Der Tod in der Abstellkammer (- 1. -)


Der Tod in der Abstellkammer (- 1. -)

Frei nach einem alten finnischen Märchen
von August Löwis of Menar.


 
Der 20. Mai schien ein sonniger Tag zu werden. Eine Amsel saß auf dem First des Nachbarhauses und schmetterte ihre gefühlvollen Töne in die morgendliche Kühle. Es war noch ziemlich früh am Morgen, Heinrich kam gerade aus dem Bad, war nun dabei, den Kaffeefilter zu füllen. Ein frisch gebrühter aromatischer Kaffee am Morgen - damit begann stets sein Tag. Die Lebensgeister bekamen dann so richtig Aufwind!
        Voller Vorfreude rieb er sich die Hände, machte sich dann daran, die übrigen Zutaten des Frühstücks auf dem Küchentisch zu verteilen. War es nicht wunderschön, das Rentnerdasein in vollen Zügen zu genießen? Gewiss, er war ja schon einige Jahre in Pension, aber seit seine Frau vor zehn Jahren diese Welt verlassen hatte, gab es bisher eigentlich nichts, das ihn so richtig glücklich machen konnte. In diesem Frühjahr aber war das Leben bei ihm wieder eingekehrt.
        Auslöser dafür war Beate, die Physiotherapeutin, bei der Heinrich wöchentlich seine Übungen leistete. Heinrich fand sie angenehm, da sie sich viel Zeit für ihre Klienten nahm. Er war nur einer von vielen, glaubte aber insgeheim, dass sie ihn mochte.
        Seit seinem Klinikaufenthalt wegen des dummen Schlaganfalls vor einigen Wochen freute er sich tatsächlich regelrecht auf diese zwei Stunden der Therapie bei Beate. Das Beste aber war, dass sie ihn für den kommenden Samstag zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen hatte! Morgen sollte es nun so weit sein, er freute sich schon wie ein kleiner Schuljunge, das Leben schien wieder lebenswert zu sein!
      ›Ding-Dong‹!
Die Türglocke störte seine frühen morgendlichen Gedanken! Heinrich schüttelte den Kopf. Es war gerade halb Sieben! Wer sollte das wohl um diese Zeit schon sein? Also, das war schon eine seltsame Überraschung! Heinrich bekam selten Besuch, wenn jemand an der Tür klingelte, war es meist der Postbote oder die Frau Weihmann aus dem Haus gegenüber, die regelmäßig fragte, ob sie ihm etwas aus dem Supermarkt mitbringen solle. Obwohl er jedes Mal dankend ablehnte - sie kam dennoch in schöner Regelmäßigkeit vorbei.
        ›Ding-Dong-Ding-Dong‹!
Es klingelte nochmals.
»Ja, doch«, Heinrich fand seine Pantoffeln wieder mal nicht, so lief er barfuß zur Tür, er war noch nicht einmal dazu gekommen, Socken anzuziehen,
»Immer langsam mit den jungen Pferden! Ich hab was gegen Hetzerei!«
        Heinrich schob den Riegel zurück, öffnete dann die Wohnungstür zur Hälfte. Im Hausflur stand ein dunkel gekleideter älterer Mann, der grüßend seinen Hut zog und höflich einen guten Morgen wünschte. Er war einen Kopf kleiner als Heinrich, musste also zu ihm aufschauen.
»Herr Gärtner? Sie sind doch Herr Gärtner?«
Der Fremde beugte sich etwas vor, um den Namen an der Tür zu entziffern. Heinrich sah den Mann misstrauisch an.
»Ja, und? Was wollen Sie? Was kann ich für Sie tun?«
