Am Wasser
Das Wasser zieht uns Menschen magisch an – so lange es nicht lebensbedrohlich auf uns wirkt.
Wie oft sind wir als Kinder mit unserem Vater am Wochenende durch die Stadt in den Boniburger Wald oder zum Maikotten gewandert sind dabei am Dortmund-Ems-Kanal mit Münsters Schleuse stehen geblieben und haben den Frachtkänen zugeschaut, wie sie die „Wasserstufen“ hinauf- oder hinuntergeschleust wurden.
Gerne hörten wir den Geschichten unseres Vaters zu, der davon erzählte, wie ihm seine Brüder im Datteln-Hamm-Kanal nahe Henrichenburg das Schwimmen beigebracht hatten: einfach von der Kanalbrücke ins Wasser geworfen und hinterher gesprungen …
Es war schon spannend zu sehen, wie sich die Schleusentore schlossen und der Wasserpegel auf der einen Torseite immer mehr sank, auf der anderen Torseite aber sprudeln höher stieg und das Schiff in der Schleusenkammer mit nach oben nahm.
In Münster hatten wir ja nur das kleine Flüsschen Münstersche Aa, das in früherer Zeit mit seinen Feuchtgebieten und sumpfigen Wiesen am Stadtrand dafür sorgte, dass die Altstadt fast jedes Jahr überflutet wurde. Aber das erfuhr ich erst in den letzten Jahren, als ein schweres Gewitter den Keller meines Elternhauses einen starken Wassereinbruch bescherte. Trotz des vorsorglichen Einbaus einer Wanne für unser Haus drang das Wasser aus der Ablaufgrube und über die Kellerfenster in den Keller und sorgte für einen Wasserstand von 70 cm …
Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde das damalige Stadtrandgebiet mit seinen Feuchtgebieten und sumpfigen Wiesen durch Erdwälle geschützt. Ein Bischof von Galen führte nach dem 30-jährigen Krieg mit Münster einen Glaubens- und Wirtschaftskrieg. Um endlich die Stadt einnehmen zu können, ließ er die Aa aufstauen und am 18. Dezember 1660 kam es zu einer Überflutung der Altstadt Münsters. Das belagerte Münster musste sich ergeben.
Erst im Frühjahr 1914 begann man mit dem Ausbau des Aasees zu einem Stausee. Aber der erste Weltkrieg stoppte die Arbeiten sofort wieder. Erst 1925 wurde der Bau des ersten Teils des Aasees weitergeführt. Und in den 1970er Jahren wurde die Seefläche auf mehr als das Vierfache zum heutigen Aasee erweitert. In den Wintern Ende der 1950er Jahre fror der Aasee lange zu und wurde zum Eislaufparadies für die Kinder Münsters. Ich hatte keine Schlittschuh, aber mit dem Fahrrad auf dem Eis zu fahren, ohne auszurutschen, war mir schon ein Spaß wert. Unglaublich fanden die Kinder es, als auch ein VW-Käfer auf dem See fuhr und das Eis hielt!! Wir wussten, dass man an bestimmten Stellen das Eis nicht betreten durfte, denn darunter sah man die kleine Aa fließen, dort trug das Eis nicht mehr. Aber mein späterer Mann, der sein Zuhause am Aaseeufer hatte, wollte die willkommene Abkürzung über den See nach Hause nehmen. Er war der Ansicht, das schmale Flüsschen unter der Eisdecke könne er überwinden – aber er brach ein und musste den kurzen Rest seines Heimwegs klatschnass von oben bis unten heim laufen.
Wie so ein kleines Flüsschen ein Städteschicksal bestimmen kann …
Nach dem 2. Weltkrieg erkrankte meine Mutter an Krebs und verstarb im Sommer 1951. Die ganze Familie samt Krankenschwester fuhr daraufhin zur Erholung von den anstrengenden Monaten für vier Wochen auf die Insel Borkum.
