Gedichte sind gemalte Fensterscheiben - Part IV
Johann Peter Hebel
war ein Zeitgenosse Goethes. Und nicht nur das: Die beiden haben sich im Oktober 1825 sogar getroffen. Goethe hielt sehr viel von Hebel und seinem dichterischen Werk, vor allem von den Alemannischen Gedichten.
Mir war für lange Jahre besonders seine Erzählung „Unverhofftes Wiedersehen“ ans Herz gewachsen; so sehr, dass ich eines Tages begann, mich intensiver mit dem Leben und Werk von Johann Peter Hebel zu beschäftigen. Mit meinem Aufsatz: „Kein Geringerer als Johann Peter Hebel – Hebel auf dem Dobel“ hatte ich 2016 sogar an einem Literaturwettbewerb teilgenommen. Der Beitrag, der Hebels Leben und Werk unter besonderer Einbeziehung seiner Ferien auf dem Dobel/Nordschwarzwald darstellt, wird auf meiner Webseite gerne aufgerufen und ist als Blog auch hier im ST schon seit einiger Zeit aufrufbar. Er erfreute sich bereits vieler Besucher*innen. Wer (noch) einmal reinschauen möchte, er steht hier bei „Bücher und Theater“ einige Blogs weiter unten.
Ich möchte die - recht kurze, aber eindringliche – Erzählung von einer Bergmannsbraut und ihrem Bräutigam „Unverhofftes Wiedersehen“ hier auch vorstellen.
Unverhofftes Wiedersehen
https://www.youtube.com/watch?v=0eLC9-qwpV4
Die schön rezitierte Erzählung - mit einer Einführung - dauert 6 ½ Minuten.
Nun komme ich endlich zu dem, was ja den Mittelpunkt auch dieses Lyrik-Blogs bilden soll. Zu seinen Gedichten. Davon habe ich drei herausgesucht:
Das Liedlein vom Kirschbaum
In alemannischer Mundart.
Sehr schön rezitiert und mit beeindruckenden, stimmigen Fotos versehen. Der in großen Buchstaben geschriebene Text ist passend zum vorgetragenen Text ins Video eingebunden. – Ein Abenteuer des Hörens, Sehens, Lesens und Verstehens!
https://www.youtube.com/watch?v=FA9sFh464Bs
Die Rose
Auf Hochdeutsch.
Hervorragend rezitiert und mit interessanten, stilvollen Bildern versehen. Ein Hör- und Sehgenuss.
https://www.youtube.com/watch?v=N2011atCDGc
Der Mann im Mond
https://www.youtube.com/watch?v=iiN9IcA7gT0
In alemannischer Mundart und fabelhaft rezitiert. – Das Video ist eindrucksvoll mit sehr schönen, stimmigen Bildern ausgestattet. Der in großen Buchstaben geschriebene Text ist auch hier passend zum vorgetragenen Text eingebunden. Prima. Macht Spaß, es sich anzuhören und anzusehen. – Ein Tipp für „Anfänger*innen in Alemannisch“: Das Video öfter anhalten, um so den Text – und nebenbei auch die Bilder - länger auf sich wirken lassen zu können. Bei manchen Wörtern muss man ziemlich knabbern, ehe man sie - wenn überhaupt - versteht!
Einen YouTuber lasse ich zu dem Gedicht auch noch zu Wort kommen:
Manfred Krahvor 4 Monaten
Des isch bigott Musik in miini Ohre!
Es sei noch der Hinweis erlaubt, dass Hebel aufgrund seines Gedichtbands Allemannische Gedichte gemeinhin als Pionier der alemannischen Mundartliteratur angesehen wird.
Ich wünsche Ihnen viel Freude - und auch Neugier - bei der Beschäftigung mit Johann Peter Hebel, seinen Erzählungen und vor allem seinen (alemannischen) Gedichten, wie sie jetzt bei YouTube in interessanten Gestaltungen angeboten werden.
