Zur Seniorentreff Homepage
Google
Web  ST 

Neues ChatPartnersuche (Parship)FreundeLesenReisen LebensbereicheHilfe


Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"

THEMA:   Die Jugend der Vorstädte in Frankreich

 54 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 05.11.05 (09:51) :

... ist eine verlorene Generation. Sie fühlt sich verraten und verkauft und sieht keine Perspektive. Von der Politik werden die Jugendlichen als "Gesindel" und "Abschaum" bezeichnet. Dann wollen sie diesem Ruf auch gerecht werden, schlagen zu und zerstören.

Wir können an diesem Beispiel sehen, wohin es führt, wenn Gesellschaften sozial in undurchgängige Schichten zerfallen, wo z. B. schulischer Erfolg wenig mit Intelligenz, aber umso mehr mit sozialer Herkunft zu tun hat.

Die Pisa-Studien haben Deutschland bescheinigt, auf dem besten Weg dorthin zu sein. Auch bei uns haben Jugendliche aus unteren sozialen Schichten zunehmend keine Chance mehr auf Ausbildung und Beruf. Da die Integration der Randgruppen in Zeiten des Wirtschaftswunders nicht wirklich gelungen ist, kommt es jetzt in Zeiten des knappen Geldes zu einer dramatischen Verschlechterung der Lage. Die Politiker Frankreichs haben gezeigt, wie man mit dem Problem nicht umgehen darf. Ob bei uns die richtigen Integrationsmaßnahmen eingeleitet werden? Ich wage es zu bezweifeln, die neuen Studiengebühren sprechen Bände.


 mart antwortete am 05.11.05 (10:28):

Die "Stillen Tage von Clichy" haben sich erschreckend gewandelt.

Wo bitte, wo - gibt es in irgendeinem europäischen Land den Königswegs der Integration; wie sieht er theoretisch aus; wie sieht die praktische Durchführung aus?

Studiengebühren, ja oder nein, sind doch lächerliche Ornamente angesichts dieser Probleme!


 Medea. antwortete am 05.11.05 (12:15):

Weder in Deutschland, noch England, Frankreich oder Spanien scheint trotz vieler Anstrengungen, die es doch zweifelsohne gab, eine Integration muslimischer Einwanderer wirklich geglückt zu sein, zu verschieden sind die jeweiligen Gesellschaftsordnungen und zu spät haben die Europäer erkannt, daß Welten dazwischen liegen.
Verläßliche Ganztagsschulen (neben den Gymnasien) wären eine Möglichkeit, die Kinder dem negativen Einfluß vieler Elternhäuser zu entziehen, sie zu stabilisieren, für sie auch während der Freistunden dazusein, sie zu fördern, aber auch zu fordern. Mittel dafür könnten freigemacht werden, wenn anstelle von ständiger Erhöhung von Kindergeld diese Summen in besagte Schulen fließen würden.


 lenigaud antwortete am 05.11.05 (13:34):

@Medea
„die Kinder dem negativen Einfluss vieler Elternhäuser zu entziehen“
Hier, Medea möchte ich widersprechen. Die jetzt etwa 50jährigen Eltern sind anständige arbeitsame Menschen, die ihre Kinder allerdings nur so erziehen können, wie sie selbst erzogen worden sind, d.h. gemäß ihrer Tradition und Kultur. Die Desorientierung dieser Jugendlichen liegt an ihrer Zerrissenheit zwischen eben dieser Tradition und den Prinzipien moderner Demokratie , die sie hier erfahren.


 seniorin antwortete am 05.11.05 (15:23):

Ich finde auch: sie müssen beschäftigt werden, nicht "entzogen".


 schorsch antwortete am 05.11.05 (15:27):

Dass die Jugend der Banlieus frustriert ist wegen schlechterer Lebenschancen ist verständlich. Nicht verständlich ist aber, dass sie sich von obskuren Hintermännern dazu anstiften lässt, all das, was auch dem Volke dient (Schulen, Busse) anzuzünden. Diese Hintermänner aber spekulieren damit, dass, wenn alles kaputt ist, sie mit ihren radikalen Ideen Oberhand bekommen.


 Karl antwortete am 05.11.05 (15:50):

Vielleicht ist es lehrreich, was Cohn-Bendit zu diesem Thema zu sagen hat:

"Ghettos, wie man sie in Deutschland gar nicht kennt"

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,383316,00.html


 Miriam antwortete am 05.11.05 (18:18):

Nicolas Sarkozy, Frankreichs Innenminister, reagiert indem er sagt, er würde "mit dem Kärcher" (also dem Hochdruckreiniger), dem "Gesindel" zu Leibe rücken.

Ist das die Reaktion die es verhindern könnte, dass der Flächenbrand sich weiter ausbreitet? Wohl kaum.

1990 warnte Francois Mitterand:

"Welche Hoffnungen sollte ein junger Mensch hegen, geboren in einem Wohnviertel ohne Seele, der in einem hässlichen Gebäude wohnt, umgeben von anderen Hässlichkeiten, von grauen Mauern in einer grauen Umgebung, den ein graues Leben erwartet, Mitten in einer Gesellschaft, die es vorzieht ihren Blick abzuwenden und erst eingreift, wenn man böse werden kann oder verbieten?"

Die Problematik war also erkannt, aber es wurde nichts unternommen um diese Mißstände zu ändern.
Das Hauptproblem wurde unter anderem von El Pais so zusammengefasst: "Paris verkündet stolz ihren Gleichheitsideal, aber verbannt die Geächteten in Ghettos, weit weg vom Blickwinkel der Mehrheit."

Man sollte nicht übersehen, dass diese vergessene FRANZÖSISCHE Jugend der Banlieus, hauptsächlich aus den Enkelkindern der Imigranten von einst besteht. Von einer Regierung zur nächsten mehrten sich die nichtgelosten aber bekannten Probleme - und die Politiker schauten weg.

Welche waren und sind die Hauptprobleme?
Arbeitslosichkeit, der Mangel an Integrationsprogramme, der miserable Städtebau der Banlieus, um nur einiges zu nennen.

Dabei steht Frankreich ja wieder so zu sagen in der Vorkampagne zu den Präsidentschaftswahlen, und die Liste der Kandidaten beträgt etwa 20 Namen!
Es wäre Zeit sich in Frankreich an die Präsenz in 2002 von Jean-Marie Le Pen im zweiten Wahlgang zu erinnern, um pragmatisch und problembezogen zu handeln.


