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THEMA: EU 2020 - Was die Europäer erwarten
15 Antwort(en).
herb
begann die Diskussion am 22.09.06 (07:37) :
Wir sind ja alle damit gewachsen, wie die EU gegründet wurde, wie sie neue Mitglieder bekommen hat.
Wie es aber weiter geht, wir wissen es nicht. Es wurde eine Studie angefertigt, die aufzeigt, wie es gehen könnte, was in den einzelnen Mitgliedsstaaten für (derzeige) Meinungen herrschen.
Wie es kommt, wir wissen es nicht. Spannend bleibt es aber allemal.
Internet-Tipp: https://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_18553_18554_2.pdf
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Karl
antwortete am 22.09.06 (08:22):
Danke für die interessante Info.
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Karl
antwortete am 22.09.06 (08:49):
Mich interessiert vor allem die Haltung der Europäer zum Beitritt der Türkei, den ich sehr befürworte. Deshalb habe ich mit Freude gelesen, dass dem vor allem die jungen Europäer aufgeschlossen gegenüber sind.
Was die Perspektive des EU-Beitritts in der Türkei bereits bewegt hat ist enorm und ich bin zuversichtlich, dass durch diese Perspektive und den späteren Vollzug der Mitgliedschaft, die Türkei in Europa verankert werden kann. Damit würden wir anerkennen, dass ein Staat mit moslemischer Bevölkerungsmehrheit eine erfolgreiche Demokratie sein kann, in der die Menschenrechte anerkannt werden.
Dazu passt die Meldung von heute Morgen, dass Elif Shafak wegen ihres Buches "Der Bastard von Istanbul" soeben nicht (!!!) zur "Staatsfeindin" erklärt wurde und vom Gericht von dem Vorwurf der "Beleidigung des Türkentums" freigesprochen wurde. In ihrem Buch hatte eine Romanfigur den Völkermord an den Armeniern angeprangert. Wenn auch bedauerlich ist, dass es überhaupt zu dieser Anklage kommen konnte, zählt letztlich doch, wie Recht gesprochen wird.
Quelle: Badische Zeitung Freitag, den 22. September 2006 Seite 5
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Medea.
antwortete am 22.09.06 (09:57):
Nach wie vor halte ich die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU für einen großen Fehler, in dieser Frage kann ich den Optimismus von Karl nicht teilen. Hier scheiden sich unsere Geister und auch bei Befragten dieser Studie gibt es Bedenken, wenngleich die jüngere Generation es etwas anders sehen mag. Über dieses Thema haben wir hier schon viel und oft diskutiert - für mich gehört die Türkei geografisch und kulturell nicht zum europäischen Kontingent, sondern liegt zu 97 % in Asien; wer ein europäisches Europa will, kann nicht für den Beitritt der Türkei zur EU sein. Wird die Türkei aufgenommen, greift die EU erstmals über die Grenzen Europas hinaus. Damit öffnet sie die Pforte für Länder des mediteranen Raums. Lediglich unter dem Wirtschaftsaspekt die EU-Erweiterung zu betreiben, halte ich für verhängnisvoll.
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schorsch
antwortete am 22.09.06 (11:37):
Überall gibts Gewinner und Verlierer. Je weiter Staaten, die noch dazu kommen werden, vom jetzigen Kern der EU weg sind, desto mehr gewinnen sie dabei. Aber überall wo jemand gewinnt, verliert gleichzeitig jemand etwas. Jedenfalls für den Moment. Im Klartext: Die "reichen" EU-Staaten müssen anfänglich ihr Niveau nach unten angleichen / die neuen gleichen nach oben an. Dieser Angleichungsprozess wird so lange gehen, als alle angeschlossenen Staaten etwa auf dem gleichen Niveau sind.
Gewinner gibts bei den Kernstaaten aber auch heute schon: Wer den Mut hat, in den neuen EU-Ländern zu investieren, hat die Möglichkeit, von den niedrigeren Löhnen dort und den vereinfachten Zulassungsbestimmungen für Investoren zu profitieren. Er muss sich aber auch bewusst sein, dass die dortigen Mentalitäten nicht jenen entsprechen, die er sich von zuhause aus gewohnt ist.
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NIL
antwortete am 22.09.06 (11:39):
Gut, dagegen, dafür, wie schnell ist das geschrieben, aber ich hab Zweifel, dass der Beitritt der Türkei, obwohl er Vorteile hätte, schnell vollzogen werden soll. Sollte sich die EU nicht erst mal fangen? Ihr scheint immer alle so sicher, für oder gegen etwas zu sein. 2020 bin ich 80, da nehm ich die EU, wie sie ist ;-)))
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Lars
antwortete am 22.09.06 (12:38):
Kann dich nur unterstützen bei deiner Antwort Medea, sehe das genau so! Fühle mich deswegen nicht als "Hinterwäldler". Bin auch kein Ultrarechter! Bin auch in keiner Partei, fühle mich in der Mitte am wohlsten!
