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Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"

THEMA:   Unterschicht = Prekariat

 34 Antwort(en).

gerald begann die Diskussion am 17.10.06 (23:34) :

Nein, das sagt man nicht.
"Unterschicht", das sagt man einfach nicht.
Sagt jedenfalls Münte. Weil er meint, dass es keine "Unterschicht" in D gibt. Jedenfalls nicht unter dieser Bezeichnung. Deshalb auch war heute im deutschen Pressewald bzgl. der vielfach zitierten Studie der FES zum Problem der Gesellschaftsreformen vom "abgehängten Prekariat" die Rede. Von jenen Menschen also, mit einem Nettoeinkommen von unter 968.- € monatlich. Politisch korrekte Terminologie muss sein.
Mein gott, was sind die erhaben, die Sozis.
Wenn man schon diese "Unterschicht" produziert hat, mit seiner Agenda 2010 und dem Hartz IV-Quark, dann muss man aber auch dazu stehen, dass sie existiert.


 hugo1 antwortete am 17.10.06 (23:56):

und,,wie heissen denn von nun ab die Oberschicht und die Mittelschicht und die Unter-der Unterschicht ääähh dem Pekariat lebenden Leute mit 400 € ??


 gerald antwortete am 18.10.06 (00:10):

Fakt ist, dass es diese Schicht gibt, ganz einfach, weil diese Schicht produziert wurde.
Das wissen auch unserer Landesverweser genau, doch sie wagen sich nicht, dies zu sagen, aus Angst, dass ihnen diese mengenmäßig nicht unbedeutende Schicht bei den nächsten Wahlen die Liebe entziehen könnte usw.
Mit 968,- € netto im Monat gehört man im Osten vielleicht noch nicht ganz zur upper-class, ist aber mit Sicherheit keineswegs "prekariär" veranlagt...


 Karl antwortete am 18.10.06 (08:45):

Der Begriff "Schicht" impliziert eine scharfe undurchlässige Grenze. So etwas sehe ich nicht, eher kontinuierliche, durchlässige Übergänge (in beide Richtungen). Das ist aber mehr Theorie. In der Praxis ist die Realität bedrückend und Wohlstandsverlust eines großen Teils der Bevölkerung unübersehbar. Der Unterschied zwischen "arm" und "reich" wird größer und damit werden die sozialen Spannungen zunehmen. Es wird ungemütlich in Deutschland.


 klaus antwortete am 18.10.06 (09:15):

Ob Armut oder Unterschicht - es ist wohl egal mit welchen Worten man dieses Thema umschreibt.
Armut gibt es schon immer.
Die Maßstäbe für die Standards und die Vorstellungen über die Ursachen von Armut sind örtlich und zeitlich sehr verschieden. Die WHO definiert Armut beispielsweise anhand des Verhältnisses des individuellen Einkommens zum Durchschnittseinkommen im Heimatland einer Person. Danach sei arm, wer monatlich weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens (Median) seines Landes zur Verfügung hätte.
In Deutschland lag nach der abweichenden Definition der Europäischen Union (60% des mittleren Einkommens) die Armutsgrenze im Jahr 2003 bei einem monatlichen Einkommen von 938,-- Euro.
Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich nach einer neuen Studie seit der Amtsübernahme der rot-grünen Bundesregierung besonders stark vergrößert. Nach Erhebungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) lebten im Jahr 2003 rund 15,3 Prozent der Bevölkerung in Armut.1998 waren es 13,0 Prozent.Das sind 1,8 Millionen Menschen mehr, als 1998.
Nach Erhebung des UN-Kinderhilfswerks Unicef wächst die Armut von Kindern in Deutschland sogar stärker als in den meisten anderen Industrieländern. Der stärkste Anstieg lag in den Jahren 1992-1995.
WARUM frage ich mich, wird ausgerechnet jetzt das Thema in den Mittelpunkt gerückt?
Besonders aktiv zeigt sich der DGB.So der DGB-Chef: "Der DGB muss dieses Thema am Samstag auf den Großdemonstrationen aufgreifen und dafür sorgen, dass der durch Kurt Beck (SPD) ins Spiel gebrachte Begriff der ‚neuen Unterschicht’ aufgegriffen und positiv besetzt wird, ähnlich des Begriffes: Proletariat."
WARUM hat z.B. der DGB in den letzten Jahren geschwiegen ?
WARUM hat z.B. Kurt Beck die ganzen Jahre geschwiegen und das Thema unter den Tisch gekehrt?
Ich denke, die Antwort ist recht einfach !!!!