Angeli44
Bild oben: Innenansicht der (evangelischen) Klosterkirche Bad Herrrenalb am 1. August 2015, eigenes Foto. Zum Klosterfest, das an diesem Wochenende stattfand, hatte die Kirche ihre Türen geöffnet.
Kommentare (14)
Eine gjute Reise, liebe Sirona. - Zumindest die Lokomotive sieht ja sehr vertrauenserweckend aus. So kann man nur hoffen, dass die ganze Bahnfahrt richtig gut verläuft.
Herzlich
Angeli
Liebe Angeli,
Meistens ist es so dass die ganz „Großen“ unserer Kultur ein sehr schweres Leben hatten. Irgendwo habe ich einmal gelesen dass der Mensch entweder durch Unglück zugrunde geht oder zur Reife gelangt. Bei Hebel und vielen anderen Größen unserer Kultur trifft letzteres in der Tat zu. Menschen die stets auf der Sonnenseite des Lebens stehen können die Tiefe und den Umfang menschlicher Gefühle meistens nicht erkennen und sind oft sehr oberflächlich veranlagt.
Ich denke auch dass Hebel mit „arabisch“ das Universum meinte, sprach er doch von Sonne, Mond und Sternen.
Liebe Grüße
Liebe Sirona, mir ist dann etwas später noch eingefallen, vielleicht meinte er sowohl „Sonne, Mond und Sterne“, also die „arabische Sternenkunde“, als auch den Psalter, also das Buch der Psalmen im Alten Testament (Christentum), übernommen aus der hebräischen Bibel (Judentum). Die Psalmen sind ja sehr vielfältig und auch großartig für’s persönliche Gebet geeignet. Ich beginne tatsächlich morgens meine Gebetsmeditation immer mit dem Aufsagen eines Psalms (in der Übersetzung von Eugen Drewermann), der mir sehr wichtig geworden ist. Es ist der Psalm 19, 2 – 15 und beginnt: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre, das Werk seiner Hände verkündet das All“. Aber es bleibt bei diesem Psalm eben nicht bei „Sonne, Mond und Sternen“, sondern der Beter wird dann im Laufe des Psalms auch sehr persönlich und spricht auch sehr persönlich mit Gott. – Ist so eine Idee, das Hebel das gemeint haben könnte.
Vielleicht magst du auch mal in meinen Blogbeitrag „Kein Geringerer als Johann Peter Hebel – Hebel auf dem Dobel“ hineinschauen und darin lesen? Er ist einige Blogs weiter unten, aber ich habe auch den Link noch mal kopiert:
https://www.seniorenportal.de/community/blog/geschichten-die-mir-in-erinnerung-bleiben-part-iv/1000449
Denn dort findet sich auch ein sehr schöner Lebenslauf von Hebel, der vom Bürgermeister der Stadt Hausen stammt und den ich übernehmen durfte. Aber auch alles andere ist bestimmt interessant. – Natürlich nur, wenn es deine Zeit erlaubt.
Herzliche Grüße
Angeli
Nun hab ich auch diesen Thread gefunden.
Im Hirtenbrunnen bei Schönau im Schwarzwald hab ich 1996 noch eine Wirtin erleben dürfen, die am Kachelofen Hebels alemannische Gedichte auswendig sagen konnte.
Seitdem war ich noch öfter im Südschwarzwald, auch in Ferienwohnungen, und hab in Hausen im Wiesental das kleine Museum besucht.
Hier im Thread "Schöne Lyrik" hab ich das Lied vom Kirschbaum alemannisch und schriftdeutsch eingestellt.
Vielen Dank fürs Erinnern.
Clematis
Liebe Ingeborg,
beim Lesen können solche Verwechslungen entstehen, da die Betonung fehlt. Jetzt habe ich es dank Deines Hinweises richtig verstanden.
