Leben mit Oma

Autor: ehemaliges Mitglied

Leben mit Oma

Die Mutter unseres Vaters war unsere „Ersatz“-Mutter. Schon bevor unsere sterbenskranke Mama uns 1951 endgültig verließ, war sie gekommen, um uns zu bekochen, dafür zu sorgen, dass wir Kinder morgens pünktlich aufstanden, Frühstück bekamen und in die Schule bzw. die Jüngste in den Kindergarten marschierten.

Ganz so fit wird sie mit ihren 70 Jahren nicht mehr gewesen sein, denn unser Vater hatte zusätzlich ein „Hausmädchen“ eingestellt, das ihr das Putzen und Aufräumen abnahm. Unsere Älteste verarbeitete mit ihren gerade 12 Jahren den frühen Tod unserer Mutti mit viel Bockigkeit und war daher einige Jahre ab dem 5. Schuljahr in einem Internat. Uns zwei jüngere Schwestern konnte Oma noch gut bändigen.

Gern erinnere ich mich daran, dass sie eine von uns Mittwochs oder Samstags mit zum Wochenmarkt auf dem Domplatz Münsters mitnahm, um „ihr zu helfen“, das frische Gemüse oder auch mal ein fettes Schlachthuhn nach Hause zu tragen. Und wir gingen gern mit, denn dann hatten wir sie ganz für uns, konnten ohne Rücksicht auf eine Schwester mit ihr plaudern, fühlten uns schon ein wenig wichtiger. Und so ganz nebenbei fanden wir dadurch auch den nächsten Weg in die City, wo wir als Teenager dann doch mal das angesparte Taschengeld für extra neue Schuhe ausgaben. Kleidung nähte Oma uns, brachte uns aber auch bei, dies oder jenes Kleidchen selbst zu nähen. Und ein paar Jahre später wurde der Weg über den Domplatz dann auch mein Weg zu meiner Ausbildungsfirma am Prinzipalmarkt.

Anfangs fuhr sie mit uns auch noch an die See, wenn wir in den großen Ferien Urlaub auf Borkum oder Juist machten. Aber so ab der Mitte ihres 70. Lebensjahres wollte sie das nicht mehr. Oder lag es daran, dass es unserem Vater gefallen hatte, mal Urlaub in Tirol zu machen? Einmal riefen wir sie aus den Bergen zuhause an, ob sie in den Zug steigen würde und hinter uns herfahren möchte. Wir hatten so viel Spaß! Aber nein!

Im Nachhinein glaube ich zu wissen, dass sie zu der Zeit damals schon ihr nahendes Ende spürte. Wieder zu Hause brauchte es nicht mehr viele Monate, bis sie ihr Leben beendete. Sie aß einfach nichts mehr, verweigerte in den letzten drei Tagen ihres Lebens auch das Trinken, forderte den Besuch der in den letzten Jahren lieb gewordenen Verwandten an ihrem Bett, verabschiedete sich von jedem – und starb kurz nach ihrem 71. Geburtstag

Ich würde meine Tochterfamilie heute im Alter von fast 78 Jahren auch an die Küste von Nord- oder Ostsee begleiten. Aber in die Berge?? Luftnot und Rollator würden mich davon abhalten. Ob ich es meinen Lieben antun würde, mich so zu verabschieden, wie Oma es damals tat – ich glaube eher nicht. Im Nachhinein schockt es.

Max ist jetzt 10 ½, ich habe Omas Alter längst überschritten. Er und seine Mama (meine Tochter) durften schon das Schockerlebnis mit meinem Krebs verarbeiten. Wie lange ich noch bei ihnen sein darf, weiß nur der Herrgott. Aber ich hatte auch eine Tante, eine Schwester meiner Mutter, die mit 50 Jahren an Krebs erkrankte, operiert wurde und dann erst nach weiteren vierzig Lebensjahren mit 90 starb. Also nehme ich jeden Tag gerne an und lebe heute! Wie lange noch, interessiert weder mich noch meine Lieben. Wenn es soweit ist, ist's früh genug!!

 

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Kommentare (1)

ehemaliges Mitglied

Das ist ein sehr ergreifender Text, liebe nnamttor. Danke vielmals dafür. 
Ich bin auch mit meiner Oma aufgewachsen und empfinde dies als ein grosses Geschenk. Meine Eltern waren zwar auch da, aber sie arbeiteten den ganzen Tag bis spät in die Nacht. Die Oma war aber immer da. Mittags, wenn ich von der Schule kam, nachmittags, immer. Für mich war das wirklich ein grosses Geschenk. Aber ob es das für sie auch war? 
Natürlich lieben Grosseltern ihre Enkelkinder und meine Oma hatte ausser mir keine anderen. Aber der Preis, den sie hatte bezahlen müssen, um mit uns zu leben, war rückblickend doch sehr hoch. Sie war im Alter von 75 Jahren von Spanien in die Schweiz ausgewandert, hatte ihr geliebtes Elternhaus, ihre Freunde im Dorf, ihre einwandfrei gepflegten Gärten verlassen... Ich denke, das war zu viel des Guten. 
In der Schweiz hat es ihr freilich, materiell gesehen, an nichts gefehlt. Aber ich denke, es gibt auch Phasen im Leben, wo man einfach seine Ruhe haben möchte und das ist auch gut so. Nach einem beschwerlichen Leben ist es ganz natürlich, nicht mehr energiegeladen mit den Enkeln herumtoben zu wollen. 
Von daher finde ich es gut, dass auch du dir die Zeit zum Ausruhen nimmst. Man sieht in den Medien immer das Bild vom sportlich aktiven Rentner mit glattem Teint und den Muskeln eines Zwanzigjährigen. Dieses Leistungsdenken muss nicht sein und finde es problematisch. Ich finde, das Alter hat seine ganz eigene Würde, ohne dass man ständig herumrennt und jeden Trend mitmacht oder gar gezwungen wird, bis ins hohe Alter berufstätig zu bleiben. Wir jüngeren täten gut daran, die Bedürfnisse der älteren ernster zu nehmen und uns stärker auch danach auszurichten.  
Viele Grüsse


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