        Der Fremde lachte kurz auf, holte dann einen schmalen gelben Schnellhefter aus seiner Aktenmappe hervor und blätterte kurz darin.
»Ja«, sagte er dann, »Sie für mich? Das ist ein guter Witz. Aber ich habe da eine sehr wichtige Angelegenheit mit ihnen zu klären. Können wir das drinnen erledigen?«
Heinrich stutzte kurz, sah dann überhaupt keine Schwierigkeit darin, den Mann einzulassen.
›Mit dem werde ich schon fertig, wenn es Probleme geben sollte‹, dachte er kurz.
Er lud den Fremden nun in die Küche ein, bot ihm einen Platz an.
»Möchten sie auch einen Kaffee? Ich wollte gerade frühstücken?«
Der Fremde lehnte dankend ab. Dann meinte er: »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Immortaler, Adam Immortaler.«
      Heinrich hatte inzwischen mit seinem Frühstück begonnen. »Entschuldigen Sie«, meinte er, »aber mit leerem Magen kann ich nicht denken!«
Er lachte. »Ist schon in Ordnung«, sagte Herr Immortaler, »ist alles in Ordnung!«
Heinrich lehnte sich zurück. Dann meinte er: »So, es wäre jetzt angebracht, wenn Sie mir sagen, worum es hier geht. Sie tun so geheimnisvoll. Hab ich irgendwas falsch gemacht? Ich bin mir keiner Untat bewusst.«
Er lachte noch einmal auf. »Also?«
        Herr Immortaler legte den gelben Schnellhefter auf den Tisch. Dann sah er Heinrich an.
»Sie - Sie sind 74 Jahre alt, nicht wahr? In einem Monat werden Sie 75. Ein schönes Alter, vor allem, wenn man noch so gesund ist wie Sie. Ich bewundere Sie, wirklich!«
Heinrich schüttelte verwundert seinen Kopf. Seine spärlichen weißen Haare standen dabei etwas absonderlich nach allen Richtungen ab,
»Sie bewundern mich? Aha? Und deshalb kommen Sie in aller Herrgottsfrühe zu mir? Krieg ich nun einen Verdienstorden, oder was?«
»Tja, Herr Gärtner, die Sache ist die ...«,
Herr Immortaler schaute nochmals in seine Unterlagen, sah Heinrich dann über den Rand seiner Brille an, »Sie haben - nein, Sie werden leider heute - also es ist so…«
        »Na was denn nun!« Ungeduldig stand Heinrich auf, nahm sein Frühstücksgeschirr und stellte es in das Spülbecken. »Ich habe nun wirklich keine Zeit mehr, um Ihre Spielchen mitzumachen. Kurz und knapp: Was wollen Sie von mir?«
        Herr Immortaler schlug den Aktendeckel zu. »Also Herr Gärtner, Sie haben das ja schon richtig gesehen! Sie haben wirklich keine Zeit mehr! Ich bin bevollmächtigt, Sie mitzunehmen! Es tut mir leid, aber daran kann ich nichts ändern. Es gibt einen Beschluss!«
      Heinrich sah den Mann fassungslos an.
»Wie - mitnehmen? Sind Sie von der Polizei? Warum? Was wirft man mir vor? Ich verlange sofort Aufklärung. Das ist ja wohl die Höhe. -
Aber Sie können sich das abschminken, ich werde nicht mit Ihnen gehen, ob Sie nun einen Haftbefehl haben oder sonst etwas. Das wäre ja noch schöner, Sie kommen morgens bei Sonnenaufgang zu mir und eröffnen mir, dass ich Sie begleiten muss. Wo sind wir denn? Wissen Sie was? Sie haben da leider mit Zitronen gehandelt; mich kriegen Sie nicht mit. Fertig!«

