Pfingstglosse - 31. Mai 2009


Pfingstglosse - 31. Mai 2009



Was ich mag ...


... Pfingsten natürlich. Denn wie dichtete seinerzeit Goethe in seinem Versepos „Reineke Fuchs“ gleich zu Beginn „Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen“.
Aber hinterher ging’s gar nicht so lieblich, beschaulich und friedlich weiter, denn dieser Reineke Fuchs erwies sich leider als ein nicht friedlich-freundlicher Zeitgenosse, sondern ein durchtriebener, fast möchte man sagen bösartiger Zeitgenosse. Oder um es verkürzt mit Nietzsche zu sagen: menschlich-allzumenschlich, was wiederum kein so gutes Licht auf den Menschen als solchen wirft.

Man könnte direkt den Verdacht haben, daß der Menschen von Natur aus – „de natura“, wie wir Lateiner sagen (Sie wissen ja: Etwas Latein muß bei Bertha immer sein) – eine „Drecksau“ ist, wie wiederum Gerhard Polt in seiner direkten-tiefphilosophischen Erkenntnisdialektik es kurz und bündig formulieren würde.

Und um den Bogen wieder zu Pfingsten zu schlagen – der Volksmund würde hier sagen: um die Kurve wieder zu kriegen – ... offenbar bedarf der Mensch tatsächlich der Eingebung des Heiligen Geistes, um ein halbwegs erträgliches Wesen zu sein und seinen Mitmenschen ein mithin brauchbarer Zeitgenosse.
Ob heiliger Geist, göttliche Eingebung (Siehe Ludwig Thoma: Ein Bayer im Himmel) oder zumindest Geist, „a weng“ (so die pragmatisch-klugen Franken) Geist ... schaden „kunnt des ned“ (so in Obersöchering - gell, wo das man liegt!).

Allein die immer wieder erneute Betrachtung und Lektüre, das aufmerksame Studium und die tiefschürfende Analyse der Beitragsketten in den ST-Foren offenbart Bau- und Stadtpläne des menschlichen Geistes und überraschende und verwirrende Strukturen des neuronalen Straßennetzes, daß man wiederum geneigt ist, mit dem bayerisch-fundamentalistischen Phänomenologen Gerhard Polt zu aufrufen: „Dös is ja a Wahnsinn!“
Da wird ein durchaus einsichtiger und brauchbarer Straßenzug gelegt: Eine kluge und zutreffende Beobachtung zu der Tatsache, daß dieser schießwütige SED-Mann Kurras (damit soll nicht gesagt sein, daß SED-Männer und –Frauen grundsätzlich schießwütig waren) eben ein SED-Mann war.
So ... es folgen einige gut überlegte Gedanken, lies: Straßenzüge, so daß man geneigt war festzustellen: Naja, es geht ja. Hier marschiere oder wandere ich (zu Pfingsten eine ja angemessene Fortbewegungsart) weiter.
Dann aber ... Seitenstraßen, schmale, geistig sehr bescheidene Gäßchen, unsinnige Trampelpfade, Abkürzungen ohne jeden Sinn und jedes Ziel, geistige Sackgassen, pöbelnd-polemische Panzerschneisen, intellektuelle Einbahnstraßen ... jeder trampelt, stolziert, schlendert (ohne irgend etwas im Ganzen zu erfassen, allenfalls in der Absicht, den Vorschreiber schnell mal – so en passant – ans Bein pinkeln.
Inzwischen scheinen etliche der hier Marschierenden gar nicht mehr zu wissen, woher sie kommen, um was es geht ... man trampelt und plappert einfach unbedarft durch die Gegend. Wessen Geistes Kinder sind sie eigentlich? Und da wären wir wieder beim - heilig oder nicht - Geist, den Schutzpatron des Pfingstfestes.



Was ich so nicht so gerne mag ...