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Medea.
antwortete am 22.09.06 (13:07):
Nil: Daran, daß die Beitrittsgespräche zehn oder sogar fünfzehn Jahre dauern sollen, glaube ich nicht. Brüsseler Eurokraten werden dieses Zeitlimit schon unterschreiten, da bin ich mir sicher - da die Öffentlichkeit aufzumerken beginnt, soll das wohl ein Beruhigungsbonbon sein.
Lars: Man(n)/frau braucht auch in keiner Partei zu sein, um mit wachem Verstand durch's Leben zu gehen. Du siehst die Situation um Dich herum, ich ebenfalls - ein 'starkes' Europa ist zweifelsohne das Gebot der Stunde und das erfordert an erster Stelle, daß sich die europäischen Völker zusammenraufen ohne die zusätzliche Schwierigkeit, sich mit einem von Kultur und Mentalität so ganz anderem Staat zu belasten. Längst ist es kein Geheimnis mehr, daß in Deutschland die Integration von Menschen türkischer Herkunft weitgehend als gescheitert anzusehen ist. Was vor einigen Jahren noch als Pressetabu galt, wird inzwischen offen diskutiert und von den Politikern diverser Coleur auch nicht mehr schöngeredet.
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NIL
antwortete am 22.09.06 (13:31):
Medea, das Wort gescheitert klingt so nach 100%, und unkorrigierbar. Im realen Leben geht es auch immer weiter, man kann die Integrationsbemühungen ja neu aufgreifen, wird auch kommen. Denn es wird noch notwendiger werden, denn Türken, Islam, Kurden, Islamismus haben ja auch mit uns zu tun. Es wird nur lange dauern, bis das Miteinander entsteht. Am einfachsten wäre es, wenn es die Türkei nicht geben würde, aber dann hätten wir sicher andere zu lösende Konflikte.
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Medea.
antwortete am 22.09.06 (14:14):
Nil: daher habe ich ja "weitgehend als gescheitert anzusehen ist" geschrieben - ich bezog mich auf die Verhältnisse in einigen Berliner Stadtteilen mit ihren Brennpunktschulen und das Ruhrgebiet, wo inzwischen das Wort von den Parallelgesellschaften die Runde macht. Aber natürlich gibt es sie auch, die Integrierten, die Deutschland als ihre neue Heimat ansehen, das möchte ich nicht bezweifeln. Die Integrationsbemühungen vom Staat und diversen sozialen, kirchlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen sind laut Aussagen von Regierungsmitgliedern verstärkt worden, sollte aber auch von beiden Seiten aus erfolgen. Da schnirscht es dann wohl öfters im Getriebe.
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NIL
antwortete am 22.09.06 (14:22):
da wird es noch lange knirschen, man muss in Generationen denken. Vermischungen von Kulturen, Nationen, sogar Religionen, wird es in ungeahntem Ausmass in Zukunft geben. Wir bekommen nur Kostproben mit. Es wird Konflikte aller Art geben, alle Ratschläge der Gegenwart werden nicht greifen. Trotzdem wird alles beherrschbar bleiben, wenn es eine gute UNO mit Administration und Finanzaussttatung gibt. Aber da steckt viel Hoffnung drin, sollen wir die fahren lassen? Vor diesem Hintergund ist EU 2020 und Integration weiterer Völker nur eine Zwischenstation. Ich bin hin und hergerissen, eine Beurteilung abzugeben, kommt auch nicht darauf an.
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eko
antwortete am 22.09.06 (22:34):
Ganz so einfach, wie Karl sich das vorstellt, wird sich der Beitritt der Türkei zur EU nicht vollziehen lassen. Da hilft alles Schönreden nichts, die Unterschiede sind ( noch) zu gravierend.
Auch wenn hier im ST von vielen der Eindruck zu erwecken versucht wird, es käme nicht auf die Religion an, so kommt es eben doch ganz gewaltig darauf an. Die bisherigen Mitgliedsstaaten sind meines Wissens ohne Ausnahme von der christlichen Religion geprägt, die Türkei wäre der erste Staat mit moslemischer Religion.........und das ist derzeit noch ein Unterschied wie Feuer und Wasser. Das kann (noch) nicht gut gehen. Ich halte es für Wunschdenken, zu glauben, darauf käme es nicht an. Es kommt sehr wohl darauf an! Solange in der Türkei z.B. noch junge Frauen von der eigenen Familie ( Vater oder Bruder) umgebracht werden, wenn sie sich nicht nach den Vorstellungen ihrer rückständigen Familie richten, solange zwar in Deutschland eine Moschee nach der anderen errichtet wird, es aber nicht zugelassen wird, dass in der Türkei christliche Kirchen sich etablieren, solange kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, die Türkei in die europäische Gemeinschaft aufzunehmen.
