Die Kuh

Autor: ehemaliges Mitglied

    Die Kuh



Im Westen Indiens lebte eine Kuh, welche von enormer Größe und – nach Dafürhalten der Hindus – von besonders schöner Gestalt war. Sie war von weißer Farbe und ein prächtiger Buckel galt als ihre schönste Zier. Stolz schritt sie einher, denn sie war sich ihrer Schönheit und Besonderheit wohl bewusst.
Ihr Besitzer, Gopal, konnte sich nicht sattsehen an ihrer Pracht und dankte den Göttern täglich für dieses Geschenk. – Da er Inder war, wollte er seine Dankgebete freilich zugleich mit der Bitte für ein Mehr verknüpfen:
„Bitte, ihr Götter; lasst sie endlich trächtig werden! Sie soll mir gute Milch geben und schöne, große Kälber gebären, so dass ich durch sie endlich reich werden kann.“
Doch die Götter wollten und wollten seinen Forderungen einfach nicht nachkommen; mochte er versprechen, was immer er wollte. Gopal bot ihnen das Ghee der ersten Milch; er würde die Götterstatuen mit Milch übergießen und waschen. – Umsonst ! Seine Kuh ließ sich einfach nicht dazu bewegen, endlich trächtig zu werden.
- Dies hatte freilich seine Gründe: Wo war der Stier, welcher es gewagt hätte, die imposante Heiligkeit zu bespringen ?! - Mancher wäre zu solchem Frevel wohl bereit gewesen; doch abgeschreckt durch die von Oben ihn treffenden, hochmütigen Blicke, trollte sich jeder Herausforderer wieder von Hinnen....
- `Devi ́ - so hieß die Kuh, nahm solcherlei Niederlagen der `Männerwelt ́ mit Genugtuung zur Kenntnis. Sie verdiente Respekt und Respekt verlangte sie auch. Respekt und Futter!
Es interessierte sie nicht im Geringsten, woher oder von wem dieses kam; sie wollte einfach ihre Ration !
Man möge nicht glauben, dass Devi sich mit einer Ration, wie sie für gewöhnliche Kühe üblich war, begnügt hätte. Beileibe nicht! Sie war etwas Besonderes und sie verlangte Besonderes; dies, was die Menge sowie auch die Qualität des Futters betraf und Gopal wollte sich die Haare raufen ob ihres enormen Appetits und ihrer Ansprüche.
„Du wirst mich arm fressen, Devi; du wirst meinen letzten Dhoti verzehren !“

Dies war nun freilich übertrieben, denn Devi dachte nicht im Geringsten daran, etwas so Banales und Billiges wie Gopal’s getragenes Wickelgewand zu verspeisen.
Sie verlangte nach frischem Grün, nach Weizen, Kichererbsen und Ähnlichem. Trockenes Stroh war ihr ein Gräuel und dies zeigte sie auch....
„Du musst sie besser füttern,“ rieten ihm die Dorfbewohner, „dann wird sie auch trächtig werden und dir später Milch in Mengen geben.“
Gopal tat bereits alles, was in seinen Kräften stand und er wusste bald nicht mehr ein noch aus.
„Ich werde den Tierarzt holen,“ sagte er deshalb eines Tages, „ich weiß mir anders nicht mehr zu helfen !“
Als Devi dies vernahm, erfasste sie ein großer Grimm. – Ein Tierarzt ! Welche Blasphemie ! !
Kein Tierarzt würde ihre Reinheit beflecken; dies stand für die eitle Devi fest. Was bildete sich dieser Gopal nur ein; wusste er nicht zu schätzen, was er an ihr hatte, so würde Devi sich eben aufmachen und den Undankbaren alleine zurücklassen! – Sie war keineswegs auf ihn angewiesen und das Land war voll mit Menschen, welche Devi besser zu würdigen wüssten !
Gedanke und Tat waren Eines: - Devi kehrte am Abend nicht in den heimischen Stall zurück, sondern machte sich auf in bessere Gefilde....

Sie fraß frisches Grün am Wegesrand, tat sich gütlich in Weizen– und Erbsenfeldern und des Nachts legte sie sich zum Schlafen nieder, wo immer sie sich gerade befand, wenn sie von Müdigkeit befallen wurde.
Sie kam durch Dörfer, suchte Marktplätze auf; ließ sich bewundern und füttern.
Die Menschen wollten ihr die Hörner blau bemalen und auf ihrer großen Stirn das rote Zeichen des `Dritten Auges anbringen.
Jeder war stolz, wenn er sie nur berühren durfte; denn dies war gleichbedeutend mit einer Segnung der Götter. Devi war zufrieden. Hier gab es Niemanden, der gewagt hätte, ihr mit dem Tierarzt zu drohen oder etwa versuchte, sie zu melken.
Man respektierte und man fütterte sie und Devi wurde immer hochmütiger und eingebildeter.
Sie kam in die große Stadt und auch dort erntete sie bewundernde Blicke und man ehrte sie in jeder erdenklichen Weise. Fiel es ihr ein, sich auszuruhen, so wollte sie sich einfach auf einer Straße niederlegen; sei diese nun befahren oder nicht. Man wich ihr aus, - fuhr um sie herum, um sie ja nicht zu stören oder gar zu verletzen.
Lief sie durch ein Menschengewühl, so schob sie die Passanten, welche ihr nicht schnell genug aus dem Wege gingen, einfach zur Seite, um so ungestörter vorankommen zu können.
Schnell hatte sie herausgefunden, dass sie das meiste und beste Fressen vor den Tempeln der Hindus bekam....
Es ging Devi also gut; sie hatte mit keinerlei Problemen zu kämpfen und alles wäre wohl in bester Ordnung gewesen, wäre es im Reiche der `Heiligen Kühe ́ nicht ebenso, wie es auch im Menschenreich ist:
Irgendwann begann Devi sich zu langweilen, und sie wollte die Zahl ihrer Gefolgschaft und Anbeter vergrößern. So verließ sie die Stadt, in welcher sie doch so angenehm gelebt hatte, um in die nächste, noch größere Stadt zu gelangen....

