Glosse vom 15. Mai 2009: Noch einmal das Thema "Mensch und Mythos" (aber dieses Mal mit Musik!)


Glosse vom 3. Mai 2009
Mensch und Mythos 2


Diese Glosse wird heute einmal von Musik begleitet; von dem Hazy Osterwald Sextett. Der Text des Liedes befindet sich am Ende dieses Beitrags. Sie werden sich wundern, wie aktuell dieses Lied ist ...


Was ich gerne mag:

... eigentlich lieber über die Fotografie schreiben – aber ich habe den berechtigten Verdacht, daß dies ohnehin niemand interessiert. Aber diese Glosse hier – gewissermaßen die Fortsetzung der vorausgegangenen Glosse „Menschen und Mythos“ – ob diese jemand interessiert?
Aber gerade dieses Jahr der Erinnerungen und der zahlreichen sogenannten Jahrestage erfordert – zumindest aus meiner Sicht – eine Fortsetzung der Gedanken über das Thema „Mensch und Mythos“.

So geistert seit Wochen diese merkwürdige Diskussion um die Erinnerung an die DDR – oder sollte man besser schreiben: um die „richtige“ Erinnerung an die DDR – durch die Gazetten. Kurios deswegen, weil dieser Staat – staatsrechtlich übrigens zweifelsohne ein „richtiger“ Staat – doch gleichsam ohne Sang und Klang zugrunde gegangen ist. Ergebnis einer Volksrevolution, der einzigen Revolution, die jemals hier im deutschen Sprachbereich, in Deutschland funktioniert hat. So weit, so gut, möchte man sagen. Historie, um die sich eigentlich nur noch die Historiker kümmern sollten.
Klar, der eine oder andere hat seine persönlichen Reminiszenzen an diesen Staat und an die Gesellschaft. Ehemalige MitarbeiterInnen der Staatssicherheit erinnern sich sicher ihre menschenfreundliche Tätigkeit im Sinne des – eben ihres damaligen – Staates oder Sozialismus; die „informellen MitarbeiterInnen“ der Stasi an ihre staatstragende Schnüffel- und Informationsbereitschaft. Übrigens ein Engagement, das unabhängig vom System, überall funktionierte und funktioniert. Vielleicht genetisch verankert: Der Mensch als Denuntiantenschwein, was ja Biologen immer wieder mit ihrem Hinweis auf die physiologische Ähnlichkeit zwischen Mensch und Schwein bestätigen und was der Volksmund mit philosophischem Tiefsinn schon immer wußte: Du bist eine Sau; Du frißt ja wie ein Schwein, benimmst Dich wie ein Schwein. Und welchem anderen Lebewesen attestiert man sonst, daß es schweinisch denkt und redet? [/indent]
Aber bei allem Respekt vor der Schnüffeltätigkeit gerade staatstragender Menschen – an die Geruchsleistung eines Schweines kommt der Mensch eben nicht heran. Vielleicht der „kleine Unterschied“ zwischen Mensch und Schwein, denn der Mensch ist niemals ein Trüffelschwein.

Aber wieder „ad rem“ („A weng“ Latein muß bei Bertha immer sein!). Lassen wir einmal eine persönliche Erinnerung und Bewertung der DDR außer acht – wen interessiert das eigentlich? – , so ist doch schon sehr kurios, mit welcher Vehemenz bestimmten Personen, Politiker und Publikationsorgane (FAZ, taz und „Neues Deutschland“ stehen hier stellvertretend für etliche andere Zeitungen) an einem „bestimmten“ DDR-Erinnerungsbildchen gelegen ist. D.h. man darf sich der DDR nur in einer gleichsam vorgeschriebenen Weise erinnern. Wohlbemerkt: Es geht nicht um eine Revision historischer Erkenntnisse, sondern darum, welches Bild die Menschen von der ehemaligen DDR wohl haben dürfen. Grob geschnitzt bzw. vereinfacht wiedergegeben: Die DDR war ein Unrechtsstaat, jede weitere differenzierte Erinnerung, Betrachtung und Bewertung darf wohl – so neulich in einem Leitartikel der FAZ – nicht sein? Verkürzen wir es etwas: es darf also nur ein bestimmtes, gewissermaßen offiziell-offiziöses Bild der DDR geben?
Nur nebenbei angemerkt: Auch kein deutsch-deutsches Problem, sondern bereits im bekanntlich sehr alten Rom stritt man sich um das richtige Geschichtsbild. Und das zieht sich durch alle dynastisch und staatlich verordneten Geschichtserinnerungen und Staatsmythen wie ein roter Faden bis in unsere Zeit – etwa die Beispiele BRD-DDR, Israel, Serbien, Ungarn – durch.[/indent]
Damit hier kein Mißverständnis zwischen den Mitlesenden und auch Mitdenkenden und mir besteht: Es geht nicht um die historische „reale DDR“, sondern um den Versuch, den Menschen ein bestimmtes Geschichtsbild der DDR zu verordnen oder gar in unserer Zeit, zwanzig Jahre nach dem Nieder- und Untergang der DDR, offenbar vorschreiben zu wollen. Denn DDR, Mauer, HO, LPG etc. ... alles „[i]tempi passati
“. Sie existieren nicht mehr, keiner will sie ...


