Musikalischer Kulturgenuss in der City
An einem Nachmittag Ende September 2015 gab es in meiner Stadt einen verkaufsoffenen Sonntag in der City, verbunden mit den Jugend-Jazz-Tagen.
Eigentlich sollte ich mein geschwollenes Sprunggelenk schonen, aber ein wenig Bewegung brauchte ich dennoch und da der City-Bereich für mich mit nur gut fünf Minuten Fußweg – normalerweise – gut erreichbar ist, hab ich einen langsamen Spaziergang dorthin gewagt.
Noch bevor ich den Rathausplatz sehen konnte, hörte ich das Jugend-Jazz-Orchester spielen. Es spielte sehr gut, dieses Jugend-Jazz-Orchester eines hiesigen Gymnasiums. Ein wenig, denke ich, kann ich das beurteilen. Einen falschen Ton oder falsches Tempo konnten meine durchaus noch Musik geschulten Ohren nicht heraushören.
Immerhin verpasste unser Vater seinen drei Töchtern ab unserem sechsten Lebensjahr jeweils 10 Jahre Klavierunterricht bei den besten Lehrern unserer Heimatstadt, die er kannte. Hatte er doch selbst in seiner Jugend Klavier und Geige bis zur Konzertreife gespielt. Er hat als Sanitäter sogar seine Geige mit in den Krieg genommen! Nach dem Krieg hatte er als Geigensolist des münsterschen Stadttheater-Orchesters Auftritte bei Freiluftkonzerten im Schlossgarten absolviert, so dass er schon wusste, von wem er seine Töchter unterrichten ließ.
Es war strengstes familiäres Gebot, dass jede von uns täglich mindestens eine Stunde Klavier übte. Als die Stadt wieder eine Musikschule eröffnet hatte, gingen wir auch dort in den Unterricht. So sehr wir uns manches Mal gegen die tägliche „Klimperei“ ansahen – Vaters großer Friseursalon lag direkt unter unserer Wohnung und er hörte durchaus, ob wir nur „klimperten“ oder tatsächlich übten, was wir dann beim gemeinsamen Abendbrot oft genug zu hören bekamen. Auch unsere Großmutter war eine strenge Kontrolle.
Zu Familienfeiern wie Weihnachten war es stets meine Aufgabe, vor der Bescherung die angesagten Weihnachtslieder zu spielen, wobei mein Vater auf seiner Geige dann mein Klavierspiel und den familiären Gesang begleitete. Er hörte sofort, wenn ich bei der schwierigeren Version eines Weihnachtsliedes eine falsche Taste erwischte, mit 10 Jahren kommt das ja durchaus noch mal vor. Und schon sauste – trotz Weihnachten – sein Geigenstock auf meine spielende Hand! Auuuua!! Die Geigenstocksaiten sind bei solchen Schlägen auf den Handrücken sehr schmerzhaft, aber ich musste mir stets die Tränen verkneifen ...
Jeden Dienstag kam der Organist unserer Pfarrkirche für zwei Stunden zum Hauskonzert mit meinem Vater in unsere Wohnung. So sehr ich diese Abendmusik beim Einschlafen nebenan geliebt habe, verstanden habe ich bis heute nicht, dass unser Vater von seinen Töchtern das tägliche Üben verlangte, aber uns verbot, an den für die Öffentlichkeit stattfindenden Konzerte der Musikschule teilzunehmen, obwohl wir alle die Konzertreife erreicht hatten.
All diese Gedanken gingen mir an diesem Nachmittag beim Besuch der City durch den Kopf. Ich konnte nicht stehen bleiben, weil ich augenblicklich einen dicken Kloß im Hals hatte. Es rührt mich immer noch, wenn ich höre, wie gut ein Schülerorchester jazzt und damals sah, wie viele Zuschauer und -hörer an den auf dem Rathausplatz verteilten Tischen der Bistros und Cafes in der Sonne das schöne Konzert genossen.
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