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THEMA: Schulboykott
15 Antwort(en).
Margit
begann die Diskussion am 29.12.04 (14:35) :
Der unten zitierte Spiegel-Artikel "Flucht ins Exotische" von Volker ter Haseborg hat mich nachdenklich und ärgerlich gemacht.
Vorweg: ich selbst bin seit rund 30 Jahren an der Schule als Lehrerin, dazu kommen die eigenen Erfahrungen als Schülerin und als Mutter eines (ehemaligen) Schülers.
Meine Erfahrungen: im Allgemeinen fühlen sich Schüler in der Schule wohl und gehen gern dorthin, selbst dann, wenn sie nicht zu den leistungsstarken Schülern einer Klasse gehören. Bei Begegnungen mit Ehemaligen höre ich oft Sätze wie "Die Schulzeit war die schönste Zeit in meinem Leben" (das wäre ein neues Diskussionsthema. Mich erschrecken derartige Aussagen immer etwas). Probleme möchte ich nicht schön reden. Es gibt sie im Zusammenleben mit Mitschülern, mit Lehrern, mit schwachen Leistungen. Dass sie Schüler extrem belasten können, ist klar.
Als besonders belastend sehe ich jedoch immer die Erwartungen von Eltern an ihre Kinder. Dieser Druck ist teilweise so enorm, dass Kinder weder mit sich selbst noch mit der Klasse oder gar dem Lehrer zurechtkommen können.
Das andere Extrem zeigt der Artikel auf: Eltern, die ihre Kinder mit einer totalen laissez-faire-Umgebung belasten. Kinder ohne Grenzen und ohne Anpassung? Kinder ohne Unterricht und ohne Kontrolle? Neue Summerhill-Träume? Was machen diese "freien" Kinder, wenn es um Lehrstellen oder Berufsqualifikationen geht?
Meine Überzeugung: Kinder brauchen (und wollen) Erziehung und Ausbildung. Sie ihnen vorzuenthalten, ist ein Verbrechen. Über Inhalte und Methoden darf und soll diskutiert werden. "Jeder bestimmt selbst, ob und was er lernen will", funktioniert vielleicht bei einzelnen Wunderkindern.
Es war ein großer Fortschritt, als die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde. Der Staat sollte ohne Not nicht darauf verzichten.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die Antischuleltern genug Vermögen besitzen, ihren Kindern ein "selbstbestimmtes" Leben zu garantieren.
Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,334256,00.html
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Karl
antwortete am 29.12.04 (14:57):
Davon ist nicht auszugehen. ich lese gerade:
"Zu den Schulrebellen in Deutschland gehören auch Fundamentalchristen, die sich vor allem an Sexualkunde und Evolutionslehre stören, die an Staatsschulen unterrichtet werden. Etwa 400 Familien in Deutschland widersetzen sich aus religiösen Gründen der Schulpflicht, so der Verein "Schulunterricht zu Hause". Dazu gehört etwa die Religionsgemeinschaft "Zwölf Stämme" (SPIEGEL 49/2003). Die christliche Abneigung gegen die Schulpflicht ging sogar so weit, dass Väter sich zeitweise ins Gefängnis stecken ließen. Zur staatlichen Schule gehen die Kinder bis heute nicht."
Na prima :-( Die Fundis kommen überall.
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BarbaraH
antwortete am 29.12.04 (15:33):
Deine positiven Erfahrungen mit der Schule teile ich leider nicht, Margit.
Insgesamt habe ich meine drei Kinder über achtzehn Jahre lang durch ihre Horror-Schulzeit begleitet, habe mir dabei von Lehrern sagen lassen, dass ich eine überehrgeizige Glucke mit geistig minderbemittelten Kindern sei, man müsste mir das Sorgerecht entziehen, da ich meinen Kindern unendlich schade, etc.
Erst im Studium blühten sie auf, hatten keinerlei Schwierigkeiten mehr, machten ihr Diplom mit besten Abschlüssen.