 Gevatter antwortete am 06.11.05 (19:54):

MIRIAM:
"Nicolas Sarkozy, Frankreichs Innenminister, reagiert indem er sagt, er würde "mit dem Kärcher" (also dem Hochdruckreiniger), dem "Gesindel" zu Leibe rücken."

Grundsätzlich ist diese "Null-Toleranz-Haltung" nur zu begrüßen! Besser noch wäre,aufgrund der Masse der brutalen Gewalttäter, diese mit dem Räumschild aus Paris rauszuschieben.

Gevatter


 Miriam antwortete am 06.11.05 (20:10):

Gevatter,

warum nicht gleich KZ's?
Müssen ja nicht gleich Vernichtungslager sein...


 Medea. antwortete am 06.11.05 (20:13):

Die umstrittene Äußerung, die dem Innenminister Nicolas Sarkozy unterstellt wird, soll so nicht gefallen sein, da hatten wohl die Medien mal wieder die Hand im schlechten Spiel.


 BarbaraH antwortete am 06.11.05 (20:48):

Das von Dir empfohlene Rezept schockiert mich, Gevatter. Leider lässt Du die von Miriam zitierte Frage unbeantwortet:

>>"Welche Hoffnungen sollte ein junger Mensch hegen, geboren in einem Wohnviertel ohne Seele, der in einem hässlichen Gebäude wohnt, umgeben von anderen Hässlichkeiten, von grauen Mauern in einer grauen Umgebung, den ein graues Leben erwartet, Mitten in einer Gesellschaft, die es vorzieht ihren Blick abzuwenden und erst eingreift, wenn man böse werden kann oder verbieten?"<<


 Gevatter antwortete am 06.11.05 (21:08):

Gewalt ist von jeher keine Lösung, und ein Molotow-Cocktail kein Argument. Kein Staat kann es akzeptieren, dass die von seinen Bürgern geschaffenen Werte derart vernichtet werden. Wer sich nicht benehmen kann, muss eben auch die Konsequenzen ertragen. Deshalb ist die Härte des Staates natürlich richtig.
Zweitens zeigen die Randale in Paris, dass Multi-Kulti auf Dauer und vor allem in wirtschaftlich schlechten Zeiten nicht funktioniert. Die Ghettoisierung der Londoner Vororte, sowie die Randale dort vor einigen Jahren, waren nur ein Menetekel.

P.S. Das mit den KZ`s ist mir zu doof, deshalb auch keine Erwiderung darauf.

Gevatter


 hema antwortete am 06.11.05 (22:23):

Und wie ist es mit 60 Jahre Lagerleben für die Palästinenser? Gleiches Problem! Keine Chance, keine Zukunft und dann machen sie ihrem Leben ein Ende.

Jene in Frankreich wehren sich noch. Andere haben nicht einmals die Chance sich zu wehren. Denke an die Kinderkrieger in Afrika.

Aufpassen, dass die Welt nicht zu brennen beginnt!


 BarbaraH antwortete am 06.11.05 (23:41):

>>Le Monde zitiert die Schwester El País, um sich endlich den unsäglichen Widerspruch vor Augen zu halten: Frankreich, die Wiege der Menschenrechte, das Heiligtum großzügiger Sozialpolitik, ist nicht imstande, den Jugendlichen der zweiten und dritten Einwandergeneration, deren Eltern und Großeltern am Wirtschaftswunder mitgearbeitet haben, einigermaßen menschenwürdige Lebensbedingungen zu bieten. (...)

Es ist, als würde Frankreich eine Rechnung serviert bekommen. Eine Rechnung für seine dreißig Jahren währende Politik sozialer, territorialer und ethnischer Ausgrenzung, für bewusste Ghettoisierung, für seine "Politik der Apartheid", wie es Manuel Valls, Bürgermeister von Evry formuliert. Entsprechend hoch fällt die Rechnung aus.<<

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 07.11.05
Frankreich ist schockiert
Rechnung für Apartheidspolitik
VON MARTINA MEISTER

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/tRTkMRZdE


 fipsie antwortete am 07.11.05 (07:20):

...und wann brennt Deutschland?

Das alles fällt doch nicht vom Himmel. Es hat Ursachen, die von den Politikern bzw. Kapital gemacht worden sind, und jetzt kommt die Wirkung.


 mart antwortete am 07.11.05 (16:42):

Um nicht gar zu einseitig zu sein, eine Kostprobe aus der "anderen" Gedankenwelt:

"Frankreich ist eine Schlampe, vergiss nicht, sie zu ficken, bis sie erschöpft ist. Man muss sie wie eine Hure behandeln, Mann. Ich richte mich an meine Brüder, die am Existenzminimum leben. Wir dürfen uns nicht weiter entwickeln, weil wir schwarz sind" -

So rappt Monieur R alias Richard Makela auf seiner im März erschienen Platte "Politiquement Incorrect".

Der gebürtige Belgier mit kongolesischen Wurzeln ist in den in Flammen stehenden Pariser Banlieue aufgewachsen; er hat somit erreicht, was er wollte:
Aufmerksamkeit. Plattenverträge. Macht, Geld und Sex - willkommen in der westlichen Welt.


Sehr gerne würde ich auch politisch unkorrekt sein - aber mir ist es wohl untersagt!


 Gevatter antwortete am 07.11.05 (19:57):

FIPSIE:
"...und wann brennt Deutschland?"

Ich hoffe nie, und ich denke, in D ist die Situation auch eine grundlegend andere, als in Frankreich. Wer sollte außerdem hierzulande zur Anarchie aufrufen und marodierend durch die Straßen ziehen? Unterprivilegierte? Asylanten?

Gevatter


 Miriam antwortete am 07.11.05 (21:40):

In einem Gespräch mit der Journalistin Katrin Seibold, äusserte sich der Philosoph Peter Sloterdijk zu den Unruhen in den Banlieues der französischen Städte.

Er sagte unter anderem:

"Es gehört auch eine echte Verelendung dazu, und man muss in der Tat sagen, dass der französische Staat sich einer schweren Unterlassung schuldig gemacht hat, dass er die seit Jahrzehnten nervösen Pariser Banlieues aus seiner Sozialpolitik doch weitgehend ausgeschlossen hatte.
Es ist ein zu undankbares Geschäft gewesen. Man fand auch keine Polizisten mehr, die dorthin gehen wollten, die Verhältnisse waren allzu unerfreulich. Die Menschen, die bereit waren, sich an dieser Front aufzureiben, sind selten. Und aus diesem Grund ist eine Eskalation der Verwahrlosung aufgetreten, die zu diesen Konsequenzen führt."

