Mich geht das nichts an, nur eben als Zeichen der Zeit, in der wir ja leben. Aber sonst - ohne mich", schrieb er an seinen Freund und signierte den Brief mit: "Ihr alter Mitkolumbus, Edgar, formalz Adof. Verfasser broschierter und gebundener Werke. Ehemal. Mitglied der deutschen Republik, aufgehörter Dichter".
"Brief an Walter Hasenclever" Am 21. Dezember 1935 verstummte Tucholsky für immer. Die genauen Umstände seines Todes, ob Selbstmord oder Tod durch unbeabsichtigte Einnahme einer Überdosis Schlaftabletten, sind bis heute ungeklärt. In einem scherzhaften Requiem für sich selbst, das er bereits 1923 geschrieben hatte, hieß es am Ende: "Der freundliche Schein der Sonne fiel auf den granitenen Grabstein, mit dem sich der gute Ignaz Wrobel rechtzeitig eingedeckt hatte. In silbernen Buchstaben stand da zu lesen:
HIER RUHT EIN GOLDENES HERZ
UND EINE EISERNE SCHNAUZE.
GUTE NACHT -!
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Ähnlich Tucholskys Reaktion auf die Bücherverbrennung in einem Brief vom 17. Mai 1933 an Walter Hasenclever:
„Unsere Bücher sind also verbrannt. Im Buchhändlerbörsenblatt ist eine große Proskriptionsliste für in vierzehn Tagen angekündigt. Dieser Tage stand an der Spitze des Blattes im Fettdruck: “Folgende Schriftsteller sind dem deutschen Interesse abträglich. Der Vorstand des Börsenvereins erwartet, daß kein deutscher Buchhändler ihre Werke verkauft. Nämlich: Feuchtwanger – Glaeser – Holitscher – Kerr – Kisch – Ludwig – Heinrich Mann – Ottwalt – Plivier – Remarque – Ihr getreuer Edgar [= Kurt Tucholsky] – und Arnold Zweig.” In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern. [...]
Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur, nun endlich, endlich ist die jüdische Konkurrenz weg – jetzt aber! Will Vesper in seiner Neuen Literatur: immer feste! (Ich werde nun langsam größenwahnsinnig – wenn ich zu lesen bekomme, wie ich Deutschland ruiniert habe. Seit zwanzig Jahren aber hat mich immer dasselbe geschmerzt: daß ich auch nicht einen Schutzmann von seinem Posten habe wegbekommen können.) Binding ist ein großer Mann. Dann: Lebensgeschichten der neuen Heroen. Und dann: Alpenrausch und Edelweiß. Mattengrün und Ackerfurche. Schollenkranz und Maienblut – also Sie machen sich keinen Begriff, Niveau null.“
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Zu diesen zwei Briefen gibt es ein eigenes Buch von Stefan Altschaffel: „Kurt Tucholsky und das Autodafé - Untersuchung zweier Briefe an Walter Hasenclever“, in das man reinschauen kann:
): Dein Zorn galt Heinrich von Kleist (er berührt das Buch zärtlich); der hat dir nichts getan. - Welchen Maßstab legst du an!
DER VATER: Bist du schon Schiller oder Matkowsky? Meinst du, ich hörte dich nicht? Aber diese Bücher und Bilder werden verschwinden. Auch auf deine Freunde werde ich ein Auge werfen. Das geht nicht so weiter. Ich habe kein Geld gespart, um dir vorwärtszuhelfen; ich habe dir Lehrer gehalten und Stunden geben lassen. Du bist eine Schande für mich!
DER SOHN: Was hab ich verbrochen? Hab ich Wechsel gefälscht?
DER VATER: Laß diese Phrasen. Du wirst meine Strenge fühlen, da du auf meine Güte nicht hörst.
DER SOHN: Papa, ich hatte anders gedacht, heute vor dir zu stehn. Fern von Güte und Strenge, auf jener Waage mit Männern, wo der Unterschied unseres Alters nicht mehr wiegt. Bitte, nimm mich ernst, denn ich weiß wohl, was ich sage! Du hast über meine Zukunft bestimmt. Ein Sessel blüht mir in Ehren auf einem Amtsgericht. Ich muß dir meine Ausgaben aufschreiben - ich weiß. Und die ewige Scheibe dieses Horizontes wird mich weiterkreisen, bis ich mich eines Tages versammeln darf zu meinen Vätern. Ich gestehe, ich habe bis heute darüber nicht nachgedacht, denn die Spanne bis zum Ende meiner Schule erschien mir weiter als das ganze Leben. Nun aber bin ich durchgefallen - und ich begann zu sehn. Ich sah mehr als du, Papa, verzeih.