... das Fehlen von Geist, von Einsicht und der daraus resultierenden intellektuellen Bescheidenheit. denn nach wie vor gilt der Sokrates’sche Grundsatz: scio, ut nesciam. Oder auch: Gnothi seauton! (Nicht immer macht’s allein das Latein, es muß auch etwas Griechisch sein! Altes senorianisches Sprichwort).
Der Mensch gilt ja, so die Anthropologen und Biologen, als ein permanent juveniles Wesen, was die einen – wiederum so die alten Römer – auslegen in der Art wie: homo bonus semper tiro. Der gute (sic!) Mensch ist immer ein „Rekrut“, ein Lernender, immer jemand, der dazu lernt.
Andere wiederum legen diese anthropologische Charakterisierung so aus, daß es sich wohl bei dem Menschen um einen ewigen Kindskopf handelt, um ein Wesen, das irgendwie zwischen kindlich und kindisch angesiedelt ist, wobei die maskuline positive Variante das berühmte „Kind im Manne“ ist, beim femininen Verein die „ewige Prinzessin in und mit ihrem permanenten Pubertätscharme“ (Nebentip: Vor einigen Jahren eine Diplomarbeit betreut: Die Prinzessin – Vom Archetypus bis zum modernen Leitbild).
Bei den weniger brauchbaren männlichen Varianten würde der Ethiker und Moralist Gerhard Polt vom „Saubua“ oder direkt vom „Arschloch“ sprechen, die entsprechenden weiblichen Erscheinungsformen changieren zwischen Zicke und Ziege.

Aber bei unsere Betrachtung über Pfingsten, Geist und anderen Nebensächlichkeiten ist weniger kausal als teleologisch (für semantische Fundamentalisten: to telos = das Ziel). Denn es geht um die vielleicht naive, intellektuell unbedarfte Beobachtung, daß wohl nichts schwerer zu sein scheint, historische, zeitgeschichtliche Betrachtungen und Diskussionen zu führen.

Unbekannt scheint allein die Unterscheidung zwischen Quellenstudium, Lektüre historischer Darstellungen und eigener Erfahrung. Abgesehen, daß bei den beiden ersteren Tätigkeiten ein Fachstudium nicht völlig überflüssig ist bzw. sich durchaus als zweckmäßig erweist, ist der Knackpunkt die eigene Erfahrung, die offenbar jede halbwegs neutrale Betrachtung von Fakten, Schlußfolgerungen und Analysen unmöglich zu machen scheint. Die eigene Erfahrung – so würden Hirnforscher das wohl beschreiben – legt neuronale Verknüpfungen fest, die das weitere Denken prinzipiell steuern, auch wenn sich später erweisen würde, daß die realen Dinge in ihrer Gesamtheit anders waren und sind, als es die eigene Erfahrung suggeriert und gespeichert hat. Denn anders kann es wohl nicht sein, wenn man so die Diskussionsabläufe (von „Gedankengängen“ als eine „successio“ logischer Verknüpfungen kann man oft wirklich nicht sprechen!) so betrachtet.

So fehlt es allein an der Erkenntnis, Akzeptanz und Toleranz, daß eben jeder „seine eigenen“ Erfahrung hat, die durchaus meiner, eben der eigenen Erfahrung widersprechen, ohne aber deswegen per se falsch zu sein. Banal, aber letztlich doch eben zutreffend und wahr: Es gibt verschiedene Perspektiven. Welche ist die einzige richtige? Vermutlich immer die eigene ...

Allein das Erlebnis der DDR ... ich meine die Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind und dort ihre Sozialisation erfahren haben ... hat[te] so unterschiedliche Erscheinungsformen, aber es ist wohl unter den ehemaligen DDR-Bürgern nicht möglich, dies von einander zu registrieren und somit zunächst – als Phänomen – zu tolerieren. (Die eigene Bewertung und meistens – falls diese überhaupt jemand wünscht bzw. daran interessiert ist – ist ja einem trotzdem nicht genommen.)
Sondern die eigene Erfahrung wird verabsolutiert und als einzig wahrer und gültiger Maßstab genommen. Für den einen sind die fehlenden Südfrüchte, für den anderen der gescheiterte Fluchtversuch die Bezugspunkte. Der eine hat eine Bildung und Ausbildung erfahren, die er vermutlich in der BRD nicht (so einfach oder eben gar nicht) erhalten hätte, der andere beklagt die für ihn nicht ausreichenden Reisemöglichkeit in der ehemaligen DDR (vorausgesetzt, er hat[te] das Geld für solche Reisen).