Die stundenlange Zugfahrt, zu der wir schon früh aufgebrochen waren, brachte uns nach Emden-Außenhafen. Das Wetter war stürmisch und die See doch recht unruhig. Aber uns Kinder störte das überhaupt nicht. Während die Erwachsenen sich unter Deck aufhielten, aßen wir Kleinen unseren mitgebrachten Reiseproviant, praktisch durch Regenmäntel geschützt oben auf Deck an der Reling, beobachteten die Möwen, die uns ebenfalls mit unseren Brötchen beobachteten. Damals kannten die Vögel es wohl noch nicht so, dass sie den speisenden Menschen die Leckerbissen aus den Händen schnappten. Dann gesellten sich eiligst zwei alte Damen zu uns. Ihnen war unter Deck vom Schaukeln der Fähre übel geworden und prompt übergaben sie sich – vermeintlich in die See. Doch sie hatten den Wind nicht beachtet und der gab ihnen alles zurück, was ihr Magen nicht hatte behalten wollen … Für uns Kinder eine interessante Erfahrung, die wir ganz bestimmt nie mehr vergessen haben.
Viele Jahre später habe ich es oft genossen, zumindest eine Fährfahrt von oder nach Borkum mit dem Katamaran zu fahren. Dieses übers Wasser zu düsen mit schön hoch spritzender Gischt fand ich immer wieder herrlich.
Heute wohne ich an der Weser, genieße ab und zu mit meinen Kegelschwestern und -brüdern auf einem Gelände am Fluss die vorbeifahrenden Lastkäne, aber gelegentlich auch schon mal einen Ausflugsdampfer - sogar einmal einen aus der Schweiz! Welchen Weg der wohl genommen hat, um bei uns auf der Weser vorbeizuschippern?
Meine Tochter hat ein Motorboot und genießt immer wieder gern ein paar Stunden auf der Aller und der Weser. Als Selbstständige kann sie nicht Urlaub machen, wann sie will. Da heißt es, immer mal ein paar Stunden für etwas Schönes zu nutzen. Auch einmal mit ihr eine Schleusung in Richtung Bremen zur Schlachte habe ich erleben dürfen. Ich kenn ja, wie das Wasser herunter oder herauf sich in der Schleusenkammer füllte. Aber dass man auch dabei darauf achten muss, dass das Boot nicht festgezurrt wird, sondern an einer der Leitern in der Kammer stets „mitsteigend“ festzuhalten ist, war mir neu. Wir haben es aber gut gemeistert.
Und ich bekam DEN Sonnenbrand meines Lebens auf der Stirn! Meine Haut war immer unempfindlich, Sonnenbrand kannte ich nicht. Aber auf dem Wasser eine stundenlange Heimfahrt zu bewältigen, brachte auch mir die Erkenntnis: So ganz unempfindlich bist Du doch nicht!
Übrigens nahe meiner letzten Arbeitsstätte bei Gesmold gibt es eine Bifurkation. So nennt es sich, wenn ein Wasserlauf einen Arm bildet, der nicht wieder dem ursprünglichen Wasser zufließt. Dort trennt sich die Hase von einem Drittel ihres Wasers. Die Hase mündet in die Ems und die Else, wie sich der andere Arm nennt, fließt zur Werra und mit ihr in die Weser. Hab ich auch erst spät erfahren und kennengelernt.
Kommentare (4)
@Manfred36
Ich muss gestehen, wir Münsteraner haben eigentlich Jahrzehnte lang sehr viel Glück gehabt mit den Überschwemmungen, die die kleine Aa mit ihren Feuchtwiesen den Vorfahren Jahrhunderte bescherte.
Eine Überschwemmung erlebte unser eigenes Haus direkt am Teutoburger Wald erst vor ein paar Jahren. Starker Gewitterregen sorgte dafür, dass der frisch eingesäte Acker von der anderen Straßenseite, der auch noch höher lag als unser Haus, sich in unserer Garage und dem Keller ausbreitete. Leider war von uns niemand zuhause und unsere Mieter haben sich nicht genötigt gefühlt, nachzuschauen, ob das Garagentor offen wäre. Sie hätten nur die Garagen-Gartentür ebenfalls öffnen müssen, dann wäre der ganze Schlamm durch den Garten in den Bach geflossen und nicht in die Kellerräume ...
Wenn allerdings die Stadt dafür sorgt, dass solch friedliche Bäche bei Starkregen nicht mit ihrem Wasser durch die dicken Rohre fließen, sondern dann auch noch Geschäfte unter Wasser setzen - sollte man meinen, das ist "stadt"-gemacht ... Wenn Gewitterregen schon im Teutoburger Wald heftig Niederschlag brachte, kam unser kleiner Bach auch über die Ufer, aber nicht bis an unser Haus.