Der ganze Beitrag von Katrin Seibold zu ihrem Gespräch mit Peter Sloterdijk, unter:

https://www.3sat.de/kulturzeit/themen/85233/index.html




 Miriam antwortete am 07.11.05 (21:50):

Habe vergessen, dass ich die Internetadresse im dafür vorgesehenem Feld eingeben muss. Sorry.

Internet-Tipp: https://www.3sat.de/kulturzeit/themen/85233/index.html


 mart antwortete am 07.11.05 (22:40):

Das ist sicherlich auch ein Grund, warum der Iran und Libyen Frankreich ermahnt hat, die Menschenrechte einzuhalten.


 Medea. antwortete am 08.11.05 (06:27):

Wo bleiben die französischen Intellektuellen, die sich doch sonst immer recht schnell zu Vorkommnissen in ihrem Lande äußern? Bisher hat m.W. lediglich Cohn-Bendit etwas dazu gesagt.


 Felix antwortete am 08.11.05 (10:37):

Offensichtlich ist das Geschichtsbewusstsein vergesslich.
Auch die französische Revolution war gewalttätig ... auf beiden Seiten ... und doch hat Alles in Allem das Volk davon bis heute profitiert.
Die herrschende Schicht hat zwar das Fratze gewechselt ... die Ungerechtigkeit ist die Gleiche geblieben.
Ich habe die französische Polizei ... ich denke da jetzt nicht an die Flic sondern an die "sûrté" die brutale Polizei der Staatssicherheit ... selber bei den damaligen Argerierunruhen in Paris erlebt. Franzosen vergleichen sie mit der SS.

Brutale Gegengewalt <Gevatter> beschleunigt die Gewaltspirale. Wir kennen die Totenruhe nach niedergeknüppelten Volksaufständen zur Genüge!

Es gibt nur eine Lösung ... auch wenn sie unbequem ist ... die erniedrigenden Lebensumstände müssen angegangen werden ... auch wenn die satten Wohlhabenden etwas Fett ablassen müssen!

Die sozialen Unterschiede sind weder gott- noch naturgewollt!


 abdu antwortete am 08.11.05 (13:30):

@MART:
sicher hat LIBYEN als erster staat auf der welt frankreich aufgefordert[nicht "ermahnt"]sich an die konventionen der menschen rechte zu halten.
ohne vereinbarung..12 stunden daraufhin hat IRAN die gleiche forderung gestellt..inzwischen sind es ueber 20 staaten die offiziell frankreich auffordern sich im sinne der gleichheit,freiheit und bruederlichkeit zu verhalten..darunter senegal,aegypten,venezuella und kuba.
die weltgemeinschaft ist ueber das unverantwortliche verhalten der pariser minister sehr besorgt.
laesst chriac,die rechtsgerichteten rassisten in seiner regierung weiter so reden und sich gegen gleichberechtigung
so faschistisch verhalten..dann hat dies negative folgen auf die franzoesische wirtschaft und auf den image frankreiches in der 3. welt.die gesamte francophonie ist jetzt auf dem spiel.
aber so oder so..es ist das ende mit dem chirac epoche..die veranstalter sind es die kraefte die die CHAOS organisierten:eine unheilige allianz zwischen franzoesischen zionisten und den rechtsgerichteten rassisten der "fremden legion".
die ausgebeuteten betrognenen jugendlichen waren nur das holz um das feur zu zuenden.
es sieht sehr schlecht fuer frankreich aus..diese niederlage des franzoesischen prestiges geht natuerlich zu guensten der USA und der westlichen kriegsmaschine,die sich wieder in gang setzt die kriminalitaet des jh zu begehen.


 mart antwortete am 10.11.05 (12:21):

<<Wo bleiben die französischen Intellektuellen, die sich doch sonst immer recht schnell zu Vorkommnissen in ihrem Lande äußern? Bisher hat m.W. lediglich Cohn-Bendit etwas dazu gesagt.<< (Medea)

Da ich französische Medien nicht ausreichend lesen kann, bin ich auf Übersetzungen angewiesen.

Nun erschien ein Interview mit Andre Glucksmann,Französischer Philosoph und Schriftsteller. Er ist ein zentraler Vertreter der so genannten Neuen Philosophen, die in ihrer Auseinandersetzung mit dem Marxismus eine dezidierte Kritik totalitaristischer Systeme entwarfen.



Glucksmann vertritt im Interview die Meinung, dass die jugendlichen Randalierer die nihilistische französische Grundatmosphäre beantworten.

Weiteres im Link nachzulesen.

Das vollständige Gespräch mit André Glucksmann wird am Samstag, den 12. November um 18 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

Internet-Tipp: https://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=754264


 Medea. antwortete am 10.11.05 (14:32):

"Die Explosion der Gewalt ist doch allemal sozial motiviert?" (Frage des Interviewers)

"Nein. Das sind günstige Umstände, aber durch sie erklärt man nichts. Vor allem neigt man dazu, dadurch alles zu entschuldigen. Warum? Weil es Menschen gibt, die unter diesen ungünstigen Umständen leben, die nicht die Autos anzünden, die nicht die Menschen anzünden. Entweder erklärt man, dass die Mehrheit Unrecht hat. Oder man sagt: Die Mehrheit hat Recht, weil sie keine Autos anzündet. Aber man muss dann auch noch hinzufügen, dass die Mehrheit der Jugendlichen feige ist, wenn sie keine Autos anzünden. Das sagen zumindest diejenigen, die die Autos anzünden. Aber wenn das ein Soziologe sagt, scheint mir das zweifelhaft zu sein. Es ist etwas Besonderes an den Leuten, die Autos abfackeln und am Ende sogar Menschen zu töten bereit sind. Man muss das Besondere an ihnen analysieren - das Spezifische ist der Hass. Man muss die Besonderheit des Hasses erkennen und ihm seinen besonderen negativen Ruhm zuerkennen." (André Glucksmann)


Um zu solchen Gedanken zu kommen, bedarf es tatsächlich eines Philosophen. Vielleicht ist es ja wirklich viel zu oberflächlich, dieses anhaltende Gewaltgeschehen nur vor dem Hintergrund von sozialen Spannungen zu sehen? Abgrundtiefer Haß, der letztendlich zur Selbstschädigung
mutiert (Verbrennen von Schulen, Arbeitsplätzen, Kindergärten etc.) muß gesät werden, tröpfelt wie Gift in die Adern und Gehirne, kann der wirklich aus sich selbst heraus entstehen? Oder gibt es doch subtile Drahtzieher nach dem Motto 'steter Tropfen höhlt den Stein'?
Fragen über Fragen......


