Ein Tag wie viele andere ...
"1000 Jahre und die Tage danach!"
Es war für einen kleinen Jungen gar nicht so einfach, vier Stunden lang mit dem Handwagen solch eine Tätigkeit auszuführen. Aber für einen pflichtbewussten deutschen Jungen gab es damals kein geht nicht! Das wurde uns so eingetrichtert und das war dann eine Tatsache, an der es nichts zu rütteln gab!
Ich lernte Grischa kennen, als er die besagten Kartoffeln in Säcke abfüllte. Er war ein Junge von 17 Jahren, dunkelblond und mit kornblumenblauen Augen. Ich fühlte mich unbewusst zu diesem sympathischen Jungen hingezogen, er war wie ein Freund für mich. Wir unterhielten uns, so oft es in der Woche ging, Grischa konnte sich gut in der deutschen Sprache ausdrücken. Ich hätte ihn gern nach Hause eingeladen. Das aber war nicht möglich, niemals durfte ich das tun.
Jetzt kann man fragen: War die Familie gegen Ausländer eingestellt? Nein, nicht im Geringsten! Aber Grischa war ein ›Ostarbeiter‹ und stammte aus der Ukraine. In Winnyzja am Bug war er zu Hause, mit vielen anderen seines Alters wurde er zwangsrekrutiert, um in Deutschland als Arbeiter in der Landwirtschaft zu arbeiten. Die Deutschen waren allesamt damit beschäftigt, dem GröFaz ("größten Feldherrn aller Zeiten") verlieren zu helfen!
Grischa jedenfalls hatte es nicht gut getroffen. Der Bauer, für den er arbeitete, war ein richtiger, es muss mal so ausgedrückt werden, ›Saukerl‹! Grischa hatte seine Schlafstatt in einer Ecke des Kuhstalls, ein Haufen Stroh diente ihm als Bett. Die Verpflegung war miserabel und für jede Kleinigkeit, die dem Hofherrn nicht passte, wurde der Junge geprügelt. Und zwar stets mit einer Reitpeitsche, die der Bauer mit sich führte.
Am Freitag, dem letzten Tag meines Dienstes in der Woche, kam ich mit meinem Handwagen gegen zwei Uhr auf den Hof. Zwei Säcke mit Kartoffeln standen schon abholbereit. In einer Ecke der Kartoffelscheune kauerte Grischa, das Gesicht blutüberströmt. Eine klaffende Wunde am Kopf war der Grund. Ich fragte ihn nach der Ursache dieser Verletzung. Erst nach langem Abwehren und auf mein Drängen hin erzählte er mir, dass der »Chef«, wie er ihn nannte, ihn mit einer Mistgabel geschlagen habe, weil er nur fünf Minuten seiner knappen Mittagspause verschlafen hatte!
Da fasste ich einen Entschluss, der für uns beide folgenschwer war! Wir luden die Kartoffeln auf den Wagen, dann nahm ich den sich sträubenden Grischa mit zur Stadt. Am Ziel angelangt, ließen wir den Wagen stehen. Ich begleitete nun Grischa - gegen seinen Willen - zur Polizeiwache, die sich im Rathaus - am Stephansplatz der Stadt Stolp - befand!
Ich betrat mit ihm die Polizeiwache. Das Blut in seinem Gesicht war inzwischen getrocknet, aber die Wunde auf dem Kopf sah fürchterlich aus und hätte gewiss genäht werden müssen. Die Polizisten in der Wache, vier oder fünf an der Zahl in grünen Uniformen und dem damals obligatorischen Tschako auf dem Kopf, betrachteten uns misstrauisch. Dann fragte mich einer von ihnen, was wir wollten. Ich schilderte dem ›Schutzmann‹ den Hergang des Geschehens. Der schaute mich von oben bis unten an und lachte lauthals! Dann fasste er Grischa mit zwei Fingern an einem Ohr, verzog sein Gesicht zu einem ekelhaften Grinsen und bedeutete einem der anderen Polizisten, mit ihm in den Nebenraum zu gehen. Grischa schaute mich nur angstvoll an. Ich wollte ihnen folgen, das wurde mir verwehrt.
