"Anfänge einer Epoche" - über türk. Gastarbeiter der ersten Generation
Aus Anlass des umstrittenen Staatsbesuches von R. Erdogan in Berlin habe ich ein Buch wieder in die Hand genommen, das für mich schon vor längerer Zeit aufschlussreich war, was die Gründe für Migration betrifft. Damals kamen die Gastarbeiter aus wirtschaftlicher Not aus der Türkei, heute eher aus einem Mangel an (Meinungs-)Freiheit.
Ich finde, dass das Buch von großer Aktualität ist, denn es zeigt, was man richtig und was falsch machen kann, wenn fremde Menschen in unser Land kommen.
Lange hatte ich nach einem Buch gesucht, in dem ehemalige Gastarbeiter der ersten Generation über sich selbst und die Gründe ihrer Arbeitsaufnahme in Deutschland schreiben. Es gibt viele Fachbücher, Erhebungen, Statistiken über die sog. Gastarbeiter, die später „unsere ausländischen Mitbürger“ wurden. Wegen des Mangels an Facharbeitern waren eigens Verordnungen erlassen worden, die eine Anwerbung in den Heimatländern der Arbeiter ermöglichte. Die Firmen, die Gastarbeiter einstellen wollten, mussten sich ebenfalls einen Rahmen für dieses Prozedere erdenken, denn es kam ja nicht ein Einzelner, sondern oft ganze Gruppen von arbeitswilligen Menschen aus einer bestimmten Gegend oder einem Dorf.Wohnraum musste beschafft werden, Papiere und Genehmigungen beschafft, Anwerber in die Länder Türkei, Jugoslawien, Italien, Griechenland geschickt werden. Da das Reisegeld von den Firmen übernommen wurde, waren sie auch für die Logistik der Gruppen-Anreisen zuständig. So kam es, dass die Gemeinschaftsfahrten „Transporte“ genannt wurden, später „Gemeinschaftsreisen“ oder Gruppenreisen. Welch eine logistische Leistung dabei von den Firmen, den zuständigen Ämtern in den Heimatländern, von Kommunen in Deutschland und natürlich von den Gastarbeitern selbst erbracht wurde, davon ist in diesem Buch ebenfalls die Rede. Die Interview-Sammlung erschien bereits 2003. Ein Bestseller ist es gerade nicht geworden, was ich bedaure, denn es hätte uns schon viel früher interessieren sollen, aus welchen Gründen, unter welchen Umständen die Gerufenen kamen und wie es ihnen ergangen ist.
Der Herausgeber Hasan Cil, selbst Nachfahre eines türkischen Gastarbeiters, hat dankenswerterweise Interviews mit der Altersgruppe seiner Eltern geführt, die damals in den 60er Jahren nach Deutschland gekommen sind, meist ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse. Die Angeworbenen sind inzwischen im Rentenalter oder leben nicht mehr, es ist also an der Zeit, sich nach ihren Erlebnissen und Erfahrungen in einem fremden Land zu erkundigen, das manchmal sogar zur Heimat geworden ist. Oft blieb es aber die Fremde. Deshalb verwundert es nicht, dass die meisten Interviewpartner angeben, dass sie ihre letzte Ruhe in ihrem türkischen Heimatort finden wollen.
