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THEMA: Heute Nacht vor 60 Jahren
19 Antwort(en).
Karl
begann die Diskussion am 27.11.04 (07:31) :
Vor genau 60 Jahren fielen in einer Nacht über 100 000 Bomben auf Freiburg. Ein Horror, den sich die Nachgeborenen, wozu ich gehöre, gar nicht wirklich vorstellen können. Wir sehen nur die Bilder mit den zerbombten Strassenzügen und sind froh, dass heute wieder alles anders ausschaut.
Viele, die damals ihr Leben verloren, können als Zeugen gegen die Schrecken des Krieges nicht mehr aussagen. Diejenigen, die es überlebt haben, sind froh davon gekommen zu sein. Trotzdem hat sich die Nachkriegsgeneration geschworen: Nie wieder! Was ist davon übrig?
Erinnern ist notwendig. Stellvertretend für diejenigen, die nicht mehr erinnern können, gilt es das Wissen um die Grauen des Krieges aufrechtzuerhalten. Es ist kein Videospiel. Lasst uns Politiken unterstützen, die helfen, dieses Grauen von uns und anderen fern zu halten.
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Tobias
antwortete am 27.11.04 (08:41):
Es ist viel übrig Karl sonst hätte Frau Merkel ja die Oberhand in Deutschland bekommen. Mehr als 75 % haben in Deutschland einen Kriegsgang abgelehnt und deshalb dürfen Frauen und Männer nicht an die Regierung die eine Denkweise haben wie Merkel & Co.
Friedliche Adventswochen wünscht allen Tobias ( Fred Reinhardt )
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Miriam
antwortete am 27.11.04 (09:43):
Fragment eines Textes von März 1991, der leider, aktuell bleibt:
Peter Härtling
Ich schreie und hör mich nicht
Was ist das für eine Zeit, in der alle Lehren aus der Zeit, die ich für die meine hielt, vergessen, vertan, niedergemetzelt werden?
Was ist das für eine Zeit, in der unsere Geschichte von einigen wenigen sprachlos und mörderisch abgebrochen wird?
Was ist das für eine Zeit, in der rachsüchtige Fundamentalisten und rächende Spießer dafür sorgen werden, daß alles, was wir ohnehin nur sorglos hüteten, in Gift und Feuer und Blut und Öl untergeht?
Was ist das für eine Zeit, in der ein Krieg angezettelt wird, durch die Hungrige noch hungriger, die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher werden?
Was ist das für eine Zeit, in der die pragmatischen Großmäuler voller Furcht und mit viel gewinn das Kriegsfeuer schüren?
Ich schreie und hör mich nicht.
Ich erzähle mir, woher ich komme. Ich entkam einem Krieg und verlor, wie es die Kriege verlangen, die mir Liebsten, Mutter und Vater.....
Aus: "Ich will reden von der Angst meines Herzens" Autorinnen und Autoren zum Golfkrieg (1991)
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ueberhaupt
antwortete am 27.11.04 (15:57):
Lieber Karl, ich stimme Dir nicht zu, wenn Du einfach so nach dem Volkstrauertag und dem Totensonntag und zu Beginn der Adventszeit schreibst: "Stellvertretend für diejenigen, die nicht mehr erinnern können, gilt es das Wissen um die Grauen des Krieges aufrechtzuerhalten." Ich bin Christ, und ich sage an dieser Stelle: Gott hat uns auch die Gabe des Vergessens geschenkt; und das ist gut so! Schon deshalb, weil das menschliche Gerhirn und die Seele nur begrenzt mitleidsfähig sind, ohne selbst Schaden zu nehmen. Mir gefällt allerdings auch nicht, daß Volkstrauer- und Totensonntag so verflacht sind. Noch vor wenigen Jahren war die Woche, die ja auch noch durch den Buß- und Bettag vervollständigt wurde, eine Woche der Besinnung auf die Toten. Das schlug sich auch bei den Rundfunk- und Fernsehsendern nieder; jedenfalls bei den Öffentlich-Rechtlichen. Das hat mir als Zeit der Besinnung und des Nicht-Total-Vergessens gelangt. Ich kann aber nicht zu jeder Zeit zusätzlich an die Grauen des Krieges denken. Die werden mir jeden Tag im Fernsehen vor Augen geführt. Schon das ist für mich so unerträglich, daß ich immer seltener Nachrichten angucke.
