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THEMA: Geistliche und fleischliche Politik
11 Antwort(en).
emilwachkopp
begann die Diskussion am 26.11.06 (21:09) :
Man soll das Fleischliche nicht mir dem Geistlichen vermischen. Jedenfalls nicht in der Politik. Diese Erfahrung habe ich schon vor über neunzig Jahren gemacht, denn ich war damals – das gebe ich heute schon kleckerweise zu – politisch geladen. Nicht so, dass ich Mitglied irgendeiner bekannten Partei war. Das nu wieder nicht. Ich hatte – bei uns aufs Dorf – meine eigne Partei gegründet, und außer mir war meine Urgroßmutter erst mal das einzige Mitglied. „Die Agraraktivisten“ nannten wir uns. Das war meine Schöpfung, und den Name hatte ich auch erfunden. Urgroßmutter wollte uns „Die Kreuzzügler“ nennen, aber den Unsinn habe ich ihr ausgeredet, weil man mit solchen verwesten Zicken in der Klapsmühle verendet kann. Was ich eigentlich politisch gesehen vorhatte, weiß ich heute nicht mehr und wusste es eigentlich auch damals nicht. Das war, weil ich doch mein politisches Programm noch gar nicht voll ausgearbeitet hatte. Nur paar Floskeln hatte ich schon gedichtet, weil man ohne Floskeln beim Wähler keinen Eindruck schinden kann. Ohne Programm und Konzept ja, aber ohne Sprüche nie.
Frische Luft ins Dorf mit Emil! Ich pflege das Dorf wie der Arzt Eure Glieder, dann fluppt hier manches allmählich auch wieder.
Lass Deine Glieder niemals ruh’n, solange Sittliches sie tun.
Das waren die drei Sprüche auf meinen Wahlplakaten. Dann war mein Portrait im Vordergrund, und den Hintergrund bildete eine Kuhweide mit Ochsen und Kühen. Heute würde so eine Montage wahrscheinlich ungünstige, wenn auch nicht unbedingt falsche, Assoziationen geweckt haben. Jedenfalls war der erste Spruch eigentlich bloß als loses Gerede, was weder Sinn noch Bedeutung hatte, gedacht. Aber ohne so etwas ist in der Politik gar kein Auskommen. Der zweite Spruch sollte Vitalität und den Willen zu forscher Handlung ausdrücken, d.h. vortäuschen. Der dritte war für die Kirchlichen bestimmt und gleichzeitig eine Konzession an meine Urgroßmutter. Diese alte Schreckschraube bildete den konservativen Flügel in meiner Partei. Das war gar nicht immer so einfach, sie und mich unter einen Hut zu bringen. Aber was sollte ich machen? Ich hatte bloß mein geöltes Maulwerk. Sie aber saß auf der Kohle. Jedenfalls hatte ich mir die Sprüche ganz allein ausgedacht, weil es damals noch keine Werbeagenturen gab, die mir die Arbeit hätten abnehmen können. Was ich politisch gesehen vorhatte, wusste ich genau so wenig wie die meisten Politiker. Ob ich alle Bauern enteignen oder ob ich mir ihr Land selber unter den Nagel reißen wollte? Na, manchmal ist der Unterschied gar nicht so groß. Ich erinnere nur noch, dass ich meine Absichten deshalb leicht geheim halten konnte, weil sie mir selber noch verborgen waren. Man soll den Wähler nie über seine Absichten aufklären, weil ihm das die Laune an der Politik verdirbt. Wenn mich jemand auf einer Wahlveranstaltung nach etwas Konkretem gefragt hat, habe ich aus dem Stehgreif bloß immer irgendeinen Quatsch geantwortet: „HERZ und Kopf werden die Antwort uns geben.“ Oder: „Das Ziel tragen wir in unseren HERZEN, über unsere Politik aber entscheiden die Faktoren.“ Oder: „Die Mägen knurren, die Köpfe denken, die Wähler murren, mag das HERZ stets uns lenken!“ Und auf soziale Fragen habe ich geantwortet: „Wir werden immer knappere Mittel immer gerechter an immer mehr zu verteilen haben. Wir müssen uns nämlich darauf besinnen, dass das Wort ‚Haushalt’ – wie das Wort ‚Einhalt’ – mit dem Wort ‚Halt’ endet.“ Besonders bejubelt wurde mein Gerede, wenn mir ein Reim gelungen war:
Wo HERZ und Kopf dasselbe erstreben, braucht keiner in Verwirrung leben. Das HERZ weist die Richtung, der Kopf gibt das Maß, so macht uns das Regieren Spaß. Doch mit zu vielen Arbeitslosen geht’s uns deftig in die Hosen.
