Teenager-Erfahrungen, die das Leben prägen ...

Autor: ehemaliges Mitglied

Teenager-Erfahrungen, die das Leben prägen ...

Muscari hatte einen Artikel über ihre Lebenserfahrung im jungen Teenager-Alter unter dem Pseudonym Lena gepostet, es ist wohl eine selbst erlebte Geschichte. Hatte ich schon einen Kommentar dazu geschrieben, in dem ich mich über die fehlende elterliche Liebe so vieler Teenager ausließ, was man heute oft beobachten kann, brachten mich andere Kommentare dazu, mich an meines Vaters elterliche Liebe seinen Töchtern gegenüber zu erinnern.

Ich schrieb einen weiteren Kommentar, in dem ich meine damalige Situation schilderte: Ich brauchte meinem Vater ja nur zu erklären, was ich mir nähen, stricken wollte oder dass ich neue Schuhe bräuchte – sofort bekam ich das nötige Geld. Aber eine Umarmung für die Tochter, vielleicht sogar noch einen Kuss auf die Wange oder die Stirn, ein liebes Wort – njet!! Mit 10 Jahren wollte ich ihm einen flüchtigen Gute-Nacht-Kuss auf den Mund geben, ging gar nicht! Er wehrte ab: „Du bist doch schon groß, große Mädchen tun so was nicht!“ Ich fühle mich noch heute weggestoßen …

Fakten: Mutti war tot, Oma bevorzugte bewusst die jüngere Schwester zum Kuscheln auf ihrem Schoß, die vier Jahre ältere Schwester mobbte mich, so wie sie mich nur sah, führte regelrecht einen viele Jahre andauernden Dauer-Krieg gegen mich, weil ich als acht Monate altes Baby ja damals Schuld an der tödlichen Krebserkrankung unserer Mutter hatte! Ich war halt die Zweite, ein Patchwork-Kind.

All diese Vorgeschichten führten dann dazu, dass ich es fast als meinen Weltzusammenbruch empfand, als in meinem einzigen Internatsjahr erst der Papst, dann die Mutter Oberin der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung starb – und jedes Mal veranstalteten die Nonnen ein regelrechtes Untergangs-Szenario über viele Wochen!! Ich war nicht mehr imstande, meine bis dahin guten schulischen Leistungen aufrecht zu erhalten und wurde zur Belohnung noch damit bestraft, dass mein Vater mir den – damals von mir noch sehr geliebten – Klavierunterricht im Kloster verbot!! Das war für mich die einzige Möglichkeit, fern meiner Familie mich heimisch zu fühlen und nun wurde mir auch das genommen!! Ich sollte mehr Zeit für meine Lernarbeit nutzen können!!

Ich musste dann das Internat für das nächste Schuljahr verlassen, wurde in Münster auf der Eichendorff-Realschule angemeldet, die gleiche Schule, die auch der neue Stiefbruder besuchte. Unser Vater hatte ein zweites Mal geheiratet.

Auch das führte wiederum zu diverser Aufmerksamkeit: Auch der Bruder hatte Probleme, als zuvor Einzelkind seiner Mutter sich nun in einer Großfamilie mit drei Schwestern zurecht zu finden. Er hatte in seiner Klasse den Mitschülern erzählt, dass ich eine seiner neuen Schwestern sei. Natürlich wurde ich in Augenschein genommen, denn wir – beide auf 14 Tage genau gleichaltrig – waren inzwischen 12 Jahre alt. Seine Mitschüler versperrten mir den Weg in den Handarbeitsraum, der am Klassenraum der Jungs vorbeiführte. Ich musste mir den Weg freikämpfen! Was für ein Glück, dass das Regenwetter die Mitnahmen eines Schirms notwendig gemacht hatte!

Obendrein war ich oben herum sichtbar weiter entwickelt als die meisten meiner Mitschülerinnen. Das wiederum ließen sich die Jungs nicht entgehen: sie warfen mir in den Pausen Papierkügelchen in den Ausschnitt meines Dirndlkleides, andere nutzten ihre abgenagten Apfelpitschen dazu, sie mir an die Waden zu pfeffern. Meine Mitschülerinnen mieden mich, weil ich nicht gleich mit dem fünften Schuljahr in ihre Klassengemeinschaft gekommen war. Obendrein erfuhr ich 2011 – zig Jahre später – dass man mich auch deswegen mied, weil ich eine Tochter des stadtbekannten Promi-Friseurs war. Derart ahnungslos musste ich mich erst noch irgendwie einem oder mehreren Mädchen anschließen, die sich nicht so abweisend mir gegenüber zeigten.