Was läuft im Gehirn, im Bewußtsein bzw. vielmehr im Unterbewußtsein der Menschen ab, daß ich dem anderen nicht nur dessen „Wahrheit“ nicht zugestehen will (wie gesagt: Mir ist deswegen die persönliche Beurteilung dessen nicht genommen!), sondern daß nicht wenige reagieren auf andere Erfahrungen, Einsichten und Meinungen ablehnend, polemisch, aggressiv, abpöbelnd etc.

Lassen wir einmal außer acht, daß auch intellektuelle Bescheidenheit und fehlendes Wissen, daß Dummheit und Blödheit, Frechheit und fehlende Kinderstube innerhalb einer solchen Diskussion eine Rolle spielen können bzw. daß Höflichkeit und Takt, Erziehung und Manieren manchen offenbar zu fehlen scheinen ... was ist es, daß die Erkenntnisfähigkeit von Menschen so blockieren kann? Frühe, zu frühe, wohl eben traumatisierende Erlebnisse und Erfahrungen?
Vielleicht sind hier meine Beobachtungen, Gedanken und Fragen für jemand leichter zu verstehen, wenn ich auf ein anderes Land verweise ... der SPIEGEL brachte neulich als Titelthema „Hitlers willige Vollstrecker“, wo es in diesem Artikel um die freiwillige „Mithilfe“ französischer, niederländischer, lettischer, estnischer, polnischer, rumänischer, ungarischer, ukrainischer etc. Menschen bei der Judenverfolgung und Vernichtung ging. Im aktuellen SPIEGEL schildert ein polnischer Publizist, wie die polnische Öffentlichkeit auf diese Schilderung im SPIEGEL reagiert. (Ich hatte hier während der letzten Monate schon öfters Querweise gegeben; so z.B. auf den Fall Paul Grüninger in der Schweiz)

Aber so kann der/die aufmerksame LeserIn hier seit Monaten in den verschiedenen Foren beobachten und feststellen: Warum beschimpfen sich angesichts bestimmter unterschiedlicher Erfahrungen bzw. angesichts bestimmter Sachverhalte Menschen dann haßerfüllt, leugnen dann diese Sachverhalte bzw. beurteilen diese nicht sachgemäß? (Ein gängige Charakterisierung ist dann das Etikett „Nestbeschmutzer“ – das allein wäre einmal eine Glosse wert!) Warum wird die eigene Erfahrungen verabsolutiert, warum die eigene, manchmal recht schlichte Erkenntnis als alleinseligmachende Wahrheit gesehen, proklamiert und verteidigt? Tja ... vielleicht würde so eine „Geistsendung“ nicht nur zu Pfingsten etwas erhellend wirken, um jene sowohl kollektiv als auch individuell verankerten Mythen als das zu entlarven, was sie eben sind: Mythen.


Über mich, wenn'S wollen ...

Ich habe immer jene Menschen bewundert, die jenseits von Ideologien (denen sie oft selbst ausgesetzt waren und deren Täter und/oder Opfer sie waren), über die eigenen Erfahrungen hinaus weitergedacht haben.
Zum Beispiel Marion Gräfin Dönhoff, die nicht nur den Verlust ihrer ostpreußischen Heimat beklagte, sondern eben auch als Folge der Hitler’schen, der deutschen Politik sah. Oder jene englischen Bomberpiloten, die die Bombardierung der deutschen Städte als nachträglich als Terrorakt ansahen.
Menschen, die sich – vielleicht manchmal auch in schmerzhaften Prozessen – zu weiteren Erkenntnissen und Einsichten durchgerungen haben.

