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THEMA: Geistige Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum T.1.
8 Antwort(en).
DietrichStahlb
begann die Diskussion am 01.02.06 (22:29) :
Lange vor Hitler entstand in Deutschland aus dem vaterländischen völkisch-nationalistisches, rassistisches und imperialistisches Gedankengut. Ein Beispiel dafür ist ein Gedicht von
Felix Dahn
Und wenn's beschlossen ist da droben, daß unser Reich versink` in Nacht, - Noch einmal soll die Welt erproben des deutschen Schwertes alte Macht:
Soll nicht mehr deutsches Wort erschallen, nicht deutsche Sitte mehr bestehn, So laßt uns stolz und herrlich fallen, nicht tatenlos in Schmach vergehn.
Zieht einst ein Tag die Schuld der Ahnen, die eigne Schuld vors Weltgericht: Ihr seid die Schergen, ihr Romanen und Slawen, doch die Richter nicht!
Wir beugen uns den Schicksalsmächten: sie strafen furchtbar und gerecht: Ihr aber seid, mit uns zu rechten, kein ebenbürtiges Geschlecht!
Den Schlag der deutschen Bärenpfote ihr kennt ihn, ihr Romanen, wohl, Seit Alarich, der junge Gote, das Tor zerschlug am Kapitol,
Und euch, ihr Slawen und Polacken, ist deutsche Kraft bekannt seit lang, Seit dröhnend trat auf eure Nacken der Heineriche Siegergang.
Nein, eh' ihr herrscht in diesen Landen, draus oft euch wilde Flucht entrollt, Sei noch einmal ein Kampf bestanden, des ewig ihr gedenken sollt:
Und wimmeln zahllos eure Horden, erfüllt mit tausendjährgem Neid: - Erst gilt es noch ein furchtbar Morden, eh' ihr die Herrn der Erde seid.
Schon einmal ward so stolz gerungen von deutschen Helden, kühn im Tod: Ein zweiter Kampf der Nibelungen sei unsern Feinden angedroht:
Prophetisch war die alte Sage und grauenhaft wird sie erfüllt, Wenn an dem letzten deutschen Tage der Schlachtruf dreier Völker brüllt.
Von Blute schäumend ziehn mit Stöhnen empört die Donau und der Rhein: Es wollen brausend ihren Söhnen die deutschen Ströme Helfer sein -
Auf! Schleudert Feuer in die Felder, von jedem Berg werft Glut ins Land, Entflammt die alten Eichenwälder zum ungeheuren Leichenbrand.
Dann siegt der Feind: - doch mit Entsetzen, und triumphieren soll er nicht! Kämpft bis die letzte Föhn' in Fetzen, kämpft bis die letzte Klinge bricht, Kämpft bis der letzte Streich geschlagen ins letzte deutsche Herzblut rot, Und lachend, wie der grimme Hagen, springt in die Schwerter und den Tod.
Wir stiegen auf in Kampfgewittern, der Heldentod ist unser Recht: Die Erde soll im Kern erzittern, wann fällt ihr tapferstes Geschlecht:
Brach Etzels Haus in Glut zusammen, als er die Nibelungen zwang, So soll Europa stehn in Flammen bei der Germanen Untergang.
