Simon, der Vollwaise


Simon

Eine kleine Stadt in Mitteleuropa im 18. Jahrhundert.
Liebe  User/ innen, wenn ihr Zeit und Muße habt, dann lest!
 
Simon liebte seine Mutter. Sie war liebevoll, gütig, sanft, voller Demut, nie verließ ein böses Wort ihre Lippen, ihr Tadel  half den Gescholtenen auf, wies ihnen immer den richtigen Weg, sie liebte die Schöpfung Gottes, wenn sie einen Raum betrat, erhellte der sich, überall, auch in den adligen Kreisen, konnte diese einfache Frau  bestehen, weil sie mit  ihrem Anmut und Liebreiz jedes Wesen bezauberte. Sie erzog ihren Sohn im Glauben an Gott.
Als Simon fünf Jahre alt war, verstarb seine geliebte Mutter. Sein Vater, ein labiler Mann, verfiel der Trunksucht, er konnte den Tod seiner Frau nicht verwinden, wenn er betrunken war, verprügelte er den Jungen hart, um , wenn er wieder nüchtern war,  Simon um Vergebung anzubetteln. Nach einem halben Jahr zerbrach der Vater und starb vergrämt.
Für den Vollwaisen fand sich keine Pflegefamilie, ausgestoßen von der Gesellschaft, war er dem Hauen und Stechen, dem Diebstahl und Betrug, der Intrige und dem Totschlag der Straße nicht gewachsen, von der Lieblosigkeit ausgespien spülte ihn die bittere Armut als Strandgut in den Rinnstein der Straße.
Matthäus, der Mönch, belud seinen Gefährt, als er ein leises Wimmern vernahm, schnell  fand er ein schmutziges halbnacktes verwahrlostes Kind im Straßengraben, das mit einem ausgestreckten Arm die Hand zum Betteln geöffnet hatte.
"Wer bist du?",fragte er das Kind.
"Simon".
"Wo sind dein Vater und Mutter?".
"Beide tot"  röchelte er. Stark unterernährt, entkräftet und dehydriert  lag der Junge im Sterben.
Der Mönch nahm  den Knaben in seine Arme, legte ihn auf seinen Karren, flößte ihm vorsichtig Wasser in kleinen Portionen ein, wickelte ihn in eine warme Decke, herzte ihn und gab ihm ein Stück frisches Brot.
"Simon, ich nehme Dich jetzt mit in unser Kloster, da wird es Dir gut ergehen, ein eigenes Zimmer und warme Mahlzeiten erwarten Dich, Spielzeug und Kleidung werden Dir die Brüder anfertigen und Dich lehren".
Er trieb das Pferd zur Eile an. Ungewöhnlich schnell erreichten sie das Kloster.
 Als die anderen Mönche den Jungen auf dem Leiterwagen entdeckten, liefen sie kreuz und quer  umeinander, schlugen die Hände über ihren Köpfen  zusammen, sie wirkten wie Hühner, die der Fuchs im Stall aufscheucht hat, alle stimmten in das Wehgeschrei ein "Wenn das unser Abt erfährt!."
Matthäus trug den Jungen in den Gemeinschaftssaal  und befahl " Jakobus, richte du für Simon eine Kammer, Johannes koche du einen Haferschleim, Andreas richte heißes Wasser für ein kurzes wärmendes Bad und  Philippus  bereite einen Kräutertee." und an alle gerichtet  "Was glaubt ihr, wird Petrus, unser Abt, wohl sagen? Rettet dem Jungen das Leben!"  Alle nickten eifrig und gingen freudig zu Werke.
Petrus schob die Mönche harsch zur Seite, schritt mit strenger Miene an das Bett heran und betrachtete den Jüngling, der gesättigt, in ein überdimensionales Nachthemd gerollt, frisch gewaschen, schlief und mit seinen blonden Locken wie ein Engel wirkte. Absolute Stille. Die Blicke der Mönche richteten sich von Simon weg, fragend hin zum Abt, als der kaum merklich lächelte, brach es aus den Männer heraus, sie jubelten laut, vielen sich in die Arme und beglückwünschten sich. "Wartet, morgen werden wir ein Tribunal einberufen und über den Verbleib des Buben ein Urteil fällen." sagte Petrus mit strenger Stimme.
Am nächsten Morgen standen die Mönche dicht gedrängt um das Bett, warteten geduldig  bis Simon seine großen blauen Augen aufschlug, ergriffen ihn behände, schulterten ihn, rannten springend und wiehernd durch das Kloster bis in die Küche, setzen den laut lachenden süßen Bengel auf den Stuhl, bildeten einen Kreis um ihn und  schauten ihm liebevoll beim Frühstücken zu.
Dann nahm Jakobus bei Simon Maß  "Was wird Simon brauchen? Zwei bis drei Kutten für den Alltag..,"
"Kutten? Unsinn, fertige ihm einige Wämse und Beinkleider an, besonders schöne für sonntags und den Stadtbesuch. Schuhwerk wird ihm Philippus aus feinem Leder anfertigen, komm' miss seine Füße!" sagte Matthäus.
Das Tribunal tagte. Einstimmig votierten die Mönche für das Bleiben des Jungen auf Lebenszeit. Augenblicklich rannten die zwölf alten Männer  jubelnd und lärmend in Richtung Simons Kammer. Leicht lächelnd und den Kopf schüttelnd sah ihnen der Abt nach. Wie sehr hatten sich diese Ordensbrüder doch verändert. Sie sprangen, wo sie noch gestern krochen, lachten, wo sie sonst nur grübelten, liebten da, wo sie in einmütiger Gleichgültigkeit  lieblos agierten.