 Wolfgang antwortete am 18.10.06 (09:23):

Von einer sozialen Struktur kann in jeder Gesellschaft gesprochen werden. Dann kommen die Begriffe - Stand, Kaste, Klasse, Schicht, Milieu etc. - mit denen versucht wird, die soziale Struktur einer Gesellschaft zu beschreiben und zu erklaeren (oder auch - der haeufigste Fall - nicht zu erklaeren, sondern zu vernebeln). Die verwendeten Begriffe sind zum Teil hochgradig ideologisch bestimmt und dienen - wie schon gesagt - regelmaessig mehr der Vernebelung der Ursachen gesellschaftlicher Ungleichheiten als deren Erklaerung oder gar deren Beseitigung.

Was in Deutschland waechst und gedeiht ist die alte Klassengesellschaft. Die Extreme nehmen zu. 'Dank' der jahrzehntelangen Umverteilung von unten nach oben (die uebrigens von allen rot / schwarz/ gruen / gelben staatstragenden Politikern eifrig praktiziert wird). Wie sollte es auch anders sein in einer Gesellschaft, deren Wirtschaft vorwiegend kapitalistisch organisiert ist, und deren staatliche Akteure sich als Erfuellungsgehilfen der wirtschaftlich Maechtigen verstehen.

Da passt der ein oder andere Begriff nicht ins ideologische Raster. Prompt setzt eine von der Wirklichkeit ablenken sollende Gespensterdiskussion ueber Begriffe ein. Derweil werden die eh' schon Armen aermer und die noch nicht Armen arm und die eh' schon Reichen noch reicher.

Klassen? Klassengesellschaft? - Igitt, was fuer schreckliche Worte! Haben wir doch laengst ueberwunden (sagt der Gutsituierte, und der abgehaengte Prekaere schweigt (noch)).


 kreuzkampus antwortete am 18.10.06 (09:29):

Die SPD kehrt derzeit zurück zu ihren Wurzeln. 1863 ist sie für die Ärmsten der Armen angetreten, genau für die, die sie jetzt offenbar nicht wahrhaben will. Peinlich für die SPD übrigens, dass diese Entwicklung gerade von der Friedrich-Ebert-Stiftung auf die Tagesordnung gebracht wird. Gelichzeitig spricht es aber für deren Unabhängigkeit.


 Miriam antwortete am 18.10.06 (10:26):

Als das Wort "Prekariat" auf einmal durch die Medien kursierte, hat man sich erstmal mit diesem Begriff befasst.
Nach meiner Meinung hielt dies nicht lange an - und man fing (endlich!) an auch öffentlich über das Phänomen hinter dem Begriff nachzudenken. Endlich. Als "nur" von einer "neuen Armut" gesprochen wurde, hat man den dezenten Begriff gar nicht so wahr genommen.
Übrigens benutzt man diesen Begriff schon lange in Frankreich - nicht, dass dies den Franzosen geholfen hätte die Missstände zu beheben..

Und in Italien hat man zum Begriff Prekariat schon einen entsprechenden Schutzpatron ausgerufen: San Precario.