[Felix Dahn, Deutsche Lieder, in: Raimund Kemper: «Es waren schöne glänzende Zeiten oder "Der Geist, der den Arm der Deutschen stählt". Zur Kritik einer stets zeitgemäßen Wissenschaft» (der Germanistik), Frankfurt a.M. 2003, Rh. Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte, Bd.42]
T.2 folgt
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DietrichStahlb
antwortete am 01.02.06 (22:31):
T.2: Fortsetzung:
Das Gedicht entstand 1859. Dahn war ein Bestsellerautor des Wilhelminischen Kaiserreiches. (R. Kemper) Er lebte von 1834-1912. Sein bekanntester Roman «Ein Kampf um Rom» fehlte schon damals in keinem Bücherschrank des größtenteils deutschtümelnden Bildungsbürgertums, das sich mit seiner vaterländisch-rassistischen und imperialistischen Ideologie auch an den Universitäten breit machte und eine militaristische Leitkultur schuf. Die Nazis griffen den Germanenkult ihrer Vorläufer auf und vernebelten damit vor allem die Köpfe der Jugend. Ein «Kampf um Rom» wurde auch für mich zu einem Kultbuch. Ich fand den dicken Schinken in Vaters Bücherschrank und verschlang ihn wie alle „Deutschen Heldensagen“ in kürzester Zeit. Wir Pimpfe lasen aus dem Buch einander vor. Und selbst als wir eine verlorene Schlacht nach der anderen erlebten und das Großdeutsche Reich immer kleiner wurde, hielten sich viele von uns an die Durchhalteparolen des Propagandaministers. Wir sollten als Soldaten „tapfer wie die Germanen in Rom“ in Glanz und Gloria untergehen. Untergegangen sind wir dann auch - ohne Glanz und Gloria: eine betrogene Jugend.
Hierzu: Das letzte Kapitel des II. Weltkriegs, wie ich es als Soldat erlebt habe, ist unter dem Titel »FRISCH IN ERINNERUNG: das Ende des Zweiten Weltkriegs und das erste Nachkriegsjahr« beschrieben in: «Der kleine Mann. Geschichten, Satiren, Reportagen aus sechs Jahrzehnten», Recklinghausen 2005. Mehr über dieses Buch: Siehe Link unten!
Internet-Tipp: https://f27.parsimony.net/forum66372/messages/3042.htm
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seewolf
antwortete am 02.02.06 (00:40):
Na ja - andererseits gibt es Leute, die flippen schon völlig aus, wenn 10.000 km weiter jemand ihrem Propheten ein falsches Barthaar malt...
Auf deren Niveau der Reizbarkeit sollte man sich einstellen - ihre eigene Ausdrucksweise verstehen die im Zweifel besser als unsere :-)
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polykrit
antwortete am 02.02.06 (01:26):
Zwar altbekannt, was sich alles im biederen deutschen Bürgertum der Wilhelminischen Zeit und auch schon davor an überhöhtem Nationalstolz und latentem Antisemitismus mit den verheerenden Folgen für 50 Millionen Opfer aufbaute, aber es kann nicht schaden, ab und an mal wieder darauf hin zu weisen. Man muss sich das wirklich noch einmal vor Augen führen. Da wird der Österreichische Erbfolger im Juli 1914 in Sarajewo von einem serbischen Nationalisten ermordet und der Deutsche Kaiser hält das für ausreichend, ganz Europa mit einem der fürchterlichsten Krieg, die jemals stattfanden, zu überziehen. Natürlich war danach der völlig unsinnige Versailler "Friedensvertrag" ausschlaggebend für das, was sich dann unter Hitler Bahn brach. Aber ohne Wilhelm II hätte es einen Hitler nie gegeben und 50 Millionen Menschen hätten weiter leben können.
Seewolf, wie man vor diesem Hintergrund mit einem lapidaren: Na ja, andererseits... unangemessen vergleichend darauf reagieren kann, ist mir schleierhaft.
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Arno_Gebauer
antwortete am 02.02.06 (09:06):
Hallo, Forumsteilnehmer,
ich habe mal im WDR 5 eine Sendung über den letzten deutschen Kaiser gehört. Dort wurde berichtet, daß er ein sehr dummer Mensch gewesen ist und im Prinzip all das vertrat, was der Hitler dann später in die Tat umsetzte.
Die größte Leistung des österreichischen Erbfolgers war das Abschießen von vielen zig-tausend Wildtieren. Das deutsche Volk hatte bis vor 1945 mit den interlektuellen Fähigkeiten seiner Führungsriege wirklich nur Pech!!