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emilwachkopp
antwortete am 26.11.06 (21:12):
Ich bin in den Gemeinderat gewählt worden. Aber das war ehrer deshalb, weil ich die Bauern wochenlang mit Freisaufen ausgehalten und Urgroßmutter mit diesen Ausschweifungen ökonomisch fast ruiniert hatte. Wenn man genau ist, denn waren diese orgiastischen Gelage eigentlich wie die Antithese zu meiner politischen Asketenideologie. Und ein kleiner Verstoß gegen meine Sittlichkeitsfloskel waren sie – noch genauer genommen – wull auch, denn unsere stetig tätigen Hände haben ja eigentlich nur immer Gläser gestemmt. Aber solche Widersprüche sind in der Politik so gewöhnlich, dass sie nicht bemerkt werden. Bloß Urgroßmutter, die war aufmerksam und hat das bemerkt. Richtig böse und vergrätzt war sie dieser „unchristlichen Sauforgien“ wegen und ist aus Protest aus die Partei ausgetreten. Dieses alte Gespenst hat sogar noch versucht einen Oppositionsverein gegen ihren eigenen Großenkel zu gründen. Aus Rache! „Christlich Orthodoxe Jungfrauenschaft wider die maskuline Verlotterung der Sitten.“ Da hatte das alte Gespenst sich aber ausnahmsweise mal verrechnet. Kein einziges Mitglied hat sie bekommen. Der Grund dafür war wahrscheinlich, dass es außer Urgroßmutter gar keine Orthodoxen in unserem „Ketzerdorf“ – wie sie es nannte – gab. Aber sie musste natürlich alles wieder sittlich deuten und hat deshalb des sonntags morgens ein garstiges Gejammer in der Kirche veranstaltet: „Nicht eine Jungfrau ist mehr in diesem verseuchten Nest. Feuer wird vom Himmel fallen, sage ich Euch!“ Mit diesem Sittengejammer hat Urgroßmutter die Aufmerksamkeit der Dorfbewohner auf einen Zustand gelenkt, über den man normal gar nicht nachgedacht hätte. Und zwar deshalb nicht, weil man doch den Kopf für andres frei halten musste. Um diesen Mauschelkram hat man sich höchstens mal unauffällig gekümmert oder in größter Heimlichkeit an teilgenommen. Aber man hat das doch nicht so rumposaunt. Vielleicht mal hinter vorgehaltener Hand geschludert. Jetzt aber fragte sich ein jeder: Wie ist denn das möglich? Wer hat hier mit wem gemauschelt? Hinter dem Rücken der Obrigkeit auch noch! Hinter Emils Rücken sozusagen. Und das war doch deshalb, weil die Geschichte schon rechnerisch gesehen anrüchig war. Es herrschte nümlich ins Dorf ein großer Frauenüberschuss. Deshalb konnte man sich ja so genau ausrechnen, dass manche Männer zu kräftig hingelangt haben mussten. Deswegen war der Aufruhr. Wir waren immer ehrer für Ausgleich.
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emilwachkopp
antwortete am 26.11.06 (21:13):
Jeder hat von da ab erstmal provisorisch so gut wie jeden anderen anrüchig gemacht, um den Verdacht auf Mittäterschaft von sich selbst abzulenken. Sogar auf mir fiel ein Verdacht!!! Plötzlich war man auch noch ein Sittenstrolch! Und das, obwohl ich in die Beziehung noch gar nicht richtig auf Zack war. Jedenfalls habe ich versprechen müssen, dass dieser unnatürliche Verschleiß sofort abgestellt wird, wenn ich an die Macht bin. An jedes Scheunentor sollte ein reelles Schloss kommen, das um acht Uhr abends abzuschließen war. So habe ich denn noch mal meinen Kopf gerettet. Aber mein Konzept war dadurch arg durcheinander gebracht, denn meine Knicker- und Knauserpolitik sollte doch auf den geldlich sozialen Bereich beschränkt bleiben, nicht den gesamten sozialen Bereich umfassen. Das Gemauschel sollte dem freien Spiel natürlicher Kräfte überlassen bleiben, nicht durch sittliche Planwirtschaft geregelt werden.
Auf der ersten Versammlung habe ich gleich mein eignes Grab gegraben. Es wurde der Vorschlag gemacht, unsere Fußwege mit Kantsteinen zu versehen und so in Bürgersteige zu verwandeln. Da habe ich aber gewaltig losgepoltert: „Solch großstädtischer Blödsinn soll bei uns gar nicht erst einreißen. Wenn die Großstädter zu bescheuert sind, um den Gehweg von die Fahrbahn zu unterscheiden, müssen wir Dörfler uns nicht genau so doof stellen.“ Das war allerdings auch taktisch begründet, weil ich mir mit Urgroßmutter versöhnen wollte. Ich hatte richtig getippt, denn Urgroßmutter, die sich unter den Zuhörern befand, stöhnte sofort etwas Prophetisches aus sich heraus: „Dieses gottlose Projekt wird in Blut getauft. In Blut, sage ich Euch.“ „Ruhe!“ brüllte der Bürgermeister und knallte seinen Holzhammer auf den Tisch.
