Es ist nie zu spät

Ein Blumenstrauß sagt mehr als tausend Worte, denn das Überreichen eines Blumenbouquets aktiviert im Gehirn die gleichen Bereiche, die auch für das Verarbeiten von Sprache zuständig sind.
Diese Tatsache konnte ich am eigenen wahrnehmen.
Seit vielen Wochen muss ich mich schon als Hausmann betätigen, z.B. Essen kochen, Wäsche waschen, Staubsaugen, meine Frau versorgen und natürlich Einkaufen.
Heute, nach vielen Jahren, habe ich mal wieder ein Blumengeschäft aufgesucht, ganz unbewusst, ohne Zielvorstellung, einfach nur so.
„Kann ich ihnen behilflich sein?“ wurde ich von der Verkäuferin aus meinen Träumen gerissen, denn ich wusste wirklich nicht, warum ich den Laden aufgesucht hatte.
Ganz verdattert antwortete ich:“ geben sie mir bitte ein paar Blumen!“
Egal, antwortete ich auf die Frage der Verkäuferin, welche Blumen es denn sein dürften, nur schön müssen sie sein.
Sie machte mir einen herrlichen Strauß bunter Herbstblumen fertig, ich bezahlte und schon war ich wieder draußen.
Die ganze Sache war mir irgendwie peinlich, denn die Verkäuferin musterte mich von oben bis unten und wird wohl gedacht haben, der Knabe hat wohl ein Stelldichein und ist schüchtern wie sonst was.
Naja, ich habe mir die Blumen unterm Arm geschnallt , um sie anschließend im Kofferraum meines pkw unterzubringen.
Auf der Heimfahrt gingen mir natürlich unsagbar viele Gedanken durch den Kopf, wie ich es meiner kranken Frau glaubhaft beibringen könnte, dass ich für sie Blumen gekauft hatte, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.
Denn es ist wirklich schon viele Jahre her, als ich meiner Frau das letzte Mal Blumen geschenkt hatte. Das ist nicht in Ordnung und dafür schäme ich mich auch.
Ob sie wohl gedacht haben mag, ob der Herby etwas zu verbergen hat, denn dieser plötzliche Sinneswandel kam für meine Rita doch etwas unverhofft….glaubte ich zu wissen…..
Nun, ich hatte mich für Blumen entschieden und wollte die Übergabe am Krankenbett meiner Frau auch nicht noch länger hinaus zögern.
Ich betrat ihr Zimmer mit einem unbeholfenen Lächeln, etwas verschämt und schüchtern, den Blumenstrauß hinterm Rücken versteckt und sagte, so mehr als beiläufig:“Ich hab dir ein paar Blümchen mitgebracht!“, damit du wieder schneller gesund wirst……
Sie sagte eine ganze Weile kein Wort, wir schauten uns nur in die Augen, so tief, als würden wir uns gegenseitig in die Seele schauen.
Wir waren beide nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen, Schweigen, nichts als Schweigen.
Mir kam es wie eine Ewigkeit vor, aber dann brachen sie aus, die Gefühle mit all ihrer Macht, wir lagen uns dankbar in den Armen, wir wussten beide, dass das Schweigen viel mehr aussagte als es je Worte vermögen.
Es war einfach nur Dankbarkeit, Dankbarkeit von beiden Seiten, Dankbarkeit für 43 Ehejahre, aber auch Dankbarkeit für die Blumen, die sie in den vergangenen Jahren so vermisst hat.
Nun wird sich die oder der eine die Frage stellen, warum ich in den letzten Jahren meiner Frau keine Blumen mehr geschenkt habe.
Ich könnte diese Frage nicht mal beantworten, weil ich es einfach nicht weiß.
Es ist wahr, dass meine Einsicht wirklich spät kommt, aber kommt sie wirklich zu spät?
Ich behaupte einfach, dass spät nie zu spät sein kann….

herby