Eigentlich ein November-Thema ...

Autor: ehemaliges Mitglied

Eigentlich ein November-Thema ...

Natürlich haben wir unseren gut siebenjährigen Max vor fast einem Jahr nicht mit zur anonymen Urnenbestattung seines Opas mitgenommen.

Doch, er hat seinen Opa in den Monaten zuvor immer wieder besuchen dürfen, bis der Opa sich entschied, für das Ende seiner Erkrankung sich erst auf einer Palliativstation und kurz darauf doch in einem Hospiz betreuen zu lassen. Noch im eigenen Zuhause konnte der Enkel ihn als kranken Opa kennenlernen, aber dem alten Herrn das Sterben im Gesicht ablesen zu können, das wollten wir dem Jungen nicht zumuten. Er ist sehr mitfühlend, empfindsam. Einige Male durfte er noch mit dem Opa skypen, aber danach erklärte ihm seine Mama, wie es um den Opa stünde.

Max hatte ja schon mitbekommen, wie sehr sich sein zweiter Opa in seiner Demenz verändert hatte, vor ihm flüchtete der Junge, wenn er ihn nur sah. Unser Junge vermisst bis heute seinen Baby-Freund Utz, der durch eine unzureichende tierärztliche Behandlung sein Leben verlor. Damals – Max war knapp drei Jahre alt – konnten wir ihm noch erzählen, Utz sei jetzt im Hundehimmel, wo es ihm sehr gut gehe.

Doch bei seinem Opa zu erleben, wie dessen Gesicht doch immer wieder Schmerzen, Lebensmüdigkeit zeigte, das wollten wir beiden, Opa und Enkel, nicht zumuten.

Ich selbst war sechs Jahre alt, als meine Mutter todkrank kaum noch trinken konnte, wir Kinder uns nur noch leise durch die heimische Wohnung bewegen, nur flüstern, keine Freunde zum Spielen mitbringen durften. Vier Wochen vor ihrem abzusehenden Tod schickte unser Vater uns mit unserer Haushaltshilfe, die wir schon lange kannten, zu deren Eltern auf den Bauernhof. Den Tod unserer Mutti haben meine damals vierjährige Schwester und ich nicht miterlebt, auch die Beerdigung nicht. Und somit habe ich auch nicht den Schmerz unseres Vaters,seiner Mutter sowie der ganzen großen Familie unserer Mutter miterleben können.

Das ist etwas, das in meinem Leben fehlt …!! Auch danach hat niemand uns Kleineren das plötzliche Nichtmehrvorhandensein unserer Mami, ihren Tod, die Trauer und den empfundenen Verlustschmerz erklärt. Lediglich meine vier Jahre ältere Schwester hat das alles miterlebt. Sie hatte aber auch – warum? – ein halbes Jahr später das Verlangen, mir damit zu drohen, wenn ich nicht täte, was sie von mir verlangte, unsere Mutti durch die vielen gerade vorhandenen Wolkenlöcher am Himmel mein sträfliches Verlangen sähe und mich bestrafen würde … Dabei wollte ich doch nur das Mini-Tannenbäumchen für ihr Grab eine Strecke zum Friedhof auch tragen.

Als Siebenjährige realisiert man solche Drohungen nicht richtig. Dennoch habe ich seither immer mal, wenn ich das Bedürfnis hatte, mit meiner Mutter „im Himmel“ über meine Sorgen gesprochen. Auch der Gram, sie nicht so oft ich wollte, an ihrem Grab in meiner Heimatstadt zu besuchen, beichtete ich ihr. Jedes Mal, wenn ich mit unserem Hund seinen nächtlichen letzten Spaziergang alleine machte, oft genug an einem Friedhof vorbei, habe ich mit ihr geredet, ihr meinen Kummer anvertraut.

In meinem Herzen, in meinem Kopf bleibt das Bild meiner Mutter für immer verankert, ob ich sie so sehe, wie sie – für mich als Sechsjährige – zuletzt auf ihrem Krankenbett lag, oder ob ich sie so sehe, wie unser Vater jedes Jahr ein Foto von ihr in unsere Kinderalben klebte. Die strafende Mutti im Himmel habe ich mir nie vorgestellt ...

Max wird tatsächlich auch heute - ein Jahr danach - noch, gelegentlich von seinem Opa träumend, mitten in der Nacht weinend wach, weil er im Traum um ihn trauerte. Erst vor kurzem gelang es seiner Mama, ihm zu erklären, dass sein Opa gewiss nicht gewollt hätte, dass der Junge um ihn weint, sich sehr viel mehr freuen würde, wenn er nicht um ihn weint, sondern über gemeinsam Erlebtes sich freuen und lachen würde. Seither wacht der Junge nicht mehr weinend auf ...