Doch welche sind die Formen in denen die Prekarisierung uns tagtäglich begegnet? In erster Linie sollte uns klar sein: es geht hier um Ausbeutung, um Tagelöhner deren materielle Existenz auf ein Minimum reduziert wurde, ob es nun 1-Euro-Jobs sind, ob es um Minijobs geht, ob wir es befristete Arbeit nennen. Vergessen sollte man dabei nicht, dass das Vermögen in Deutschland sich keineswegs verringert hat - es hat sich nochmals umverteilt zugunsten der so genannten "oberen Schicht".

Werden diese an den Rand gedrängten Gruppen der Bevölkerung noch zurückfinden in eine gesicherte Existenz? Der Weg zurück scheint viel schwieriger zu sein als der den sie in den letzten Jahren zurückgelegt haben. Zurückgelegt - nicht nur zu ihrer Ungunst, sondern zur Ungunst der ganzen Gesellschaft.

Wo werden vernünftige Programme entstehen können die diese Schieflage beheben könnte?
Was nun Kurt Beck ankündigt ist ja nur ein kleiner, wenn auch nicht unwesentlicher Teil dessen was in Angriff genommen werden muss. Beck spricht von einem "Bildungsaufbruch", von beitragsfreien Kindergärten, von der Förderung der Ganztagsschulen - natürlich sind das die Grundsteine für eine zukünftige Chancengleichheit. Aber dadurch allein ist Chancengleichheit noch nicht gesichert.
Dies alles soll aber nicht zur Augenwischerei werden um von der jetzigen tiefen Krise in der wir uns befinden, abzulenken.

Gruß von Miriam


 schorsch antwortete am 18.10.06 (10:43):

In der Schweiz wurde eine Studie darüber verfasst, was passiert, wenn in einer Fussballmannschaft die einen das Vielfache des Lohnes der anderen haben. Fazit: Die Leistung der Minderbesoldeten sinkt kontinuierlich und der Mannschaftszusammenhalt schwindet.

Man kann diese Studie auch ins Arbeitsleben umsetzen: Wenn in einem Betrieb bekannt ist, dass der oberste Boss das 500-fache an Einkommen hat (keine Seltenheit!) wie der am schlechtesten Bezahlte, schwindet die Identifizierung mit dem Betrieb mit der Folge, dass der Einzelne weniger motiviert ist, mittels seiner Produktivität dem obersten Boss zu noch mehr Einkommen zu verhelfen.

Zu gerald: Falls du glaubst, die von dir aufgezählten Minuspunkte seien nur der SP zuzuschreiben, irrst du dich wohl gewaltig. Oder willst du vielleicht behaupten, der Grund für die Regierungs-Ablösung der "Rechten" durch die "Linken" sei deshalb geschehen, weil die "Rechten" den "Unterschichten" zu viel geboten haben?


 dutchweepee antwortete am 18.10.06 (14:35):

warum bleibt man nicht beim historischen begriff PROLETARIAT? schämt man sich dessen in bundesdeutschland?


 Medea. antwortete am 18.10.06 (15:44):

Vielleicht deshalb, weil der Proletarier von annodunnemals längst sein kleines Häuschen hat und nicht mehr zur "besitzlosen" Klasse zählt und schon gar nicht mit einem "Prekariarier" in einen Topf geworfen werden möchte.
Schließlich: Unterschiede müssen schon sein und es beruhigt, immer noch jemanden unter sich zu wissen.


 wanda antwortete am 18.10.06 (16:43):

Wenn ich darüber reden müsste, würde ich auch nicht Unterschicht sagen, sondern von den Minderbemittelten reden.
Möglicherweise liegt es am Alter - aber ein Prolet zeichnet sich bei mir nicht durch Armut aus, sondern durch ganz ganz andere Sachen.

Alles in allem finde ich es sehr traurig, dass so viele Menschen, insbesondere alte Frauen mit weniger als 700 Euro auskommen müssen.


 klaus antwortete am 18.10.06 (16:53):

@dutchweepee,
vielleicht kannst du ja mal erleutern, was Prekariat mit Proletariat zu tun hat.