Auch das fiel mir sehr schwer. War es doch im ersten Schuljahr noch für mich absolut verboten, irgendein Kind, eine Freundin zum Spielen mit nach Hause zu bringen. Dort lag ja immer noch eine sterbenskranke Mutter in der Wohnung, die vor solch möglichem Kinderlärm geschützt werden musste. Ich hatte nie gelernt, mich richtig in eine Freundschaft einzubinden, denn Renate, meine erste Freundin, gab mir – schwer beleidigt – zum Ende des vierten Schuljahres den Laufpass, als sie erfuhr, dass ich das fünfte Schuljahr auf dem Gymnasium verbringen würde. Sie, eine Kriegs-Halbwaise, musste weiterhin zur Hauptschule gehen. Ihre vier Jahre ältere Schwester hatte sie gegen mich aufgestachelt … Mein Versichern, sie alle vier Wochen beim Heimaturlaub vom Gymnasium zu besuchen, ließ sie kalt. Ein paar Mal hab ich das versucht, aber die Ablehnung wurde intensiver.

Als 13-Jährige durfte ich in den Herbstferien zu ihr ins Sauerland fahren, da ein paar Wochen in den Sommerferien, die ich in der Familie der Schwester meiner Stiefmutter mit meinem Stiefbruder verbrachte, mir es ein für alle Mal unmöglich machten, dort erneut aufzuschlagen. Die Familie hatte zwei Söhne, mit denen mein Bruder sich sehr gut verstand und die stets irgendwo im „Busch“ in der ländlichen Umgebung ihr Unwesen trieben. Mangels eines weiteren Gästezimmers musste ich im Ehebett der Tante auf der Besucherritze schlafen. Das führte dazu, dass der Ehemann der Tante, wenn sie morgens aufgestanden war, seine Finger nicht bei sich behalten konnte und begann, mich gerade 13-Jährige zu begrapschen. Klar bin ich fortan stets sofort mit der Tante aufgestanden. Erzählt habe ich die mir peinliche Situation aber niemandem.

Für die Herbstferien lehnte ich es ab, mit meinem Bruder zu seiner Tante zu fahren. Ich durfte stattdessen das erste Mal ganz allein mit dem Zug ins Sauerland zur Familie des jüngsten Bruders meines Vaters fahren. Dort fand ich in meiner Kusine, der einzigen Tochter des Onkels eine wirkliche Freundin fürs Leben! Wir erzählen uns heute noch so ziemlich alles, was wir in unserem Alltag erleben. So manches Telefonat erstreckt sich über anderthalb Stunden … Auch meine erste Liebe lernte ich ein Jahr später dort kennen. Und weder mein Onkel noch meine Tante waren entsetzt, denn sie kannten und schätzten diesen jungen Mann sehr, setzten sich sogar 1959 bei meinem Vater dafür ein, dass wir eine Zukunft für uns sähen.

Doch das passte nicht in die Pläne meiner Eltern, die eigentlich gehofft hatten, dass mein Stiefbruder und ich einmal ein Paar werden könnten, so auch den Salon gemeinschaftlich als Familienunternehmen weiterführen würden. Aber ich machte ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung.

Ins Sauerland durfte ich nie wieder alleine fahren. Als ich im Tanzkursus meinen späteren Mann kennenlernte, war es mein Vater, der plötzlich verlangte, dass ich ihn heiraten sollte, weil wir eine über Nacht dauernde Fahrt zu seiner Mutter in den Harz gemacht hatten. Dabei waren wir gar kein Paar. Doch mein Vater war zu sehr voller Angst, ich könnte ihm ein uneheliches Kind nach Hause bringen. Und ich war bockig, wollte mir nicht noch einmal Vorschriften für den Umgang mit meinen Freunden machen lassen – ich wollte einfach nur noch von zuhause weg ..., dann eben heiraten!

All diese Eindrücke sorgen bis heute dafür, dass ich immer noch sehr zurückhaltend reagiere, wenn ich neue Menschen kennenlerne. Zum Glück gelang es mir, meinen Kindern ein etwas anderes Verhältnis zum eigenen Ich zu vermitteln. Dennoch gehört eine gewisse Scheu meinerseits auch heute noch zu mir, den Freunden und Bekannten meiner Kinder oder auch eigenen Bekannten mit offenen Armen zu begegnen. Es dauert immer noch seine Zeit. Aber man lernt ja nie aus ...
 

