Der Chef ist weg

Damals in der DDR

Mit den Worten: "Ich muss unbedingt in unsere Außenstelle!" verabschiedete sich eines Morgens unser Abteilungsleiter, setzte sich in seinen Lada, und weg war er.
Kaum war er außer Sichtweite, da begann unter seinen Mitarbeitern ein reges Treiben. Ein Kollege rannte sofort zum Friseur, ein anderer wusch sein Auto.
Fräulein Muxpichler legte sich in die Sonne. Eine Kollegin - sie ist Mutter von vier Kindern - ging auf kürzesten Weg in die Kaufhalle, wo es heute Bananen geben sollte.
Mittags saßen alle längst wieder an ihrem Schreibtisch.
Da sahen sie den Chef auf den Hof fahren. Sein Auto glänzte wie eben gewaschen, sein Haar war frisch frisiert, auf der Nase zeigte sich ein kleiner Sonnenbrand, und in der Hand hielt er eine große Tüte Bananen.

Heute im vereinten Deutschland

Mit den Worten: "Ich muss unbedingt zum Innensenator!" verabschiedete sich eines Morgens unser Regionalleiter, setzte sich in seinen BMW und fuhr davon.
Kaum war er außer Sichtweite, da begann unter seinen Mitarbeitern ein reges Treiben. Ein Kollege rannte sofort zum Friseur, ein anderer wusch sein Auto.
Die Chefsekretärin legte sich in die Sonne.
Eine Kollegin - sie ist Mutter von vier Kindern - ging auf dem kürzesten Weg in den Supermarkt, um ihren Wocheneinkauf zu tätigen.
Mittags saßen alle längst wieder an ihren Schreibtischen.
Da sahen sie den Chef auf den Hof fahren. Sein Auto glänzte wie eben gewaschen, sein Haar war frisch frisiert, auf der Nase zeigte sich ein kleiner Sonnenbrand und in der Hand hielt er zwei große volle Einkaufstüten.

Aus dem Buch "Er war stets bemüht" von Wilfried Hildebrandt