Viele Grüße Arno Gebauer
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Literaturfreund
antwortete am 02.02.06 (14:45):
Zum Thema fiel mir die Ausstellung „Deutschstunde“ ein, die als Buch käuflich – und als Plakatausstellung ausleihbar ist: https://www.fiftyfifty-galerie.de/start.php3?psid=5e04fd8b24ec33f70d610676ed24cdec *
Eine der schönsten Karikaturen daraus will ich hier präsentieren - nicht nur für... wenn im Märzen der Bauer lospflügen muss...:
Internet-Tipp: /seniorentreff/de/i3WeRfLWs
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Felix
antwortete am 02.02.06 (18:48):
Leider wurden diese unheilvollen Wurzeln bis zum heutigen Tag noch nicht vollständig ausgerottet. Immer wieder stupft das braune Kraut durch die darüber liegende Erdschicht und treibt ihre teuflischgiftigen Blüten.
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DietrichStahlb
antwortete am 02.02.06 (19:55):
Man kann nicht in zwei, drei Sätzen die ganze Geschichte des (deutschen) Bürgertums darlegen. So ist denn auch mein kleiner Kommentar eine äußerste Verkürzung vielschichtiger Zusammenhänge und daher kritikanfällig. Worum geht`s? Um, wie der Titel sagt, Geistige Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum, nicht um Die Wurzeln…
Der NS war bekanntlich kein politischer Betriebsunfall und ist monokausal nicht zu erklären; er hat eine Entwicklungsgeschichte, die tief in die deutsche Vergangenheit hineingereicht. Aufschlussreich wie die politische Geschichte im europäischen Kontext und wie die Sozialgeschichte und - nicht davon zu trennen - ist die Geistesgeschichte, hier die „Literatur- und Ideengeschichte“.
Ich berufe mich auf zwei Germanisten, die sich mit der deutschen Literatur und ebenso kritisch mit ihrer eigenen Zunft auseinandersetzen: Raimund Kemper und Wolfgang Beutin. Wolfgang Beutin, mit dem ich seit 45 Jahren befreundet bin, befasst sich mit Textstudien, mit den Quellen, und natürlich auch mit der Sekundärliteratur. Er war einer der ersten Wissenschaftler, die sich von der werkimmanenten Textinterpretation abgewandt haben, Mitte der 60er Jahre, und seitdem Literatur nicht ohne Bezug auf soziale Geschichte, politische Geschichte und Gegenwart untersucht und vermittelt. Das hat ihm viel Ärger eingebracht, jahrzehntelang: Siehe: "1968 - 2003 - Der aufrechte Gang" (Link unten!), bis eine neue Generation von Literaturwissenschaftlern erkannte, dass Beutin, Mentor vieler von ihnen, den Herren mit den langen Talaren weit voraus war. Von Raimund Kemper kenne ich bisher nur diesen Band, aus dem das Gedicht von Dahn zitiert ist.
Beide haben nach den geistigen Wurzeln des NS geforscht und sind fündig geworden: in der Literatur. Nicht erst bei Treitschke ["Die Juden sind unser Unglück"], sondern lange davor. Bei Dahn ist es z. B. ein seinerzeit in Teilen Deutschlands „grassierender“ Slawenhass [„Und euch, ihr Slawen und Polacken, ist deutsche Kraft bekannt seit lang, Seit dröhnend trat auf eure Nacken der Heinerichsche Siegergang“.] Ein rassistischer Hass: Dahn entblödet sich nicht, immer wieder eine vermeintlich rassische und zugleich kulturelle Überlegenheit der Germanen gegenüber anderen Völkern zu behaupten.
Auch bei den Gebrüdern Grimm, zwei von den berühmten Göttinger Sieben, gibt es Völkisches, Deutschtümelndes. Wilhelm G.: „Die deutsche Altertumswissenschaft hat den Ruhm, zu einer Zeit entstanden zu sein, wo fremde Gewalt auf Deutschland lastete. Sie wollte, soweit es bei ihr stand, den Geist stärken, dessen Kraft langsam wächst, dessen Erfolg sicher ist. Sie wird diesen Ursprung nicht verleugnen, sondern daran festhalten, dass Sicherung und Wiederbelebung des Vaterländischen ihr letztes [sic!] Ziel ist.“ Zitiert in R. Kemper Es waren schöne glänzende Zeiten…, S. 78.