Insofern wirst Du vielleicht nachvollziehen können, dass mein Adrenalinspiegel beim Lesen Deiner Zeilen merklich anstieg... vonwegen Erwartungen und Druck der Eltern...
Seriöse Untersuchungen gehen von drei bis sieben Prozent legasthenen SchülerInnen an deutschen Schulen aus.... es betrifft somit tausende. Diese Kinder passen nicht in unser Schulsystem. Obwohl normal oder gar überdurchschnittlich begabt, drohen sie, zu totalen Schulversagern zu werden. Bei meinem Sohn wurde der Rechtschreibprozentrang 0,1 bei einem IQ von 136 ermittelt. Ich denke, das wird Dir genug sagen...
Insofern kann ich gut verstehen, wenn Eltern nach Auswegen aus diesem Dilemma suchen. Dabei teile ich Karls Sorge. Gerade heute habe ich von einem Pilotprojekt "Schule unterm Kirchturm" des Vereins "Evangelische Schulstiftung Hamburg" gelesen. Evangelische Schulen gab es hier im Norden bisher so gut wie keine. Nun rüstet man auf...
Quelle: Hamburger Abendblatt vom 29.12.04 Erste Schule unterm Kirchturm https://www.abendblatt.de/daten/2004/12/29/381425.html
Internet-Tipp: https://www.abendblatt.de/daten/2004/12/29/381425.html
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Margit
antwortete am 29.12.04 (19:22):
liebe BarbaraH,
zum Glück gibt es heute für Lehrer vielfältige Informationen zu Legasthenie und für Schüler Sonderregelungen zur Bewertung von Arbeiten. Auch bei der alten Garde ist da inzwischen einiges durchgedrungen, so dass die Problematik bekannt ist und Schüler mit ihrer partiellen Schwäche akzeptiert werden. Manchmal scheint das Wissen aber noch nicht bis zu jedem Lehrer durchgedrungen zu sein. Auch ich habe Kollegen erlebt, die Schüler für Rechtschreibefehler in Fächern Notenabzug machten, obwohl diese z.B. in Biologie oder Geschichte nichts zur Sache taten. Ich streiche Rechtschreib- und Grammatikfehler konsequent an, bewerte sie aber in meinen Fächern nicht. Dass Eltern von Schülern, die besondere Unterstützung brauchen, welche ihnen in der Regelschule nicht oder nur unzureichend gegeben wird, nach anderen Schulmöglichkeiten suchen, ist verständlich. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass "Schulen" wie das im Spiegel beschriebene "Katzenhäusle" Probleme nicht lösen, sondern schaffen bzw. vorhandene vergrößern. Zu deinen Schulerfahrungen kann ich nichts sagen, da ich zu wenig darüber weiß. Bei meiner Kritik an überehrgeizigen Eltern dachte ich Schüler, die z. B. in der Schule abschalten, weil sie sowieso nachmittags nochmals alles beim Nachhilfelehrer (festengagierten Studenten) nacharbeiten müssen, an Schüler, die sich mit einer Drei vor dem Nachhausekommen fürchten; an Eltern, die jede Arbeit "nachkorrigieren", um eventuell einen halben Fehler zu kritisieren, die Mittags um Zwei anrufen, um sich über die Klassenarbeit, die am morgen geschrieben wurde, zu beschweren usw. Sicher sind keine Schule und kein Lehrer und kein Schüler und keine Eltern perfekt. Schade ist es aber, wenn das Bild der öffentlichen Schulen mit ihrer tatsächlichen Leistung nur ex negativo dargestellt wird. Mich würde deine Meinung zu den im oben zitierten Spiegelartikel vorgestellten "Schulen" interessieren.
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BarbaraH
antwortete am 29.12.04 (21:58):
Das ist für mich schwierig, Margit. Aber ich will es versuchen.
Es gibt Studien, die belegen, dass Kinder auch ohne Schule sehr viel lernen, weil sie von Natur aus wissbegierig sind. Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich sagen, dass die Schule viele Kinder eher am Lernen hindert als sie zu fördern.
