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THEMA: Unwort des Jahres 2006: 'Freiwillige Ausreise'
15 Antwort(en).
Wolfgang
begann die Diskussion am 21.01.07 (21:53) :
'Freiwillige Ausreise' ist nach Meinung der Unwort-Jury eins der leider zahlreichen Unwoerter im Zusammenhang mit der Behandlung von Asylbewerbern (z.B. die Unwoerter von 1992 bzw. 2002 'aufenthaltsbeendende Massnahmen' im Grundgesetz Art. 16a und 'Ausreisezentrum' fuer Abschiebehaftanstalten oder die Behoerdenformulierung 'kindgerechte Abschiebung'). 'Freiwillige Ausreise' meint in Abgrenzung zum amtlichen Begriff Abschiebung, der Zwangsmassnahmen beinhaltet,die Konsequenz aus der "intensiven Beratung" abgelehnter Asylbewerber in den sogenannten 'Ausreisezentren', die Bundesrepublik doch lieber von selbst wieder zu verlassen. Die Freiwilligkeit einer solchen 'Ausreise' darf in vielen Faellen bezweifelt werden.
Internet-Tipp: https://www.unwortdesjahres.org/
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Marina
antwortete am 22.01.07 (07:07):
Eine sehr gute Entscheidung, bravo! So kann man zeigen, wie auch mit Sprache Politik gemacht und die Masse für dumm verkauft und dumm gehalten wird, indem wahre Sachverhalte mit Euphemismen (Beschönigungen) verschleiert werden. Und die Massen fallen drauf rein, was man bei BILD sieht und auch leider im Forum bei vielen Beiträgen beobachten kann. Interessant ist, dass ich unter den Namen der Jury einen Sprachwissenschaftler aus Düsseldorf entdeckt habe, bei dem ich Seminare gemacht habe. Ein sehr guter Mann, zu dem diese Entscheidung passt. Bei ihm habe ich viel gelernt über die Sprache der LTI (Lingua Tertii Imperii), die Sprache der Herrschenden.
Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/LTI_%E2%80%93_Notizbuch_eines_Philologen
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Karl
antwortete am 22.01.07 (08:15):
Sprache ist in der Tat leider vielfach ein Mittel, um Tatbestände zu verschleiern. Wir können hier ja einmal eine Sammlung solcher Unwörter vornehmen, um zum Nachdenken anzuregen.
Ohne Vorbereitung fallen mir spontan ein:
Soldaten "fallen" nur. Eroberte Länder werden "befriedet" (dieses Unwort kreierten schon die alten Römer) Bei Kriegen gibt es "Kollateralschaden" damit gemeint ist dann "Wo gehobelt wird, da fallen Späne" Waffensysteme sind "intelligent" "durchrasste Gesellschaft" (Zitat Stoiber) "Abklatschen" (körperliche, oft tödlich endende Angriffe auf Ausländer) "Personalentsorgung" "schlanke Produktion" "Gehaltsanpassung" (bei Arbeitern nach unten, bei Chefs nach oben)
etc.
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Marina
antwortete am 22.01.07 (09:50):
Unwörter betreffend Ausländerfeindlichkeit: viele aus dem Bereich der Flut-Metaphorik wie z.B. Asylantenflut, Gastarbeiter-Zustrom, Das Boot ist voll, Überfremdung (Unwort des Jahres 1993) etc. Konkret auf uns Alte bzogen z.B. Unwort des 1996: „Rentnerschwemme“. Unwort des Jahres 1998: „Sozialverträgliches Frühableben“, ironisch verwendet von Ärztepräsident Karsten Vilmar, Langlebigkeitsrisiko etc. für Sterben: Das Zeitliche segnen, entschlafen, Steigerung: sanft entschlafen. für's Schlagen: züchtigen, verharmlosend "Klapse" für Schläge. Später finde ich noch mehr. Jetzt muss ich erst mal weg. :-)
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Ursula_J
antwortete am 22.01.07 (09:53):
Ich habe mich immer dagegen gewehrt, wenn ich gefragt gesagt wurde, ob mein Vater im Krieg gefallen ist, mit: "Leider nicht, denn dann wäre er wieder aufgestanden."