Sie lebten! Auferstanden aus ihren Gruften, die ihre Emotionen Jahrzehnte festhielten und marterten.
In neuer Kleidung ging Simon in den Unterricht. Die Mönche lehrten  Deutsch, Latein, Altgriechisch, Mathematik, Philosophie und Bibelkunde, so wie es der Lehrplan vorsah. Der schöne Knabe war ein ausgezeichneter Schüler und seine Lehrer wurden nicht müde, ihn allerorten zu loben, vor allem der Abt war die beliebteste Anlaufstelle.
Aus Holz hatten sie ihm Spielzeug geschnitzt, auch ein Schaukelpferd, aber die größte Beachtung, die Mönche eingeschlossen, fand ein Fußball, gefertigt aus Lederresten  und mit Lumpen gefüllt.
Da passierte es! Im Fußballspiel gab Philippus eine herrliche Flanke auf Simon, der den Ball  durch das große bunte Fenster der Kapelle schoss. Entsetzen fror augenblicklich die Bewegungen aller elf Spieler ein. Nur der Junge rannte weinend in das Bethaus.
"Bitte, lieber Gott, vergib mir, ich habe Deine Kapelle kaputt gemacht! Es tut mir leid und was wird der Abt sagen?" während er kniend betete, liefen großen Tränen über seine Wangen,.
"Simon mache Dir keine Sorgen..." sagte eine sanfte Stimme. Erschrocken schaute Simon hoch auf den gekreuzigten Christus, die Stimme schien vom Kreuz an der Wand zu kommen.
" Die Scheibe wird repariert, den Männer habe ich Liebe in ihre Herzen geschenkt, auch der Abt wird dich nur leicht tadeln, weil auch er dich von Herzen liebt." Wie gebannt schaute der Jüngling in das Gesicht des Gekreuzigten, der zu ihm sprach. Strahlend lachte er seinem Heiland zu und bedankte sich herzlich. Er wollte gerade die Kapelle verlassen, als die Stimme sagte" Simon hast du selbst nicht auch einen Wunsch?"
"Oh ja, lieber Jesus, einen neuen Fußball und einen Freund für mich." drehte sich um und ging. Noch bevor er den Ausgang erreichte, rollte ein wunderschöner weißer Lederball an ihm vorbei. Eilig rannte er hinterher und hob ihn auf. Der Ball war erstaunlich leicht, ohne Nähte gefertigt, völlig glatt und sprang enorm hoch ab, wenn man ihn auf den Boden warf.
Simon fand die Mönche jammernd vor. Sie sorgten sich um ihn, welche harte Strafe Petrus über ihn verhängen würde.
Der Abt musterte Simon streng und winkte ihn zu sich. Draußen hatten sich zwölf Ohren an der Türe festgesaugt, als die plötzlich nachgab, aufsprang, die Mönche übereinander in den Raum purzelten  und selbst im Fallen noch die beiden Akteure fest im Blick behielten.
Petrus herzte gerade den Bengel und tröstete ihn. Als die Brüder die Gunst der Stunde erkannten, ergriffen sie den Knaben, rannten jubelnd mit ihm in den Garten, um ein neues Spiel anzupfeifen.
Jetzt erst nahmen sie den wundersamen Ball wahr. Staunend begutachteten sie ihn, zogen Lupen hinzu, diskutierten hitzig, verstanden wenig, erkannten aber schnell die unglaublichen Vorzüge dieses himmlischen Spielgerätes, wollten jetzt unbedingt spielen!
Schnell waren zwei Mannschaften gebildet, sie spielten bis in die Dunkelheit hinein und schmunzelnd schaute Petrus zu- beide aus unterschiedlichsten Blickrichtungen!  Simon wurde zum Torschützenkönig gewählt.
Als er am nächsten Tag mit seinem Ball unterwegs war, sprach ihn ein Junge an, der etwas älter als er selbst  zu sein schien, den er hier im Kloster noch nie gesehen hatte  " Ich heiße Michael, ich wäre, Simon, gerne dein Freund. Ich spiele auch Fußball."
"Wie bist du hier hereingekommen und woher kennst du meinen Namen?" fragte er misstrauisch den fremden Jungen.
"Ich brauche keine Schlüssel, niemanden, der mich einlässt, ich komme ungehindert überall dorthin, wohin Gott mich sendet, Er ist es auch, der jeden bei seinem Namen ruft." Simon erinnerte sich an seinen zweiten Wunsch, den er an Jesus in der Kapelle richtete, Michael war seine Erfüllung!
Die beiden Jungen lachten, tobten, spielten, freuten sich, traten kräftig auf den Ball ein, die Mönche aber, die dieses Treiben aus der Ferne beobachteten, verwunderten sich sehr, sahen sie doch nur Simon alleine spielen, der Ball, wenn er zu ihm flog, wurde wie von einem unsichtbaren Geist getreten. Grauen befiehl sie, nacktes Entsetzen, in Sorge um ihren geliebten Zögling liefen sie näher an das Geschehen heran, fürchteten sich sehr.  Aber warum ist Simon so glücklich in diesem schaurigen Spiel?
Simon berichtete seinen Freunden von seinem neuen imaginären, so realen Freund Michael. Wieder verstanden die Mönche nur wenig, freuten sich aber für Simon.
 