LG Helga
Liebe Clematis, ich hoffe, ich bin an der richtigen Stelle gelandet, und du findest meine Antwort bei deinem Kommentar. Schön, dass es zwischen deinem Denken und Fühlen und meinem doch Gemeinsamkeiten gibt! „Der Kirschbaum“ von Hebel hat es auch mir angetan, und du findest ihn auf Alemannisch in meinem hier auch vorhandenen Blog: „Kein Geringerer als Johann Peter Hebel – Hebel auf dem Dobel“. – Habe Sirona oben den Link mitgeteilt. – Wenn du mal reinschauen magst?
Dem Bürgermeister von Hausen hat der Blog, der ja schon einige Jahre auf meiner privaten Webseite steht und den ich dann hierher übernommen hatte, jedenfalls auch gut gefallen.
Prima, dass du jetzt meine Lyrik-Blogs gefunden und reingeschaut hast.
Herzliche Grüße
und ein schönes Wochenende
Angeli
Nein, liebe Sirona, es war NICHT am Kachelofen Hebels, sondern im "Hirtenbrunnen" ein Gasthaus, in den ich öfter eingemietet war.
Grüssle
Ingeborg
Liebe Ingeborg,
Das war sicher eine sehr schöne Erfahrung, die Du hier erwähnst. Es muss ja ein richtig romantischer Augenblick gewesen sein, mit Frau Wirtin am Kachelofen Hebels seine Gedichte zu erleben.
Liebe Grüße
Helga
Hebels Sprache ist voller Wärme und zeigt die Liebe und Achtung vor Gottes Schöpfung. Im Schatzkästlein fand ich diese kleine Erzählung, mit der ich Deinen Beitrag ergänzen möchte. In die Rubrik "Aphorismen" hatte ich ihn bereits eingesetzt.
Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude
Oder wenn der Mond einmal bleich und mager, ein andermal rund und voll durch die Nacht spaziert, er weiß wieder nicht, wo das herrührt, und wenn er in den Himmel voll Sterne hinaufschaut, einer blinkt schöner und freudiger als der andere, so meint er, sie seien alle wegen seiner da, und weiß doch nicht recht, was sie wollen.
Guter Freund, das ist nicht löblich, dass man so etwas alle Tage sieht, und fragt nie, was es bedeutet. Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buch. Aber es ist arabisch, man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem Buch lesen kann, in diesem Psalter, und liest darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Straße ist, und wenn ihn die Finsternis verführen will, etwas Böses zu tun, er kann nimmer.
Also will jetzt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, danach über den Mond, danach über die Sterne.
Hans Peter Hebel
aus „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“
Eine gute Sprache ist das Tor zum menschlichen Herzen. Worte können aufrichtend, aber leider auch niederschmetternd sein. Bei Hebel allerdings fühle ich mich irgendwie "zu Hause".
LG Sirona
Guten Morgen Sirona,
das ist ja eine wunderbare „Lehrpredigt“. Ja, Hebel war eben auch Theologe. Das kommt hier zum Tragen. – Aber warum meint er, der Psalter (das Buch über die Psalmen im Alten Testament) sei arabisch? Es ist doch auf Hebräisch geschrieben worden. Aber vielleicht meint er, die „Himmelskunde“ sei vorrangig arabisch. – Wie auch immer, Hebel war ein großer Gelehrter, und ich frage mich, wie er sich damals sein immenses Wissen aneignen konnte. Das muss sehr schwierig gewesen sein. (Darüber schreibe ich auch ein wenig in meinem Hebel-Blog. Er schrieb ja während seiner Studien alles in Stenografie auf, und das ganz akribisch.)
Was wohl allgemein vergessen wird, Hebel hatte ein ausgesprochen schweres Leben. Das begann schon in seiner Kindheit (sein Vater starb, als er 1 Jahr alt war; seine Mutter starb in seinem Beisein, er war 13 Jahre alt, auf einer Reise von Basel nach Hausen) - und setzte sich später fort. Er hat dann auch noch viele Ämter übernommen. Ich glaube, er hat sich einfach überarbeitet, und ist ja dann auch recht früh gestorben. – Er war ein Kind einfacher Leute und hat sich gewissermaßen „hochgearbeitet“. Aber dieses „Einfache“ kommt in seiner Sprache auf wunderbare Weise zum Ausdruck. Und über seine Kindheit in Hausen im Wiesenthal schreibt er einmal in einem Predigtentwurf:
"Da habe ich frühe gelernt arm sein und reich sein […] nichts haben und alles haben, mit den Fröhlichen froh sein und mit den Weinenden traurig“.
