Ich war Paulines Freund!


Ich war Paulines Freund!

 
Ich hatte meine Lehre abgeschlossen, was konnte mir noch passieren? Die Welt sollte mich mit offenen Armen empfangen. So war es geplant. Aber Planen ist eine Sache, die Realität eine ganz andere. Und das mit den offenen Armen - die waren wohl irgendwann in den Kriegsjahren amputiert worden.
Eine adäquate Beschäftigung in meinem - mit sehr gut bestandenem - Beruf war in unserer Stadt nicht zu bekommen. Nach Rücksprache mit dem damaligen »Arbeitsamt« hatte ich dann die »freie Wahl«, in einer der Ruhrgebietsstädte als Bergmann zu arbeiten. 


Ich war glücklich! Richtig glücklich kann man nur sein, wenn alles im grünen Bereich ist. Grüner konnte es für mich nicht werden! Aus einer »negativen« Berufsperspektive fand ich mich plötzlich in einer Zukunft wieder, die meine berufliche Zukunft rosig erscheinen ließ. Die große Auswahl an Bergwerken im »Kohlenpott« ließ mich die Stadt Dortmund wählen. Die Schachtanlage hieß »GOTTESSEGEN« in Dtd- Lüttringhausen!
Nach den ersten Wochen im Kohlerevier war ich - meiner Meinung nach - schon ein voll ausgebildeter Bergmann! Da kam dann der Premium-Rückschlag! Mein Reviersteiger, (der Vorgesetzte aller Kumpel in unserem Kohlerevier) nahm mich bei der Anfahrt am Morgen zur Seite. »Hör zu, Horst, unser Pferdejunge ist krank geworden, ich brauche für drei Wochen eine Vertretung. Ich hab da an dich gedacht. Ab morgen übernimmst du die Pauline, Alles klar?«

Ich hörte wohl nicht gut? (Pauline? Pferdejunge? Wat is dat denn nu? Wieso Pferd? Wat sucht ein Pferd Untertage im Kohleflöz? Dich geht dat woll nich gut, wa?)
Das waren Fragen, denen ich noch nicht gewachsen war. Ich hatte keine Ahnung, dass bis in die 60er Jahre noch verschiedene Pferde, meist Haflinger, den Männern im Bergbau treue Dienste leisteten!
Kumpel Emil zeigte mir den Weg zu Paulines Stall, etwa 500 m vom Schacht entfernt, Sehr geräumig, für einen Pferdestall sehr luxuriös eingerichtet, ich ziemlich erstaunt.

Und da war Pauline! Ein ziemlich massiges Mitglied der Mannschaft stand da vor mir. Das heißt: Ich stand vor seinem Hinterteil, weiter sah ich noch nichts von diesem Wundertier. Dann drehte sich das 14-jährige Mädchen herum und sah mich an. Beim Licht der Grubenlampe sah ich zunächst nur die Augen - wunderschöne Augen, wie ich sie noch niemals bei einem Tier sah. Ich war sofort von Pauline begeistert. Sie schüttelte kurz ihren Kopf mit der blonden Mähne, blähte ihre Nüstern und versuchte, an mir zu schnuppern. Kumpel Emil flüsterte mir zu, ich solle eine Möhre aus dem Korb nehmen, der vor dem Eingang stand, ich befolgte diesen Rat und sofort waren wir »zwei Freunde«, die eine Weile miteinander auskommen mussten.
 
Nun war ich als terminierter »Pferdejunge« ein bevorzugter Bergmann »first class«. Auf meinen Schichtlohn (der betrug 10,80 DM!) erhielt ich einen Zuschlag (den ich dringend nötig hatte) und war nun voll in den Ablauf des Tages integriert. Meine »Schicht« begann um 7.00 h morgens und endete um 18.00Uhr!
Bei Schichtbeginn, nachdem ich den Schacht verlassen hatte, rief ich laut: »Pauline« Aus der Ferne antwortete das brave Mädchen mit einem lauten Wiehern! Danach begann nach der Fütterungsstunde der Tagesablauf. Pauline musste aus einem Nebenstollen, (der vorangetrieben wurde,) jeweils einen Wagenzug mit sechs gefüllten Wagen mit jeweils einer Tonne Abbaugestein ziehen.
 Paulijne 2.jpg
Nichts leichter als das, dieses Gewicht schafft das brave Pferd problemlos die kilometerlange Strecke. Aber - wenn die Kumpel sich beim Beladen einen Spaß erlaubten, dem Zug einen siebenten Wagen anzuhängen, dann - ja dann war bei Pauline der Spaß zu ende. Pauline zählte beim Anfahren genau mit! Sieben war bei ihr ein Unding - sie blieb dann stehen und rührte sich nicht mehr! waren es beispielsweise nur drei oder vier Wagen, war das OK, bei Sechs jedoch sagte sie STOP.