Als junger Mensch, als Kind in die Schweiz geschmuggelt worden (während die eigenen Eltern hier in Deutschland der Mordmaschinerie zu Opfer gefallen sind), überlebt und dennoch – wie einige andere Menschen jüdischer Herkunft und Glaubens auch – Deutschland als Lebensmittelpunkt gewählt.
Man verharrte nicht in der ewigen Opferrolle, sondern man setzte sich mit Deutschland und den dort lebenden Menschen auseinander. Ein eigener Erfahrungs- und Erkenntnisprozeß.

Oder in Israel. Jetzt könnte man meinen, daß nach dieser „Mordzeit“ einem Menschen jüdischer Herkunft nichts willkommener wäre als ein Leben in Israel, zumal Israel sowohl in der Vergangenheit als auch immer noch in der Gegenwart (gerade jetzt zum 60. Jahrestag der Gründung Israels) seine Gründungsmythen pflegt und auch jetzt, in der Gegenwart, nicht jeder Mensch in Israel dessen ganze gesellschaftliche und politische Geschichte wahrnehmen will und gelegentlich auch seine Ansichten, Einsichten und gegebenenfalls auch Meinung ändern müßte, um der angenäherten Wahrheit gerecht zu werden.

Aber bereits in den frühen 60er Jahren habe ich meine zunächst eher festen Vorstellungen sukzessive revidieren müssen. Dann als Kind, als Mensch des Kalten Krieges: Was habe ich und sicher nicht nur ich alles revidieren müssen, nachdem immer mehr Fakten, neue Erkenntnisse (nicht zuletzt nach 1989) zum bisherigen eigenen Erkenntnisstand dazu gekommen sind. Ob 17. Juni, ob Mauerbau, ob Kuba-Krise, die schier ewige Berlin-Krise, Vietnamkrieg ... bis zu den jüngsten politischen Ereignissen (besonders Kriege sind ja jene Zeitpunkte, an deren die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist) ... wie pflegt der schlichte Volksmund im diesem Falle so zutreffend zu sagen: Man lernt nie aus.
Bloß nicht nur jeder Mensch scheint dazu willig und/oder fähig zu sein. Vielleicht hat dieser Mensch nur noch nicht das Pfingstfest bewußt erlebt? Noch nicht sein Pfingsterlebnis gehabt?


Es grüßt zum Pfingstfest

Die Bertha
vom Niederrhein

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Kommentare (5)

Karl
So fehlt es allein an der Erkenntnis, Akzeptanz und Toleranz, daß eben jeder „seine eigenen“ Erfahrung hat, die durchaus meiner, eben der eigenen Erfahrung widersprechen, ohne aber deswegen per se falsch zu sein. Banal, aber letztlich doch eben zutreffend und wahr: Es gibt verschiedene Perspektiven. Welche ist die einzige richtige? Vermutlich immer die eigene ...

Du bringst es sehr gut auf den Punkt. Uns würden viele unnötigen Schärfen in den Diskussionen erspart, wenn dies berücksichtigt würde.
niederrhein Der Witz ist der ...

... daß ich mir dachte ... das Ganze liest sich wie ein verstümmelter transkribierter hebräischer Text ....


bi¨£osh¨¬ zh¨­ngx¨©n de g¨£nxi¨¨

Da war der spontane Eindruck gar nicht so falsch ... hihihi

Die olle Bertha
die sich über nichts mehr wundert
pelagia Erst jetzt sehe ich, dass meine Antwort nicht lesbar ist. Wahrscheinlich vergaß ich von meinem Lehrprogramm Hebräisch den Font umzustellen.
Also noch einmal in Klartext.
Auch ich danke für die Glosse, wenn auch nicht in Esperanto, so doch mit großem Interesse. Darauf einzugehen, in der von Dir gewohnten Komplexität, ist schwer, aber es regt an, darüber zu diskutieren, was wir in einem kleinen privaten Kreis tun. Bei Interesse gebe ich gern einmal Rückmeldung.
Vielen Dank, liebe Bertha
pelagia t¨®ush¨©-f¨£ngy¨¯u
marianne mi cxion legis.
Cxu vi, Bertha, ankorau konas min??!

Tion ne scias Marianne

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