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Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"

THEMA:   Ein heikles Thema: die Verteilungsgerechtigkeit (Allokationsethik)

 4 Antwort(en).

Felix begann die Diskussion am 17.01.06 (17:14) :

Die Allokationsethik beschäftigt sich mit der Verteilungsgerechtigkeit von Dingen oder Gütern, die Mangelware sind.
z.B. Ersatzorgane, Pflegeplätze etc.


« Intensivmedizin oder Altenpflege ; was hat angesichts leerer Kassen Vorrang ? Medizin und Politik sind solchen Fragen bislang aus dem Weg gegangen , aber das bedeutet nicht , dass es keine Antworten gäbe . für die Behandlung des Problems der Rationierung medizinischer Ressourcen , das es in Deutschland offiziell nicht gibt , unterhält das Land sogar einen eigenen Lehrstuhl : Weyma Lübbe , Professorin für Philosophie , lehrt in Leipzig Allokationsethik , also die Moral der Verteilung knapper Mittel . Eine Umverteilung von der Medizin zur Pflege würde Leben retten. Wer soll gerettet werden , wenn nicht alle überleben können ? Möglicherweise lassen sich klare Gedanken zu einer solchen Frage am besten in sicherem Abstand von Dialysegeräten und Pflegestationen fassen , im Bewusstsein , wie Weyma Lübbe einmal schrieb , » dass ein Aufsatz in der Zeitschrift Philosophy noch niemanden umgebracht hat «

Gerade für uns ältere Menschen ein ernsthaftes Problem. Nach welchen Auswahlkriterien soll bei Engpässen entschieden werden:
- das Lebensalter?
- die Lebenserwartung?
- die Heilungs-Chancen (Erfolgserwartung eines Eingriffes)?
- die Dringlichkeit (lebensgefährlicher Zustand)?
- die Fortpflanzungsfähigkeit?
- der Zufall (Auslosung)?

Soll Selbstverschulden, Suchtverhalten, fehlende Eigeninitiative, Mehrfachschädigung etc. berücksichtigt werden.

Konkret lässt sich auch das Problem an einem zu kleinen Rettungsboot durchdenken: junge Frauen, Mütter und Kinder zuerst in Sicherheit bringen? ... oder doch nicht!

Wie denkt ihr darüber? Würdet ihr andern den Vortritt lassen?


 navallo antwortete am 17.01.06 (19:21):

Wer anderen den Vortritt läßt, ist eine sehr persönliche Entscheidung, falls man die überhaupt zugestanden bekäme.

Eines der schäbigsten Argumente zur Selektion von hilfsbedürftigen Menschen ist der Wirtschaftlichkeitsfaktor. „Eine Umverteilung von der Medizin zur Pflege würde Leben retten“ ist eine abstrus-irre Behauptung.
„Intensivmedizin oder Altenpflege?“ - eine Alternative, die niemals existiert hat, vergleichbar der, sich zwischen Klo oder Badewanne entscheiden zu dürfen – zu welchem Zweck auch immer. Eine unmenschliche faschistoide Alternative, für die sich die Verfasserin schämen sollte. Aber was tut man nicht alles für seine Daseinsberechtigung an einer Hochschule?

Daß die Medizin bisher Fragen der Allokationsethik aus dem Weg gegangen sei – wie anscheinend von Frau Professor Lübbe behauptet (ich habe mir eigene Recherchen erspart und glaube Felix’ Angaben) - stimmt nicht! Vielleicht ist sie noch recht jung und von Medizinethik unbeleckt. In den Vorlesungen der Hochschulen werden diese Themen selbstverständlich angesprochen. Auf Hauptverbandsplätzen der Kriege galt beispielsweise die These: Wer am lautesten schreit, hat noch Zeit. Dementsprechend wurde sortiert. Auch heutige Rettungssanitäter haben Anhaltspunkte, wem sie sich zuerst zuwenden sollten. Alle von Dir, Felix, angeführten Auswahlkriterien sind denkbar. Das Problem besteht darin, daß es keine eindeutige Antwort geben kann. Welches Merkmal im einzelnen angewandt wird, hängt neben der Einstellung Beteiligter auch ganz wesentlich von der aktuellen Situation sowie der Einsatzmöglichkeit der Retter und Hilfskräfte ab. Alle Versuche, hierfür gesetzliche Regelungen durch Politiker oder ethisch bindende Rangfolgen zu erreichen, sind Illusionen, die hellseherische Fähigkeiten voraussetzen. Bei Katastrophen, wie sie erst in jüngster Zeit mit Tsunami- und Erdbebenopfern stattfanden, sind ausufernde Selektionsrichtlinien ausgemachter Quatsch. Hilfe muß immer hier und jetzt geleistet werden. Oder will jemand ernsthaft dem Unfallchirurgen empfehlen, einem gerade eintreffenden Patienten den Beistand zu verweigern, weil man lieber noch auf die vielleicht schwereren oder aussichtsreicheren Fälle warten möchte?

Bei einem Massenunfall kann es von ungeschulten hilfsbereiten Laien abhängen, in welcher Reihenfolge die Opfer zum Unfallchirurgen gelangen. Sollte man die freiwilligen Helfer für Fehlentscheidungen zur Verantwortung ziehen?


 idurnnamhcab antwortete am 17.01.06 (21:19):

Ein sehr weites Feld, wollte man alle Möglichkeiten/Wünsche/Gedanken etc. in verbindliche Regelungen Zusammenfassen.

Ich denke jedoch auch, dass wirtschaftliche Interessen das letzte sein dürften, wenn, im konkreten Fall, eine Abwägung stattfinden müsste.

Doch auch hier widerspricht die Realität schon deswegen den Wünschen, da sich diejenigen, die mehr Geld haben, eine bessere/bevorzugtere Behandlung/Pflege leisten können.


 Felix antwortete am 18.01.06 (00:33):

Die unterschiedlichen Chancen, die von den Mitteln des Betroffenen abhängen ... also z.B. die Klassen-Medizin wäre meiner Meinung nach wieder ein eigenes Thema.

Ich möchte mich bewusst auf die Entscheidungsfälle beschränken, die von Gegenleistungen unabhängig sind.
Die sogenannte Triage bei Kriegserreignissen und Katastrophen geht eindeutig in diese Problematik.
Wenn die Möglichkeit an Hifeleistung den Anfall an Opfer nicht bewältigen kann, gibt es die einleuchtende Regel, dass man die aussichtslosen Fälle notdürftig lagert und wenn möglich den Schmerz bekämpft ... sich aber vorallem um die kümmert, die eine gewisse Chance zum Ueberleben haben.

Ich bin mir bewusst, dass dies leichter gesagt als getan werden kann.

Ich wurde zwar so geschult ... doch zur Anwendung kam es zum grossen Glück nie!


 schorsch antwortete am 18.01.06 (10:14):

@ navallo: "...Wer am lautesten schreit, hat noch Zeit..."

....und wer nicht mehr schreit, braucht keine Hilfe mehr......