Das Mädchen und seine ersten Pommes
Das kleine Mädchen durfte schon zum zweiten Mal mit seiner Mutter und Partner in die Ferien fahren und zwar in die Berge nach Gstaad, oder sagen wir besser bei Gstaad. Denn schon damals waren die Ferienwohnungen direkt in Gstaad viel teurer, als diejenigen in abgelegenen Gefilden.
Es war ein altes Holzchalet, die Aussen-Treppe führte hoch in das erste Stockwerk, durch die Wohnungstüre stand man direkt im Esszimmer mit Küche.
Das Mädchen erinnert sich, dass es in dieser Ferienwohnung unendlich viele Fliegen und Mücken gab und zwar war die Plage so gross, dass überall im Küchen-Wohnbereich sogenannte Fliegenfänger aufgehängt werden mussten (siehe Bild). Eine sehr klebrige Angelegenheit.
Im gleichen Haus, aber mit einem anderen Eingang, machte eine grössere Gruppe älterer Leute aus Krefeld Ferien. Die Gruppe wurde von einer Diakonissenschwester geleitet, die sogar gleich hiess, wie die Mutter des Mädchens, nämlich Herta. Das Mädchen durfte sogar mit dieser Reisegruppe einen Tagesausflug nach Chamonix machen, was ein sehr schöner und amüsanter Tag war. Das Mädchen erinnerte sich, wie in Chamonix eine Mitreisende im Kaffee stets dem «Herr Ober, Herr Ober» gerufen hatte, der aber nicht reagierte, weil er nur Französisch sprach.
Während dieser Ferien hatte das Mädchen seinen 9. oder gar 10ten Geburtstag. Zur Feier des Tages entschied die Mutter, dass in einem Restaurant das Geburtstagsessen eingenommen wird. Das Mädchen wusste gar nicht, wie ihm geschah, denn es war noch nie in einem Restaurant und es freute sich enorm. So begaben sich alle Drei nach dem teuren Ferienort und betraten ein sehr schönes Restaurant, alle Tische weiss eingedeckt. Es war eine gedämpfte Ruhe in dem Restaurant, ein schwarz gekleideter Kellner empfing die Drei und wies ihnen einen Tisch am Fenster zu. Ein Traum wird wahr – «ich sitze in einem Restaurant, weisses Tischtuch, wunderschön gedeckt und das an meinem Geburtstag», dachte sich das Mädchen, es konnte es kaum fassen.
Dann wurde das Festmenü bestellt und es sollte unbedingt etwas mit Pommes sein, denn noch nie ass das Geburtstagskind Pommes. Zu Beginn gab es Suppe und zwar wurde sie nicht direkt im Teller, sondern in einer Suppenschüssel serviert. Eine wunderbare Suppe und das Mädchen hätte gerne noch ein wenig davon genossen. Aber der Kellner war mit Abräumen der Suppenschüssel schneller, als das Mädchen den Wunsch äussern konnte. Naja, weiter geht’s.
Dann kam das Hauptgericht mit den so sehr gewünschten Pommes – was waren die lecker, ein wahrer Genuss. Mit der Zeit schon ziemlich satt, entdeckte das Mädchen aber noch die übrig gebliebenen Pommes, die unter keinen Umständen zurückgehen sollten. Gerade wollte es seine Mutter nach den restlichen Pommes fragen, war der Kellner erneut schneller mit Abräumen, als das Mädchen die Frage stellen konnte! Was für ein Pech auch, es war zu schüchtern, als dass es sich hätte wehren mögen. Aber im tiefsten Innern war es unglaublich enttäuscht.
Zu einem späteren Zeitpunkt schwor sich das Mädchen, dass es sich nie mehr etwas wegnehmen lassen wird und sich in Zukunft zu wehren weiss.
Jutta
Kommentare (10)
Liebe Jutta,
dieses Erlebnis muß für das kleine Mädchen wirklich "einschneidend" gewesen sein, dass es sich sogar an jedes Detail (ich denke: heute im Senioren-Alter) noch so gut erinnern kann. Und damit, auch für uns Leser, eine sehr spannende Geschichte mit einer "Quntissenz" für ihr späters Leben, bereichert hat..