 Marina antwortete am 18.10.06 (17:53):

Das Allerschlimmste sind die sozialen Folgen von den politisch herangezüchteten „Prekariaten“ oder wie immer sie heißen mögen.
Vielleicht hat gestern jemand von euch Maischberger gesehen, wo über den furchtbaren Tod des kleinen Kevin und zunehmende Kindestötungen allgemein in den letzten Jahren gesprochen wurde. Dabei wurde herausgestellt, dass diese Misshandlungen bis zur Tötung explizit ein Unterschichtenproblem sind. Alles hängt eben doch am Geld. Hartz-IV-Empfänger sind nicht in der Lage, das Geld für Kindertagesstätten oder andere Kinderbetreuung zu bezahlen und fühlen sich durch ihre finanziellen Probleme so hoffnungslos überfordert, dass ihre Kinder immer mehr verwahrlosen wenn sie nicht gar misshandelt werden. Gleichlaufend ließ der Staat wegen angeblichen Geldmangels in den letzten Jahren immer mehr Kinder- und Jugendeinrichtungen schließen. Heiner Geißler, der bei der Diskussion anwesend war, wies (wieder einmal) darauf hin, dass in den letzten Jahren die Kapitalgesellschaften fast gar keine Steuern mehr bezahlt haben und dadurch ein großer Teil der Haushaltslöcher verursacht wurden. Das Perverse ist, dass die Konzerne, statt die Steuerleichterungen positiv für mehr Personaleinstellungen zu nutzen, wie es von der Politik naiverweise angedacht war, genau das Gegenteil tun. Wegen der Aktienkultur bzw. –unkultur nehmen sie immer wieder im großen Stil Entlassungen vor. Das Problem der Arbeitslosigkeit und der Hartz-IV-Empfänger und somit des „Prekariats“ wird somit immer mehr verschärft, und es ist hausgemacht. Wenn ein Land diese Schichten regelrecht heranzüchtet, indem es die Reichen immer mehr entlastet und die Armen immer mehr belastet, kriegt es eines Tages die Quittung dafür. Nichts ist so wichtig wie die Kinder- und Jugendarbeit, und nichts wäre so wichtig wie diese finanziell gut auszustatten. Es geht dabei um die kommenden Generationen, die ihrerseits wieder neue „Unterschichten“ heranzüchten, denn oft ziehen sich die sozialen Probleme und Arbeitslosigkeit über mehrere Generationen der gleichen Familien durch.
Dass der Staat wirklich finanziell dazu nicht in der Lage ist, mehr für die Beseitigung sozialer Missstände zu tun, nehme ich ihm nicht mehr ab, solange Geld für Waffengeschenke oder Kriegseinsätze in aller Herren Länder da ist. Wenn dieses Geld stattdessen sinnvoll in die soziale Arbeit angelegt würde, müsste es diese Missstände oder „Prekariate“ in einem solchen Ausmaß nicht geben, und dann gäbe es auch nicht zunehmende Misshandlungen oder sogar Tötungen. Auch bei der Altenpflege nimmt dieses Problem incl. Misshandlungen in den letzten Jahren zu, weil die finanziellen Mittel dafür immer mehr gekürzt werden. Mir graut davor, wenn ich daran denke, dass ich womöglich mal in einer solchen Alten-Verwahranstalt landen soll.


 klaus antwortete am 18.10.06 (19:01):

@Marina,
ich stimme dir zu, dass die sozialen Folgen der Armut gewaltig sind und dass so furchtbare Folgen, wie Kindestötungen "explizit ein Unterschichtenproblem sind".
Richtig ist auch, dass viel mehr Geld für soziale Arbeit gezielt eingesetzt werden müsste.
Es ist übrigens auch richtig, dass in den letzten Jahren zunehmend über Kindestötungen in den Medien berichtet wurde und damit die Öffentlichkeit alarmiert wurde, wenn auch einige Medien sicher mehr die eigenen Vorteile im Auge hatten( Verkaufszahlen, Einschaltquoten).
Man sollte dabei aber nicht die gefühlte Wahrnehmung in den Vordergrund schieben und die Wirklichkeit verfälschen.
Du schreibst: "Maischberger" über "ZUNEHMENDE Kindestötungen allgemein in den letzten Jahren gesprochen wurde"...
Die Kindestötungen haben in Deutschland nicht zugenommen und liegen im europäischen Vergleich weit hinten.

