Abschied von der ISE
Abschied von der ISE
In der Nacht habe ich von meiner Arbeit geträumt, nein keine Angst, es war kein Albtraum, ich bin doch glücklich mit der Arbeit verheiratet. Ich habe ganz legal ein Doppelleben geführt, auf der einen Seite war ich Ehefrau und Mutter, auf der anderen Seite, lebte ich mit Zahlen und Formeln. Ich war eine jener emanzipierten Zicken, die gleich nach der Geburt ihres ersten Kindes auf Arbeit rennen. Die Worte meines Schwiegersohnes sind mir noch heute im Ohr und beschreiben letztendlich die Kluft zwischen uns. Vielleicht hat er ja auch seiner Sicht Recht, aber ich folgte nur dem Zeitgeist, der sich mit meinen Wünschen im Einklang befand. Natürlich ist mir dieser Spagat nicht restlos gelungen. Damit muss man sich abfinden, wenn man Diener zweier Herren ist. Um ganz ehrlich zu sein, wollte ich mein eigenes Ding, wollte Freiheit und Unabhängigkeit. Den Schlüssel dazu sah ich im Studium der Nachrichtentechnik. Im September 1968 betrat ich als Studentin das rote Backsteingebäude in der Marktstraße, und war eine der wenigen Frauen, die in dieser Männerdomäne Fuß fassen wollten. Ich will nicht sagen, das mir alles in den Schoß viel, im Gegenteil, mit einigen Fächern musste ich regelrecht kämpfen, offene und geschlossene Stromkreise, Schwingkreise und bistabile Multivibratoren machten mir das Leben schwer. Wenn man jung ist, steht einem die Welt offen und man greift nach den Sternen. Und einer viel vom Himmel, direkt in meinen Schoß. Wie reich war ich doch in den ersten drei Jahren, als Studentin an der ISE, der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik. Natürlich war ich nicht nur mit der Formelsammlung und dem Rechenschieber unterwegs. Ich genoss, was man schlechthin als Studentenleben bezeichnete, verlängerte meine Osterferien in Budapest, kellnerte in Prerow und tanzte im Studentenclub und verliebte mich unsterblich. „Dann höre doch mit dem Studium auf und heirate den Koch“, sprach mein Vater. Das lag jedoch nicht in meiner Absicht, ich wollte den Koch und den Ingenieur. Gegensätze ziehen sich an, oder gleich und gleich gesellt sich gern, es hat beides nicht gestimmt, jedenfalls nicht bei mir, den Koch tauschte ich gegen den Elektriker und kam vom Regen in die Traufe. Nur die Technik, meine heimliche Braut hat mich nicht enttäuscht, sie ist zwar kompliziert aber berechenbar logisch. Mein Beruf wurde zu meiner Berufung, ich wurde Laboringenieur und blieb an der ISE. Den Start würde ich nicht als ideal bezeichnen. „Nun hast du ja alles erreicht, dein Arbeitgeber wird sich freuen“, kommentierte meine Mutter meinen Beginn. Ich hatte mich noch nicht eingearbeitet, und legte nach zweieinhalb Monaten Tätigkeit eine Pause ein, ich ging in den Schwangerschaftsurlaub. Dumm gelaufen, Kind schreit- Arbeit ungenügend. Aber ich wusste, ich kann es besser. Trotzdem habe ich erst mal Prügel bezogen, mein Chef fragte mich, wann ich gedenke mal eine Woche ohne Fehlstunden zu arbeiten. Ich tanzte auf vier Hochzeiten, Arbeit, Englischkurs, Fahrschule und Stillen, das haut die stärkste Frau um und ich bekam eine Kur an der Ostsee. Es war nicht einfach in den ersten Jahren, aber ich habe mich durchgebissen. Bange machen gilt nicht, hatte meine Mutter mir immer gepredigt.
Wenn ich heute nach knapp 41 Jahren das Haus verlasse, geschieht das mit erhobenem Haupt.
In diesen Mauern habe ich gelernt und gearbeitet, geweint und gelacht, verloren und gewonnen. Hier war ich glücklich und habe zu mir selbst gefunden. Ich habe genau die Arbeit gemacht, von der ich sagen kann, sie hat mich erfüllt.
Es ist mein letzter Tag, wir ziehen um. Ich sitze auf gepackten Kisten, der Hausmeister steht hinter mir und fragt mich, was ich hier noch mache, ich wäre die Letzte. Ich antworte, Abschied nehmen.
Ich werde mit einem Glas Sekt in der Hand und einem Lied auf den Lippen feiern. Ich will feiern und nicht trauern, ganz allein…. hoch lebe die ISE, meine Schule.
(Kein Alkohol am Arbeitsplatz, nein, die Feier findet heute Abend statt.)
Vier Jahre später.
Es tut so weh, als wenn mich eine Liebe verlässt, mein letztes Labor hat begonnen, es ist Freitagnachmittag. Der reale Abschied rückt immer näher und am 1.Oktober ist mein Berufsleben Geschichte. Mein letzter Lebensabschnitt rückt beängstigend in greifbare Nähe. Mir ist nicht nach feiern. Es geht alles vorüber, nichts ist für die Ewigkeit.
