Böhmerwald
Waldgedanken im Gedankenwald
 
Hinter Adalbert Stifters Dichterhaus liegt ein kleiner Wald, dort spazierte er oft in Gedanken versunken. Ich tat es ihm nach. Heute.
 
Ich werde zum Naturgedankenfesthalter, zum Sommerwaldgenießer, zum Waldhineinhorcher. Als Suchender schreite ich durch die Fluren, wie es einst Stifter im Böhmerwald tat. All meine Sinne sind geöffnet. Ich bin bereit, die Stimmung einer fast vergessenen Zeit wieder zu spüren, in mich aufzunehmen. Urbane Dorfgeräusche entfernen sich schnell. Kühle Waldluft umhüllt mich. Ein Gefühl des Zuhauseseins erfüllt mich, ich kann es spüren, mein Herz schlägt schneller, nicht beklemmend. Milde Hoffnung. Es ist wie verliebt sein. Wie damals an einem Sommertag, als ich aus einem Haselnusszweig ein Pfeifchen schnitzte, um meiner Freundin ein Liebeslied zu flöten. Es gelang nicht gleich, aber es zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.
 
Blühender Holunder verbreitet süßen Blütenduft und sofort kommt die Erinnerung an ferne Kinderzeit, an Großmutters Sommergetränk, dem Zuckerwasser mit Holunderblüten, das uns als Kindersekt kredenzt wurde.
 
Schattenspendender Sommerwald und Haselnusssträucher am Waldrand, silbergrüne Weiden in sumpfigen Wiesen, wogende Sommerwiesen im Abendwind machen den Kopf frei. Genau wie damals.
 
Das Staunen, die Ehrfurcht vor dem großen Wald ist geblieben. Einatmen. Modrige Düfte von staubenden Pilzen. Gehen über moosige Matten und Sorgen vergessen. Majestätische Farne und knorrige Eichen erfreuen mein Auge. Wie grüne Kathedralen spannen alte Bäume ihr Blätterdach über federnde Wiesenteppiche, die meine müden Sohlen massieren.
 
Eine Vogelstimme, dann noch eine und noch eine. Vogelkonferenz. Begrüßung oder Warnung? Ich bin friedlich, sage ich, lasst mich ein Kind des Waldes sein.
 
Nicht immer war es so wie heute, ich hab´ mich mit dem Wald und seinen Bewohnern verbunden, bin von tiefem Glück erfüllt, weil es passiert ist. So wie heute.
 
*

Anzeige

Kommentare (10)

Syrdal


Eine sehr feine Erinnerung an Adalbert Stifter und seine unnachahmlichen Wald- und Naturbeschreibungen... leider nur noch Vergangenheit, denn in dieser Weise heute kaum noch zu finden.

LG Syrdal

ladybird

Schon alleine das beeindruckende Foto zu Deinen sehr beeindruckenden Gedanken im Böhmerwald,
lieber Ferdinand,
haben mich sehr berührt....
was von Herzen kommt, geht zu Herzen.....
👍👍👍mit Freude und Dank grüßt
ladybird
PS. erst beim googlen stellte ich fest, dass ich bereits öfter dort in der sehr schönen Gegend war und nicht wußte, dass es der Böhmerwald ist...

Muscari


Lieber Ferdinand,

dies ist wahrhaftig ein mir noch unbekannter "Ferdinand", der mich ins Staunen versetzt.
Dieser Beitrag ist eine Wohltat für alle Sinne.
Zwar kenne ich diese Gegend nicht und somit auch nicht Stifters Dichterhaus, aber derartige Waldeindrücke sind mir aus unserer Gegend sehr vertraut.
Und so habe ich den "Sommerwaldgenießer" bei seinem Spaziergang gerne begleitet und bedanke mich sehr herzlich.
Andrea

Eisenwein

@Muscari  
Danke liebe Andrea für die angenehme Begleitung durch meinen Zauberwald.Liebe Grüße, Ferdinand.

Manfred36

Tief drin im Böhmerwald
Andreas Hartauer
Tief drin im Böhmerwald,
da liegt mein Heimatort;
es ist gar lang schon her,
daß ich von dort bin fort.
Doch die Erinnerung,
die bleibt mir stets gewiß,
daß ich den Böhmerwald gar nie vergiß.
Es war im Böhmerwald,
wo meine Wiege stand,
im schönen, grünen Böhmerwald,
es war im Böhmerwald, wo meine Wiege stand,
im schönen, grünen Wald.
O holde Kindeszeit,
noch einmal kehr zurück,
wo spielend ich genoß
das allerhöchste Glück,
wo ich am Vaterhaus
auf grüner Wiese stand
und weithin schaute auf mein Vaterland.
Es war im Böhmerwald, ...
Nur einmal noch, o Herr,
laß mich die Heimat seh'n,
den schönen Böhmerwald,
die Täler und die Höh'n;
dann kehr' ich gern zurück
und rufe freudig aus:
Behüt dich, Böhmerwald, ich bleib' zu Haus!
Es war im Böhmerwald, ...
 

Eisenwein

@Manfred36  
Danke für deinen Liedtext aus längst vergangener Zeit. Meine Mutter stammte aus dem Böhmerwald und hat mir dieses Lied oft vorgesungen. LG Ferdinand

JuergenS

Ich habe vor vielen Jahren, nach der Öffnung des eisernen Vorhangs das Haus von Stifter, ich glaub in Horni Plana besucht, den Stausee, das mickrige Denkmal auf dem Dreisessel, durch Lesen der Bücher Stifters wurde ich melancholisch, eher traurig....😏

Eisenwein

@JuergenS  
Vielen Dank für deinen Kommentar! Mir ergeht es ähnlich, beim Lesen von Adalbert Stifters. In der Erzählung "Der beschriebene Tännling” fand ich eine Passage - zum Niederknien zart und schön:

Zitat:
[...] Nur an ganz durchsichtigen Morgen, an denen wegen bevorstehenden Regens die Gegend mit keinem färbenden Dufte bedeckt ist, sondern die Dinge in trauriger Klarheit dastehen, schweben in Südost über der schmalsten Waldlinie die nordischen Alpen so weit und märchenhaft draußen, wie mattblaue, starr gewordene Wolken. [...]

Liebe Grüße, Ferdinand

JuergenS

@Eisenwein  
ja, aber ich mußte sozusagen die Notbremse ziehen, denn Stifter hätte mich zu weit von der Gegenwart weggezogen.

JuergenS

@JuergenS  
mein Großvater stammte aus dem B.wald, auch mir gefällt er zusammen mit dem bayerischen Teil. War oft dort.


Anzeige