        Herr Immortaler schaute durchs Fenster auf das wunderschöne Gelände, in dem sein Haus lag. Man hatte hier einen herrlichen Ausblick auf die Anlagen des Waldfriedhofs am Ende der Straße.
        »Herr Gärtner, - es ist heute solch ein schöner Tag«, sagte er dann mit einem leicht verträumten Blick, »warum wollen Sie diesen letzten Tag so zerstören?«
Heinrich war verwirrt. Was sollte das? Letzter Tag? »He«, sagte er dann, »was reden Sie da für einen Nonsens? Wir haben heute den 20. Mai, wieso also letzter Tag? Hören Sie: Ich habe morgen eine wichtige Verabredung - ein Date - wenn Sie so wollen, das möchte ich unbedingt einhalten, es ist sehr, sehr wichtig für mich und mein Leben.«
        Herr Immortaler hatte sich nun erhoben, öffnete dann die Tür zum Flur. »Bitte kommen Sie jetzt. Dieser Schritt ist nun mal wichtiger für Sie. Sie müssen sich auch nicht umkleiden. Sie können so bleiben, wie Sie sind, auf Äußerlichkeiten kommt es bei uns nicht an.«
        Heinrich war völlig entgeistert. Was ging hier vor? Warum sollte er mit diesem Mann gehen, und vor allem, wohin? Heinrich setzte sich mit Nachdruck auf den Stuhl zurück!
»Nein!« sagte er dann. »Verdammt noch mal, nein und nein und nein!« Herr Immortaler blieb ganz ruhig, schloss die Tür wieder und meinte dann:
»Nun bleiben Sie doch vernünftig, es gibt wirklich keine andere Lösung, Sie müssen mich wirklich begleiten!«
      Heinrich überlegte lange, schaute seinen Besucher einige Zeit nachdenklich an; plötzlich schoss ihm eine Idee durch den Kopf.
»Kann ich mir wenigstens noch die Schuhe anziehen und meine Zähne putzen? Ich habe einen fürchterlichen Geschmack im Munde.«
Herr Immortaler lächelte.
»Na gut, wenn es denn hilft!«
Worauf Heinrich dann meinte: »Holen Sie mir doch bitte meine schwarzen Halbschuhe aus dem Schuhschrank dort hinten in der Abstellkammer, ja?«
Herr Immortaler nickte zustimmend.
»Ich mache alles für Sie, wenn Sie mir nur keine Schwierigkeiten machen und friedlich mitkommen!«
      Er ging dann zum Abstellraum am Ende des Flurs, öffnete die schmale Tür und schaltete dort das Licht ein. Dieser kleine Raum besaß kein Fenster, außer einigen kleinen Schlitzen in der Tür war auch keine Belüftung vorhanden, ein kleines Lämpchen brachte wenigstens etwas Helligkeit in diesen Raum.
        »Welches ist denn der Schuhschrank,« fragte Herr Immortaler dann mit lauter Stimme, »rechts oder links?«
Blitzschnell kam Heinrich nun aus dem Bad hervor, die Zahnbürste noch im Mund, rief er »liiinks«, rannte dann zur Tür des Abstellraums, schlug sie zu, verriegelte sie und rief danach: »Lassen Sie es jetzt mal gut sein, ich brauche die Schuhe nicht mehr!«
      Herr Immortaler drinnen donnerte erbost mit der Faust gegen die Tür. »Aufmachen. Machen Sie sofort die Tür auf. Wenn Sie nicht öffnen, werden Sie es bereuen, das verspreche ich Ihnen. Hören Sie? Öffnen Sie die Tür - und zwar sofort! Herr Gärtner, Sie werden das bereuen! Das hier ist eindeutig Freiheitsberaubung!«
        Heinrich war inzwischen im Bad fertig geworden. »Ach ja? Verstehe, wenn das aber Freiheitsberaubung ist, dann ist Ihr Verhalten wohl Nötigung, haben Sie das kapiert?«
Er war nun ganz ruhig geworden, gönnte sich nochmals eine Tasse Kaffee, ging damit zur Tür des Abstellraumes. »Nun regen Sie sich erst mal wieder ab. Rechts an der Tür steht ein Sessel, der ist sehr bequem. Darin saß früher immer meine Frau, Sie werden sehen, er ist richtig angenehm!«
         Heinrich lächelte still vergnügt vor sich hin.
»Wollen Sie nicht doch einen Kaffee?« fragte er mit solch großer Höflichkeit, dass es fast an Arroganz grenzte.
»Ich brauche keinen bequemen Sessel, ich brauche keinen Kaffee, ich will hier raus, und zwar sofort!«
Herr Immortalers Stimme hörte sich nun wirklich zornig an. Kein Wunder, dachte Heinrich, das würde mir auch so gehen. Aber soll er ruhig mal wissen, wie solch eine unerwartete Sachlage sich auswirken kann!
        Heinrich suchte sich seine Bekleidung zusammen und zog sich gemächlich an. »Ja, ja!« sagte er dann, ging zurück in die Küche, während sein ungebetener Gast in dem kleinen Raum fortwährend gegen die Tür schlug. »He, Sie da drinnen, wenn Sie nicht aufhören, kommen Sie hier gar nicht mehr raus.«
Er lachte kurz auf.
»Und wenn Sie Hunger haben, da sind Vorräte im rechten Schrank, die reichen für drei Wochen!«
Herr Immortaler verlegte sich nun aufs Bitten:
»Herr Gärtner, nun werden Sie doch vernünftig. Das hat doch keinen Zweck. Sie können das Schicksal - Ihr Schicksal - damit nicht beeinflussen! Ihr Name steht nun mal auf der Liste, das ist nicht mehr zu ändern!«

 
Fortsetzung folgt

©2010 by H.C.G.Lux


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