Über Goethe las ich, dass sein Vater ihm keinen Hauslehrer zur Seite stellte, wie es damals in wohlhabenen Häusern üblich war, sondern dass er ihn gewähren ließ. So spielte der junge Goethe viel mit der älteren Schwester und der noch recht jungen Mutter, schaute nachts in den Sternenhimmel und ersann Geschichten und erste Gedichte. Was wäre aus ihm geworden, wenn ihm ein strenger Lehrer ständig die Fehler in diesen ersten Werken mit roter Tinte angestrichen hätte?
Nun gut... auch das Modell "Goethe" kann Kinder benachteiligen, wenn sie in einem ungünstigen Umkreis aufwachsen. Ich würde für eine Änderung der Schulpflicht in Unterrichtspflicht plädieren, so wie es lt. SPIEGEL-Artikel in einigen EU-Ländern praktiziert wird:
>>In Belgien, Großbritannien oder Frankreich können Eltern ihre Kinder deshalb entweder zur Schule schicken oder sie selbst unterrichten. Aber: Alle müssen staatliche Prüfungen bestehen. In Österreich schreiben Schüler, die nicht zur Schule gehen, jährlich staatliche Tests. In Deutschland jedoch gilt eigentlich: Wer nicht zur Schule geht, bekommt keinen Abschluss.<<
Warum bekommt in Deutschland ein Kind keinen Abschluss, wenngleich es das geforderte Wissen hat? Warum sollte es nicht Eltern oder Initiativen geben, die dieses Kind besser fördern können als die staatliche Schule? Warum wird es nur Kindern wohlhabener Eltern ermöglicht, diesem Schulsystem durch die Flucht in ein kostspieliges Internat zu entgehen?
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Margit
antwortete am 30.12.04 (00:04):
Liebe BarbaraH,
sicher, der Mensch lernt sein Leben lang. Auch Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Die heutigen Schulen sind so gut ausgestattet, dass es trotz vorhandener Mängel für Eltern kaum machbar sein wird, entsprechende Lernumgebungen zu bieten. Ganz abgesehen vom sozialen Lernen im Klassenverband.
Deine Informationen zu Goethe, den wir als eines der seltenen Genies vielleicht nicht als Beispiel anführen sollten, sind mir neu.
Meines Wissens war er der Älteste, seine Schwester war 15 Monate jünger als er. Ob er wie sie im Alter von drei Jahren die Frankfurter Spielschule besuchte, um Lesen und Schreiben zu lernen, bin ich mir nicht ganz sicher. Aber nach dem Umbau des väterlichen Hauses erhält er ab 1755 zusammen mit seiner Schwester Unterricht von Hauslehrern unter der Aufsicht des Vaters. Zur Ausbildung gehörte Griechisch und Latein, später auch Französisch sowie Stunden in Englisch, Italienisch, Mathematik, Jura, Geographie, Schönschreiben, Zeichnen, Musik sowie Fechten, Reiten, Anstandslehre und Tanz. 1765 begann Goethe dann mit seinem Universitätsstudium.
Die gute Ausbildung hat dem Genie sicher keinen Abbruch getan.
Schüler können heute durchaus auch als "Externe" Abschlussprüfungen ablegen. Das reicht vom Hauptschulabschluss bis hin zum Abitur. Die Erfolgsquote ist allerdings m.E. nach geringer als die von Schülern, die herkömmlich beschult wurden.
Nach wie vor sehe ich keine Notwendigkeit vor unserem "Schulsystem" zu fliehen.
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BarbaraH
antwortete am 30.12.04 (01:30):
>>Nach wie vor sehe ich keine Notwendigkeit vor unserem "Schulsystem" zu fliehen.<< (Margit)
Das liegt wohl an den unterschiedlichen Erfahrungen, die wir beide gemacht haben.
Von Goethe ist mir außerdem bekannt, dass er Worte in ein und demselben Gedicht unterschiedlich schrieb, mitunter auf vier verschiedene Arten. Vielleicht wurden die Schwerpunkte damals anders gelegt als heute.