Dort angekommen, begann sie zu sprechen ... und ihre Gefolgschaft wuchs ins Unermessliche !
Aus dem ganzen Lande kamen die gläubigen Hindu, um dieses `Wunder ́ mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören. Die ganze Nation schien in Aufruhr; wieder einmal hatte sich bestätigt, dass die eigenen Götter die einzig wahren sein konnten !
Wo sonst konnte Solches geschehen ? !
Es erschienen außer den Gläubigen auch Diejenigen, Welche nur auf Sensationen aus waren und sie überhäuften Devi mit unsinnigen Fragen über zu erwartenden Reichtum, die Geburt eines Sohnes – und Vielem mehr. Man behängte die Kuh mit Blumengirlanden, welche Diese jedoch nicht fressen konnte und die ihr somit nutzlos erschienen.
In den süßen Honig des Ruhmes waren die ersten bitteren Wermutstropfen gefallen. -
Weitere sollten folgen ....
- Priester unterschiedlicher Tempel stritten über der Frage, wessen Eigentum die Heilige Kuh sei – und wer von ihnen das Recht besäße, sie auf seinem Tempelgrund einzusperren, damit sie nicht gestohlen würde oder sonstwie zu Schaden käme. -
Devi hatte genug. – Wie konnten diese Ignoranten es wagen, sie einsperren zu wollen ?!
Sie als Deren Eigentum zu erklären ?! Sie schien zu einer bloßen Jahrmarktsattraktion geworden zu sein; aus diesem Grunde machte sich die beleidigte Kuh bald auf, um neue Anhänger, welche ihre Göttlichkeit besser zu würdigen wüssten, zu finden.
Lang war der Weg durch das Land; Dörfer, Weiler, Städte. Wohin Devi auch kam, bewunderte man sie und überhäufte sie mit Ehrungen. – Sie hatte gelernt, dass für die Menschen der Reiz des Neuen die größte Befriedigung darstellt; so wollte sie denn nirgendwo mehr länger verweilen, sondern machte sich, jeweils nach Wochenfrist, auf, um von einem Orte zum nächsten zu wandern.
- Auf jener Reise geschah es, dass Devi sich über die Grüne Grenze ins Nachbarland Pakistan verirrte. – Sie lief und lief, fraß unterwegs am Wegesrand und war erfreut, als sie die ersten Menschen erblickte.

Ein Bauer arbeitete mit seiner Frau auf dem Feld. - Dieser sah das gewaltige Tier, erkannte, aus welcher Richtung es kam und schloss richtig, dass Devi nun herrenlos geworden sei. Er schickte seine Frau zurück ins Dorf, um einen Strick zu bringen und Diese beeilte sich, seiner Forderung nachzukommen.
Mittlerweile versuchte der Bauer, das prächtige Tier anzulocken. Er tat dies mit Lauten, mit welchen man üblicherweise eine Kuh anlockt. – Devi schüttelte den Kopf und schritt stolz an dem Bauern vorbei, ohne ihn im Geringsten zu beachten.
Des Bauern Frau war zurückgekehrt und gemeinsam legten die Beiden der Kuh den mitgebrachten Strick um den Hals, um sie daran nach Hause zu führen.
„Komm schon,“ schmeichelte der Bauer, „du wirst etwas Feines zum Fressen bekommen.“
Das war ein Wort – und Devi ging mit den Beiden nach Hause. – Im Hof des Bauern angekommen, band man die Kuh an einen Baum und der Bauer brachte einen Eimer mit Wasser, welchen er vor Devi nieder stellte.
„Du wolltest mir etwas zu fressen geben,“ erinnerte Diese den Überraschten an sein Versprechen.
„Du sprichst,“ wunderte sich der Bauer, „wie kommt denn solches zustande ?“
Stolz erklärte Devi, dass sie die Heilige Kuh aller Hindus sei – und dass der Bauer sie darum mit mehr Respekt behandeln möge.
- - Der erstaunte Bauer lief ins Haus, - holte ein großes Messer und kehrte damit zu Devi zurück.
Für mich bist du nur ein Rindvieh,“ sprach er – und schlachtete die Kuh .…

BMG


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Kommentare (6)

ehemaliges Mitglied

Diese Deine Geschichte sollte auf so vielen Tageszeitungen wie möglich groß aufgemacht erscheinen, denn wir leben im Zeitalter der Großkotze, der Egoisten und der Uneinwichtigen.

Es ist so schade, dass all diese Hochmütigen den ihnen zugedachten Strick und das entsprechende Schlachtermesser einfach übersehen. Da kann man nur hoffen, dass sie - noch rechtzeitig - eingefangen werden ...

ehemaliges Mitglied

@nnamttor44  Auch ihre Zeit wird kommen, so wie sie in Iran, Afghanistan usw. kam....

Rosi65


"Hochmut kommt vor dem Schlachtfest."
 (Alte chinesische Bauernweisheit!) 😊
 

ehemaliges Mitglied

@Rosi65  Jaja, die Chinesen waren schon immer kluge Leute...😃

ehemaliges Mitglied

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Ob im Internet oder auf der Wiese !!!
Ich sehe euch lieber Lebendig.
Krümmel

ehemaliges Mitglied

@Krümmel  so sehe auch ich es...😃


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