Schicksal ... ?

Autor: ehemaliges Mitglied

    Schicksal ... ?

Meine Bekannte Petra ist eine liebenswürdige, ehrliche, offene und lebenslustige Frau; doch leider absolut unzuverlässig. Sagt sie sich beispielsweise zum Kaffee am Nachmittag an, kann es geschehen, dass sie entweder erst am Abend oder am nächsten Tage – oder auch überhaupt nicht erscheint. – Sie hat es dann ganz einfach vergessen.

Ihr eine böse Absicht zu unterstellen, wäre absolut verkehrt. Petra ist einfach gedankenlos und nimmt solche Dinge auf die leichte Schulter. Sie weiß selbst, wie unzuverlässig sie ist und sagt mir darum immer wieder:
Warte mit dem Kaffee, bis ich wirklich eingetroffen bin; du kennst mich ja. Bereite nichts vor; dafür ist dann immer noch Zeit.“
- Ist sie dann hier, so vergisst sie die Zeit und immer frage ich sie:
Bist du sicher, dass du keine weiteren Verabredungen hast ?“
Manchmal fällt ihr dann ein, dass sie sich auch anderweitig verpflichtet hat, doch sei jene Verabredung ja nicht so wichtig. Ich muss sie dann regelrecht zwingen, ihr gegebenes Versprechen einzuhalten, indem ich sie mit sanfter Gewalt zur Haustür geleite. Öfters noch greift sie dann einfach zu meinem Telefon und sagt andere Verabredungen ab.

Die blonde Petra hat ein weiches Herz und kümmert sich gerne um die Sorgen Anderer; darum bin ich mir gewiss, dass es mir gelingen sollte, ihr den negativen Aspekt ihres Tuns begreiflich zu machen. – Ich warte nur auf eine passende Gelegenheit.

Wieder einmal hat Petra sich zum Kaffee angesagt und ist nicht erschienen. Drei Tage später ruft sie am frühen Abend an, um sich zu entschuldigen:
Bist du mir böse ? Du weißt ja, wie ich bin. Ich werde morgen Nachmittag vorbeikommen, um .....“
Das geht nicht,“ unterbreche ich sie, „ich fliege morgen nach Schottland, um an der Beerdigung eines guten Freundes teilzunehmen. Nach meiner Rückkehr werde ich mich bei dir melden.“
Da Petra äußerst neugierig ist, lege ich rasch den Hörer auf. So kann ich mir gewiss sein, dass sie nach meiner angeblichen Rückkehr bei mir erscheinen wird, um sich eingehend über meine Reise nach Schottland zu informieren.

Zwei Wochen später melde ich mich telefonisch bei Petra.
Ich bin seit vorgestern wieder Zuhause; falls du magst, kannst du in den nächsten Tagen einmal bei mir vorbeischauen.“
Petra mag. Bereits am gleichen Nachmittag steht sie vor meiner Türe. Mit ernstem Gesicht lasse ich das zierliche Persönchen herein. Wir gehen gemeinsam in die Küche, wo Petra den Kaffee für uns aufbrüht.
Sie dachte sogar daran, Kaffeestückchen vom Bäcker für uns mitzubringen; wie sie es auch zuvor schon öfters getan hat.
Wir nehmen im Wohnzimmer Platz und ich nippe an meinem heißen, ungesüßten Kaffee.
Nachdem die Nussstückchen verzehrt sind, gießt Petra uns eine zweite Tasse Kaffee ein, um mich dann aufzufordern:
Nun komm; erzähle! Wie kommst du zu einem Freund in Schottland?“
Ach Petra,“ seufze ich, „es ist eine gar zu traurige Geschichte und ich bin mir nicht sicher, ob du sie wirklich hören solltest.“
Dies verstärkt freilich ihre Neugier nur umso mehr; also beginne ich zögerlich:

Ich kannte George seit vielen Jahren und zwischen uns Beiden entwickelte sich eine ehrliche Freundschaft. George war zeitlebens ein ehrlicher, zuverlässiger Mann, auf dessen Wort man sich unbedingt verlassen konnte. Wie du weißt, komme ich beruflich viel in der Welt herum, so dass ich auch des Öfteren einen Abstecher auf die Insel machte, um meinen Freund zu besuchen.
Nun las ich vor mehr als zwei Wochen einen Artikel in einer englischsprachigen Zeitung über den tragischen Tod eines Brennmeisters mit dem Namen George Mac. Dougal und griff sofort zum Telefon, um zu erfahren, dass es sich tatsächlich um meinen Freund handelte. Die Geschichte ist wirklich eine äußerst traurige und sie hat mich sehr mitgenommen.“