Ein anderer der Göttinger Sieben, einst mit den Grimms befreundet, hat sich von solcherlei Patriotismus abgewendet. Er lehnte die Wilhelminische und Bismarcks Reichspolitik ab und wurde 1853 wegen seiner demokratischen Schriften nach einem Hochverratsprozess aus dem Lehramt entfernt: Georg Gottfried Gervinus.
Dies sind nur ein paar wenige Beispiele aus der Menge ideologischer Bausteine, auf denen der Nationalsozialismus sein Wahngebäude errichtet hat. Außer Frage steht, dass es im deutschen Bürgertum zu jeder Zeit kritische Köpfe gab, die die Aufklärung nicht als vergangene Epoche verstanden haben, sondern als eine ständig neue Herausforderung. Ebenso, dass es Nationalismus, Rassismus und Militarismus auch woanders gegeben hat und z. T. noch gibt.
Internet-Tipp: https://f27.parsimony.net/forum66372/messages/819.htm
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helmutalfred
antwortete am 20.02.06 (11:47):
zu den geistgen Wurzeln des NS Staates gehoeren auch andere Aspekte.
Gegenueber dem Maennerheim fuer Obdachlose, in denen der arbeitslose und ungelernte Postkartenmaler Adolf Hitler in Wien gewohnt hat, war die Redaktion eines juedischen Hetzblattes. Das war damals in Wien gerade modern und im Schaukasten draussen auf der Strasse konnte man umsonst die Zeitung lesen.
Dort hat der junge Adolf seine gehoerige Portion Antisemitismus eingeimpft bekommen, indem er diese Sprueche und Beweise fuer das juedisch Untermenschentum auswendig gelernt hat. In der Schule ist ihm das nicht vermittelt worden.
Ausserdem hatte Adolf "Schlag" bei den Frauen. Cosima Wagner lag ihm zu Fuessen und die Witwe Bechstein (Klavieproduzent) hat ihm umsonst einen grossen Mercedes mit Chauffeur gestellt. Das ermoeglicht den Zugang zu einflussreichen Kreisen, ohne die kein Weiterkommen moeglich war.
Die monotheistischen Religionen pflegen das Existenz sichernde Dogma nur Gläubige werden gegen eine Gebühr (Spende oder Ablass) gute Menschen, Ungläubige sind dagegen mit Feuer und Schwert auszurotten. Der Religionsfanatiker und Jurist C. Merl verkündet 2005 im SPIEGEL-Forum „die Einwohner von Sodom und Gomorra hatten gesündigt, waren für Gottes Experiment nicht mehr zu gebrauchen und deswegen zur Vernichtung freigegeben“. Auf dieser biblischen Tradition basierte der Rassenwahn der NAZI`s sowie die endlosen Religionskriege des Mittelalters. Wer an die Bewegung glaubt ist gut, treu, edel, heldenhaft und spendet willig, die Nichtgläubigen sind dagegen als faule und verderbte Untermenschen zu vernichten.
Ein Kardinal Pacelli hat der NSDAP mit Geldmitteln die Teilnahme am Wahlkampf 1928 ermoeglicht und so dazu beigetragen den Chaotenhaufen auf die politische Weltbuehne zu bringen. Pacelli wurde spaeter Papst und Hitler hat zum Dank der Kirche den Konkordatsvertrag "geschenkt"
Man macht es sich zu einfach, wenn man das antisemitsche Programm der NAZIs als Zeitstroemung abtut. Da hat eine ganze Herde von Brunnenvergiftern fleissig mitgewirkt, konnte einen ungebildeten und ungelernten Proleten wie Adolf Hitler mit einer ausgekluegelten Beweisfuehrung beeindrucken und alle waren hinterher furchtbar bestuerzt, als das Resultat erkennbar war und Europa brannte.
Das zeigt auch, das man Brunnenvergiftern wie Irving derzeit in Wien nicht das Podium der Presse anbieten darf, sondern sie dahin steckt wo sie hingehoeren - ins Gefaengnis
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