Erlebnis mit Diabetes-Typ 1

Autor: ehemaliges Mitglied


Eben sah ich im TV eine Krimi-Sendung, die mir doch die Tränen in die Augen trieb. Eine Mutter vermisste ihre 16-jährige Tochter, bangte um sie, weil sie nirgends zu finden war, obwohl sie sich zum Basketball-Training abgemeldet hatte. Weder der Trainer noch drei Mitschülerinnen wollten wissen, dass das Mädchen auf dem Trainingsgelände gewesen sei.

In einem Ruheraum lagen allerdings die Utensilien der an Diabetes-Typ-1 Erkrankten, ihre Sporttasche stand davor – von dem Mädchen keine Spur. Und immer noch bestritten die vier jungen Leute, die Erkrankte gesehen zu haben – bis eines der Mädchen mit einem Foto auf ihrem Smartphone sich verriet. Es dauerte eine lange Zeit, bis die herbeigerufene Polizei die Typ-1-Diabetikerin per Drohne in einem nahen Waldgebiet fast leblos finden konnten.

Diese Geschichte erinnerte mich so sehr an ein übles Erlebnis, das auch meiner ebenfalls an Typ-1-Diabetes erkrankten Tochter passierte.

Ich hatte meinen an Krebs erkrankten Mann an einem Donnerstagmorgen im Februar 1993 zur Vorbereitung auf seine Operation am Freitag ins Krankenhaus gebracht. Natürlich war mir abends nicht danach zumute, zu Bett zu gehen. Dazu war ich viel zu aufgewühlt.

Gegen Mitternacht klingelte mein Telefon. Der diensthabende Arzt des städtischen Krankenhauses in Verden gab mir kurz angebunden die Nachricht: „... wenn Sie Ihre Tochter noch einmal lebend sehen wollen, kommen Sie umgehend hier her!“

Ich war fürchterlich entsetzt! Vermutete ich doch meine in der Ausbildung befindliche 22-jährige Tochter gesund im Internat in Hannover! Ich saß aufgeregt in unserem Zuhause am Teutoburger Wald. Fakt war: eine Reihe Absolventen hatten ihre bestandene Gesellenprüfung gefeiert. Gleichzeitig grassierte dort die Grippe. Meine Tochter hatte noch mit ihren Freunden mitgefeiert, aber dann schlug bei ihr wohl die Grippe zu, ihr Diabetes begann, durcheinander zu geraten, der Blutzuckerwert sackte auf 40 ab, sie war zu nichts mehr fähig, erbrach sich ununterbrochen.

Ihre Zimmerkameradin holte die diensthabende Internistin, die eigentlich hätte wissen müssen, was nun zu tun war, wenn meine Tochter nicht in den nächsten Stunden durch die starke Unterzuckerung und dem inzwischen entstandenen Flüssigkeitsmangel sterben sollte! Aber sie hatte offensichtlich keine Lust, diese akute Notsituation zu lindern. Sie verwies darauf, dass meine ständig erbrechende Tochter sich doch aus dem Nebenraum eine Flasche Wasser holen könne, ihren Blutzucker selber kontrollieren solle. Es wäre die Aufgabe der Ärztin gewesen, die diese aber verweigerte! Dann ging sie.

Der damalige Freund meiner Tochter ließ das nicht auf sich beruhen, trug seine Freundin zu seinem Pkw und fuhr mit der Ohnmächtigen nach Hause, wo seine Mutter umgehend dafür sorgte, dass meine Tochter ins Krankenhaus kam.

Zuhause war ich bereits so weit angezogen, dass ich nach Verden losfahren wollte. Das Telefon klingelte noch einmal. Nun war es die Mutter des Freundes, die mich benachrichtigen wollte. Gleichzeitig schellte es an der Haustür. Mein Sohn war gekommen, um mich nicht allein bei einsetzendem frostigen Schneefall-Wetter die 170 km zu seiner Schwester fahren zu lassen.