Pauline ist mir im Gedächtnis geblieben, weil sie fast menschlich dachte. Wenn manchmal nichts zu tun war, legte ich mich in die Futterkrippe, neben mir der Hafer für das Pferd - und so frönten wir beide unserer Leidenschaft: Schlafen und Essen! Und damit niemand unser Tete-a-Tete stören konnte, stellte das Tier sich so hin, dass ihr gewaltiges Hinterteil den Eingang des Stalles völlig abdeckte!
So verzehrten wir unser Essen: Hafer für sie, Leberwurstbrote für mich. Dass Pauline Leberwurst auch mochte, stellte ich einmal fest, als sie mir dieselben vollständig verdrückt hatte und sie mich dann ganz treuherzig anschaute.
Der Abschied von Pauline fiel mir schwer, als ihr Betreuer aus dem Urlaub zurückkam.
Danach hatte sie dann ihren Jahresurlaub auf grünen Wiesen "Übertage". Und später, im Jahre 1952 ging sie in den wohlverdienten Ruhestand auf einem Hof im Sauerland! Sie hatte es sich wirklich verdient in den 12 Jahren ihrer schweren Tätigkeit als Grubenpferd unter Tage.

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Kommentare (8)

ehemaliges Mitglied

Sehr berührende Geschichte. Schön, dass auch die Arbeit des Pferdes wertgeschätzt wurde.
Vermutlich mehr als heute. 
Es wurde sehr einfühlsam erzählt und man merkt, dass dir das Pferd (vermutlich Tiere als solche) am Herzen lag. 
Schöne Grüße 
Gisela

keyly


Beim Lesen deiner berührenden Geschichte dachte ich an einen Spruch, den ich sehr liebe:

Wenn ich in die Augen eines Tiere schaue,
sehe ich kein Tier,
ich sehe ein Lebewesen,
einen Freund, eine Seele.

Daß du noch Fotos aus dieser Zeit besitzt, hilft Ahnungslosen, wie z. B. mir, bei der Vorstellung, was dieser Beruf einmal Mensch und Tier abverlangt hat.

Liebe Grüße Lydia

 

KarinIlona

Das ist eine wunderbare Geschichte, sie geht zu Herzen.
Danke,
KarinIlona

IndianSummer1952

Danke für Deine Geschichte, die mich sehr berührt hat. 
Ich hoffe, Pauline hat danach noch einige schöne Jahre im Sauerland erleben dürfen.

Die meisten jungen Menschen heute wissen nichts von den Grubenpferden und dass die Bergleute Kanarienvögel mit in die Grube nahmen. Hörten die Vögel auf zu singen, war das ein sicheres Anzeichen für tödliche Gase und die Männer verließen den Stollen. 

Einen Gruß und "Glück auf" aus dem Ruhrpott.
Anita

Pan

Glück auf, Anita!   Der alte Gruß wird auch wohl bald - mit den Zechen - von der Bildfläche verschwinden, denke ich, schade. Aber es freut mich, dass ich immer wieder Worte auf meine Texte empfangen kann!
Danke für Deine Worte.
(Übrigens: Die Kanarienvögel waren zu meiner Zeit nicht mehr nötig, es gab schon modernere Geräte für die Vorsorge vor Schlagwettern)
"Auf" sag ich mal - - - 🐎
Horst,

 

Distel1fink7

@Pan  
Hallo Horst,

ich lebe mitten im Kohlenpott. Hier hört man öfter " Glückauf".
Das mag auch daran liegen, weil hier der Fußballverein
"Schalke 04 " seine Heimat hat. Die meisten jungern Fußballer
haben Väter, Großväter, die Bergmann waren.
Mein Sohn, der leider viel zu jung starb, wünschte sich
an seinem Grab das Lied " Glückauf Glück auf, der
Steiger kommt ........ " Wir alle hatten Tränen in den Augen.
All seine Kumpelz waren gekommen, Kumpel  warst u,
weil der Zusamenhalt sehr groß  noch ist.
(auf Schalke im Revier.
Ja, ich habe vor Jahren Berlin verlassen, weil mich der Pott
rief.

Dank danke für die schöne Geschichte.

Distel1fink7
Renate
 

Muscari


Lieber Horst,

was für eine großartige Geschichte !!!
Auch wenn ich ein wenig überrascht war, dass Du

"als bevorzugter Bergmann »first class" und Pauline im Untertagebau tätig wart, hat mich Deine Erzählung schmunzeln lassen.

Rückblickend bin ich voller Bewunderung und sage Danke für die so lebendige Beschreibung.

Mit herzlichem Gruß,
Andrea


 

Pan

Hi Muscari, 
der Beginn eines Daseins ist meist bei unzulänglichen Mitteln nicht unbedingt das Non-Plus-Ultra, aber der Lernstoff ist unbegrenzt-
Horst grüßt herzlich …


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