Kann ich mit solchen alten und neuen Erlebnissen einfach meine Gedanken an meine Vergangenheit vergraben, muss ich mich mit Ermahnungen, nicht immer über die Vergangenheit zu jammern, besser in die Gegenwart und in die Zukunft zu denken, mir Vorwürfe machen lassen, depressive Gedanken zu haben, die ich gar nicht habe? Ich jammere ja gar nicht!! 

Gegen solche Vorwürfe, nur vordergründig vorgebracht, verwahre ich mich, denn ich bin weder depressiv noch verkrieche ich mich bei solchem Denken. Für mich gehört es zum Leben und dazu, dass auch aus altem Erlebten Hilfen erwachsen, wie heute mit ähnlichen Problemen umgegangen werden kann ...
 

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Kommentare (2)

Tulpenbluete13

Liebe Uschi
Sterben ist ein Alljahresthema- leider ob in der Familie oder in der Welt...
Deine "Geschichte" hat mich sehr berührt..
Es ist sehr schwer einem (Klein-)kind Krankheit und Sterben "beizubringen"
Aber so wie Du das schilderst kann ich mir vorstellen, daß ich es genauso gemacht hätte. Ihr seid sehr einfühlsam mit der Trauer und dem Sterben umgegangen. Und daß man dabei an seine Kindheit erinnert wird und dem damaligen Umgang mit den Tod ist auch normal.
Es wäre zu wünschen gewesen der Opa und auch der Hund hätten länger gelebt damit Max größer gewesen wäre. Aber es hat nicht sein sollen und so ist der kleine Mann an seiner  Trauer und deren Bwältigung größer und  "reifer" geworden...
Ich finde es gut, daß Du uns die Geschichte aufgeschrieben hast.
Jeder hier wird so seine Erinnerungen damit verknüpfen können..

es grüßt Dich herzlich
Angelika

ehemaliges Mitglied

@Tulpenbluete13  
Liebe Angelika!
Das Leben bietet jedem von uns so manche Überraschung, mal schöne, mal weniger schöne. Dass man 1951 Kindern gegenüber noch so mit dem Tod der Mutter umging, war damals normal. So kurz nach dem Krieg und keineswegs kriegsbedingt drei relativ kleine Kinder als Halbwaisen heranwachsen lassen zu müssen, war bestimmt auch sehr schwer für den jungen Vater. Sie starb 2 Tage vor seinem 40. Geburtstag, die große Tochter wurde 11 Tage später elf Jahre, ich drei Wochen nach ihrem Tod sieben Jahre alt.

Was unseren Max angeht, hatte der sechsjährige Schäferhund Utz am 1. Weihnachtsfeiertag ein großes Schweineohr als "Trostpflaster" bekommen, damit er die Familie in den Weihnachtsurlaub abreisen ließ. Ein guter Bekannter nahm ihn gleichzeitig unter seine Fittiche. Ihn kannte Utz schon lange und der Hund war gern bei diesem jungen Mann zuhause.

Doch abends ging es Utz sehr schlecht. Er wurde dem diensthabenden Tierarzt vorgestellt und musste umgehend operiert werden, denn Utz hatte das große Schweinsohr im ganzen heruntergewürgt, was dazu geführt hattte, dass sich sein Magen im Körper umdrehte. Nach diesem Eingriff hätte der Arzt den Hund 24 Stunden unter Beobachtung behalten müssen. Aber sein Urlaubsflieger ging um Mitternacht. Nachdem es dem Hund eine Zeit lang ganz gut ging, verlangte der Doc, den Hund nach Hause zu holen. Das vertrug das Tier nicht und verendete ...

Der Arzt hätte zumindest dafür sorgen müssen, dass jemand in seiner OP-Praxis für das Tier dageblieben wäre. War durchaus die übliche Art, nach solch einer Operation so zu handeln. Oder er hätte den Hund gar nicht selbst operieren dürfen, ihn besser in eine Tierklinik verweisen müssen. Aber so mal eben einen 1000er für die OP als Weihnachtsgeld einzustecken - wird ihn wohl eher gereizt haben ...

Dies Erlebnis war nicht nur für den kleinen Max schlimm ...

Danke für Dein Lesen und Deinen Kommentar, liebe Angelika
Herzlichst Uschi 


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