Aber ich denke die Stadtväter haben dazu gelernt. Die Menschen lernen mit ihren Erfahrungen. Übrigens war unser Grundstück ursprünglich auch mal vor ca. 100 Jahren ein Badeteich ...
lichen Dank fürs Lesen und Kommentieren sagt Uschi
Lauter interessante und "nasse" Erinnerungen mit geschichtlichem Hintergrund.
Könnte vielleicht sein, dass Dich "mein" Rhein inspiriert hat....
Auch die Fotos sind schön und eindrucksvoll, wobei mir gerade einfällt, dass auch mein Mann das Schwimmen mit einem Sprung in den Dortmund-Ems-Kanal gelernt hat.
Schleusen gibt es z.B. auch in Holland, vor denen die Boote allerdings oft lange warten müssen.
In Münster studiert z.Zt. unser Enkel und erzählt immer wieder, wie begeistert er von der Stadt ist. Nicht zuletzt vom Aasee, der gerade beim momentanen Sommerwetter in den Mittelpunkt rückt.
Gerne habe ich Deinen "Wasserbericht" gelesen, hatte endlich die Zeit dazu.
Mit liebem Gruß von
Andrea
@Muscari
Ja, liebe Andrea, Deine "Rhein-Geschichte" hat mich inspiriert. Und beim Schreiben ist mir noch so manch andere Geschichte dazu eingefallen, hab obendrein heute Nachmittag meinem Enkel einiges davon erzählt mit dem Ergebnis: "Oma, weißt Du noch andere solche Geschichten?"
Es macht ja vor allem Spaß, wenn man dann auf den Uropa oder die Ururoma zurückgreifen kann ...
Auch auf der Weser sollte man sich zuvor orientieren, wann die diversen Schleusen genutzt werden können, will man lange Wartezeiten vermeiden. Ist wohl auf vielen Wasserstraße so.
Seitdem es den Waldfriedhof Lauheide nahe Münster gibt, werden viele Menschen eher dort begraben. Der münstersche Zentralfriedhof ist übervoll und nur noch sehr alten Familienmitgliedern vorbehalten. Dazu ließ eine ältere Dame dann man hören, sie möchte nicht auf den Zentralfriedhof (direkte Nachbarschaft zum Aasee) beerdigt werden, der wäre ihr zu nass ...
Ich bin froh, nicht mehr in Münster zu wohnen. Es ist mir dort zu wuselig geworden. Meine erste Wohnung in meinem Elternhaus im OG war zu laut!! An der Straße gab es sommerabends den Musiklärm aus der Kavete und auf der Rückseite bis in die Abendstunden der Echolärm der Indianer spielenden Kinder von gleich drei Schulhöfen.
Ich höre immer wieder von Bekannten, wie schön sie Münster finden - aber ich vermisse die Stadt, in der ich groß geworden bin, aus den 1950er - 60er Jahren, es war alles noch familiärer. Und "plümpsen" fuhren wir lieber zum KÜ (Kanalübergang über die Ems bei Telgte) an die Ems. Dort hatten wir unsere eigene kleine Sandbank und nicht so viele Menschen drumherum ...
Aber in der Erinnerung ist sowieso stets alles schöner als es vielleicht mal war ...
lichen Dank für Dein Lesen und Kommentieren sagt Uschi
Erlebnisse mit dem Wasser hat jeder, aber keiner hat die großen und langen Wasser wohl so intensiv erlebt wie du. Ich lebe in einer Gegend, wo sich Wasser immer wieder zu kleinräumigen Überschwemmungsgewässern sammeln, nicht erst heute, wo man dem hektisch entgegenarbeitet; auch nach den spätmittelalterlichen Annalen war es nicht anders in der Stadt der Wasserbecken und Woogen (KL). Die haben oft als Puffer nicht ausgereicht und die Fische (unser Wappentier) und Krebse bis in die Häuser gespült. Gestern habe ich mir schidern lassen, wo überall an/in dem kleinen renaturierten Flüsschen Lautern rurale Badestationen eingerichtet sind. Im größten Freibad Deutschlands reicht heuer das Betreuungspersonal nicht mehr, so dass man vorübergehend Kräfte der Berufsfeuerwehr einsetzen muss.