Zahlen von "terre des hommes"( sicher bekant).
1999-21
2000-17
2001-17
2002-20
2003-31!
2004-19
2005-20
Die Sozialausgaben sind in Deutschland auch ständig gestiegen.(in % des BIP)
1991 - 27,8%
2000 - 31,3%
2001 - 31,9%
2002 - 32,2%
Die Frage ist nur, werden diese Mittel auch gezielt in die richtigen Problemzonen gelenkt, oder gelingt es bestimmten Gruppen, sich daran zu bereichern.
Alles Probleme, an denen wir noch lange zu knabbern haben. UND es ist richtig, dass darüber gesprochen wird.


 Marina antwortete am 18.10.06 (19:06):

Klaus, ich glaube, du irrst. Die Kindestötungen haben lt. der Experten gestern abend (unter ihnen der Sozialwissenschaftler Hurrelmann) in den letzten Jahren erheblich zugenommen.

Kleiner Tipp: Heute abend "Hart aber fair" im WDR-Fernsehen gucken, da sind die Unterschichten Thema (s. Link-Tipp).

Internet-Tipp: https://www.wdr.de/tv/hartaberfair05/aktuell/experten.phtml


 Wolfgang antwortete am 18.10.06 (19:24):

Neuere Zahlen zeigen, dass die Mittel fuer die Sozial- und Jugendhilfe (die Sozialausgabe, um die es im Zusammenhang mit dem 'Abgehaengten Prekariat' geht) seit Jahren weniger werden (s. Internet-Tipp). Das ist ein 'Erfolg' der schwarz-rot-gruen-gelben Grosskoalitionare, die es darauf abgesehen haben, die Armen noch aermer zu machen.

Der Anteil der Sozial- und Jugendhilfe an den gesamten Sozialausgaben ist uebrigens ziemlich gering.

Internet-Tipp: https://www.sozialpolitik-aktuell.de/datensammlung/2/ab/abbII4.pdf


 dutchweepee antwortete am 19.10.06 (02:56):

@KLAUS "...der italienische Politologe Alex Foti erklärt: „Das Prekariat ist in der post-industriellen Gesellschaft das, was das Proletariat in der Industriegesellschaft war“." (zitat WIKIPEDIA)


 gerald antwortete am 19.10.06 (06:56):

@ schorsch, Du hast geschrieben
"Zu gerald: Falls du glaubst, die von dir aufgezählten Minuspunkte seien nur der SP zuzuschreiben, irrst du dich wohl gewaltig."

Da irre ich mich bestimmt nicht gewaltig. Oder war es etwa nicht die SPD, die als Regierungspartei die Agenda 2010 und Hartz IV zu verantworten hat, und damit die Schichten in unserem Land zementierte?


 klaus antwortete am 19.10.06 (09:13):

@Marina,
ich glaube, du irrst. Der Sozialwissenschaftler Hurrelmann hat sich zum Thema Kindestötungen nicht geäußert.Hurrelmann schätzt, dass es etwa 15 Prozent überforderte Elternhäuser gibt - und 10 bis 15 Prozent Jugendliche, die in vielerlei Hinsicht belastet sind und das daraus riesige Probleme erwachsen können.
Das kann ich mir durchaus vorstellen und das scheint mir ein viel größeres Problem zu sein, als die sehr geringe Anzahl getöteter Kinder, so makaber das klingt, denn jedes getötete Kind ist genau eines zu viel.