DER VATER: Welche Sprache!
DER SOHN: Eh du mich prügelst, bitte, hör mich zu Ende. Ich erinnre mich gut der Zeit, als du mich mit der Peitsche die griechische Grammatik gelehrt hast. Vor dem Schlaf im Nachthemd, da war mein Körper den Striemen näher! Ich weiß noch, wie du mich morgens überhörtest, kurz vor der Schule; in Angst und Verzweiflung mußt ich zu Hause lernen, wenn sie längst schon begonnen hatte. Wie oft hab ich mein Frühstück erbrochen, wenn ich blutig den langen Weg gerannt bin! Selbst die Lehrer hatten Mitleid und bestraften mich nicht mehr. Papa - ich habe alle Scham und Not ausgekostet. Und jetzt nimmst du mir meine Bücher und meine Freunde, und in kein Theater darf ich gehn, zu keinem Menschen und in keine Stadt. Jetzt nimmst du mir von meinem Leben das Letzte und Ärmste, was ich noch habe.
DER VATER: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Sei froh, daß ich dich nicht längst aus dem Hause gejagt.
DER SOHN: Hättest du es getan, ich wäre ein Stück mehr Mensch, als ich bin.
DER VATER: Du bist noch mein Sohn, und ich muß die Verantwortung tragen. Was du später mit deinem Leben tust, geht mich nichts an. Heute habe ich zu sorgen, daß ein Mensch aus dir wird, der sein Brot verdient, der etwas leistet. [...]
* (Walter Hasenclever: Der Sohn. Ein Drama in fünf Akten. Nachw. v. Michael Schulz. Stuttgart: Reclam 1994. Literatur zum Drama: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Sohn_(Drama)]Über die zwei Tucho-Briefe an Hasi:http://www.grin.com/e-book/46993/kurt-tucholsky-und-das-autodafe-untersuchung-zweier-briefe-an-walter
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Und noch ein Hinweis auf ein Drama von Walter Hasenclever und Kurt Tucholsky (1932):
„Christoph Kolumbus oder Die Entdeckung Amerikas“. Komödie in sechs Bildern und einem Vorspiel. – Dieses Stück ist zwar mal für Fernsehen verfilmt worden. Ich habe es aber noch nicht gelesen und nicht gesehen.
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WALTER HASENCLEVER
1890 in Aachen geboren, begann mit einem Band Lyrik, der 1913 erschien: "Der Jüngling".
Er wandte sich später dem dramatischen Schaffen zu und errang unbestrittenen Erfolg mit „Napoleon greift ein" und „Ehen werden im Himmel geschlossen". Hasenclever stand auf der ersten Liste der von den Nazis verfemten Literatur.
Er lebte bereits 1933 In Frank reich und kam bei Kriegsausbruch in ein französisches Internierungslager. Er beging er beim Anrücken der deutschen Truppen Suizid, obgleich er noch Möglichkeit zur Flucht gehabt hätte. -
Unter seinen frühen Versen ist das Gedicht „Der politische Dichter“ (1919) wichtig.
Walter Hasenclever:
DER POLITISCHE DICHTER:
Der Dichter träumt nicht mehr in blauen Buchten.
Er sieht aus Höfen helle Schwärme reiten.
Sein Fuß bedeckt die Leichen der Verruchten.
Sein Haupt erhebt sich, Völker zu begleiten.
Er wird ihr Führer sein. Er wird verkünden.
Die Flamme seines Wortes wird Musik.
Er wird den großen Bund der Staaten gründen.
Das Recht des Menschentums. Die Republik.
Kongresse blühn. Nationen sich beschwingen.
An weiten Meeren werden Ufer wohnen.
Sie leben nicht, einander zu verschlingen;
Verbrüdert ist ihr Herz in starren Zonen.
Nicht Kriege werden die Gewalt vernichten.
Stellt Generäle an auf Jahrmarktfesten.
Dem Frieden eine Staue zu errichten,
Versammelt sind dir Edelsten und Besten.
Nicht mehr in Waffen siegt ein Volk, du weißt es.
Denn keine Schlacht entscheidet seinen Laut.
So steige mit der Krone deines Geistes,
Geliebte Schar, aus taubem Grabe auf!
