Hausbauten
In den ersten 1950er Jahren bauten mein mütterlicher Großvater und sein Ältester, mein Onkel, an alter Stelle das im Krieg zerbombte Haus neu auf. Um keine Streitgkeiten unter Opas Kinder hervorzurufen, erhielten die Kinder meiner Großeltern alle ihren Anteil. Der Älteste baute auf dem Grundstück seiner Eltern ein großes Mehrfamilienhaus inklusive der Malerwerkstatt im Hof nahe dem Schulhof, so dass seine und Opas frühere Kundschaft "ihren" Maler leicht wiederfinden konnten, denn es führte inzwischen auch eine zuvor nicht existierende neue Straße in die City.
Gern erinnere ich mich, wenn ich mit dem Fahrrad von der Schule nach Hause fuhr, dass eine Zeit lang Opa mit seiner oft kalten Zigarre zwischen den Lippen dort am Zaun des Schulhofes auf einem Werkstatt-Stuhl saß und irgendein Teil mit frischer Farbe versorgte. Und immer freuten wir uns, einander zu sehen.
Meine Mutter war zu der Zeit schon verstorben, doch da sie für die ältesten Enkelkinder gesorgt hatte, erhielt unser verwitweter Vater für uns Kinder ihren Anteil. Davon erbaute er ganz in der Nähe seiner Schwiegereltern mein Elternhaus, damit sein Salon sich vergrößernd auch die Friseur-Kundschaft zu einem Besuch einlud. Mein Vater hatte sich inzwischen in unserer Stadt "einen Namen" erarbeitet, der heute noch für Kundschaft sorgt, und so lag es nahe, dass er den Salon in Familienhänden bestehen lassen wollte.
Doch in jenen Jahren war es noch nicht üblich, dass Frauen selbst als Geschäftsinhaberinnen auftraten. Es musste ein männlicher Nachfolger sein! Wir waren aber nur drei Mädchen, kein Junge dabei. Eine Kusine unserer verstorbenen Mutter war Mutter eines Sohnes und Kriegerwitwe, allerdings aus Gesundheitsgrün-den nicht mehr imstande, für einen männlichen Erben sorgen zu können. Unser Vater nahm sie dennoch zur Frau und hatte so einen männlichen Erben, nachdem er ihren Jungen adoptiert hatte. Mein Stiefbruder (eigentlich ein Cousin zweiter Linie) wäre gern Ingenieur geworden. Aber seine eigenen Großeltern redeten mit Engelszungen auf ihn ein, er könne sich doch "ins gemachte Nest setzen", und so wurde er Friseur und Erbe des großen, stadtbekannten Salons. Wir Mädchen hatten das Nachsehen!
Es war meine Bockigkeit, durch diese Maßnahmen nicht automatisch zur Ehefrau des mit mir gleichaltrigen Stiefbruders zu avancieren, wie es heimlich geplant war. Auch unsere Jüngste weigerte sich, in eine "Muss-Ehe" mit ihm gedrängt zu werden. Und so kam es, dass der abgelehnte Stiefbruder eine Außerfamiliäre zur Frau nahm. Da auch sie aus einer Friseursfamilie stammte, existiert der Salon immer noch unter dem Nachnamen unseres Vaters, aber nicht familiär gewachsen. Eine Tochter aus dieser Ehe führt den Salon heute noch, bislang gibt es keinen männlichen Nachfolger.
Was mir seltsam vorkommt: Zwischen meinen Schwestern, die beide Friseuse wurden, klappt der Umgang miteinander kaum. Bei mir meldet sich nur die Ehefrau meines Stiefbruders sowie meine jüngere Schwester immer mal wieder. Unsere Älteste lässt nichts mehr von sich hören, obwohl sie mich einmal wissen ließ, dass meine regelmäßigen Besuche bei ihr während ihrer sechsten Schwangerschaft sie endlich Mutter werden ließ, nachdem sie zuvor fünf Kinder verloren hatte, keinem das Leben schenken konnte. Kontakt habe ich nur zu meiner jüngeren Schwester. Ich weiß nicht, ob die ältere es mir verübelt hat, dass ich gleich mein erstes Kind, einen Sohn, großziehen durfte, dazu noch der erste männliche Nachfolger, den sich unser Vater so gewünscht hatte und nie selbst gezeugt hat. Aber das Leben schenkt eben das, was es gerade zu verschenken hat.
Eine Geschichte aus dem Leben, nicht von "... wünsch Dir was!"
Kommentare (0)