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Gerdi
antwortete am 22.01.07 (10:35):
Na ja, Ursula_J ...,
zum einen ist "im Krieg fallen" längst ein terminus technicus geworden - dazu paßt Dein "leider nicht" dann halt gar nicht,
zum anderen wäre Dein Vater ja nicht unbedingt wieder aufgestanden -, je nach eventueller Kriegs-Verletzung.
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Gerdi
antwortete am 22.01.07 (10:38):
Als der Begriff "bilateral" aufkam (Mitte der fünfziger Jahre??), fragte man sich erst einmal oft nach dessen neuer Bedeutung.
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gerald
antwortete am 22.01.07 (23:01):
Eine weitere Zielgruppe für menschenfeidliche Zynismen sind, neben den Alten und Ausländern, auch die Ostdeutschen. Einer dieser Termini ist mir noch präsent, und zwar aus einer Steuerklärung. Dort gab es eine Rubrik, die ausgefüllt werden sollte nur von "Bürgern aus dem ostdeutschen Beitrittsgebiet". Dies grenzte in seiner Diskriminierung in meinen Augen bereits an Apartheid. Es ist nur ein Beispiel aus diesem Bereich, die Schreiber aus dem Osten können hier sicher gepfeffert nachlegen.
@ marina Ich weiß nicht,ob Du die LTI tatsächlich gelesen hast, jedenfalls bist Du nicht ganz ungeschickt in deren Umsetzung. Denn es gehört schon einiges dazu aus Sinnverdrehungen, Lügen, Halbwahrheiten und Unterstellungen eine Meinung zu postulieren, mit der Du mich als Nazi beschimpfen kannst, und auch darfst. Weswegen ich dich aber eigentlich hier überhaupt anspreche: die LTI, die Lingua Tertii Imperii, ist nicht die Sprache der Herrschenden, wie Du vermutest, sondern die Sprache des dritten Reiches, wie schon der Name sagt. Geschrieben von Victor Klemperer, einem überaus intelligenten Menschen. Du hast es im Gegensatz zu mir bestimmt nicht gelesen, und nährst Dein Wissen, wie so oft, nur aus zweiter Hand. Ich empfehle Dir das Lesen, vielleicht erfährst Du dann, dass ausgerechnet Du Elemente der LTI häufig in Diskussionen verwendest.
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Elfenbein
antwortete am 22.01.07 (23:48):
Zitat:
"für Sterben: Das Zeitliche segnen, entschlafen, Steigerung: sanft entschlafen. für's Schlagen: züchtigen, verharmlosend "Klapse" für Schläge. Später finde ich noch mehr. Jetzt muss ich erst mal weg. :-)"
"..entschlafen", "das Zeitliche segnen" - solche Wörter sind keine Unwörter. Es sind besondere Stilfärbungen. Genauer: Euphemismen. - Ja, dafür gibt es auch ein deutsches Wort. (Die Übersetzung kannst du nachfragen bei deinem Professor.)
@ gerald: Du hast Recht! Aber: "Jetzt muss ich erst mal weg..." (s. Zitat...) - Das durftest du aber nicht wörtlich verstehen. Es war ja nur redensartlich gemeint.
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Gerdi
antwortete am 23.01.07 (06:45):
Ich hätte nie gedacht, daß das Wort "Konzentrationslager" ein 'Euphemismus' ist (gelesen bei Wikipedia).
Aber sehr interessant! Ich sehe dabei für mich: manchmal sollte man etwas mehr nachdenken :-)
Und wofür steht dieses Wort "beschönigend"? für "Gaskammer"?