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(Aus: W.H.: Der politische Dichter. Gedichte und Prosa. 1919)
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http://www.kuenstlerkolonie-berlin.de/bilder/hasencl3.jpg[/img]
[i]Kurt Tucholsky und Hasenclever in Paris. 1926. (Foto eines unbekannten Künstlers)
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W. H.: Der Sohn [Textausschnitt]
(1913/14 verfasst)
„DER VATER (geht zum Bücherschrank und wirft höhnisch die Bücher um): Anstatt diesen Unsinn zu lesen, solltest du lieber deine Vokabeln lernen. Aber ich weiß schon - Ausflüchte haben dir nie gefehlt. Immer sind andere schuld. Was tust du den ganzen Tag? Du singst und deklamierst - sogar im Garten und noch abends im Bett. Wie lange willst du auf der Schulbank sitzen? All deine Freunde sind längst fort. Nur du bist der Tagedieb in meinem Haus.
DER SOHN (geht hin zum Schrank und stellt die Bücher wieder au]): Dein Zorn galt Heinrich von Kleist (er berührt das Buch zärtlich); der hat dir nichts getan. - Welchen Maßstab legst du an!
DER VATER: Bist du schon Schiller oder Matkowsky? Meinst du, ich hörte dich nicht? Aber diese Bücher und Bilder werden verschwinden. Auch auf deine Freunde werde ich ein Auge werfen. Das geht nicht so weiter. Ich habe kein Geld gespart, um dir vorwärtszuhelfen; ich habe dir Lehrer gehalten und Stunden geben lassen. Du bist eine Schande für mich!
DER SOHN: Was hab ich verbrochen? Hab ich Wechsel gefälscht?
DER VATER: Laß diese Phrasen. Du wirst meine Strenge fühlen, da du auf meine Güte nicht hörst.
DER SOHN: Papa, ich hatte anders gedacht, heute vor dir zu stehn. Fern von Güte und Strenge, auf jener Waage mit Männern, wo der Unterschied unseres Alters nicht mehr wiegt. Bitte, nimm mich ernst, denn ich weiß wohl, was ich sage! Du hast über meine Zukunft bestimmt. Ein Sessel blüht mir in Ehren auf einem Amtsgericht. Ich muß dir meine Ausgaben aufschreiben - ich weiß. Und die ewige Scheibe dieses Horizontes wird mich weiterkreisen, bis ich mich eines Tages versammeln darf zu meinen Vätern.
Ich gestehe, ich habe bis heute darüber nicht nachgedacht, denn die Spanne bis zum Ende meiner Schule erschien mir weiter als das ganze Leben. Nun aber bin ich durchgefallen - und ich begann zu sehn. Ich sah mehr als du, Papa, verzeih.
DER VATER: Welche Sprache!
DER SOHN: Eh du mich prügelst, bitte, hör mich zu Ende. Ich erinnre mich gut der Zeit, als du mich mit der Peitsche die griechische Grammatik gelehrt hast. Vor dem Schlaf im Nachthemd, da war mein Körper den Striemen näher! Ich weiß noch, wie du mich morgens überhörtest, kurz vor der Schule; in Angst und Verzweiflung mußt ich zu Hause lernen, wenn sie längst schon begonnen hatte. Wie oft hab ich mein Frühstück erbrochen, wenn ich blutig den langen Weg gerannt bin! Selbst die Lehrer hatten Mitleid und bestraften mich nicht mehr. Papa - ich habe alle Scham und Not ausgekostet. Und jetzt nimmst du mir meine Bücher und meine Freunde, und in kein Theater darf ich gehn, zu keinem Menschen und in keine Stadt. Jetzt nimmst du mir von meinem Leben das Letzte und Ärmste, was ich noch habe.
DER VATER: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Sei froh, daß ich dich nicht längst aus dem Hause gejagt.
DER SOHN: Hättest du es getan, ich wäre ein Stück mehr Mensch, als ich bin.
DER VATER: Du bist noch mein Sohn, und ich muß die Verantwortung tragen. Was du später mit deinem Leben tust, geht mich nichts an. Heute habe ich zu sorgen, daß ein Mensch aus dir wird, der sein Brot verdient, der etwas leistet. [...]
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Walter Hasenclever: Der Sohn. Ein Drama in fünf Akten. Nachw. v. Michael Schulz. Stuttgart: Reclam 1994.
Literatur zum Drama:
http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Sohn_(Drama)
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Ein Überblick über expressionistische, deutsche Dichter bei SPIEGEL-WISSEN:
Hasenclever neben anderen Expressionisten
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Eine interessante Würdigung:
Würdigung Hasenclevers
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Eine "Hausarbeit", die einen Überblick gibt:
http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/100858.html
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