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emilwachkopp
antwortete am 26.11.06 (21:13):
Dann aber verspielte ich gleich wieder meinen Vorteil. „Um die Bauwirtschaft trotzdem zu fördern, schlage ich vor, dass wir uns eine römische Badeanstalt errichten. Mit fünfzig Badewannen für alle ab Achtzehn. Wasser ist gut für die Haut, und in einen reinen Körper zieht auch ehrer mal ein reiner Geist ein. Nehmt Euch ein Beispiel an mir.“ Aber Urgroßmutter war gar nicht versöhnt, sondern sie ging wie eine Rakete an die Decke und es sprudelte nur so Prophetisches aus ihr heraus: „Ein Tempel der Lust in unserem Dorf?! Ich sage Euch: Ein Tumult wird entstehen wie am letzten Tage. Aber es streitet nicht mehr Partei wider Partei, sondern ein jeder wird die Hand gegen einen jeden erheben.“ Urgroßmutter hatte ihre Prophezeiung noch gar nicht ausgesprochen, da ging im Saal ein Gehaue los, das ich deshalb nicht vollständig beschreiben kann, weil ich bei der ersten Gelegenheit das Weite gesucht habe. Kantsteinbefürworter gegen Kantsteingegner. Der Bauunternehmer gegen seinen Lehrling, der deshalb gegen das Projekt war, weil er Schwerarbeit verabscheute. Säufer gegen Moralisten. Reinlichkeitspedanten gegen Wasserscheue. Der Schlachter und der Fischhändler gegeneinander und gleichzeitig zusammen gegen zwei überzeugte Pflanzenfresser. Urgroßmutter gegen alle Ketzer. Sogar mir wollte sie ihre Krücke auf den Kopf knallen. „Verkappter Sittenbolschewik“, fauchte es aus ihr heraus. Aber ich bin noch gerade rechtzeitig zus Fenster raus. Jedenfalls wäre ein Soziologe an diesem Wirrwarr von Antagonismen irre geworden.
Ich habe sofort eine außerordentliche Parteisitzung einberufen und die Partei aufgelöst, um den Weltfrieden ein wenig zu verlängern. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Politik so viel Wirbel machen konnte. Ich dachte auch über Urgroßmutter nach und darüber dass man es gar nicht immer so einfach mit solchen Frauen hat, die alles wissen. Denn Urgroßmutter wusste alles. Auch ihre prophetische Voraussage bezüglich der Bluttaufe traf ein. Kaum waren die Kantsteine gelegt, da kam der Hannes – auch „Süffelhannes“ genannt – des Abends spät aus dem Dorfkrug, stolperte über einen Kantstein und schlug sich Stirn und Nase blutig. Urgroßmutter wusste einfach alles, und das machte sie mir etwas unheimlich und sie für die Politik völlig untauglich.
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pilli
antwortete am 26.11.06 (23:44):
*lll* (lange laut lachend):
meine stimme hättest du emilwachkopp!
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schorsch
antwortete am 27.11.06 (07:51):
Gehe ich recht in der Annahme, lieber Emil, dass du heute tatsächlich über 100 Jahre alt bist?
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emilwachkopp
antwortete am 27.11.06 (08:17):
Nach meiner Berechnung bin ich 136 oder 137 Jahre alt. Aber ich hab mir ins Leben schon so oft verrechnet, dass ich für nichts mehr eine Garantie übernehme.
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navallo
antwortete am 27.11.06 (12:03):
Tipp zur Lebenshilfe: Man sollte öfter im Jahr Geburtstag feiern! Denn was der Mensch weg hat, hat er weg - und das kann einem ja dann keiner mehr nehmen :-))
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eleisa
antwortete am 27.11.06 (12:26):
Haach, Emil – hast du eine blühende Fantasie... lol.
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schorsch
antwortete am 27.11.06 (21:48):
In ein paar Tagen feiere ich meinen 74sten. Das heisst, genau genommen feiern ihn eigentlich die anderen, nämlich meine Familie. Mir bleibt nur das Hoffen, dass ichs gut überstehe....):-(
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emilwachkopp
antwortete am 29.11.06 (01:09):
Meine herzlichsten Glückwünsche, Schorsch. Wir können nicht mit Dir feiern, aber wir können in diesen Tage an Dich denken.
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schorsch
antwortete am 29.11.06 (09:47):
Ich werde das Glas auch auf dich erheben, lieber Emil. Und wenn man mich fragt, was ich denn so zu schmunzeln hätte, werde ich antworten: "Ach, da ist mir doch tatsächlich der Emil in den Sinn gekommen!" Und alle werden sich wundern, was denn der Emil (Steinberger, Schweizer Komiker) an meinem Geburtstag zu suchen habe! (;-)
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