Herzliche Grüße
Angeli
Unverhofftes Wiedersehen - eine unglaublich berührende Geschichte.
Mit den Gedichten hatte ich allerdings wegen des Dialektes einige Probleme.
Sehr gute Rezitatoren! Vor allem hat mir die sympathische Stimme des Vorlesers der Geschichte sehr gefallen.
LG Sirona
Bekannt ist auch das "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes". Das Büchlein erschien erstmals 1811 - vielleicht hat es sogar Beethoven gelesen.
Die in dem Büchlein zu lesenden Geschichten dienen dem heiteren und naiven Gemüt, der philosophischen Besinnung oder auch dem gelehrten Forschertum. Auf jeden Fall ist es lohnenswert sich mit Hebel einmal zu beschäftigen.
Die Glasmalerei ist eine Kunst die ich immer schon bewundert habe. Durch den Lichteinfall kommen die Farben erst richtig zur Geltung, wie auch auf dem von Dir, liebe Angelie, eingestellten Foto.
LG Sirona
Liebe Sirona, hinsichtlich des „Schatzkästlein“ zitiere ich jetzt aus meinem Blogbeitrag „Kein Geringerer als Johann Peter Hebel – Hebel auf dem Dobel“. (Das gesamte Zitat ist Wikipedia entnommen.):
Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler W. G. Sebald interpretiert in seinem Essay Es steht ein Komet am Himmel – Kalenderbeitrag zu Ehren des rheinischen Hausfreunds die Kalendergeschichten als tiefste emotionale Momente. Hebels Sprache kehre sich nach innen und der Erzähler lege uns beinahe spürbar seine Hand auf den Arm: „Hebel löst sich aus dem Zusammenhang des Lebens und begibt sich auf jene höhere Warte, von der aus man [...] hinübersieht in das entfernte gelobte Land der Menschen, jene Heimat eben, in der [...] noch keiner gewesen ist.“[43]
Das finde ich sehr schön gesagt! Hebel wurde auch von vielen Dichtern und Schriftstellern seiner Zeit sehr anerkannt und verehrt, so eben auch von Goethe, der besonders die alemannischen Gedichte lobte. - Martin Heidegger hat sich zu Hebel ebenfalls geäußert:
„Martin Heidegger meinte: ... sie (hier ist die Sprache gemeint, d.V.) sei die einfachste, die hellste, zugleich bezauberndste und besinnlichste, die je gesprochen worden sei ... In seinen Kalendergeschichten werde das Bleibende im Unscheinbaren anschaulich vermittelt.“ (Entnommen: ….dobel.de/gaeste/dobler-gedichte/eine-liebeserklaerung-an-den-dobel)“ (Ebenfalls meinem Blogbeitrag entnommen.)
Ja, so ist es! - In die alemannischen Gedichte muss man sich erst ein wenig einhören, dann aber macht es richtig Spaß zuzuhören.
Herzliche Grüße
und einen schönen Abend wünscht
Angeli
Liebe Angeli,
unter dem von Dir empfohlenen Link
https://www.seniorenportal.de/community/blog/geschichten-die-mir-in-erinnerung-bleiben-part-iv/1000449
gibt es ja allerhand zu lesen. Bestimmt werde ich dort "blättern" sobald ich Zeit und Muße habe. Momentan stecke ich in Reisevorbereitungen, am Donnerstag fahre ich für ca. 3 Wochen nach Kärnten zu meiner Tochter. Wenn ich zurück bin werde ich mit Sicherheit in Deinem Blog lesen, denn Deine Beiträge sind äußerst interessant und lesenswert.
Alles Gute und bis bald.
Herzliche Grüße von Sirona
Der Zug ist startbereit.