Hallignacht
Denn die Einfachheit rings herum lässt die Phantasie in uns wachsen und Blüten treiben, die bunter und wundersamer sind, als wir es uns jemals erträumt haben.
Der einfache Sessel, die Anrichte aus friesenblau gestrichenem Massivholz, das spartanische Bett regen die Gedanken zu den ausgefallensten Höhenflügen an,- und gerade unter der warmen Bettdecke, wenn der Glühwein seine Kräfte entfaltet, kommt es darauf an, wer gewinnt: Die innere Zufriedenheit, die Sicherheit, die in unseren Köpfen wohnt oder die Geister der Natur, gewaltig und furchterregend, unheilverkündend und unheimlich...
Der Geist, der sich damals näherte, war allerdings anfangs gar nicht als ein solcher zu erkennen: Eine kleine, weiße Wolke näherte sich von Land her, folgte aber schön brav den Schienen der Lorenbahn, die kalt und unbenutzt auf dem Wasser zu liegen schienen. Knapp über dem Metall raste diese Wolke auf die Hallig zu und wurde langsam immer größer, immer dunkler auch. Als sie den äußersten Rand des Bogens erreichte, den die Bahn auf ihrem Weg zu uns beschrieb, kamen die ersten Ausläufer des Sturms bei uns an. Wir fassten uns an den Händen und starrten das an, was sich da unheildrohend näherte. Automatisch wichen wir langsam zurück, schlugen den Weg ein zu den Häusern, den Blick in die Ferne gerichtet. Dort türmte sich nun bereits riesig hoch eine Wolke auf, die grau und doch auch schwarz-bunt leuchtend, langsam näher schlich. Wir lehnten uns gegen den Sturm, hielten mit der einen Hand unsere Jacken eng um die Schultern zusammen, hielten mit der anderen uns beide fest, versuchten, den Schritt zu beschleunigen, zu rennen. Nur schnell in den Schutz der Häuser gelangen! Dort war kein Mensch zu sehen, kein Fenster beleuchtet, niemandes Gesicht, das uns entgegensah.
Als wir die kleine Halligkirche passierten, hörten wir zum ersten Mal das Dröhnen, das an ein mächtiges Drohen einer noch mächtigeren Stimme erinnerte. Instinktiv duckten wir uns und versuchten, nicht langsamer zu werden.
Da, unser Haus. Prüfend glitten unsre Blicke über das Reetdach, es schien bisher unbeschädigt dem Sturm getrotzt zu haben. Hoffnung! Vielleicht würde die Hallig dem Furchtbaren, das sich ihr näherte, erfolgreich die Stirn bieten können. Regen peitschte uns ins Gesicht, ein grässlicher Unwetter. Da richtete sich die Wolke, dieser Koloss von Dunkelheit und wirbelnden Schwaden, hinter dem Haus auf und lehnte sich über das Dach, hüllte den Schornstein vollends ein. Wir erreichten in diesem Augenblick den Eingang, rissen die Tür auf und schlugen sie hinter uns zu, so schnell es ging.
Zunächst Stille im Hausflur, nur unser Atmen und Röcheln mischten sich mit dem Heulen, das durch die Tür drang. Wir eilten hinauf und schauten aus dem Fenster, nass und atemlos, wie wir waren.
Der Teich vor dem Haus bestand nur aus Wellen, Gischt und Brodeln. Die Laterne der Post, links vom Teich, baumelte wild durch die Luft, schickte gespenstisch ihr Flackerlicht durch die Dunkelheit, ein Wunder, daß sie noch nicht zerschellt war. Über dem Wasser stand nun das, was sich kaum erklären läßt. Eine drehende, schwarze Wolke oder ein schwarzer Haufen Nebel und Hagel, sich ständig verformend, manchmal Tentakel bildend, manchmal Arme mit riesigen Klauen, die nach unserem Fenster zu greifen schienen.
Wir zogen langsam unsere nassen Sachen aus, drehten die Heizung höher. Gegen die Fensterscheiben platschte es, als wenn jemand Eimer voll Wasser dagegen schüttete. Heulen drang nach wie vor durch die Zimmertür aus dem Flur zu uns, hoffentlich blieb die Haustür geschlossen.
Ein weiterer Blick durchs Fenster ließ uns erkennen, wie Teile des kleinen Zauns, der den Teich umgeben hatte, durch die Luft wirbelten; Schneeflocken mischten sich jetzt unter den Hagel, sie machten die Sturmwirbel noch besser sichtbar. Die Lampe der Post zerschellte nun endlich und es wurde stockdunkel,- nein, allmählich gewöhnten sich unsere Augen an die Dunkelheit und ließen einen schwachen Lichtschimmer von Land her erkennen. Dort gab es Licht, Wärme, Menschen, Hilfe!