Was ich nicht mag:

Aber hier kommt jetzt der Verdacht auf: Könnte es sein, daß auf diesem Weg, mit Hinweis auf die untergegangene DDR und der geradezu apodiktischen Forderung nach einem bestimmten DDR-Bild, abgelenkt werden soll? Denn mit dieser geforderten „absoluten“ Verurteilung der nicht mehr existenten DDR wird auf der einen Seite doch von einer historisch-kritischen Auseinandersetzung mit der BRD abgelenkt? Oder – und der Verdacht liegt vielleicht noch näher – will man von dem gegenwärtigen Zweifel am kapitalistischen System ablenken? Denn weltweit, nicht nur in deutschsprachigen Raum und Zeitungen, wird am Kapitalismus – vor allem in der gegenwärtigen Form – als ideale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gezweifelt, wobei die systemimmanenten Fehler nicht erst seit heute, sondern rund 150 Jahre erkannt und bekannt sind.
Denn es steht nun wahrhaftig nicht die untergegangene DRR zur Disposition und zur Diskussion – als wenn dieses Gesellschafts- und Auslaufmodell jemand revitalisieren wollte! – , sondern dem einen oder anderen kommt der Zweifel an dem prinzipiell unsozialen System des Kapitalismus und wieder wird die Frage nach einer sozial gerechteren Welt gestellt. Klar, daß der FAZ als ewiges Sprachrohr der Kapitalisten und als ausdauernder Apologet dieser Wirtschaftsordnung dies irgendwie nicht paßt. So „en passant“: Nicht umsonst publiziert sie jetzt eine Serie zur Verteidigung des Kapitalismus. (Ob dieser wohl im Internet frei zugänglich ist?)
Vielleicht sollte man nicht nur über die Unrechtstaten der vergangenen DDR reden – als wenn diese jemand ernsthaft bestreiten würde! – und in diesem Zusammenhang von dem vergangenen „prinzipiell menschenverachtenden System der DDR“ (so immer wieder in der FAZ), sondern von jener allzeit gegenwärtigen und weltweit verbreiteten „menschenverachtenden“ Wirtschaftsform des Kapitalismus? Denn nicht die Menschen, nicht das verträgliche und soziale Zusammenleben der Menschen ist das Ziel dieser Wirtschafts(un)ordnung, sondern ausschließlich der Profit, die Rendite einiger weniger ohne Leistung und Arbeit; ohne Rücksicht auf Menschen, Natur etc.
Falls jemand dafür einen Beleg benötigt ... der studiere einmal über längere Zeit und vor allem in dieser Zeit z.B. die Wirtschafts- und Finanzteile in der FAZ, NZZ, Financial Times etc. q.e.d.


Über mich

Ach ja … wie lernen es vermutlich die Kinderchen auch noch heute in der Schule: die persönliche Stellungnahme. Bloß welche Stellungnahme? Zu dem Komplex „Mensch und Mythos“? Zu verordneten Geschichtsbildern? Zur ehemaligen DDR, ihrer politischen Praxis, zum vergangenen Leben in jenem Staat? Zu den sicher subjektiv-selektiven Erinnerungen und Erfahrungen der Menschen an diese DDR? Zu gesellschaftlichen Utopien? Oder doch zum Kapitalismus?
Das Leben als permanente Entmythologisierung. Etwa der Eltern und anderer Götter, des Weihnachtsmannes und des Osterhasen (letzteres von mir ernsthaft zutiefst bedauert!), der Griechen und noch mehr der Römer (Sklavenstaaten, Militärdiktatur über Jahrhunderte hinweg) bis zur hübschen historisch verbrämten Vorstellung, daß etwa 1945 alle Menschen wirtschaftlich gleich gewesen seien (also alle gleich pleite, ruiniert etc.), daß alle bei Null begonnen hätten, daß die „soziale Marktwirtschaft“ eben eine sozial gerechte Gesellschaft garantiere.
Immer wieder muß darauf hingewiesen werden: Allein dieses politische Modell der [i]sozialen Marktwirtschaft beweist das implizite, systemimmanente Unsoziale, somit Unmenschliche, des Kapitalismus; deswegen das geforderte Korrektiv durch den Staat. Die immer stärker auseinanderklaffende soziale Schere allein in der BRD beweist, wie wenig das Korrektiv des Staates - eben durch die Proklamation der sozialen Marktwirtschaft - in der Praxis funktioniert bzw. die Schäden des Kapitalismus kompensieren und korrigieren kann. Zumal bestimmte gesellschaftliche Kräfte das Korrektiv des Staates zurückdrängen wollen (Westerwelle: Man muß dem Bürger die Eigenverantwortung zurückgeben.) bzw. der Staat für diesen sozialen Ausgleich immer weniger Geld zur Verfügung hat. (Daß auf der anderen Seite Summen als Garantieleistung in Aussicht gestellt werden, die geradezu astronomisch wirken, mutet in diesem Zusammenhang fast kurios ...[/indent]
Wohin und wie ich mich erinnere: Entmythologisierung allerorten und allerzeiten. Während des Zweiten Weltkrieges das politische etc. Verhalten in Staaten wie etwa Frankreich, Holland, Lettland. Litauen, Estland, Schweden und Schweiz.
In Schweden setzte sich 1993 [sic!] eine junge Historikerin mit dem Verhalten der schwedischen Regierung(en) während jener Zeit auseinander, was ihr natürlich das Epitheton „[i]Nestbeschmutzerin“ eintrug. [/indent] Auf die verschiedenen Mythen Israels habe ich schon einmal hingewiesen. Großbritannien tut sich mit verschiedenen Mythen auch sehr schwer. Die Mythen Stalin (gut, mehr ein innerrussisches und –georgisches Problem), Mao, Che ...
Mit der Entmythologisierung von Menschen tun sich die Menschen auch besonders schwer.