Abgesehen von persönlichen Erfahrungen haben die PISA-Studien gezeigt, dass unser System gravierende Mängel hat. Wenn das Versagen der Kinder vorwiegend am Erfolgsdruck der Eltern liegen soll, frage ich mich, warum lt. PISA die soziale Herkunft entscheidend für den Schulerfolg ist. Das zeigt doch, dass es Kinder ohne häusliche Hilfe sehr viel schwerer haben, dass die Schule die Mithilfe des Elternhauses voraussetzt. Insofern ist es konsequent, wenn einige Eltern die Bildung ihrer Kinder gleich ganz übernehmen möchten.
Nein, ideal fände ich das nicht. Trotzdem sollte unser System endlich vom Tadeln aufs Loben umschalten. In Finland bekommen die Schüler bis zur 8. Klassenstufe keine Zensuren. Sitzenbleiben gibt es nicht. Ihr Motto lautet: fördern statt trennen. Bei uns leider undenkbar.
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mart
antwortete am 30.12.04 (07:42):
Wenn man aus PISA immer das herauspickt, was ins (ideologische) Weltbild paßt, ist diese Testerei wirklich umsonst - nein, vielmehr nicht umsonst, sondern das Geld wird zum Fenster hinausgeworfen.
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Margit
antwortete am 30.12.04 (09:31):
Mit der PISA-Keule habe ich schon gerechnet. Die Studie ist alarmierend, trotzdem sollte man sich davor hüten, Äpfel mit Rüben zu vergleichen.
Dass Goethe im Deutschen Worte unterschiedlich geschrieben hat, ist für die damalige Zeit noch klar. Im Latein- und Griechischunterricht war die Rechtschreibung auch damals eindeutig.
Ich sehe keinen Weltuntergang darin, wenn Schüler mit Legasthenieproblemen die Rechtschreibung nicht beherrschen; allerdings warne ich davor, daraus den Schluss zu ziehen, dass Rechtschreibung ein Relikt aus überholten Zeiten ist. Oter ferstet ir mich zo bessr? ;-)
Auf welches "Versagen" der Schüler beziehst du dich hier? PISA oder in der persönlichen Schullaufbahn?
"Wenn das Versagen der Kinder vorwiegend am Erfolgsdruck der Eltern liegen soll.." so habe ich das nicht behauptet. Siehe Beginn der Diskussion.
"Trotzdem sollte unser System endlich vom Tadeln aufs Loben umschalten" . Grundlegend richtig, das geschieht auch so. Allerdings darf Lob nicht mit der Gießkanne verteilt werden, weil es dann an Wert verliert. Gelobt werden sollen und müssen individuelle Fortschritte und Anstrengungen: dann bleibt Lob auch das, was es ist. Seit geraumer Zeit werden übrigens auch an unseren Schulen in den ersten Klassen (auch am Gymnasium) im Zeugnis Mitteilungen über Lernverhalten und Lernfortschritte etc. erstellt.
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mart
antwortete am 30.12.04 (10:20):
Hier ein überaus interessanter Link über den Erfolg einer Schule mit "schwierigen" Schülern.
"Von der Katastrophenschule zur Vorzeigeanstalt Das Wunder von Moabit" (Artikel von Evelyn Roll in der Süddeutschen Z. vom 7.Dez.04)
Internet-Tipp: https://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/berufstudium/artikel/321/44277/4/
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BarbaraH
antwortete am 30.12.04 (10:48):
Na, Margit,
es spricht doch recht stark die Lehrerin in Dir, wenn Du feststellst, dass Kinder im Allgemeinen gern in die Schule gehen, und anderenfalls eben die Schuld bei den Eltern zu suchen ist:
>>Als besonders belastend sehe ich jedoch immer die Erwartungen von Eltern an ihre Kinder. Dieser Druck ist teilweise so enorm, dass Kinder weder mit sich selbst noch mit der Klasse oder gar dem Lehrer zurechtkommen können.