Wir wandten uns von dem Grauen ab und sprangen nackt ins Bett, kuschelten uns aneinander. Das kleine Fenster an der Kopfseite des Bettes war dicht, aber auch dort drang von außen das Heulen und Dröhnen zu uns. Still lagen wir da und hielten uns aneinander fest. Angst rings um uns, das Unheilvolle könnte durch die Mauern und ihre Öffnungen dringen, Hoffnung, ES würde weiter ziehen und uns verschonen, dieses eine Mal noch...
Wir schlugen fast gleichzeitig unsere Augen auf, sahen uns an, fragend, verwirrt.
Jeder lauschte, sah sich irritiert um; Spannung schien von uns abzufallen. Sie stand auf und lief mit nackten Füßen zum Fenster, wischte mit der Hand über die beschlagenen Scheiben und sah hinaus. Sie winkte mir zu, unfähig, ein Wort zu sagen.
Auch ich sprang aus den Federn und huschte ans Fenster: Draußen war alles weiß! Schnee bedeckte die Wiese rund um den See, der teilweise zugefroren war; auf den kleinen Eisstücken lag auch jeweils ein Schneehäufchen. Die Post hatte keine Lampe mehr, nur die Fassung baumelte über der kleinen Treppe, die zu der Tür hinaufführt.
Und der kleine weiße Zaun rings um den See, der ruhig und friedlich in der Kälte lag, war an einer Stelle umgefallen; oder war er nur das Opfer von Kindern geworden, die allzu ausgelassen an seinem Ufer gespielt hatten? Denn kleine Fußstapfen ließen darauf schließen, dass in der Nacht oder am frühen Morgen jemand hier gewesen war; doch was oder wer und wie groß es oder er gewesen war, vermochten wir nicht mehr zu klären.
Und auch, ob unser innerer Friede oder die karge Gewalt der Natur heute Nacht gesiegt hatten, konnten wir beim Frühstück nicht mehr enträtseln.
Seltsam, war es nun eine unheilvolle oder heilige Nacht gewesen, dieses Jahr auf Oland?
© Werner N.
Der einfache Sessel, die Anrichte aus friesenblau gestrichenem Massivholz, das spartanische Bett regen die Gedanken zu den ausgefallensten Höhenflügen an,- und gerade unter der warmen Bettdecke, wenn der Glühwein seine Kräfte entfaltet, kommt es darauf an, wer gewinnt: Die innere Zufriedenheit, die Sicherheit, die in unseren Köpfen wohnt oder die Geister der Natur, gewaltig und furchterregend, unheilverkündend und unheimlich...
Der Geist, der sich damals näherte, war allerdings anfangs gar nicht als ein solcher zu erkennen: Eine kleine, weiße Wolke näherte sich von Land her, folgte aber schön brav den Schienen der Lorenbahn, die kalt und unbenutzt auf dem Wasser zu liegen schienen. Knapp über dem Metall raste diese Wolke auf die Hallig zu und wurde langsam immer größer, immer dunkler auch. Als sie den äußersten Rand des Bogens erreichte, den die Bahn auf ihrem Weg zu uns beschrieb, kamen die ersten Ausläufer des Sturms bei uns an. Wir fassten uns an den Händen und starrten das an, was sich da unheildrohend näherte. Automatisch wichen wir langsam zurück, schlugen den Weg ein zu den Häusern, den Blick in die Ferne gerichtet. Dort türmte sich nun bereits riesig hoch eine Wolke auf, die grau und doch auch schwarz-bunt leuchtend, langsam näher schlich. Wir lehnten uns gegen den Sturm, hielten mit der einen Hand unsere Jacken eng um die Schultern zusammen, hielten mit der anderen uns beide fest, versuchten, den Schritt zu beschleunigen, zu rennen. Nur schnell in den Schutz der Häuser gelangen! Dort war kein Mensch zu sehen, kein Fenster beleuchtet, niemandes Gesicht, das uns entgegensah.
Als wir die kleine Halligkirche passierten, hörten wir zum ersten Mal das Dröhnen, das an ein mächtiges Drohen einer noch mächtigeren Stimme erinnerte. Instinktiv duckten wir uns und versuchten, nicht langsamer zu werden.
Da, unser Haus. Prüfend glitten unsre Blicke über das Reetdach, es schien bisher unbeschädigt dem Sturm getrotzt zu haben. Hoffnung! Vielleicht würde die Hallig dem Furchtbaren, das sich ihr näherte, erfolgreich die Stirn bieten können. Regen peitschte uns ins Gesicht, ein grässlicher Unwetter. Da richtete sich die Wolke, dieser Koloss von Dunkelheit und wirbelnden Schwaden, hinter dem Haus auf und lehnte sich über das Dach, hüllte den Schornstein vollends ein. Wir erreichten in diesem Augenblick den Eingang, rissen die Tür auf und schlugen sie hinter uns zu, so schnell es ging.
Zunächst Stille im Hausflur, nur unser Atmen und Röcheln mischten sich mit dem Heulen, das durch die Tür drang. Wir eilten hinauf und schauten aus dem Fenster, nass und atemlos, wie wir waren.