So vergingen Monate.
 
Seit Tagen hat ein dichtes Schneetreiben das Land unter eine hohe Schneedecke gezogen. Soweit das Auge reicht, unberührte, glitzernde Schneeflächen, bestreut mit feinem weißen Diamantenstaub, der in der Sonne feurig aufleuchtete,  sein herrliches Farbenspiel zeigte. Große dicke Eiszapfen hingen von den Dächern.
 Beim Anblick von so viel Schönheit fühlten die Bewohner des Klosters, dass sie tiefer inhalieren konnten, dabei bewusst die absolute Freiheit in großen Zügen einatmeten.
Endlich Weihnachtszeit! Die Vorfreude war bei allen groß. Die Glaubensbrüder werden ihr erstes Weihnachten mit einem Kind feiern!
Die Mönche hatten die Zeit genutzt, schöne Geschenke für Simon zu basteln und einiges Nützliches für ihn zu kaufen.
Es war die Nacht vor Jesu Geburtstag , der Heilige Abend.
Jesus, der Sohn Gottes, betrat den Raum, die Dunkelheit musste augenblicklich weichen, jeglicher Schatten sich verkriechen, die Kammer war mit gleisendem Licht, Friede und Liebe erfüllt.
Jesus rief mit sanfter Stimme  "Simon, wache auf! Fürchte Dich nicht, du hast Gnade vor Gott, dem Vater, gefunden."
Simon rieb seine Augen, richtete seinen Oberkörper auf und rief voller Freude "Jesus, mein Heiland!"
" Simon, ich möchte dir einen Wunsch erfüllen, du darfst wählen, willst du, dass dein Spielkamerad Michael lebendig wird, noch heute Morgen wird er hier als Mensch im Kloster eintreffen, er wird dir ein treuer Freund sein oder möchtest du zu deiner Mutter?"
Simon überlegte nicht eine Sekunde, streckte seine Ärmchen Jesus entgegen und schrie freudig "Zur Mutter, bitte zur meiner Mama, Jesus!"
Jesus lächelte, segnete ihn, nahm ihn auf seinen Arm, drückte ihn an sein Herz, liebkoste ihn; beide verließen den Raum. Der Schnee blieb unberührt.
Im Morgengrauen zerriss  ein gellender Aufschrei die Stille und erschütterte das Kloster in seinen Grundfesten.
" Simon ist tot, er ist gestorben!"
Sie begruben ihn neben dem Grab seiner Mutter.
 Das Kloster nahm sich von diesem Zeitpunkt vieler Waisen mit Liebe an!
Gott ist Liebe. Er macht keine Fehler, er liebt alle Menschen bedingungslos.