Ich war doch gerade noch Studentin und habe … vorbei…
In der Nacht habe ich von meiner Arbeit geträumt, nein keine Angst, es war kein Albtraum, ich bin doch glücklich mit der Arbeit verheiratet. Ich habe ganz legal ein Doppelleben geführt, auf der einen Seite war ich Ehefrau und Mutter, auf der anderen Seite, lebte ich mit Zahlen und Formeln. Ich war eine jener emanzipierten Zicken, die gleich nach der Geburt ihres ersten Kindes auf Arbeit rennen. Die Worte meines Schwiegersohnes sind mir noch heute im Ohr und beschreiben letztendlich die Kluft zwischen uns. Vielleicht hat er ja auch seiner Sicht Recht, aber ich folgte nur dem Zeitgeist, der sich mit meinen Wünschen im Einklang befand. Natürlich ist mir dieser Spagat nicht restlos gelungen. Damit muss man sich abfinden, wenn man Diener zweier Herren ist. Um ganz ehrlich zu sein, wollte ich mein eigenes Ding, wollte Freiheit und Unabhängigkeit. Den Schlüssel dazu sah ich im Studium der Nachrichtentechnik. Im September 1968 betrat ich als Studentin das rote Backsteingebäude in der Marktstraße, und war eine der wenigen Frauen, die in dieser Männerdomäne Fuß fassen wollten. Ich will nicht sagen, das mir alles in den Schoß viel, im Gegenteil, mit einigen Fächern musste ich regelrecht kämpfen, offene und geschlossene Stromkreise, Schwingkreise und bistabile Multivibratoren machten mir das Leben schwer. Wenn man jung ist, steht einem die Welt offen und man greift nach den Sternen. Und einer viel vom Himmel, direkt in meinen Schoß. Wie reich war ich doch in den ersten drei Jahren, als Studentin an der ISE, der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik. Natürlich war ich nicht nur mit der Formelsammlung und dem Rechenschieber unterwegs. Ich genoss, was man schlechthin als Studentenleben bezeichnete, verlängerte meine Osterferien in Budapest, kellnerte in Prerow und tanzte im Studentenclub und verliebte mich unsterblich. „Dann höre doch mit dem Studium auf und heirate den Koch“, sprach mein Vater. Das lag jedoch nicht in meiner Absicht, ich wollte den Koch und den Ingenieur. Gegensätze ziehen sich an, oder gleich und gleich gesellt sich gern, es hat beides nicht gestimmt, jedenfalls nicht bei mir, den Koch tauschte ich gegen den Elektriker und kam vom Regen in die Traufe. Nur die Technik, meine heimliche Braut hat mich nicht enttäuscht, sie ist zwar kompliziert aber berechenbar logisch. Mein Beruf wurde zu meiner Berufung, ich wurde Laboringenieur und blieb an der ISE. Den Start würde ich nicht als ideal bezeichnen. „Nun hast du ja alles erreicht, dein Arbeitgeber wird sich freuen“, kommentierte meine Mutter meinen Beginn. Ich hatte mich noch nicht eingearbeitet, und legte nach zweieinhalb Monaten Tätigkeit eine Pause ein, ich ging in den Schwangerschaftsurlaub. Dumm gelaufen, Kind schreit- Arbeit ungenügend. Aber ich wusste, ich kann es besser. Trotzdem habe ich erst mal Prügel bezogen, mein Chef fragte mich, wann ich gedenke mal eine Woche ohne Fehlstunden zu arbeiten. Ich tanzte auf vier Hochzeiten, Arbeit, Englischkurs, Fahrschule und Stillen, das haut die stärkste Frau um und ich bekam eine Kur an der Ostsee. Es war nicht einfach in den ersten Jahren, aber ich habe mich durchgebissen. Bange machen gilt nicht, hatte meine Mutter mir immer gepredigt.
Wenn ich heute nach knapp 41 Jahren das Haus verlasse, geschieht das mit erhobenem Haupt.
In diesen Mauern habe ich gelernt und gearbeitet, geweint und gelacht, verloren und gewonnen. Hier war ich glücklich und habe zu mir selbst gefunden. Ich habe genau die Arbeit gemacht, von der ich sagen kann, sie hat mich erfüllt.
Es ist mein letzter Tag, wir ziehen um. Ich sitze auf gepackten Kisten, der Hausmeister steht hinter mir und fragt mich, was ich hier noch mache, ich wäre die Letzte. Ich antworte, Abschied nehmen.
Ich werde mit einem Glas Sekt in der Hand und einem Lied auf den Lippen feiern. Ich will feiern und nicht trauern, ganz allein…. hoch lebe die ISE, meine Schule.
(Kein Alkohol am Arbeitsplatz, nein, die Feier findet heute Abend statt.)
Vier Jahre später.
Es tut so weh, als wenn mich eine Liebe verlässt, mein letztes Labor hat begonnen, es ist Freitagnachmittag. Der reale Abschied rückt immer näher und am 1.Oktober ist mein Berufsleben Geschichte. Mein letzter Lebensabschnitt rückt beängstigend in greifbare Nähe. Mir ist nicht nach feiern. Es geht alles vorüber, nichts ist für die Ewigkeit.
Ich war doch gerade noch Studentin und habe … vorbei…
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