Die Sanduhr
Einzigartig und doch einfach nur ein Sandkorn,
entstanden vor, nach, gleichzeitig mit vielen anderen Sandkörnern.
In der oberen Hälfte durchs Leben rutschend,
zusammen mit, unter, über, neben vielen anderen Sandkörnern.
die Verengung ist der Tod.
Alle müssen hindurch, der Tod macht keinen Unterschied.
Manche rutschen früher durch, andere später.
In der unteren Hälfte ausharren,
zusammen mit vielen anderen Sandkörnern,
bis die Sanduhr gedreht wird.
Dann beginnt der Kreislauf von vorne
Jeder von uns ein Sandkorn.
Was haben wir in der oberen Hälfte getan,
um uns und anderen das Leben zu erleichtern?
Haben wir gedrängelt und geschubst,
oder haben wir anderen Raum gelassen?
Haben wir andere unterstützt,
wenn sie erschöpft, müde, traurig, verzweifelt waren?
Haben wir andere bevormundet,
oder unsere Erfahrung mit Feingefühl weitergegeben,
wenn wir darum gebeten wurden?
Haben wir auf unser Gewissen gehört?
Was können wir in der unteren Hälfte tun?
Nichts.
Das Leben ist vorbei.
Nichts kann rückgängig gemacht,
kein böses Wort zurückgenommen,
keine schlechte Tat ungeschehen gemacht werden.
Vielleicht gewinnen wir Erkenntnis,
durch welche höhere Macht auch immer,
die wir im nächsten Kreislauf einbringen können,
und im übernächsten,
und im überübernächsten,
und so weiter.
Darauf hoffe ich.
Kommentare (10)
Interessant ist der Vergleich Leben und Sanduhr schon, auch weil er von der Immer-Wiederkehr ausgeht. Sicher wird unsere Körpersubstanz irgendwie einmal in andere Natursubstanz übergehen. Aber sinnbildlich, wie mit der Sanduhr gemeint, führe ich die Denkrichtung mal ganz theoretisch weiter.
Mit dem Sandkorn, einem Baustoff unseres Selbst, vereinzeln wir uns beim Durchrinnen. Unsere Struktur fließt also irgendwie zu diesem einzelnen Sandkorn-Baustein hin. Darunter entsteht eine Struktur, die sich aus Sandkorn-Beschaffenheit und -Positionierung neu aufbaut. Ein anderer Mensch, obwohl in seiner materiellen Substanz noch der Vorige. Gehen wir davon aus, dass auch die Anzahl der Sandkörner oben zwischenzeitlich variiert wird, je nachdem welche Zeitvorgaben die Uhr bekommt, werden auch unten ganz neue Strukturen auf der Basis alter deutlich. Ich muss die Uhr auch nicht auslaufen lassen, kann sie zwischendrin umdrehen. Eine Totalumkehr von Bestehendem und einer behutsamen Ummantelung durch neu Strukturiertes.
Eignet sich aber nicht so recht für eine Daseinsbetrachtung.
Interessante Ausführung.
Ich bin eine Hoimar-von-Ditfurth-Geschädigte:
"Wir sind nicht nur von dieser Welt" z. B.
Bild: Pixabay
Wie vergänglich uns diese Sandskulptur erscheint, dabei ist es auch für uns nur eine begrenzte Zeitspanne, bis wir in unsere einzelnen "Sandkörner" zerfallen.
Die Sand- oder ähnlich auch die Wasserurhr ist eine frühre Erfindung gewesen, Zeit zu messen.
Ihre Deutung kann, wie der Text andeutet, aber auch noch weiter gehen, d. h. auf eine religiöse Deutung des ganzen Lebens bezogen sein im Bild vom Kreislauf.
Für manche Menschen mag das ein Trost sein, für andere ist auch das eher trostlos.
Wichtig die persönliche Stellungnahme am Schluss:
Liebe Via,ich glaube das sind die wichtigsten Sätze hier
Was haben wir in der oberen Hälfte getan,
um uns und anderen das Leben zu erleichtern?
Haben wir gedrängelt und geschubst,
oder haben wir anderen Raum gelassen?
Haben wir andere unterstützt,
wenn sie erschöpft, müde, traurig, verzweifelt waren?
Haben wir andere bevormundet,
oder unsere Erfahrung mit Feingefühl weitergegeben,
wenn wir darum gebeten wurden?
Haben wir auf unser Gewissen gehört?
in der unteren Hälfte ist es dann zu spät---
Wolke
Danke für die Anregung zum Nachdenken, Via!
Aber: Warum sollten wir in der unteren Hälfte nichts tun können?
Wenn die Vertreter des tibetischen Buddhismus recht haben, dann geht im "Bardo" (= Zwischenzustand zwischen den Existenzen) doch erst so richtig die Post ab. Ohne physischen Körper halt, aber deshalb nicht weniger dynamisch ...
Das ist eine Sache des Glaubens, und den entscheidet jeder für sich selbst.
Aber ein schöner Gedanke!
Wie traurig wäre es, wenn ich aus meinen sogenannt schlechten Erfahrungen oder negativen Ereignissen in der "oberen Hälfte" nichts für mich daraus lernen könnte...
Das wäre für mich nur tragisch. Das Leben ist für mich eine stetige Auseinandersetzung vor allem mit mir selbst.