Drei Beispiele der Interviews aus dem Buch möchte ich hier nennen, auch ein Beispiel das zeigt, dass es damals nicht einfach war, eine Ausreisegenehmigung nach Deutschland zu bekommen:
Recep Y.:, seit 1972 in Deutschland, berichtet über die entwürdigende Gesundheitsuntersuchung vor der Ausreise nach Deutschland:„In Gruppen von 15 - 20 Leuten wurden wir untersucht. Wir mussten uns ausziehen, einer kontrollierte die Augen, einer die Ohren, ein anderer die Leistengegend. Einige wurden wegen Gesundheitsmängeln hinausgeschickt, Sogar diejenigen, denen ein Zahn fehlte, wurden ausgesiebt.“
Erkan A., seit 1971 in Deutschland, sagt:
„In diesen 30 Jahren habe ich nichts Schlechtes erlebt. Meine Kontakte zu den Deutschen sind außerordentlich gut. Und trotzdem habe ich eine Bestattungsversicherung für die Türkei abgeschlossen.“
Metin K., seit 1962 in Deutschland, berichtet:
„Als ich nach D. kam, dachte ich überhaupt nicht daran, hier zu bleiben. Bis zum 2. Kind, das in Deutschland geboren wurde, sagten wir uns jedes Jahr: Nächstes Jahr kehren wir in die Türkei zurück. So verging ein Jahr nach dem anderen.“
Inhalt des Buches:
Nach dem Vorwort, in dem die oben aufgeführten Gedanken ebenfalls abgehandelt werden, ist das Buch in einzelne Interviews gegliedert, die mit Gastarbeitern geführt wurden, die vor allem in Wolfsburg gearbeitet haben. Sie waren damals unter 40 und voller Tatendrang, hatten große Hoffnungen und Erwartungen und waren bereit, das Ihre dafür zu tun, damit der Neuanfang im kalten, fremden Land gelingt. Nun sind sie Rentner, haben mehr Zeit, um nachzudenken, über ihre Situation zu sprechen. Sie tun das gerne, denn sie hatten bisher nicht viel Interesse von Seiten der Medien über ihre Sicht der Dinge erlebt. Deshalb haben viele ausführlich, einige zögerlich geantwortet auf die Fragen des Herausgebers. Hasan Cil hat die Interviews sowohl in Türkisch, als auch in Deutsch in sein Buch aufgenommen. Das gibt dem Buch einen besonderen Reiz. Es könnte ein Anreiz sein, eine Lesung in diesen beiden Sprachen durchzuführen, mit Zuhörern, die den Inhalt der Berichte gar nicht oder nur aus dritter Hand kennen. Nun hätten sie Gelegenheit, beide Seiten der Medaille zu betrachten, jeder Zuhörer oder Leser jeweils in seiner Muttersprache.
Ella©2018
Foto: E.Z., privat
Kommentare (2)
Gastarbeiter der erstem Generation in den 60er Jahren waren aus deutscher Sicht nach meiner Erinnerung kein Problem, ebenso wenig wie die legalen Einwanderer aus diesen Ländern,die sich hier zu Kleinunternehmern mauserten. Wir hatten im Unternehmen Merkblätter in Türkisch, Griechisch, Italienisch, Spanisch, Serbo-Kroatisch und Portugiesisch. Ein Unterschied lag vielleicht darin, dass Türken ihre islamische Religion nicht aufgeben wollten; aber auch darauf waren die Lehrkräfte eingestellt. Kopftücher spielten m.W. keine Rolle. Während hier noch eine Vielzahl von All-Artikel- und Gastronomie-Geschäften in türkischer Hand sind, fallen natürlich die Arbeitnehmer nicht mehr auf. Mein Sohn hatte einen türkischen Freund und wir kannten die Familie. Eine größere Dimension waren hier die portugiesischen Gastarbeiter. Ihnen wurden ganze Häuserzeilen zur Verfügung gestellt und Urlaubsfahrten ins Herkunftsland im Bus organisiert. In der Schule machten ihre Kinder einen hohen %-Satz aus, und dort gab es seitens der Lehrerschaft zunächst erhebliche Revolten, die ich als Elternsprecher miterlebt habe. Das Problem löste sich aber überraschen schnell, und mein Nachfolger war sogar ein Portugiese. Noch heute feiern sie ihre Heimatfeste hier und ihre Enkel sprechen Portugiesisch. Aber sonst ist kein Unterschied. Sie sind (mit Ausnahme von Rückkehrern in ihr sonniges Heimatland) voll integriert, obwohl auch ihr Zusammenhalt untereinander, genau wie bei den Spaniern, nicht verloren gegangen ist. Mein Nachbarhaus ist ein spanisches Geschäft, das vor allem spanische Produkte importiert und wo auch
die Portugiesen einkaufen. Es ist aber auch z.B. gleichzeitig eine DHL-Agentur und nimmt Postgeschäfte wahr. Natürlich haben wir zu dem Verlauf eine Außenperspektive und das von dir angepriesene Buch ist sicher interessant.
Vor Jahren hatten wir Nachbarn aus Anatolien. Eines Tages hatten mein Mann und ich einen wichtigen Termin und konnten unseren damals 8 Monate alten Sohn nicht mitnehmen.
Meine Anatolischen Nachbarn hatten 3Kinder, die öfters zu uns kamen und so bat ich die Frau für ein paar Stunden auf unser Baby acht zu geben. Sie stimmte auch sofort zu.
Als ich unseren Sohn wieder abholte, war dieser nicht bei den Frauen in der Küche, er saß im Wohnzimmer, in mitten rauchender Männer und war offensichtlich vergnügt.
Maslina