»Du bist ein deutscher Junge, ja? An deiner Uniform sehe ich, dass du zu unserem Führer gehörst. Gibst du dich dann mit diesen Untermenschen ab? Du solltest dich schämen, pfui Teufel!«
Der Polizist stieß die letzten Worte aus sich heraus, dass sie wie Schmutz an mir hängen blieben. Dann musste ich noch meine Adresse angeben, anschließend öffnete der Schupo die Tür und schob mich auf die Straße.
(Mutter erhielt ein paar Wochen später ein Strafmandat über 15,- Reichsmark wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht!)
Ich habe Grischa niemals wieder gesehen, habe nie erfahren, was aus ihm geworden war. Ich wollte ihm helfen und bewirkte genau das Gegenteil. Darüber war ich sehr traurig. Allein, dass ich mit ihm zur Polizei ging, hatte ihm wahrscheinlich nur geschadet! Bis heute bleibt dies ein unvergesslicher schwarzer Punkt in meinem Denken.
bis ich einen traf, der keine Füße mehr hatte!
(Giacomo Leopardi)
Kommentare (7)
Lieber Horst,
ja, das sind die ganz schlimmen Erinnerungen, von denen vor allem die älteren Zeitzeugen bis heute verfolgt werden
Dein Erlebnis hat mich total schockiert. Wieder ein Beispiel für das damalige unmenschliche Verhalten.
Aber es ist gut, dass Du es hier erzählst.
Danke.
Es war schrecklich, wie sich das "verführte Volk" zu unmenschlichen Aktionen hat verführen lassen!!
ich bin froh, dass diese Zeit wenigstens bei uns nicht mehr vorherrscht. Doch leider gibt es immer noch Länder, wo so etwas an der Tagesordnung ist! Wir sind doch alle Menschen!!!
> ich bin froh, dass diese Zeit wenigstens bei uns nicht mehr vorherrscht. <
Bist Du da ganz sicher?
Es gibt Vogelgezwitscher -
aber leider auch Gewittergrollen ....
@Pan
Vielleicht lebe ich in einem Umfeld, in dem "SO ETWAS" derzeit nicht vorstellbar ist.
Meine Tochter hat gerade eine Coaching-Schulung mitgemacht, in der vermittelt wurde, wie den Kindern und Jugendlichen ein friedvoller Umgang miteinander vorgelebt (beigebracht) werden und es erfolgreich weiterzugeben gelernt werden kann. Auch wenn es weit verbreitet ist, den "Mächtigen" zu spielen, es gibt immer irgendwo eine Möglichkeit, dessen Tun zu minimieren, zu verhindern oder umzukehren.
Ich weiß aber auch, dass es nicht zu übersehen ist, wie "Mobbing" und radikale Umgangsweisen sich verbreiten. Doch wenn nichts dagegen unternommen wird, wird sich das "Machtgebahren" diverser Gruppen weiter verbreiten! Auch wenn etwas "im kleinen" beginnt, sollte doch mutig weiter gegen die auftretenden hässlichen Neu-Gewohnheiten gekämpft werden!
Die Vögel wissen sich im allgemeinen gegen Unwetter weitgehend zu schützen, Gewittergrollen ist oft dämonisch, aber jedes Grollen ist relativ vergänglich ...!! Auch wenn ein "Raubvogel" kleinere Vögel gern verfüttert, wir wissen, dass es sehr viel mehr kleine Vögel als große gibt.
Eine beklemmende Begebenheit!
Danke dir trotzdem fürs Teilen, weil es wichtig ist, davon zu erzählen.
liebe Grüße
WurzelFluegel
Sehr erschütternd diese Begebenheit. Es waren schlimme Zeiten.
Heute wirken sie noch nach. Gut ist, wir erinnern uns und geben diese
so oft wie möglich weiter. Wir hatten uns geschworen
Nie mehr wieder!
Danke fürs Erinnern und Erzählen.
Distel1fink7