 BarbaraH antwortete am 10.11.05 (17:31):

Auf einen Artikel in der heutigen Ausgabe der ZEIT möchte ich aufmerksam machen. Geschrieben wurde er von Tahar Ben Jelloun, einem marokkanischen Schriftsteller, der Anfang der siebziger Jahre nach Paris auswanderte:

Verbrannte Erde

Denn sie wissen, was sie tun: Warum junge Franzosen auf die Barrikaden gehen

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2005/46/UnruheFrankreich?page=all


 Marina antwortete am 10.11.05 (19:15):

"Vielleicht ist es ja wirklich viel zu oberflächlich, dieses anhaltende Gewaltgeschehen nur vor dem Hintergrund von sozialen Spannungen zu sehen?"

Andersherum: Es wäre absolut oberflächlich, dieses anhaltende Gewaltgeschehen n i c h t vor dem Hintergrund von sozialen Spannungen zu sehen.
Der Artikel von Tahar Ben Jelloun ist sehr qualifiziert und bringt die Probleme auf den Punkt. Glucksmann ist ein Schwafler, seine Essays haben mich noch nie überzeugt.

Hier ein Auszug aus dem Zeit-Artikel:
"Frankreich ist ihre Heimat, doch das Land erkennt sie nicht an und lässt sie nicht mit am Tisch sitzen. Sie fühlen sich ausgeschlossen und abgelehnt. Nun halten sie ihrer Heimat einen Spiegel vor, aber Frankreich will sich darin nicht wiedererkennen. Tatsächlich hat das Land nie eine ernst zu nehmende Einwanderungspolitik gehabt. Vor allem aber hat die französische Öffentlichkeit sich nie vor Augen geführt, dass Einwanderer Kinder auf die Welt bringen und dass diese Kinder keine Einwanderer, sondern waschechte Franzosen sind. Frankreich ist ihre Heimat, doch das Land erkennt sie nicht an und lässt sie nicht mit am Tisch sitzen. Sie fühlen sich ausgeschlossen und abgelehnt. Nun halten sie ihrer Heimat einen Spiegel vor, aber Frankreich will sich darin nicht wiedererkennen. Tatsächlich hat das Land nie eine ernst zu nehmende Einwanderungspolitik gehabt. Vor allem aber hat die französische Öffentlichkeit sich nie vor Augen geführt, dass Einwanderer Kinder auf die Welt bringen und dass diese Kinder keine Einwanderer, sondern waschechte Franzosen sind."

Man muss sich vor Augen führen, dass die jungen Leute alle aus den Maghreb-Staaten, also den ehemaligen franz. Kolonien Frankreichs, stammen. Sie sind in Paris geboren und aufgewachsen und haben wie ihre Eltern immer die franz. Sprache gesprochen. Trotzdem werden sie ausgegrenzt aus der Gesellschaft. Das kann auf Dauer gar nicht gut gehen.


 BarbaraH antwortete am 10.11.05 (19:29):

Ein weiterer Auszug aus dem Artikel von Tahar Ben Jelloun, den ich für sehr wichtig halte:

>>Im Jahre 1983 organisierten Jugendliche aus Einwandererfamilien, die man auch beurs nennt, einen Marsch durch Frankreich, um Staat und Öffentlichkeit auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam zu machen. Die Aktion wurde von SOS Racisme und Bürgerinitiativen unterstützt. für die sozialistische Regierung war sie Ausdruck des Willens zur Integration. Einige Vertreter wurden von Ministern empfangen, es gab vollmundige Versprechungen. Die Jugendlichen kehrten in ihre Vororte zurück. Es änderte sich nichts. Die beurs erlebten eine Enttäuschung nach der anderen. Manche, die sich verlassen und ungerecht behandelt fühlten, erlagen der Versuchung des schnellen Geldes. Sie drifteten ab – an die Ränder der Gesellschaft. Ob in Vénissieux, Straßburg oder den Pariser Vororten, ein Teil dieser in der Schule gescheiterten Jugendlichen ging den Weg der Gewalt: abgebrannte Autos, Drogenhandel, Straßenschlachten mit der Polizei.

All dies hätte man wissen können. Ende der achtziger Jahre gründeten junge französische Soziologen verschiedener Herkunft die Vereinigung Banlieuscopie mit dem Ziel, die Vororte zu beobachten und zu analysieren, um den Behörden Vorschläge zur Lösung der Probleme zu machen. Doch für die Regierung stellte sich das Ganze nur als Sicherheitsproblem dar, als Störung der öffentlichen Ordnung. Ihre Antwort war und ist – Repression.<<

Quelle: DIE ZEIT Nr. 46/2005 vom 10.11.2005
Verbrannte Erde
Von Tahar Ben Jelloun

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2005/46/UnruheFrankreich?page=all


 mart antwortete am 10.11.05 (19:55):

Hier gibt es einen Kommentar von Bassam Tibi:

Internet-Tipp: https://www.ftd.de/me/cm/29935.html


 Marina antwortete am 10.11.05 (21:20):

Zu dem Philosophen André Glucksmann hier noch ein Auszug aus der FR:

Einfach komplizierter
Cohn-Bendit und Glucksmann diskutieren in Frankfurt
VON SASCHA MICHEL

Den letzten Irak-Krieg befürwortete Glucksmann zum Beispiel als legitime Intervention gegen Sadam Husseins Regime. Pries' Frage, ob diese Intervention nicht noch mehr Öl aufs Feuer des Hasses geschüttet habe, irritierte Glucksmann nicht einmal. für ihn zählte allein die Möglichkeit einer erstmals demokratisch legitimierten Verfassung in Irak. Dass diese Verfassung aufgrund der schiitischen und kurdischen Mehrheit islamisches Recht einführt und damit, wie Cohn-Bendit zu bedenken gab, möglicherweise genau den Hass auf Frauen begünstige, den Glucksmann eigentlich kritisiere, blieb ebenfalls unerörtert.