Wir düsten zum heimischen Krankenhaus, um meinem Mann diese Horrornachricht zu bringen. Er musste ja wegen der angesetzten Operation am Folgetag dort bleiben, war ja auch mit Schlafmittel versorgt. Daher nahm ich ihm seinen Pkw-Schlüssel weg, wollte damit verhindern, dass nun noch Schlimmeres geschehen könnte. Dann fuhren mein Sohn und ich die lange Strecke, kamen gegen drei Uhr nachts im anderen Krankenhaus an und erfuhren, dass meine Tochter immer noch im Zuckerkoma lag. Die nächste halbe Stunde Wartezeit erschien uns wie eine Ewigkeit!! Doch gegen halb vier Uhr morgens hatte der Arzt sie zurückgeholt, wir durfte zu ihr. So ein verwirrtes Gesicht habe ich bei meiner Tochter nie wieder sehen müssen!!

Nun versicherte man uns, dass sie gesund diese Nacht überleben würde und wir beruhigt nach Hause fahren dürften. Gegen halb sieben in der Früh kamen wir am heimischen Krankenhaus an. Ich berichtete kurz meinem Mann, dass unsere Tochter überlebt hatte, brachte meinen Sohn nach Hause, frühstückte und fuhr zur Arbeit. Erst gegen 17 Uhr rief ein Pfleger der heimischen Intensivstation an und ließ mich wissen, dass mein Mann seine Krebs-Operation gut überstanden habe – aber mich wolle er nicht sehen!

Dass es gute Gründe gab, weshalb er mich nicht sehen wollte, verriet der Pfleger mir nicht. Es ist schon eine schwierige Situation für einen frisch am Darm operierten Patienten, wenn Medikamente dafür sorgen, dass man sich nicht schnell genug melden kann, wenn es notwendig ist. Nach diesem stressigen vergangenen Tag und der schlimmen Nacht, in der ich keinen Schlaf hatte, brach ich zusammen … Ein paar Kollegen in meiner Arbeitsstätte bekamen das mit, wollten trösten – aber das konnte ich in dem Moment auch nicht mehr zulassen.

Die nicht helfen wollende Ärztin haben wir später verklagt, denn es ging um verweigerte und lebensnotwendige Behandlung. In einem ersten Verfahren wurde sie auch verurteilt. Doch der Widerspruch, unterstützt von einer Anwältin, die mit Lügen operierte, kam sie wieder frei. Ertragen kann meine Tochter es bis heute nicht, dass diese Frau in ihrem Unrecht dennoch Recht bekam, das Leben meiner Tochter aufs Spiel gesetzt hatte!
 

Anzeige

Kommentare (1)

ehemaliges Mitglied

Was für ein extremer Stress! Ich mag schon ganz gern spannende Geschichten, aber lieber erfundene als wahre.
Ich hoffe,  Dein Mann hatte mit der Entscheidung, Dich nicht sehen zu wollen, nur wegen seines postnarkotischen Zustands so reagiert. Aus eigener mehrfacher Erfahrung weiß ich, dass eine Narkose einen völlig neben sich stellen kann.  Am Anfang ganz besonders, aber das komische Gefühl kann auch gerne mal bis zu einem halben Jahr andauern. Was im Klinikalltag oft versäumt wird, ist die Aufklärung der Angehörigen zu diesem Phänomen. Schon blöd, wenn man vom Arzt erfährt, die OP sei gelungen, am Krankenbett des geliebten Menschen dann aber feststellen muss,  dass da - zumindest vorübergehend  - eine völlig veränderte Person vor einem liegt.
Ja ja, mit der ehrlichen Aufklärung hapert es schon oft in den Krankenhäusern, was meistens der mangelnden Zeit geschuldet ist.

Dir und Deiner Familie wünsche ich alles Gute!
Puzzlerike


Anzeige