Das andere Extrem zeigt der Artikel auf: Eltern, die ihre Kinder mit einer totalen laissez-faire-Umgebung belasten.<<
Fazit: Schule ist gut. Wenn nicht, liegt es an den Eltern.
Ich hingegen möchte nicht den Lehrern die Schuld am Versagen eines Schülers geben sondern dem System, das auf Zensieren und Sortieren aufgebaut ist. Ein Lehrer darf ja gar nicht sämtliche Aufsätze einer Klasse mit "Gut" bewerten. Das lässt das System nicht zu.
PISA müsste doch jedem gezeigt haben, dass der bei uns geltende Grundsatz des Zensierens und Sortierens nichts zur Förderung der Bildung unserer Kinder beiträgt. Hoffnung auf Änderung habe ich nicht, da die Fronten in diesem Land aufgrund ideologischer Kämpfe zu sehr verhärtet sind.
Insofern finde ich es erfreulich, wenn Eltern selbstbewusster werden, sich für ihre Kinder einsetzen und sich mehr und mehr gegen dieses überholte System wehren.
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BarbaraH
antwortete am 30.12.04 (11:15):
Danke, mart,
das ist ein wirklich interessanter Artikel. Er bestätigt, dass viele Kinder in einer "normalen deutschen Schule" gar keine Chance haben:
>>Die Menschen hier sterben früher als der Durchschnitt, ihre Kinder sind schlecht ernährt und zu dick, sie haben schlechtere Zähne. Und sie haben im normalen deutschen Schulsystem überhaupt keine Chance, wie begabt und intelligent sie auch immer sein mögen.
Das ist ja der eigentliche Bildungsskandal, den auch die zweite Pisa-Studie jetzt noch einmal bestätigt hat: In keinem anderen Land ist Schulerfolg so sehr vom sozialen Status der Eltern abhängig. (...)
Karin Jaeger, die jüngere Frau mit den dunklen Augen, ist eine der beiden Klassenlehrer. Die beiden anderen Frauen, das sind die Oma eines Ex-Schülers und deren Freundin, eine Bibliothekarin und eine Zahnarzthelferin, die den Lehrern im Unterricht helfen. Jede Hilfe von außen ist an dieser Schule willkommen. (...)
Alle Reformschulen in Deutschland, ob sie nun Salem, Odenwald oder Heinrich-von-Stephan heißen, haben einen gemeinsamen Nenner: Die Hinwendung zum Schüler.
Also haben sich die jungen Lehrer gefragt, was den Schülern wohl helfen würde? Wir müssen jedes Kind ernst nehmen. Jedes Kind ist einmalig.<<
Jede Hilfe von außen ist an dieser Schule willkommen. Oma und deren Freundin helfen im Unterricht. Lehrer mit dieser Einstellung sind mir leider in achtzehn Jahren nicht begegnet.
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 07.12.04 Von der Katastrophenschule zur Vorzeigeanstalt Das Wunder von Moabit Von Evelyn Roll https://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/berufstudium/artikel/321/44277/
Internet-Tipp: https://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/berufstudium/artikel/321/44277/
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Margit
antwortete am 30.12.04 (12:11):
Hallo BarbaraH
du greift dir Sätze aus dem Zusammenhang auf und ziehst daraus Schlüsse, wie sie in dein Schulbild passen. Einzelfälle verallgemeinerst du. Behauptungen, ob richtig oder falsch (Goethe, Schulabschlüsse) sind immer gut, um das schlimme Schulsystem zu geißeln. Ich stimme dir darin zu, dass Verbesserungen nötig sind - übrigens auch bei Lehrern willkommen. Aber die Pauschalverurteilung aller öffentlichen Schulen und Lehrer ist unangebracht und populistisch. "Ein Lehrer darf ja gar nicht sämtliche Aufsätze einer Klasse mit "Gut" bewerten. Das lässt das System nicht zu." Falsch. Ich bin als Lehrer nicht an eine Gaussche Normalverteilung bei meiner Notengebung gebunden. Allerdings ist es tatsächlich so, dass manche Klassen besser als andere sind. In einer Klasse gibt es immer auch Leistungsunterschiede - die die sSchüler selbst auch erkennen und es als total ungerecht empfänden, wenn Einheitsnoten verteilt würden. Das schließt nicht aus, dass individuelle Fortschritte anerkannt werden. Es ist immer leicht und im moment auch "in", bei Schule und Unterricht mitzuschimpfen. Viel Spaß weiterhin dabei.