Da wird ( hoffentlich!) noch viel Wasser den Rhein hinabfließen, bis das Realität werden wird. Was solls, 2020 wäre ich 89 Jahre alt, ob ich das noch erlebe, wer weiß, und dann kann es mir eigentlich auch wurscht sein.
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greisi
antwortete am 23.09.06 (02:38):
EU heisst zwar Europäische Union, aber ob sich das "Europäisch" auf die Geographie beziehen muss möchte ich verneinen. Ideel ist die EU eine "Wertegemeinschaft" die in ganz weiten Teilen auf in Europa in den letzten paar hundert Jahren entwickelten Prinzipien beruht. Diese Prinzipien sind mitnichten ausschliesslich Christlicher Natur. Die Europäer haben seit dem Beginn der Neuzeit sehr viel und vor allem sehr wesentliches aus dem islamischen Raum gelernt und integriert.
Somit sollte das überwiegend islamisch geprägte Land Türkei prinzipiell gut rein passen. Ob das auch wirklich praktisch und in allen notwendigen Details funktionieren wird, sollte sich ja wohl in den nächsten 15 Jahren zeigen.
Auf alle Fälle ist es ein ungeheuer positives Zeichen, dass sich wesentliche Teile der türkischen Gesellschaft dringend dafür interessieren Teil Europas und damit vor allem Teil der Europäischen Wertegemeinschaft zu werden.
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Karl
antwortete am 23.09.06 (07:47):
Danke greisi,
es macht Freude auch einmal eine vernünftige und vor allem kenntnisreiche Stimme zu "hören". Es ist genauso wie du sagst. Die EU an religiösen oder geografischen Grenzen, die völlig willkürlich gezogen sind und sogar mitten durch Staaten verlaufen, festzumachen, ist doch ziemlich kleinkariert.
Ich finde auch, dass es Mut machen sollte, dass die EU so attraktiv ist, dass sie Sogwirkung entfaltet. Wenn es ihr gelingt dabei ihre Standards zu halten (was ja Ziel der Verhandlungen ist), dann bedeutet eine Erweiterung einen Zugewinn an Sicherheit, Wirtschaftskraft ohne Verlust an Freiheit, Menschenrechten, sondern im gegenteil, mehr Menschen kommen dann in den Genuß davon.
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Medea.
antwortete am 23.09.06 (10:34):
Und genau das alles wage ich zu bezweifeln (ohne kleinkariert zu sein. ;-) ) Heute schon hat die Türkei ca. 70 Millionen Einwohner, nach Schätzungen der UNO werden das bis zum Jahre 2050 bei dem hohen Geburtenüberschuß bereits über 100 Millionen sein. Es ist davon auszugehen, daß bei einem EU-Beitritt bis zu 10 Millionen Türken nach Europa auswandern und mit Sicherheit weitgehend nach Deutschland, da im eigenen Lande nicht ausreichend Arbeit vorhanden sein wird. Wie soll Deutschland so eine Masseneinwanderung verkraften können? Die Folgen mag ich mir gar nicht ausdenken, allein für den inneren Frieden wären sie katastrophal.
Greisi meint, daß die überwiegend islamisch geprägte Türkei gut prinzipiell in die EU hineinpassen würde. Genau diesen Punkt bezweifle ich sehr. Welchen Nutzen sollte das unter dem Strich bringen? Vielleicht gar eine Brücke zu der übrigen arabisch-islamischen Welt schlagen? Auch das bezweifle ich sehr. Die Türkei wird als laizistischer Staat mißtrauisch von der übrigen islamischen Welt beäugt. Das ist immer wieder zu lesen, als ein Vorbild auch bestimmt nicht akzeptiert. Die Außengrenzen der Türkei stoßen an konfliktbeladene Länder - ich kann mir nicht vorstellen, daß das mehr Sicherheit für Europa bringen soll, vielmehr sehe ich darin zusätzliche Bedrängnis auf Europa zukommen. Die Vollmitgliedschaft der Türkei in die EU wird so fürchte ich lediglich für zusätzliche Unruhe in Europa verantwortlich sein. Mag sein, daß ich ziemlich allein mit meiner Meinung dastehe, dann ist es eben so. Deshalb aber mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube.
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eko
antwortete am 23.09.06 (12:50):
@ Medea:
Ich bin derselben Meinung wie Du!
Die sichtbaren Probleme und riesengroßen Unterschiede als "ziemlich kleinkariert" hinzustellen, zeugt meiner Meinung nach von ziemlich viel Blauäugigkeit und Träumerei. Das ist Grünen-Politik reinsten Wassers und hat mit der Realität wenig zu tun.
Du hingegen hast die Probleme sehr deutlich beschrieben. Ich denke da vor allen Dingen an die EU-Aussengrenzen. Wer will garantieren, dass die dicht genug sind? Da können wir ja gleich alle Grenzen aufmachen und die ganze Welt zu uns kommen lassen.
Nein, dann lieber für kleinkariert angesehen werden, damit kann ich gut leben.
Gruß vom e k o
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