Besonders enttäuschend aber für die mehr als fünfhundert Zuhörer dürften Glucksmanns Thesen zu den aktuellen Ausschreitungen in französischen Banlieues gewesen sein. Nach anfänglichem Zögern hatte Glucksmann auch hier die gewohnt sichere These parat: Statt einfach nach sozialen Zusammenhängen oder der Verantwortungslosigkeit von Politikern zu fragen, subsumierte er die Gewalt der Jugendlichen unter seinen Begriff des nihilistischen Hasses und glaubte damit provozieren zu können, dass sich in dieser Gewalt der Nihilismus der französischen Nation insgesamt spiegele.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/TFHw7A0aK


 Medea. antwortete am 11.11.05 (06:28):

Wie immer nennt Bassam Tibi das Kind beim Namen und redet nicht blumenreich herum. Selbst Muslim ist er in der Geistesstruktur des Islam zu Hause, die vielen Europäern fremd bleiben muß und die sie immer wieder zu Fehleinschätzungen führen wird. Genau hierin liegt die für Nichtmoslems/Ungläubige nicht wahrhaben wollende Macht des Islam, der nach seinen eigenen Gesetzen (Scharia) weiterhin in der sogenannten Diaspora lebt. Das wird zu wenig beachtet, ein Beispiel dafür ist die Aussage des jungen Mannes, der erst Ruhe geben will, wenn auch zwei Polizisten den Tod gefunden haben nach dem archaischen Gesetz: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Sage mir keiner, daß die islamische Gerichtsbarkeit nicht fest in diesen Menschen verankert ist.
Wenn dann noch soziale Brennpunkte hinzukommen, eskaliert die Lage. Bassam Tibi weist seit Jahren in seinen Büchern und Vorträgen auf das Phänomen Islam in Europa hin und fordert einen europäischen Islam, der für ein gewaltloses Miteinder der unterschiedlichen Kulturen und für Integration in die europäische Gesellschaft stehen könnte.
Alles andere ist nur vorübergende Tünche, die beim nächsten heftigen Sturm wieder abgewaschen wird.
Sollte wiederum der Anwurf Moslembasher kommen, sehe ich dem wie immer gelassen entgegen.


 Claude antwortete am 11.11.05 (08:39):

Medea schreibt,
Vorträgen auf das Phänomen Islam in Europa hin und fordert einen europäischen Islam.

Und wie soll diese Forderung in die Praxis umgesetzt werden?
Wollen das die Moslems überhaupt, nun ich denke die sogenannte schweigende Mehrheit schon, aber wollen die moslemischen Fundis auch einen europäischen Islam, ein oft gehörter Begriff aber was ist das überhaupt?
Freundlicher Gruß Claude


 Medea. antwortete am 11.11.05 (09:09):

Nein Claude, genau den wollen die Fundis eben nicht, in deren Augen und Ohren darf ja nicht einmal über das Heilige Buch auch nur ansatzweise diskutiert werden, das alles ist schon todeswürdig. Ich war in einigen Vorträgen von Bassam Tibi, er sagte, daß er schon mehrere Todesdrohungen erhalten habe, weil er es wage, manche Sure infragezustellen und vorschlage, sie zeitgemäßer zu formulieren.


 BarbaraH antwortete am 11.11.05 (09:45):

Wie Du uns anschaulich beweist, Medea., kann man jeden Konflikt zum Glaubenskrieg machen.

Die rebellierenden Menschen sind Teil des französischen Volkes. Seit mehr als zwanzig Jahren haben sie friedlich den ihnen zustehenden Platz in der Gesellschaft gefordert. Heute ist das Maß voll. Weiter verarschen lassen sie sich nicht.

Ein gefährliches Spiel treibst Du mit Deinem Muslim-Bashing, Medea.. Hoffentlich ist Dir das bewusst.


 Marina antwortete am 11.11.05 (11:46):

Barbara, du sagst es. Wieder eine willkommene Gelegenheit, das Muslem-Bashing zu betreiben. Dieser Konflikt hat nur sehr sekundär, wenn überhaupt, etwas mit Religion zu tun. Wenn Menschen in Gettos eingepfercht werden am Rande einer Stadt, keine Arbeit finden und aus der französischen Gesellschaft ausgegrenzt werden, obwohl schon ihre Eltern Franzosen waren, dann wundert es einen eher, dass diese Revolte erst so spät ausgebrochen ist. Ich habe vor ca. 35 Jahren die Elterngeneration in Paris erlebt, als ich eine Weile dort lebte, und keinerlei Unterschied zu den Franzosen feststellen können, außer dass sie ärmer waren und meistens in billigen Hotels, sprich: Absteigen wohnten,weil sie keine Wohnungen fanden. Dafür hat man ihnen dann die Getto-Silos in den Banlieues gebaut. Die etablierten und oft arroganten Pariser meinten wohl, sich von ihnen befreit fühlen zu können, wenn sie dort unter sich leben. Wie man sieht, war das wohl eine Fehlannahme, die sich jetzt rächt.


 Miriam antwortete am 11.11.05 (13:14):

Marina,

die Unruhen in Frankreich haben nur insofern mit Glauben zu tun, dass nun einige Islamisten versuchen die Jugend für sich zu gewinnen, bzw. diese Unruhen bewusst als religiös bedingt zu schildern.
Da ich die Ereignisse in Frankreich sehr genau verfolge, möchte ich hier nochmals betonen, dass es sich hier um einen sträflich vergessenen Teil der FRANZÖSISCHEN Jugend handelt. für die Verhältnisse in denen sie in ihrem Land seit Jahrzehnte leben, kommt diese Revolte eigentlich spät.

In einem Interview mit Ruthard Stäblein, äusserte sich André Glucksmann zu den Unruhen in Frankreich erneut mit seiner Thease des Hasses, und ging fast nicht ein auf Fragen der sozialen Gegebenheiten.
Eine sehr fragwürdige und sogar (gewollt ?) kurzsichtige These, hauptsächlich in diesen Tagen.


 mart antwortete am 11.11.05 (13:48):

Meiner Meinung nach werden die einzigen, die daraus Profit schlagen werden und gestärkt werden, die Islamisten und die Rechtsradikalen sein.


 Marina antwortete am 11.11.05 (14:37):

Ja Miriam, ich stimme dir voll und ganz zu. Schlimm ist es, wenn dann von Leuten, die die Verhältnisse in Frankreich überhaupt nicht kennen, dieser Konflikt instrumentalisiert wird, um seinem nicht eingestandenen Rassismus wieder einmal freien Lauf lassen zu können.
Bassam Tibi ist in dieser Hinsicht leider keine Hilfe, er irrt sich in diesem ganz speziellen Konflikt, der nicht vergleichbar ist mit den Verhältnissen in D'land, hinsichtlich seiner Analyse und hilft den Rechten und Ausgrenzern, schade!
Und noch einmal: Es handelt sich hier "um einen sträflich vergessenen Teil der FRANZÖSISCHEN Jugend", wie du richtig schreibst, nicht einer ausländischen Jugend. In einem anderen Forum (du weißt, in welchem) habe ich die Forderung nach Ausweisung gelesen. Das ist das Allerdümmste, was ich bisher zu diesem Thema gelesen habe, eben deshalb. Frankreich ist ihr Land, und man sollte sich darum kümmern, der Jugend eine Zukunft zu bieten. Stattdessen bekommen sie ein trostloses Getto-Dasein in den Vorständten angeboten und keinerlei Chancengleichheit hinsichtlich Bildung und Beruf. Schlimm ist das. Und da wundern sich immer noch welche, dass sie aufbegehren? Ich wundere mich überhaupt nicht darüber. Was sollen sie denn tun? Schweigend das Los der "Untermenschen" ertragen und sich damit abfinden? Vielleicht sollte jed/r mal versuchen, sich in ihre Lage zu versetzen und sich so ein Leben vorzustellen. Ich weiß, dass ich es nicht aushalten würde.