Ich lege eine Pause ein, um einen Schluck Kaffee zu trinken – und fahre dann fort:
Wie bereits erwähnt, war George Brennmeister. Er arbeitete in einer kleinen Destillerie und war mit ganzem Herzen seinem Betrieb verbunden. Der Eigentümer des Unternehmens war schon sehr bejahrt, so dass ein Nachfolger gefunden werden musste, denn der einzige Sohn lebte in Amerika und zeigte kein Interesse an dem kleinen Betrieb. Es kam, wie es nicht hätte kommen sollen: - Der alte Eigentümer verstarb und der Sohn verkaufte die Brennerei an ein amerikanisches Unternehmen, welches die Produktion des guten, schottischen Whiskys einstellte, um stattdessen einen billigen Verschnitt nach amerikanischer Rezeptur herzustellen.
- Enttäuscht und empört gab George seinen Arbeitsplatz auf und verkroch sich für länger als ein Jahr verbittert in seinem Haus. Da alle Whiskybrennereien in Schottland ihren eigenen Brennmeister haben, war es ihm nicht möglich, eine andere Arbeitsstelle zu finden....

Nun meldete sich eines Tages ein Bekannter für einen bestimmten Tag bei George zum Besuch an.
George erklärte sich mit dem Termin des Besuches einverstanden und konnte somit eine Einladung von anderer Seite, welche ihn am folgenden Tage erreichte, nicht annehmen, da diese Einladung just auf den Tag fiel, für welchen George bereits anderweitig zugesagt hatte.

Was soll ich dir erzählen, Petra ? – Der Bekannte, welcher sich bei George angemeldet hatte, erschien an jenem Tage nicht, ohne seinen Besuch auch nur abzusagen, so dass George nicht hätte die zweite Einladung annehmen können.
Mein Freund, der die Zuverlässigkeit in Person war, hatte also gleich doppelt den Schaden auf seiner Seite. – Wenige Tage später stellte sich heraus, dass George durch die Absage der Einladung um den begehrten Job eines Brennmeisters in einer sehr bekannten und angesehenen Destille gekommen war....
- Noch in der gleichen Nacht verließ George sein Haus und erhängte sich am Ast eines Baumes in seinem Garten.“

Entsetzt blickt Petra mich an.
Das, das ist doch nicht möglich,“ flüstert sie erstickt.
Du musst bedenken,“ werfe ich ein, „dass George stets ein gewissenhafter Mann war. Ein gegebenes Wort hielt er stets und erwartete dies auch von Anderen. Niemals hätte George Schindluder mit einem Versprechen getrieben – und nun kam er durch das falsche Versprechen eines Bekannten um die Chance, einen sehr begehrten Arbeitsplatz zu erhalten.
Diese Arbeit bedeutete für George mehr als nur eine Verdienstquelle. Sie war sein Leben. - Dieses hat er nun beendet.“

- Petra ist den Tränen nahe. –
Könnte man dies nicht als Fügung eines schlechten Schicksales bezeichnen?“
Falls Schicksal, so war es ein herbeigeführtes,“ erwidere ich, „doch wer könnte wohl mit Fug und Recht ein solches Schicksal für einen Anderen bestimmen dürfen ?“

Nachdenklich sitzt Petra noch für lange Zeit bei mir in meinem Wohnzimmer, bevor sie sich endlich verabschiedet, um nach Hause zu fahren.
Die herzensgute Petra hat in Folge nie wieder eine Verabredung leichtfertig versäumt....

BMG
(Aus dem Band‘ Kurzgeschichten...wie sie das Leben schreibt‘ von B. Mich. Grosch)

 


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Kommentare (6)

indeed

Hallo Bernd,

deine Geschichte ist mit viel Witz und Hintergrund erzählt und ich habe mich köstlich amüsiert darüber, wie du Unzuverlässigkeit und mögliche Folgen mit etwaigen Konsequenzen als lehrende These dargestellt hast. Gut gemacht!

Liebe Grüße in den Tag und weiter so.
Ingrid

ehemaliges Mitglied

@indeed  'Indeed' (In der Tat) freue ich mich über Dein Lob und hoffe, Du wirst auch weitere Geschichten von mir lesen.
Liebe Grüße,
Bernd

werderanerin

Erstaunlich ist, dass du über Jahre soviel Geduld gezeigt hast...Verlässlichkeit auch Pünktlichkeit sind ja Tugenden, die für ein Zusammenleben nicht nur wichtig sind, sie sind oft extentiell.

Ich könnte das zwar für eine gewisse Zeit (vielleicht) tolerieren..., würde aber nie solch einen Menschen auf Dauer an der Seite haben können...egal wie, ob als Partner oder Freund o.ä. !

Das dieses Schicksal dann vielleicht auch diese Dame hat aufhorchen lassen..., zeigt ja, dass sie es kann !


Kristine

ehemaliges Mitglied

@werderanerin  Liebe Kristine, wie eingangs im Blog vermerkt, ist die Geschichte erfunden, wenn auch angelehnt an eine frühere Bekannte.
Gruß,
Bernd

ladybird

👍 sehr gut, wenn auch etwas traurig..meint mit Gruß ladybird

ehemaliges Mitglied

@ladybird  Dankeschön für das Lob.
Gruß,
Bernd


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