Leben mit den Toten


Liebe ST-ler.innen, auf eine manchmal eigenartige Weise treten Themen – und auch Bücher – an einen (wieder) heran. So ist es mir mit dem Buch von Hans-Peter Hasenfratz ergangen, das ich bereits im November 2004 auf meiner damaligen Senioren-Homepage vorgestellt hatte. Irgendwie möchte der Inhalt noch einmal zur Sprache kommen, und deshalb stelle ich das Buch hier noch einmal im ST für alle am Thema Interessierten vor:
         
 
 
Hans-Peter Hasenfratz:
 
Leben mit den Toten
Eine Kultur- und Religionsgeschichte der anderen Art
 
 
 Dem Buch vorangestellt:
 
"Es gehört zum großen Unglück der Welt, daß sie verlernt hat, mit den Toten zu leben und zu hören auf die stillen Einflüsterungen der Liebe aus dem anderen Reich."
Reinhold Schneider
 
         
         
Einführung des Verlages in das (1998 erstmalig erschienene) Buch:
 
"Durch Veröffentlichungen über Sterbebegleitung und sog. Erlebnisse in Todesnähe sind Sterben und Tod - lange von der 'Leistungsgesellschaft' tabuisiert - heute wieder ins Gespräch gekommen. Der Wunsch nach selbstbestimmtem und humanem Sterben hat Selbsthilfeorganisationen ins Leben gerufen. Einer 'postmodernen' Gesellschaft sind die Themen 'Tod und Sterben' durchaus wieder ins Bewusstsein gerückt, in gewissem Sinne geradezu 'in'. Aber das ist nicht alles. Wie steht es mit den Toten selbst? Verstorbene sind keineswegs nur 'Sachen'. Die Interaktion mit ihnen geht, zumindest in der Emotion und in der Erinnerung, weiter. Sie haben Schuldgefühle, Triebansprüche, Unausgelebtes und Unbewältigtes zurückgelassen oder mit 'hinübergenommen' und etwas hinterlassen, was es 'aufzuarbeiten' gilt. Es bleibt also eine wichtige Aufgabe: der sinnvolle, sinnstiftende kommunikative Umgang mit unseren Toten. Die vormodernen Gesellschaften kannten dafür bestimmte Regeln, weil für sie Tote immer Personen gewesen und geblieben sind, mit denen es weiterwirkende Beziehungen gab (auch wenn sie im Tod zu 'Un-Personen' wurden, die noch einmal von der Gemeinschaft getötet oder wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden mußten.) Die Regeln dieses Umgangs haben wir verdrängt und vergessen. Traditionelle Gesellschaften und unsere eigene Kulturgeschichte haben uns aber eine Fülle von Möglichkeiten solchen Umgangs überliefert und präsent gehalten. Sie werden hier vorgeführt - und unversehens eröffnet sich ein für heute spannender Einblick in menschliche Kulturkonstanten. Auch vergangene Formen rühren etwas in uns an. Sie können uns sogar als Suchbilder dienen für unserem Kulturkreis angemessene Formen des 'Zusammen-Lebens' mit unseren Toten - zu unserer und ihrer Lebens- und Todesbewältigung. Hasenfratz zeigt: Wo die Lebenden die Toten aus ihrem Leben verdrängen, sterben dem Leben gerade jene Wurzeln ab, die ihm Reife und Fülle zuführen. Diese These belegt sein Buch mit reichem kulturgeschichtlichem und religionswissenschaftlichem Anschauungsmaterial."
 
         
Meine damaligen Gedanken zum Buch:
 
"In traditionellen ('naturvolklichen')  Gesellschaften, antiken Hochkulturen, Hochreligionen, in der Folklore - und bei den Dichtern sind Tote immer Person gewesen und geblieben." (S. 9) Sehr handfest war der Umgang der Toten mit den Lebenden und - umgekehrt - der Lebenden mit ihren Toten. Es ist spannend, sich in die "reiche Palette von (religiös regulierten und kulturell kontrollierten) Möglichkeiten und Mustern" (S. 11), die die Geschichte überliefert hat, einzulesen!
 
Alle diese vielfältigen Formen des 'Lebens mit den Toten' setzen - so der Autor -  "die Erfahrung eines kommunikationsfähigen  (und -bedürftigen) Persönlichkeitskontinuums voraus, das den Tod überdauert - wie immer man sich die 'Beschaffenheit' dieses Kontinuums denkt." (S. 186)
 
Ein "bestimmtes neuzeitliches Wissenschaftsparadigma" teilt - so der Autor -  diese Voraussetzungen nicht; ebenso nicht die "Ganztod-Theorie" einiger Theologen. (S. 186)
 
Der Autor als "religionswissenschaftlicher Beobachter und Beschreiber" filtert am Schluss des Buches "ein paar Grundregeln für das 'Leben mit den Toten' heraus" (obwohl er der Auffassung ist, damit eigentlich schon zu weit zu gehen); dies aber  "im Wissen darum, daß, was wir sind, wir nicht nur durch (oder gegen) die Lebenden, sondern immer auch durch (oder gegen) die Toten sind." (S. 187)
 
Im November 2004
 
 
Zum Autor:
 
  „Hans-Peter Hasenfratz war ein Schweizer evangelischer Theologe und Religionsphänomenologe. Wikipedia
Geboren: 22. Februar 1938, Zürich, Schweiz
Gestorben: 15. Dezember 2016
Ausbildung: Universität Zürich“
(Google am 05. 09. 2020 entnommen)
 
 
Falls Sie sich eingehender mit den sehr interessanten Inhalten des Buches beschäftigen möchten: Ich habe gesehen, dass das obige Buch preiswert bei Booklooker zu erwerben ist.  
 