 Marina antwortete am 11.11.05 (16:05):

Kleiner Nachtrag: Ich bin natürlich nicht einverstanden mit den Auswüchsen, wenn Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser etc. angezündet und behinderte Menschen in einem Bus angegriffen werden, nicht, dass ich da missverstanden werde. Das alles ist schrecklich, sprengt absolut jeden Rahmen der Vernunft und sollte nicht gerechtfertigt werden.
Aber der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht.


 Miriam antwortete am 11.11.05 (17:01):

Soeben bringt Le Monde in seiner Online-Ausgabe, den Vordruck eines Interviews, welches morgen erscheinen wird.

Ich werde manche Auszüge hier übersetzen.

Das Interview führte Jean-Pierre Langellier mit dem Vorsitzenden der britischen Kommission zur Gleichstellung ethnischer Minderheiten, Trevor Phillips.

Meine Beweggründe für diese Übersetzung: ich denke, dass Trevor Phillips eine wichtige Stimme ist, und ich habe erst durch seine Erläuterungen verstanden, wie unterschiedlich die Modelle der Integration in Frankreich und in Großbritanien sind. Natürlich sind beide Modelle von Bedeutung auch für Deutschland.

Ich musste meinen Beitrag in zwei teilen, da er zu lang war. Das Interview folgt im nächsten Beitrag.


 Miriam antwortete am 11.11.05 (17:03):

Frage: Sie sind Vorsitzender der Kommision zur Gleichstellung ethnischer Minderheiteen. Welche ist Ihre Meinung zu den Unruhen der französischen Banlieues?

T.Ph.: Die Geschehnisse zeigen uns zwei wichtige Fakten: Erstens, es wird die Legende entlarvt, der zufolge keine rassistischen Probleme in Europa bestehn. Dies wird in Deutschland und Frankreich behauptet, wo man sich weigert die Identität der ethnischen Minderheiten anzuerkennen, oder diese festzuhalten. Auch gibt es Teile der Linken, die die rassistische Dimenssion der Probleme leugnete, indem alles auf Klassenkonflikte oder Armut reduziert wurde.
Die Geschehnisse sollten uns anspornen ein Modell zu entwickeln, durch welches allen Völker die sich im europäischen Raum aufhalten, die Möglichckeit geboten würde miteinander zu leben, und nicht nur nebeneinander.
Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen den beiden bestehenden extremen Muster. Einerseits die französische Tradition, die jeden Staatsbürger verpflichtet sich völlig anzugleichen (s'assimiler), seine Vergangenheit zu vergessen, seine kulturelle Eigenart an den Grenzen zu verlassen [...] Andererseits das amerikanische System, welches nun auch Großbritanien ansteckt, mit seinen ethnischen und glaubensbedingten Ghettos.

F.: Großbritanien hat in den sechziger Jahren die multikulturelle Gesellschaft gewählt, ein Modell der Toleranz und der Vielfalt, in welchem jede Gemeinschaft frei seine eigene Kultur leben durfte. Kann Frankreich sich davon inspirieren lassen?

T.Ph.: In Frankreich bedeutet Integration, Assimilation. Das Herz der französischen Identität ist zwingend, erdrückend. Die Franzosen könnten sich ein wenig von unseren Pragmatismus aneignen. Die britische Tradition lässt den Neuankömmlingen einen Raum und eine Beweglichkeit, welches es ihnen ermöglicht sich der geschichtlichen Identität der britischen Lebensweise anzupassen.

Ein Beispiel: ich bin ein britischer Schwarzer. Auf den Karaiben, von wo meine Familie abstammt, würde keiner auf den Gedanken kommen mich als etwas anderen als einen britischen Staatsbürger zu halten.[...]

F.: Sie haben aber kürzlich und wiederholt die Entwicklung der multikulturellen Gesellschaft kritisiert.

T.Ph.: Wir haben zu sehr die historische Identität der Minderheiten betont und dies zu Kosten ihrer Treue (loyalité) Grossbritaniens gegenüber. Dies war ein Fehler. Frankreich hat es verstanden eine nationale Identität zu behaupten, die jeder für sich beanspruchen kann. Dies müssen wir von Frankreich lernen.
Übrigens mag ich das Wort: multikulturell nicht. Diese Begriffe waren in der Vergangenheit nützlich, sind heute überholt. Ich möchte eher behaupten, dass die britische Tradition die bestmöglichste ist." [...]

F.: Wie könnte man Gemeinsamkeiten verstärken?

T. Ph.: Indem man die Bedeutung grosser Werte im Mittelpunkt setzt: die Demokratie, die Meinungsfreiheit, die Teilnahme an den Wahlen.
Aber auch indem wir die alltäglichen verhaltensweise einhalten: die Höflichkeit, den Respekt, sich zum Beispiel nie über fremde Akzente lustig machen, also die Art wie wir uns untereinander aufführen, wie wir miteinander sprechen - dies sind wichtige Gegebenheiten die die sozialen Verbindungen stärken, sowie auch die nationale Einheit.

(Diese Übersetzung, ziemlich in Eile gemacht, ist sprachlich etwas zu wenig ausgearbeitet)


 abdu antwortete am 11.11.05 (20:58):

@MEDEA:
deine auslegungen in der mitteilung von[11/11/05..6:28]sind beabsichtigt und irrefuehrend.
umgegehrt sehe ich die sache:
die faschistischen ausschreitungen gegen franzoesische jugendliche haben unter anderem die absicht den ISLAM auf dieser weise[wie du sie hier geleistet hast]zu diffamieren.
die jugendlichen europas sind die opfer nicht die taeter..sie sind opfer des markt fundamentalismus...opfer der arroganz,gier und gleichgueltigkeit.
hier ist naechstenliebe[oder was mit ihr geschah]klar und deutlich zu sehen.


