eine Frau, die mich beeindruckt hat

Autor: ehemaliges Mitglied

Es war nur eine kurze Urlaubsbegegnung. Aber ich habe sie nie vergessen.

Es war in meinem Jugoslawienurlaub vor sehr vielen Jahren. Ich hatte eine Besichtigungsfahrt nach Split gebucht. Man traf sich morgens früh im Omnibus in der Altstadt von Dubrovnik.
Wie die meisten Teilnehmer saß ich schon im Bus; man wartete noch auf die letzten Ausflügler, als ich plötzlich auf eine immer lauter werdende schimpfende Männerstimme aufmerksam wurde.

Ein Mann beschimpfte mit unflätigsten Ausdrücken seine neben ihm sitzende Frau. Der Rest der Reisegesellschaft schwieg zunächst schockiert und starr vor Schreck. Offenbar ging es nur um eine Kleinigkeit: die Frau hatte anscheinend die Brötchen vergessen, die der Mann unterwegs essen wollte. Er schnauzte sie eine Weile an, während sie – sehr gelassen - schwieg oder höchstens ab und zu eine leise, beschwichtigende Bemerkung machte.

Die anderen Reiseteilnehmer bemühten sich, den peinlichen Vorfall krampfhaft zu ignorieren und sich normal weiter miteinander zu unterhalten, aber man riskierte den einen oder anderen verstohlenen Blick auf das Paar.

Er war etwa 40-45, beleibt und rotgesichtig. Die Frau mochte gleichaltrig sein, vielleicht auch etwas jünger, ein zartes Persönchen, auf schlichte und unaufdringliche Weise hübsch anzuschauen.

Als der Bus abfuhr, hatte sich der Mann beruhigt, und die Mitreisenden waren darüber sicher ebenso erleichtert wie ich.

Später in Split bei den Besichtigungen war der Mann wie umgewandelt, freundlich und jovial und ritterlich zu seiner Frau und uns anderen. Und offensichtlich verfügte er über hervorragende historische Kenntnisse; er übernahm sozusagen die Funktion des Reiseleiters, indem er uns die Sehenswürdigkeiten und ihre Geschichte erklärte. Er sprach fließend, locker und interessant.

Das muss ich zugeben, obwohl ich – ebenso wenig wie die anderen - sein schlechtes Verhalten morgens vergessen hatte, und obwohl ich seine Vorträge als angeberisch empfand. Aber vielleicht wollte er auch nur den hässlichen Eindruck verwischen.

Wenig später stand ich zufällig in der Nähe, als die Frau sich mit einer anderen Teilnehmerin unterhielt. Die Sprache muss wohl auf den morgendlichen Vorfall gekommen sein, denn ich hörte, wie die Frau ihren Mann freundlich in Schutz nahm und sagte, dass er ein schweres Nervenleiden hätte.

Ich habe später oft über das Paar nachgedacht. Lange habe ich nicht verstanden, wie eine Frau einen solchen Mann ertragen kann. Für mich war er ein Kotzbrocken, ein Ekelpaket, der eine solche Frau nicht verdiente.

Und ich konnte nicht begreifen, warum diese Frau sich mit einem solchen Stinkstiefel rumquälte.

Aber manchmal kommt mir eine Ahnung, als hätte es etwas mit Liebe zu tun. Und mit dem Eheversprechen "...in guten wie in schlechten Zeiten".


Es ist schon so lange her; die beiden leben wohl gar nicht mehr. Und ich frage mich oft, ob die Frau durchgehalten hat! Und frage mich außerdem: warum hat diese Frau mich so beeindruckt? Und das in einer Zeit, in der einem doch eher empanzipierte, kämpferische Frauen imponieren, die sich nichts gefallen lassen? Wenn ich das Zeug zum Schriftstellern hätte, würde ich aus ihr eine Romanfigur machen.

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