Warum sollte "terre des hommes Deutschland e.V." - das größte internationale entwicklungspolitische Kinderhilfswerk - die Zahlen fälschen. Diese Zahlen sind Erfassungen verschiedener Organisationen, annerkannt von EU und UNESCO.
Man sollte bei Diskussionen mit mengenmäßigen Angaben vorsichtig sein, auch wenn es aus taktischen Gründen manchmal günstig ist, diese zu verändern, was bei diesem brisanten Thema übrigens überhaupt nicht notwendig wäre.


 klaus antwortete am 19.10.06 (09:35):

@dutchweepee,
Genau das halte ich für einen Fehler. Proletariat war die gesamte Gruppe der Industriearbeiterschaft eines Industriestaates.
Prekariat ist eine kleine Gruppe - über Zahlen könnte man streiten(4%West/20%Ost)- von Menschen, die unterhalb einer festgelegten Armutsgrenze leben.Dabei spielt es keine Rolle, aus welcher "gesellsch.Schicht" jemand kommet. Es gibt auch Jugendliche "gehobener" Schichten, die dieser Gruppe angehören(Drogen-Alkohol..) usw.
Der "historische Begriff Proletariat"(wie du schreibst) hat mit Prekariat recht wenig zu tun.


 schorsch antwortete am 19.10.06 (10:13):

Früher nannte man das, was die Plutokraten heute als Prekariat bezeichnen, Sklaven.


 gerald antwortete am 19.10.06 (10:19):

Nur mit dem Unterschied, dass Sklaven arbeiten mussten, während der heutige "Durchschnitts-Prekarianer" desillusioniert mit seiner Bierpulle in der Hand vorm Fernseher verrottet.


 klaus antwortete am 19.10.06 (10:46):

@schorsch,
das lass mal nicht die Prekarianer hören, dass sie Sklaven sind.
Ich glaube auch nicht, dass die Plutokraten sich überhaupt für die Prekarianer interessieren und schon gar nicht, dass sie den Begriff erfunden haben.


 Marina antwortete am 19.10.06 (14:42):

Einen guten Artikel zu der Problematik gibt es von dem klugen Heribert Prantl aus der SZ (s. Link-Tipp unten). Er macht auch klar, inwiefern das Proletariat und das Prekariat sich unterscheiden. Ich empfehle, den Artikel vollständig zu lesen.

Hier ein Auszug:

" . . . Diese relativ Armen haben wenig gemeinsam. Armut ist, wie gesagt, nicht mehr milieubildend - deshalb hat sie sich bisher nicht in eine politische Bewegung übersetzt.

Massenarbeitslosigkeit hat die Menschen kleinlaut und unsicher gemacht; sie nimmt ihnen den Stolz, den die Armen damals hatten, als sie noch Proletarier hießen und an Marx und Engels glaubten.

Damals riefen sie selbstbewusst den Klassenkampf aus, gründeten Gewerkschaften und Sozialdemokratie; oder sie schlossen sich, wenn sie kirchentreu waren, angeführt vom Gesellenvater Adolph Kolping und dem Mainzer Bischof Ketteler zu einem Bündnis zusammen, um sich so gegen die demoralisierenden Auswirkungen des Kapitalismus zu wappnen.
Das war einmal.
Die einzige Partei, welche die neuen Armen heutzutage bilden, ist die Partei der Nichtwähler; sie wird immer größer, hat aber keine politische Kraft.

Es ist zu befürchten, dass sie exakt deswegen destruktive Energie entwickelt - weil nämlich Demokratie nicht mehr gut funktionieren kann, wenn ein immer größerer Teil der Gesellschaft nicht mehr dabei mitmacht. Eine Zwei-Drittel Demokratie ist eine Gefahr für den inneren Frieden."