 BarbaraH antwortete am 11.11.05 (22:22):

Auch in Großbritannien fanden Anfang der 80er Jahre Unruhen statt. Dort hat man damals aus den Fehlern gelernt, hat die soziale Benachteiligung von Schwarzen versucht abzubauen und sich verstärkt um Integration bemüht:

>>Im öffentlichen Leben, vor allem in London, sind farbige Briten allerorten präsent - nicht nur als Busfahrer und Krankenschwestern. Ein gebürtiger Ugander, John Sentamu, stieg kürzlich zum zweithöchsten Bischof der Anglikanischen Kirche auf. Und bei der Nachrichten-Präsentation von BBC und kommerziellen Fernsehstationen wird größtes Gewicht auf Vertretung aller Ethnien gelegt.<<

Quelle des Zitats: Frankfurter Rundschau vom 12.11.05
Strategie der "multikulturellen Gesellschaft" trägt Früchte
Großbritannien setzt auf Integration anstatt Assimilation - und fürchtet sich nicht vor Krawallen nach französischem Vorbild
VON PETER NONNENMACHER

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/KynwN9T41


 mart antwortete am 12.11.05 (01:43):

Dieser Kommentar vermittelt aber nicht besonders viel Hoffnung.

Ich lese da auch:

...Dass es zu einem Flächenbrand nach französischem Vorbild kommen könnte, ist allerdings unwahrscheinlich. Zwar gibt es gewisse Bezirke, vor allem die ausgebluteten Industrie- und Textilstädte der Midlands und des englischen Nordens, wo Einwandererfamilien dunkler Hautfarbe eine kümmerliche Existenz fristen. Doch die Zahl dieser Bevölkerungsteile ist wesentlich geringer als in Frankreich. Während man dort von sechs bis sieben Millionen afrikanischen Immigranten spricht, beträgt die Zahl der Westinder, Inder, Pakistaner und Bengalen in Großbritannien nicht einmal die Hälfte. Der Gegensatz zwischen Herkunft und Religion im Vereinigten Königreich ist außerdem nur selten so stark wie beim Nachbarn..."

Außerdem wird vergessen darauf hinzuweisen, daß auch es auch in England immer wieder zu Ausschreitungen kommt. Zuletzt lieferten sich Ende Oktober karibische und asiatische Jugendbanden Straßenschlachten in Birmingham.


 BarbaraH antwortete am 12.11.05 (12:05):

Es wird immer wieder Unruhen irgendwo geben. Trotzdem ist doch das wichtigste, dass der Staat die richtigen Konsequenzen zieht:

>>"Wir sind schlicht ethnisch mehr integriert als andere Nationen in Europa", urteilte kürzlich der liberale Londoner Independent. "Umfragen zeigen, dass die Briten immer besser damit zurecht kommen, in einer Gesellschaft der Rassenvielfalt zu leben." (...)

Beträchtliche Verunsicherung schufen erst die blutigen Bombenanschläge pakistanisch-stämmiger Briten im Juli auf Londoner. Kritiker des multi-kulturellen Modells sahen die Gefahr "paralleler Leben" bei radikalen islamischen Mitbürgern, und forderten Anpassung an "britische Werte".

Die jüngsten Ereignisse in Frankreich bestärken die Befürworter kultureller Toleranz und wachsender Wurzeln statt von Staats wegen auferlegter britischer Identitäten: Einen französischen Sturm will man, nach der Saat der letzten 25 Jahre, im Vereinigten Königreich jedenfalls nicht ernten.<<

Quelle des Zitats: Frankfurter Rundschau vom 12.11.05
Strategie der "multikulturellen Gesellschaft" trägt Früchte
Großbritannien setzt auf Integration anstatt Assimilation - und fürchtet sich nicht vor Krawallen nach französischem Vorbild
VON PETER NONNENMACHER

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/KynwN9T41


 hema antwortete am 12.11.05 (12:16):

Die Jugendlichen kommen nach Europa, oder wurden schon hier geboren und glauben, hier ist das Paradies auf Erden !!! Das gilt auf für alle, die nach Europa herein wollen.

Es ist aber nicht so. Alles war wir haben oder sind, musste schwer erarbeitet werden. Das wollen sie aber nicht sehen.

Vielen Europäern (Jung und Alt) geht es nicht besser, als den Jugendlichen in den Vorstädten von Paris.
Die zünden aber keine Autos und Geschäfte an, weil sie wissen, da schaden sie sich und ihrem Land und vielen unschuldigen Menschen, die sich diese Autos vom hart verdienten Arbeitslohn gekauft haben.

Wenn diese Jugendlichen glauben es geht ihnen (trotz Sozialstaat) so schlecht, sie sind NICHT DIE OPFER, wie abdu glaubt, dann dürfen sie gerne in ihre Mutterländer auswandern. Dort wird es ihnen sicher besser gehen !?!?

@ abdu

.....die jugendlichen europas sind die opfer nicht die taeter..sie sind opfer des markt fundamentalismus...opfer der arroganz,gier und gleichgueltigkeit.........

Du kannst ihnen ja die Einwanderung nach Libyen anbieten. Da werden sie sicher besser leben können. Den Frauen erlaube ich dann nach Österreich zu kommen.


 BarbaraH antwortete am 12.11.05 (12:37):

hema,

eines hast Du noch immer nicht begriffen: es sind Franzosen, die sich gegen ihre Chancenlosigkeit in einer sie ausgrenzenden Gesellschaft zur Wehr setzen. Wohin möchtest Du sie ausliefern?


 Claude antwortete am 12.11.05 (14:58):

BarbaraH schrieb,es sind Franzosen die sich gegen ihre Chancenlosigkeit in einer sie ausgrenzenden Gesellschaft zur Wehr setzen.

Richtiger wäre es zu sagen >>>es sind auch Franzosen<<< Barbara, unterschätze nicht den Rassismus gegen die Maghrebiener. Mit dem Islam hat der ganze Aufstand nur am Rande zu tun (einige Hetzer reiben sich die Hände)
sondern mit den Lebensbedingungen, wer die Banlieus kennt und sie zumindest öfters gesehen fragt nicht mehr nach dem warum. Nun sind die Politiker gefragt Versäumnisse der letzten 30-35 Jahre in die richtige Reihe zu bringen.
Gruß Claude


 BarbaraH antwortete am 12.11.05 (15:56):

Richtig, Claude, darüber schreibt Michael Kleeberg in der WELT:

>>Was Frankreich also derzeit erlebt, ist ein Problem der Apartheid. Wer studieren will, woher es kommt, wie es sich entwickeln wird, welche guten und schlechten Lösungen es dafür gibt, muß in die USA der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts schauen, auf die Situation der farbigen Bevölkerungsgruppe.