Der Teich vor dem Haus bestand nur aus Wellen, Gischt und Brodeln. Die Laterne der Post, links vom Teich, baumelte wild durch die Luft, schickte gespenstisch ihr Flackerlicht durch die Dunkelheit, ein Wunder, daß sie noch nicht zerschellt war. Über dem Wasser stand nun das, was sich kaum erklären läßt. Eine drehende, schwarze Wolke oder ein schwarzer Haufen Nebel und Hagel, sich ständig verformend, manchmal Tentakel bildend, manchmal Arme mit riesigen Klauen, die nach unserem Fenster zu greifen schienen.
Wir zogen langsam unsere nassen Sachen aus, drehten die Heizung höher. Gegen die Fensterscheiben platschte es, als wenn jemand Eimer voll Wasser dagegen schüttete. Heulen drang nach wie vor durch die Zimmertür aus dem Flur zu uns, hoffentlich blieb die Haustür geschlossen.
Ein weiterer Blick durchs Fenster ließ uns erkennen, wie Teile des kleinen Zauns, der den Teich umgeben hatte, durch die Luft wirbelten; Schneeflocken mischten sich jetzt unter den Hagel, sie machten die Sturmwirbel noch besser sichtbar. Die Lampe der Post zerschellte nun endlich und es wurde stockdunkel,- nein, allmählich gewöhnten sich unsere Augen an die Dunkelheit und ließen einen schwachen Lichtschimmer von Land her erkennen. Dort gab es Licht, Wärme, Menschen, Hilfe!
Wir wandten uns von dem Grauen ab und sprangen nackt ins Bett, kuschelten uns aneinander. Das kleine Fenster an der Kopfseite des Bettes war dicht, aber auch dort drang von außen das Heulen und Dröhnen zu uns. Still lagen wir da und hielten uns aneinander fest. Angst rings um uns, das Unheilvolle könnte durch die Mauern und ihre Öffnungen dringen, Hoffnung, ES würde weiter ziehen und uns verschonen, dieses eine Mal noch...
Wir schlugen fast gleichzeitig unsere Augen auf, sahen uns an, fragend, verwirrt.
Jeder lauschte, sah sich irritiert um; Spannung schien von uns abzufallen. Sie stand auf und lief mit nackten Füßen zum Fenster, wischte mit der Hand über die beschlagenen Scheiben und sah hinaus. Sie winkte mir zu, unfähig, ein Wort zu sagen.
Auch ich sprang aus den Federn und huschte ans Fenster: Draußen war alles weiß! Schnee bedeckte die Wiese rund um den See, der teilweise zugefroren war; auf den kleinen Eisstücken lag auch jeweils ein Schneehäufchen. Die Post hatte keine Lampe mehr, nur die Fassung baumelte über der kleinen Treppe, die zu der Tür hinaufführt.
Und der kleine weiße Zaun rings um den See, der ruhig und friedlich in der Kälte lag, war an einer Stelle umgefallen; oder war er nur das Opfer von Kindern geworden, die allzu ausgelassen an seinem Ufer gespielt hatten? Denn kleine Fußstapfen ließen darauf schließen, dass in der Nacht oder am frühen Morgen jemand hier gewesen war; doch was oder wer und wie groß es oder er gewesen war, vermochten wir nicht mehr zu klären.
Und auch, ob unser innerer Friede oder die karge Gewalt der Natur heute Nacht gesiegt hatten, konnten wir beim Frühstück nicht mehr enträtseln.
Seltsam, war es nun eine unheilvolle oder heilige Nacht gewesen, dieses Jahr auf Oland?
© Werner N.
Kommentare (4)
marlenchen
Ich habe sowas auch schon mitgemacht,fand es im nachhinein aber Abenteuerlustig,aber ich habe das Gefühl noch in mir,endlich sicheren Boden unter den Füßen zu haben,ganz liebe Grüße an dich von Marlenchen
cariha
...kann ich endlich mal wieder meinen Mund schließen, den ich beim Lesen deiner Zeilen immer mehr staunend aufgerissen habe. Du schreibst einfach soooo spannend, Himmel!
Danke dir für diese schönen, interessanten und spannenden Minuten, die ich eben hatte.....
LIebe Grüße von Conny
Danke dir für diese schönen, interessanten und spannenden Minuten, die ich eben hatte.....
LIebe Grüße von Conny
pelagia
kann man ja öfter an der rauhen Nordseeküste erleben. was Du beschreibst, hat mich mal auf Amrum in Angst und Schrecken versetzt - und ich war allein.
Trotzdem liebe ich die Küste. Danke für Deine packende Schilderung.
Inge
Trotzdem liebe ich die Küste. Danke für Deine packende Schilderung.
Inge
Danke für den Einblick in einen Teil Eures gemeinsamen Erlebens.