Internet-Tipp: https://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/996/88908/


 dutchweepee antwortete am 19.10.06 (16:10):

die "unterschicht" (prekariat/proletariat) zeichnet sich vor allem durch eigentumslosigkeit aus. damit mein ich nicht das kleinhäuschen, oder das auto, sondern das eigentum an produktionsmitteln bzw. grund und boden.

ein proletarier laut definition "besitzt" nichts zur anreicherung von kapital, als seine arbeitskraft und seine nachkommen. dieses merkmal trifft so ziemlich auf die meisten arbeitnehmer und angestellten in deutschland zu.

man verwässert nur gern die klassenunterschiede, obwohl nun die klassengegensätze offen zu tage treten. damit bekommt man natürlich probleme und erklärungsnotstand.

.


 Silhouette antwortete am 19.10.06 (16:55):

Zwei Drittel, Marina?

Von den USA heißt es, dass nur 50% der Wahlberechtigten zur Wahl ihres Präsidenten gehen, auch wenn es um seine Wiederwahl nach "umstrittenen" Erfolgen in seiner ersten Amtszeit geht. Der Zug wird bei uns auch dahin gehen. Hier wie dort sind es nicht nur die Underdogs, die sich ob ihrer Enttäuschungen/Ausgrenzungen gegenüber Staat und Gesellschaft passiv verhalten, sondern auch Leute, die z.B. frustriert sind, wenn sie täglich solche Dinge lesen müssen wie in der von dir verlinkten SZ auf der rechten Menueleiste "Der Nepp der VIPs".

Ich halte diese zwei Drittel auf längere Sicht noch für optimistisch.


 Peter101 antwortete am 19.10.06 (16:58):



Die Grauen Panther dazu unter:

Internet-Tipp: https://www.flegel-g.de/stigma.html


 klaus antwortete am 19.10.06 (17:04):

@dutchweepee,
danke für die marxistisch-leninistische Aufklärungsarbeit, die du auch gleich auf ""unterschicht" (prekariat/proletariat) "ausgedehnt hast. Da bin ich ja froh, dass ich noch das Vergnügen hatte, in der DDR 40 Jahre Miteigentümer an "produktionsmitteln bzw. grund und boden" zu sein. Nun bin ich nach deiner Definition wieder in der Unterschicht/Prekariat.
Völker hört die Signale von "dutchweepee" - Prekarianer vereinigt euch !!!


 dutchweepee antwortete am 19.10.06 (18:17):

@klaus das hat nix mit marximus-leninismus zu tun. ob du´s willst oder nicht: solange du kein eigentum an grund und boden, oder an sonstigen produktionsmitteln hast, mit denen du deinen lebensunterhalt verdienst, gehörst du zum proletariat, oder zu den beamten, oder wahrscheinlich zu den rentnern.

man ist sich nur zu fein, dies einzugestehen, da PROLL mittlerweile ein schimpfwort für das unterste intellektuelle niveau geworden ist. dazu gehörst du hoffentlich nicht.

.

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Proletarier


 klaus antwortete am 19.10.06 (19:07):

@ dutchweepee,
ist ja in Ordnung - habe mich mit dem nutzlosen Zeug jahrelang rumplagen müssen. Mir ging es ja nur darum, darauf hinzuweisen, dass das mit dem neu formulierten Begriff "Unterschicht" nichts zu tun hat.


 dutchweepee antwortete am 20.10.06 (03:07):

ich werde wütend, wenn ich zur zeit die postulate der deutschen parteien in den nachrichten sehe/höre.

am schlimmsten ist für mich der begriff "BILDUNGSFERN" für chancenlose schüler. das deutsche föderale bildungssystem mit zig-verschiedenen schulformen ist blödsinn.

ich bin soooo froh, daß ich in der DDR in eine zehnklassige polytechnische oberschule gehen konnte und danach auf die erweiterte oberschule. das prinzip war auch perfekt für die nicht "ganz so schlauen" weil wir pfadfinderartig aufgefordert waren, den schwächeren zu helfen - was wir zumindest in meiner schule auch gemacht haben.