Die französische Straße hat dafür seit eh und je das zynische Wort vom "délit de sale gueule", wörtlich übersetzt dem "Delikt der Drecksfresse", das sich im Alltag darin äußert, daß ein Polizist, der in einer gemischten Menschenmenge einen Schuldigen sucht, automatisch immer zuerst nach dem "Basané", dem mit der dunkleren Gesichtsfarbe greifen wird, und der Personalchef bei gleicher Qualifikation den Job lieber dem "Francais de souche" gibt, also dem, der so aussieht, als seien tatsächlich die Gallier seine Ahnen gewesen.<<

Quelle des Zitats: DIE WELT vom 12.11.2005
Apartheid in Europa
von Michael Kleeberg

Internet-Tipp: https://www.welt.de/data/2005/11/12/801936.html?s=1


 Miriam antwortete am 12.11.05 (16:27):

Francais de souche= echter Franzose oder Stammesfranzose...

ziemlich üble und leider gebräuchliche Ausdrucksweise in Frankreich. Vergleichbar, wenn nicht sogar gleich mit "reinrassig".
Vielleicht werden diese Unruhen auch ein Nachdenken über sich selber und ihre Art der Diskriminierung, bei den Franzosen einleiten. Qui sait...


 Claude antwortete am 12.11.05 (17:34):

miriam schreibt,
Nachdenken über sich selber und ihre Art der Diskriminierung, bei den Franzosen einleiten. Qui sait...

Ich denke schon Miriam, die werden schon die richtigen Schlüsse ziehen, mit viel trara und Gesumse, wie das lateinische Völker so an sich haben, aber sie werden. Ich will das auch glauben ich mag Frankreich sehr, aber die Missachtung der ehemaligen Kolonialvölker steckt in ihnen drin, ich arbeitete in Frankreich und ich genoss mehr Ansehen als ein farbiger Franzose, speziell die Algerier waren regelrecht verhasst.

Gruß Claude


 Miriam antwortete am 12.11.05 (18:04):

Hallo Claude,

deine Beobachtungen stimmen mit meinen Erfahrungen in etwa überein. Aber ob das Gesumse wirklich mit der lateinischen Abstammung zutun hat? Muss darüber (angestrenckt!) nachdenken, da ich ja auch aus einem lateinischen Land stamme.

Wie wenig ein grosser Teil der Franzosen mit den Ereignissen umgehen kann, erweist sich auch im Interview von André Glucksmann, welches mir jetzt in voller Länge vorliegt. Dabei meidet er bewusst (aber nach meiner Meinung nicht geschickt) das Fokussieren auf den rassistschen und den sozialen Hintergrund, der zu den Unruhen geführt hat.

Ich denke aber, dass die grosse Diskussion um die Ereignisse, erst nach einer Zeit stattfinden wird.

Gruß von Miriam

Internet-Tipp: https://www.3sat.de/kulturzeit/specials/85408/index.html


 Claude antwortete am 13.11.05 (01:28):

Miriam ,
mit den Begriff Gesumse wollte ich nichts negatives sagen sondern es war eher nett amüsiert gemeint.Sie sind halt mal ein wenig aufgeregter oder wirken so auf mich.:-)
Den Artikel von Glucksmann habe ich mir herunter geladen werde mich aber erst morgen mit befassen.
Freundlicher Gruß Claude


 BarbaraH antwortete am 17.11.05 (20:30):

Auf ein Interview in der neuesten ZEIT-Ausgabe möchte ich hinweisen. Elisabeth von Thadden spricht mit dem Soziologen Zygmunt Bauman:

>>ZEIT: Die ethnische und religiöse Verschiedenheit wäre also nicht das Trennende?

Bauman: Ethnische und religiöse Unterschiede, die sich gegenwärtig mit sozialer Deklassierung überlappen, werden zu untergeordneten privaten Eigenschaften, wenn die Politik die ökonomische Benachteiligung der Zuwanderer überwindet. Ich meine, die Ereignisse in Frankreich zeigen, dass zwischen Toleranz und Solidarität ein elementarer Unterschied besteht. Toleranz lässt den anderen sein, wie er ist. Solidarität aber lässt den besonderen Bedürfnissen von verschiedenen Menschen auch besondere Aufmerksamkeit zukommen.

ZEIT: Zum menschlichen Abfall zählen Sie Flüchtlinge, Staatenlose, Entwurzelte, Arbeitslose. Was haben aber Elendsflüchtlinge mit den Arbeitslosen unserer Gesellschaften gemeinsam?

Bauman: Gemeinsam ist ihnen die Nutzlosigkeit ihres Lebens. Sie werden nirgends gebraucht. Giorgio Agamben hat sie in seinem Buch Homo sacer als diejenigen beschrieben, die von den demokratischen Regelwerken ausgeschlossen werden. Auch Arbeitslose fallen aus der gesellschaftlichen Ordnung heraus: In einer Konsumgesellschaft werden sie, die nicht produzieren, als schlechte Konsumenten und als finanzielles Problem angesehen. Nur als Versorgungsfall. Das kann es ihnen schwer machen, die Regeln eines demokratischen Gemeinwesens zu respektieren.

ZEIT: Gleichwohl bleiben sie, anders als Agambens Homo sacer, Menschen mit staatsbürgerlichen Rechten und sind mit einer Grundversorgung ausgestattet. Reicht das nicht, um die Legitimität eines Gemeinwesens anzuerkennen?

Bauman: Der Staat begegnet diesen Überflüssigen wie allen, die Angst vor der Zukunft haben, indem er sich vom Sozialstaat zum Sicherheitsstaat wandelt. Er kann seinen Bürgern zwar nicht mehr Sicherheit im umfassenden Sinne von Gewissheit, Versorgtheit und Unversehrtheit geben. Er kann keine kollektive Absicherung gegen persönliches Missgeschick bieten. Weil er diese Macht eingebüßt hat, konzentriert er sich auf Sicherheit im Sinne der Bekämpfung von kriminellen Übergriffen, der Gewährleistung individueller Gesundheit und des Verbraucherschutzes. Dieses Versprechen, notwendigen Schutz zu geben, geht einher mit dem Anwachsen von Ängsten vor Fremden, und mit diesen Ängsten lässt sich trefflich Profit machen.<<

Quelle: DIE ZEIT Nr. 2005/47 vom 17.11.2005
Wenn Menschen zu Abfall werden

Ein Gespräch mit Zygmunt Bauman, dem Soziologen der Moderne, über nutzlose Menschenmassen, die Revolte in Frankreich und sein neues Buch »Verworfenes Leben«
von Elisabeth von Thadden

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2005/47/st-bauman_alt?page=all