 
Mit besten Grüßen 🍁
Angeli44
 
 
Bild oben:  Buchumschlag des vorgestellten Buches                                 
 
 
 
         
 


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Kommentare (4)

Majorie

Danke fuer diese Einstellung, Angeli.

Ich selbst habe mich sehr oft mit dieser Thematik beschaeftigt und versucht,
gemeinsam mit meinem Mann, der Philosophie studiert hatte und mir 'Tagore'
nahebrachte, eine Antwort und einen Sinn in so vielen unbeantworteten Fragen
zu finden.

Wir lasen gemeinsam das verfasste Buch von dem Arzt und Scientist "Stephano Sabetti"
und fanden darin etliche Antworten re. dieser Thematik, die mir dabei halfen,
mit 2 schweren Schicksalsschlaegen umgehen zu koennen.

Das Buch hat den Titel 'Lebensenergie'. Es braucht einige Zeit um das von ihm
Geschriebene zu verstehen.

Der Tenor seiner Aussagen ist sinngemaess dergleiche wie in dem von Dir teilweise
zitierten Buch von H.P. Hasenfratz (was fuer ein spassiger Name) 😄, aber es zeigt dem
Leser auch wiederum eine differenzierte Betrachtungsweise des SEIN oder NICHTSEIN.

Ich muss das mal sacken lassen fuer eine Weile, ehe ich Dir eine klarere und bessere
Antwort auf diesen Beitrag geben kann. Ich melde mich wieder, da mich diese Thematik
von jeher sehr interessiert - und nach dem Tode meines Mannes habe ich Niemanden mehr,
der sich auch nur im Entferntesten mit einem solchen ernsten Thema befassen moechte.

Ich denke mal, die Angst vor dem Tode ist bei den meisten Menschen so dominant,
dass sie die Gedanken daran ganz einfach nach unten druecken und auch noch dicke
Felsbrocken darauf werfen, damit sie nicht wieder an die Oberflaeche gelangen.

Sie wollen ganz einfach nicht wahrhaben, dass der Tod zum Leben gehoert und wir ja
bereits anfangen zu sterben, nachdem wir geboren wurden.

Danke fuer die Einstellung, Angeli.

Herzliche Gruesse und einen schoenen Sonntag wuenscht Dir   Majorie

Das_Leben_ist_wie.jpg


 

Angeli44

@Majorie  


Liebe Majorie, danke für deinen interessanten Kommentar!
 
Das o.g. Buch von Prof. Hasenfratz (der Name ist wirklich lustig!) beschäftigt sich eingehend mit den Toten, und zwar wie und womit die verschiedenen Gesellschaften auf die Toten eingingen. Die Toten blieben  immer Personen und verlangten von den Lebenden, ihnen respektvoll und in der richtigen Weise zu „begegnen“. Taten die Lebenden das nicht, hatten sie mit vielfältigen Schwierigkeiten, bis hin sogar zum eigenen vorzeitigen Tod,  zu rechnen! „Die Lebenden waren vitaler, die Toten mächtiger“, führt Hasenfratz an einer Stelle im Buch aus.
 
Ich habe die vier Grundregeln, die Hasenfratz zum Umgang mit den Toten im o.g. Buch ausführt, hierher übernommen:
 
1.    Die Toten wollen in traditionellen Formen des Umgangs wahrgenommen sein.
2.    Die Toten wollen richtig verabschiedet sein.
3.    Die Toten brauchen Nähe und Distanz.
4.    Die Toten brauchen Versöhnung. (S. 189 ff. im o.g. Buch)
 
Das ist eine Art „Quintessenz“ aus dem Buch! – Wobei Hasenfratz die Meinung vertrat, dass er eigentlich mit dem Angeben von „Grundregeln“ in diesem Buch schon zu weit gegangen sei!
 
 
Wie das Leben so spielt:  Heute Morgen las ich in der FAZ.net einen Artikel über einen neuen französischen Film: „Drei Tage und ein Leben“, in dem es um die Verwickelung von Menschen (und Toten) bei traumatischen Ereignissen geht. Es ist zwar ein Krimi, beinhaltet aber viele Komponenten, die wir den geistigen und seelischen Bereichen von uns Menschen zurechnen können! Sehr interessant geschrieben. Habe deshalb auch den Link des Artikels hierher übernommen, vielleicht magst du mal reinschauen:
 
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/krimi-aus-frankreich-der-film-drei-tage-und-ein-leben-16938225.html#void
 
Herzliche Grüße, einen schönen Sonntagnachmittag

Angeli 😏
 
 
 
 

silesio

   Danke, Angeli, dass du die Gedanken immer wieder auch auf ernste Themen lenkst! Es kann doch einfach keinen Erfolg haben, den Tod wegzuschieben und zu leugnen in einer Welt, wo die meisten Nachrichten von Vernichtung, Krankheit, Angst, Verzweiflung usw. handeln.
    Ich denke gerade umgekehrt: Gerade, wer sich auch der dunklen Seiten bewusst ist, kann die vielen hellen Seiten der Welt dankbar geniessen.

Angeli44

@silesio  

Ja, das denke ich auch. - Danke für deinen Kommentar, der mir richtig gut getan hat!

Ein schönes Wochenende wünsche ich dir! 🌸


Angeli

 


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