.


 klaus antwortete am 20.10.06 (09:01):

@dutchweepee,
wir hatten natürlich auch im damaligen DDR-Schulsystem manchmal "bildungsferne" Schüler. Aber das war die absolute Ausnahme und alles "stürzte" sich auf diese Schüler( Hilfe von and.Schülern, Elterngespräche...).Wenige haben das als Gängelei gesehen.
Aber auch die Lehrpläne waren mehr auf Leistungen ausgelegt. Gemerkt habe ich das Ende der 80-iger Jahre.Da baute "Bayer" eine Fasertaktstraße in Guben und Ingenieure und Monteure waren etwa 1 Jahr mit den Familien( Kinder 6.- 10. Klassen) in Guben. Die Kinder waren alle an meiner Schule und ich habe sie unterrichtet. Ihre Leistungen in Mathematik, Physik,Chemie und Biologie waren erschreckend gering und es waren fast alles Kinder von Ingenieuren. Durch gezielte Nachhilfen konnten sie aber auf einen halbwegs ordentlichen Standard gebracht werden. Deutlich besser war ihre Fähigkeit, sich darzustellen. Ich habe noch Jahre danach Briefe bekommen, in denen sie sich dafür bedankt haben.
Die DDR-Wirtschaft war im Eimer, nicht die Schule.(Ich klammere mal bestimmte Dinge, wie Pionier/FDJ-Arbeit, Politischer Unterricht/Wehrerziehung.... aus).
Ob es günstig wäre, erst nach der 10. Klasse in die Gymnasien einzutreten, darüber lässt sich streiten, ist aber hier nicht Thema.


 dutchweepee antwortete am 21.10.06 (05:07):

ich habe 1977 im september an der EOS wolfen (heute sachsen anhalt) begonnen. im november sind wir nach wittstock (heute brandenburg)umgezogen und ich war exakt in der timeline des lehrstoffs. (nur der englischlehrer war besser im norden - veteran der fremdenlegion)

mir wird keiner erklären können, warum schüler in hamburg andere mathe-bücher haben müssen, als schüler in bayern. das BRD-bildungssytem ist schülerfeindlich.

erklärung für nichtossies: EOS = gymnasium (meins hatte das motto: virtuti, veritati, humanitati)

.


 Wolfgang antwortete am 03.11.06 (11:05):

Schnell aus den Augen, schnell aus dem Sinn. Das ist das Los aller interessanten und wichtigen Themen. Gerade mal ein paar Tage hat das Thema gehalten. Die Unterschicht gibt es aber immer noch. Die waechst. Die Oeberschicht gibt es auch noch. Die waechst auch. Dazwischen tummeln sich die in der Mittelschicht (wozu sich zurecht 2/3 aller Deutschen zaehlen).

Viele Mittelschichtler haben Angst abzurutschen. Auch deren Zahl waechst.

Ein politisches Phaenomen ist zu beobachten: Linke spielen in dieser Debatte eine aeusserst bemerkenswerte Rolle - naemlich keine. Das mag den Grund haben, dass es kaum noch wirkliche Linke gibt. Nur noch sporadische, die ab und zu (bevorzugt zu Wahlkampfzeiten) so tun, als ob sie Linke seien und Schwaerme von Heuschrecken entdecken und kurz darauf (nach der Wahl) diese dann doch nicht gesehen haben wollen.

So geht es auch den Unterschichtlern. Die gaebe es gar nicht (sagte der mit der Heuschreckenhalluzination, die mittlerweile ohne bleibenden Schaden zu hinterlassen abgeklungen ist). Genau, es gibt sie gar nicht. Aus den Augen, aus dem Sinn. Wie hier auch. Der Mittelschichtler wischt sich den Angstschweiss von der Stirn und denkt, dass der Kelch bis jetzt ja an ihm vorbeigegangen ist. Bloede Unterschichtler aber auch. Jagen einem so einen Schrecken ein. ;-)