Dann die damalige Verfassungsdiskussion (1948!), Einführung der Bundeswehr oder besser: Wiederbewaffnung. Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, Mauerbau ... allein hier die offiziellen Darstellungen beider deutscher Staaten, wie sie sich etwa über Jahrzehnte in den Schulbüchern niedergeschlagen haben. Neben der Entmythologisierung der verschiedenen Mythen Israels – was mich aufgrund meiner Herkunft und Biographie besonders und persönlich berührt(e) - waren es der Vietnamkrieg und dessen propagandistische Verteidigung, auch oder vor allem hier in der BRD (Es würden in Vietnam Demokratie, Freiheit und Friede verteidigt werden – nichts von alledem existierte zu diesem Zeitpunkt in Vietnam!) etwas , was mich bewegte und dessen Entmythologisierung mich politisierte. Und damit immunisierte gegen Staatsideologien, Staatsmythen, gegen das national-nationalistische Gerülpse und Geraune, gegen das Wabern und Labern patriotischer Parolen ... aber wen interessiert’s?

Die Bertha
vom Niederrhein


P.S. Und hier der Text des Liedes:

[i]Der "Konjunktur Cha cha cha"
Musik: Paul Durand / Text: Kurt Feltz (1960)

Gehn' Sie mit der Konjunktur,
gehn' Sie mit auf diese Tour,
nehm' Sie sich Ihr Teil, sonst schäm' Sie sich und später
gehn' Sie nicht zum großen Festbankett.
Gehn' Sie mit der Konjunktur,
gehn' Sie mit auf diese Tour
sehn' Sie doch, die andern steht schon dort
und nehm' die Creme schon fort beim großen Festbankett.

Man ist, was man is(s)t nicht durch den inneren Wert,
den kriegt man gratis, wenn man Straßenkreuzer fährt
man tut, was man tut nur aus dem Selbsterhaltungstrieb,
denn man hat sich nur selber lieb.

Drum: gehen' Sie mit der Konjunktur,
Gehn' Sie mit auf diese Tour
Holen Sie sich ihre Kohlen wie der Krupp von Bohlen aus dem großen Weltgeschäft.
ho joho ho joho ho c'est la vie
oh joho ho joho ho und ich singe oh jo ho joho ho joho ho...

Gehn' Sie mit der Konjunktur,
gehn' Sie mit auf diese Tour
schöpfen Sie Ihr Teil
und schröpfen Sie, die anderen köpfen Sie sonst später ohnehin.
Gehn' Sie mit der Konjunktur,
drehn' Sie mit an dieser Uhr
laufen Sie, wenn's sein muss
raufen Sie und dann verkaufen sie mit Konjunkturgewinn.

Mein Freund hat 'ne Freundin und die ist Gott sei Dank
Chefsekretärin bei 'nem Boss von'ner Bank
der Chef geht mit ihr soupieren und gibt ihr im Schwips
für unsre Aktien ein paar Tips

Drum: gehn' Sie mit der Konjunktur,
gehn' Sie mit auf diese Tour,
Geld, das ist auf dieser Welt der einz'ge Kitt, der hält,
wenn man davon genügend hat. (noch einmal) wenn man davon...

(Copyright 1960 by Editions Paris-Étoile, Paris & Mondia Music, Genf. Für Deutschland, Österreich und die Schweiz: Edition Rialto Hans Gerig KG, Bergisch Gladbach)


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