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Kommentare (7)

Distel1fink7

Ein Einzelschicksal, das so vieles widerspiegelt und sehr nach vollziehbar
ist.Danke fürs Erzählen.

Diestel1fink Renate

ehemaliges Mitglied

@Distel1fink7  
Es wird so einige solche Schicksale in den Nachkriegsjahren gegeben haben, meist allerdings wohl eher in der Form, dass der Vater im Krieg geblieben oder noch in Gefangenschaft war.

Der Aufbau nach dem Krieg, das sich-wieder-Einrichten in einem privaten Leben wird bestimmt für manche Kinder mit vielen Entbehrungen, auch an elterlicher Zuwendung mit sich gebracht haben. Doch irgendwie schmerzt der Gedanke an diese Geschehen auch im Alter noch, wenn auch nicht mehr so heftig, wie man es als Kind empfunden hat.

Ich freu mich über Deine Zustimmung, liebe Renate.

Noch eine schöne letzte Adventswoche für Dich wünscht

Uschi 

ehemaliges Mitglied

Da hast du einiges in deinem Rucksack, das du bis heute mit trägst. Ich würde gerne sagen: pack es endlich aus, aber ich weiß, dass das gar nicht so einfach ist - für mich ist Schreiben so ein Prozess des Auspackens und Abladens - vlt ist es für dich auch so und du fühlst dich ein wenig leichter, wenn du deine Geschichte hier mit uns teilst. Wir hören - lesen dir gerne aufmerksam zu...
ganz liebe Grüße
WurzelFlügel

ehemaliges Mitglied

@WurzelFlügel  
Ich denke, wir könnten alle aus unseren Lebensphasen, glücklich oder weniger glücklich, viel erzählen. Ob man darüber spricht oder nicht - es bleibt einem als Erinnerung, stets etwas, das man nur selbst so erlebt hat.

Auch für mich ist das schriftliche Festhalten aller meiner Erlebnisse eine Art Verarbeitung. Das mache ich aber schon seit den 1980er Jahren.Diese vor allem "Jugendgeschichte" öffentlich nun herauszulassen, ist für mich schon etwas Besonderes. Andreas Blog hat mir ein wenig Mut gegeben ...

❤️lich Danke für Dein Lesen und Dein Verständnis

Uschi

Muscari

Liebe Uschi,

Deine Geschichte habe ich mit Interesse gelesen, zumal ich Dich mit der meinen inspiriert habe.
Obwohl eine völlig andere Entwicklung und Umgebung, sehe ich doch gewisse Ähnlichkeiten. Wie z.B.

"Oma bevorzugte bewusst die jüngere Schwester zum Kuscheln".
Nur war es meine Mutter, die meine kleine Schwester bevorzugte und ich mich deshalb immer mehr an die Wand geschoben fühlte.

Nun ja, es würde hier nun wirklich zu weit führen, auf Einzelheiten einzugehen. Vielleicht schreibe ich darüber noch die eine oder andere kurz gefasste Geschichte.
Mit Dank und lieben Grüßen von
Andrea
Übrigens, das Mädchen mit der Brille auf dem Foto hat ein wenig Ähnlichkeit mit mir im Alter von etwa 20 Jahren.
😉



 

ehemaliges Mitglied

@Muscari  Das ist ja interessant, liebe Andrea, das bin nämlich ich im Alter von 13 Jahren. Meine Kusine in der Mitte sowie die Große, ihre Schulfreundin, waren 14. Ist schon eigenartig, wie erwachsen man damals schon wirkte, keineswegs mehr so kindlich, wie man eigentlich noch war.

Es ist ja wohl so, dass jeder immer sich zu einer bestimmten Person mehr hingezogen fühlt als zu "gleichberechtigten" anderen Personen. Vielleicht lags aber auch nur einfach daran, dass meine jüngere Schwester erst dreieinhalb Jahre alt war, als unsere Mutter starb. Das will und kann ich nicht bewerten. Dennoch fühlt eine Sechs-, Siebenjährige sich "abgeschoben", wenn sie aufgrund ihrer bereits vorhandenen größeren Verständigkeit zurückstehen soll.

ich freue mich, dass Du mir so unvoreingenommen Deinen Kommentar geschrieben hast. Danke Dir herzlich.

Uschi

Muscari

@nnamttor44  
Habe ich gerade "ausgegraben". Da war ich 18.   😄

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