Mit Freude, Dank und Gruß
💖🐞-Renate
@ladybird
Tja, liebe Renate, ich staune auch immer, welch einschneidende Ereignisse in der Erinnerung sich eingebrannt haben. Solche Geschichten gehören wohl zu einem doch recht spannenden Leben.
Es freut mich jedenfalls, dass dir die Geschichte gefallen hat. Danke.
Herzliche Grüsse von
Jutta
Liebe Jutta,
so ist es manchmal, man fühlt sich wie Alice im Wunderland und dann kommt Jemand, und wenn es ein übereifriger Ober ist, und verdirbt so einiges.
Mein erster Restaurantbesuch war im Hamburger Rathauskeller. Ich wurde vom Firmenchef zur Weihnachtsfeier dort eingeladen und ich habe manchmal Blut und Wasser geschwitzt, ob ich auch in dieser vornehmen Umgebung alles richtig mache.
Ich habe es wohl richtig gemacht, mit dem Trick, einfach etwas langsamer zu sein als die anderen und so konnte ich mich vergewissern, wie was geht.
Meine Eltern hatten gerade gebaut und somit war kein Geld für derlei "überflüssiges" vorhanden. So war es eben in den 50/60igern.
Danke fürs Teilen. Da kamen auch bei mir alte Erinnerungen hoch. Ich denke, geschadet hat es uns nicht - oder?
Mit lieben Grüßen von
Ingrid
@indeed
Liebe Ingrid,
Nein, geschadet hat es uns nicht - es hat immerhin Spuren hinterlassen, die wohl zur Formung des kleinen Mädchens mit beigetragen haben.
Ich kann mir gut vorstellen, wie du Blut und Wasser geschwitzt hast, als du mit deinem Firmenchef in dem offenbar vornehmen Rathauskeller diniert hast. Sicherlich bist aber auch du an dem Ereignis gewachsen!
Hab vielen Dank für deinen Kommentar und
sei herzlich gegrüsst von
Jutta
Liebe Jutta, wie gut kann ich Dein Mädchen verstehen! :) Das war früher komisch mit der Meinung, dass die Kinder wie Fische nur schweigen dürften. Schüchternheit ist nichts Gutes. Heutzutage übertreibt man ein wenig, glaube ich, in die andere Seite. Und es gibt so etwas wie eine mäßige Zurückhaltug: ohne selber unfreundlich zu werden, lässt man sich eben keine Pommes wegnehmen!. :)
Mit lieben Grüßen
Christine
@Christine62laechel
Liebe Christine,
Ich finde es positiv, wenn heute junge Menschen sich für etwas zu wehren wissen. Aber ich denke, auch die heute Mutigeren begannen "leise".
Hab vielen Dank für deinen Kommentar und sei
herzlich gegrüsst von
Jutta
@Elou
Liebe Elou,
Also, Neugeborene haben die Tendenz laut zu sein. Aber ich denke, nach einer gewissen Zeit werden sie dann doch leiser.
Gruss
Jutta
@Jutta
man muss natürlich auch unterscheiden zw.:
"laut und leise"
oder:
"vorlaut und schüchtern"
LG 🙂
Dieses „stille Verhalten“ – in früheren Zeiten für Kinder unabdingbarer Verhaltenscode bei allen Ersterfahrungen – hat letztlich für eine grundlegende Erkenntnisse gesorgt, die für das ganze Leben prägend wurden. Durch dieses hier geschilderte Erlebnis schwor sich das kleine, noch unerfahren staunende und zugleich auch erschrockene Mädchen, sich fortan unbedingt zu wehren und sich nie wieder etwas wegnehmen zu lassen. So wurde der für das Kind im damaligen Moment zwar als schmerzlich erfahrener Verzicht zur späterhin selbstbestimmten Kraft in allen Situationen des Lebens. Das heißt „leben lernen“!
Danke für Deine sehr anschauliche Erzählung und liebe Grüße
Syrdal