Ich, der Abt Petrus ,bezeuge diese Geschehnisse.
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Kommentare (10)

HeCaro

Deine berührende Geschichte war sehr schön zu Lesen.
Ein bisschen hat sie mich an eine Geschichte erinnert die mir meine
Großmutter oft erzälht hat und bei der ich immer weinen musste.
 "Marcelino, pane e vino"

Lieben Dank und liebe Grüße
Carola

Perseus51

Liebe Carola,

herzlichen Dank für Dein Lob!

Alle Personen und die Handlung sind von mir frei erfunden, sollten Ähnlichkeiten mit dem wahren Leben... dann hat das Leben bei mir abgeschrieben.

Liebe Grüße 

Perseus51

Syrdal



Sind wir nicht alle im Erdenleben irgendwie auch ein „Simon“...
 
...meint die Geschehnise der Zeiten überdenkend
Syrdal

Perseus51

Lieber Syrdal,

sehr interessant deine Herangehensweise an die Geschichte, Du überrascht mich sehr angenehm! Danke!
Geschrieben, der Leserschaft einzig den emotionalen Zugang anzuweisen, beschreitest Du eigenwillig den Weg der Philosophie.
Ja, ich gebe Dir recht, wir alle sind Simons, sind in der Gesellschaft zu Strandgut verkommen, zu Abfall missbraucht, vieles reden wir uns schön, immer auf der Flucht vor der grausamen Wahrheit!

Liebe Grüße 

Perseus


 

Karl

Du kannst sehr gut schreiben!

Karl

Perseus51

Lieber Karl,

herzlichen Dank für deinen Kommentar!
Ganz lieb von Dir!
Das macht Freude und spornt an für zukünftige Projekte an.

Liebe Grüße 

Perseus52

ehemaliges Mitglied

Lieber Perseus51,

danke für Deine Geschichte, die sicher an keinem vorbeigeht ohne ein tiefes Bewegen im Herzen zu hinterlassen.

Ich habe mich darüber gefreut sie lesen und mitfühlen zu dürfen.

Herzliche Grüße

Brita 

Perseus51

Liebe Brita, 

wenn es nicht so schrecklich unhöflich wäre, nähme ich den Text, den ich der lieben Roxanna zudachte und kopierte ihn frech an diese Stelle! NEIN!
Herzlichen Dank für Deine liebe Rezension!
 „…ein tiefes Bewegen im Herzen…“  Herbstwind 123 v. 16. August
Genau darauf habe ich gehofft, dass Herzen bewegt werden!
Dass Du das explizit so geschrieben hast, ehrt mich zutiefst! Macht glücklich!
Das ermutigt zum Weiterschreiben!

Liebe Grüße 

Perseus51

Roxanna

Eine wunderschöne und bewegende Geschichte hast du hier aufgeschrieben, lieber Perseus51. Sie gibt eine Menge "Stoff" zum Nachdenken und es hat Freude gemacht sie zu lesen.

Herzlichen Gruß
Roxanna

Perseus51

Liebe Roxanna,

herzlichen Dank für Deine liebevolle Wertschätzung!
Das ging runter wie Öl, jetzt kann ich Dir nachempfinden!
 „…es hat Freude gemacht sie zu lesen.“  Roxanna v. 16. August
Das kommt einem Ritterschlag gleich!
Welche unbeschreibliche Freude hast Du mir damit bereitet, liebe Roxanna!
Hättest nur Du allein diese Geschichte gelesen, so sagte ich doch voller Begeisterung, ich werde gelesen!

Zuviel der Ausrufezeichen? Sicherlich!
…die überbordende Freude, welch ein Jubel!

Liebe Grüße 

Perseus


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