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BarbaraH
antwortete am 30.12.04 (15:50):
Um "Schimpfen" geht es doch gar nicht. Allein die Sortierung in "bessere Schüler" und "schlechtere Schüler" empfinde ich als verletzend. Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. Unser Schulsystem fokussiert die Schwächen eines Kindes und vernachlässigt oft genug seine Stärken.
Diese Weisheit habe ich von einem Lehrer, denn in all den Jahren bin ich auch einigen wenigen guten Pädagogen begegnet. So riet mir ein Mathelehrer, meinen Sohn in Mathe zu fördern. Ich verstand das nicht, gehörte er doch in diesem Fach zu den Besten. Gerade aus diesem Grund riet der Lehrer zur Förderung, da eine Spitzenstellung das Selbstbewusstsein des Kindes stärkt, und es dann eher Niederlagen auf anderem Gebiet hinnehmen kann. Das wurde unser Weg...
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schorsch
antwortete am 30.12.04 (16:06):
Was mich schaudert: Nun werden also auch noch in den Schulfächern die gleichen Massstäbe angesetzt, wie im internationalen Sport. Wenn das so weitergeht, werden diejenigen Kinder, die am Schluss der "Rangliste" stehen, langsam aber sicher einen Hass auf die "Superleistungshelden" aufbauen.
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giro22
antwortete am 01.01.05 (21:56):
Liebe Margot, heute möchte ich auch einen bescheidenen Beitrag liefern. An den Diskussionsbeiträgen erkennt man, wie das Thema die Gemüter erhitzt. Ich war auch 39 Jahre Lehrerin, davon 37 Jahre an einer Sonderschule für Lernbehinderte. Gleichzeitig hatte ich zwei muntere Söhne, die ihr Abitur gemacht haben. Ich kenne also die Schule aus beiden Perspektiven. Sicher habe ich als Mutter auch Lehrer kennengelernt, die lieber nicht diesen Beruf hätten ergreifen sollen, aber sie waren nach meinen Erfahrungen die Ausnahme. Ich plädiere auch nicht für die Abschaffung der Schulpflicht, wohl aber für Veränderungen. Schulfrust bis hin zur Verweigerung und schlechte Leistungen können viele Ursachen haben. Da kann eine ständige Überforderung, hoher Leistungsdruck und überzogene Erwartungen, gestörte Lehrer-Schülerbeziehungen, aber auch eine Unterforderung begabter Kinder ursächlich sein. Man muss unbedingt herausfinden, woran es liegt. Bei allen berechtigten Kritiken an Eltern und Schule sollte man sich doch um Zusammenarbeit im Interesse der Kinder und Jugendlichen bemühen. Sollte das Verhältnis schon zu sehr gestört sein, hilft im individuellen Fall auch ein Schulwechsel. Auch ein Gang zum Psychologen kann helfen. Er kann zumindest Hinweise geben, ob soziale Probleme, Über-aber auch Unterforderung bei schlechten Leistungen die Ursache sind. Privatunterricht kann nicht die Lösung sein. Er bleibt sowieso nur einem bestimmten Klientel vorbehalten. Bildung ist teuer, die Kassen sind leer. Ein Lehrer muss auch bestimmte Rahmenbedingungen haben, um Zeit für eine individuelle Förderung und Erziehung der Jugendlichen zu Haben. Daher sind alle Angebote, die von Eltern oder anderen geeigneten Personen kommen zu prüfen, ob sie im fakultativem Rahmen zu nutzen sind.Jugend ist die Zukunft - schon deshalb lohnt es sich. In diesem Sinn für ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2005!
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