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Medea.
antwortete am 23.01.07 (06:50):
Die gute Marina ist schon ein besonderes Kapitel für sich - scheint sich zur Chefin eines Foren-Putzgeschwaders im ST aufgeschwungen zu haben. Wenn's denn bekommt ........ :-)
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Gerdi
antwortete am 23.01.07 (09:33):
Medea, es muß auch "die Besonderen" in einem Forum geben, sonst würden wir anderen gar nicht auffallen :-)))
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Medea.
antwortete am 23.01.07 (09:37):
;-))
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Elfenbein
antwortete am 23.01.07 (10:17):
Konzentrations- oder Schutzhaftlager waren ja erlogene Worte, die die Wirklichkeit vertuschen sollten. Es waren Lager für die "Vernichtung durch Arbeit" - oder noch schlimmer, für Juden und ander Ethinien (Zigeuner) zur direkten Vernichtung durch willkürliche Ermordung, Experimente und millionenfach durch Gas. (In den Vernichtungslagern)
Im "Volksmund" hießen sie in den ersten Jahren "Konzertlager", weil man sich lustig machen wollte über Kommunisten und andere, die sofort seit 33 dort gefangen gesetzt wurden.
Wer in Uwe Johnsons „Jahrestagen“ nachlesen will, für den 07. April 1968 (in der Einbandausgabe S. 968,19)findet „Konzertlager“ erwähnt; und man kann hinweisen auf den hier genannten V. Klemperer (in seinen Erinnerungen, die 1996 gedruckt wurden; S. 197: »[...] man war nicht im Konzentrationslager und noch nicht in dem vereinfachten und allgemeinüblichen KZ, sondern im ›Konzertlager‹«.
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Wolfgang
antwortete am 23.01.07 (10:38):
In dieses Thema passt auch das Konzept 'Neusprech' (s. Link). Der Ausdruck stammt aus dem Roman '1984' von George Orwell - jene Anti-Utopie eines totalitaeren Ueberwachungs- und Praeventionsstaates (den die Obrigkeitshoerigen hier geradezu lustvoll hebeisehnen; nachzulesen in deren Beitraegen).
Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Neusprech
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Marina
antwortete am 24.01.07 (12:50):
Es scheint zwar nicht allzu viele Interessenten für dieses Thema zu geben, aber für die wenigen, die vielleicht doch interessiert sind, stelle ich noch einige Begriffe aus Klemperers LTI (s.o.) ein. Dieses waren zwar zum großen Teil nicht neu, aber besonders prägend im Dritten Reich (dazu Klemperer: „Neue Worte tauchen auf, oder alte Worte gewinnen neuen Spezialsinn“). Zum Teil sind sie noch immer aktuell und im Umlauf, und im allgemeinen macht man sich nicht bewusst, aus welcher ideologischen Ecke sie vorwiegend stammen. Klemperer schreibt zur LTI u. a.: „Die LTI ist ganz darauf gerichtet, den einzelnen um sein individuelles Wesen zu bringen, ihn als Persönlichkeit zu betäuben, ihn zum gedanken- und willenlosen Stück einer in bestimmter Richtung getriebenen und gehetzten Herde, ihn zum Atom eines rollenden Steinblocks zu machen. Die LTU ist die Sprache des Massenfanatismus.“ Hier also Beispiele: liquidieren statt töten (auch wieder so ein euphemistischer Begriff), ausmerzen, ausrotten, gleichschalten, artfremd, Untermensch, Weltanschauung, Blitzkrieg, Blitzsieg, Volk, volksnah, Volksgemeinschaft, kämpferisch, fanatisch. Viele andere, durchaus heute noch gebräuchliche Begriffe lasse ich weg, weil sie noch so gängig sind, dass zu viele Erläuterungen nötig wären, ihre ideologische Prägung zu erklären. Ein Beispiel ist das Wort „aufziehen“. Über diesen Begriff gibt es ein ganzes Kapitel in Klemperers Buch, und man kann nicht in einem Satz erklären, was dieses Wort mit Nazisprache zu tun hat. Auf die kürzeste Formel gebracht von Klemperer: Automatisierung des Lebendigen, wenn das Wort auf Menschen angewandt wird. Auch Wörter wie „ewig“ wurden gerne gebraucht in Verbindung mit Menschengruppen oder -„rassen“: ewiges Volk, der ewige Jude etc., etc. . . .
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