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schorsch
antwortete am 27.11.04 (16:01):
Lieber ueberhaupt, es sind genau jene einfachen Gemüter, auf die die Regierungen zählen können, nämlich auf jene, die in christlicher Einfachheit vergessen und das Vergessen predigen.....
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Miriam
antwortete am 27.11.04 (17:29):
@ueberhaupt,
persönlich möchte ich aber, dass man sich an all den vielen Toten erinnert, nicht in offiziellen Feierstunden, nicht an festgelegten Tagen, nicht mit Kränzen, die die Politiker niederlegen und dann stereotyp, die Schleifen richten.
Ich hoffe, das du mich verstehen wirst. Ich bin Jüdin, und eine, die nichteinmal deportiert wurde, durch eine Kette von mir günstigen politischen Gegebenheiten, auf die ich nicht eingehe.
Karls Beitrag hat mich sehr berührt. Denn ich möchte, dass wenigstens in diesen absurden Sterben, alle gleich behandelt werden. Holocaustopfer, genau wie Getötete in Bombenangriffen. Eine gemeinsame Gedenkstätte, die wir eigentlich in uns tragen sollten. Und darüber auch miteinander sprechen sollten. Keine grossen Gedenkstätten, die vermuten liessen, dass der Tod grausam oder weniger grausamer sein könnte. Historisch gesehen, ist natürlich der Holocaust ein einmaliges Ereignis. Darüber müssen wir gar nicht sprechen. Menschlich gesehen aber, also so wie wir es eigentlich empfinden sollten, denn nur dann haben wir diese Tragödie auch tatsächlich an uns herangelassen, sollten wir aller gleich gedenken.
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Illona
antwortete am 27.11.04 (18:16):
Miriam ******************************************* Darüber müssen wir gar nicht sprechen. ******************************************* Doch, darüber müssen wir immer wieder sprechen! Es darf und soll nicht vergessen werden.
Man schreibt peace auf die Jacke und setzt zum Angriff gegen das Establishment an. Man schreibt pax auf die Hosen und läuft Sturm gegen seinen Bruder. Man brennt peace in seine Haut und zankt sich mit seiner Schwester. Man möchte, dass Frieden ist und führt unablässig Krieg mit sich selbst. Auf dem Papier, auf unserer Jacke, überall steht Frieden und doch ist in unserem Herzen oft Krieg.
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chris
antwortete am 27.11.04 (18:58):
Advent
Advent (v. lat.: adventus Ankunft) ist im christlichen Jahreskreis die Vorbereitungszeit auf die Ankunft Christi.
@ Miriam, ich denke ueberhaupt wollte uns sagen, dass es eine Zeit hat, der Toten zu gedenken und aber auch, dass es eine Zeit der Hoffnung hat.
Auch wenn man nicht christlichen Glauben hat, sollten wir alle doch hoffen, dass eines Tages die Politiker für den Frieden auf dieser Erde sind und sich auch dafür einsetzen.
Dies alles würde ich uns Allen wünschen!
Dass die Zeiten, in denen Menschen in Krieg leben, immer noch da sind, ist umso schlimmer für die Menschen, die es betrifft.
Ich wünsche Euch und uns allen eine frohe und hoffentlich friedliche Adventszeit!
chris
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ueberhaupt
antwortete am 27.11.04 (19:06):
Ich weiß nicht, wie ich mich Euch verständdlcih machen soll, Schorsch und Miriam......Vielleicht mit meiner Lebensweisheit: Mitleid-ja....mit LEIDEN-nein? Wenn Ihr mich kennen würdet, würdet Ihr diese feine Differenzierung sofort verstehen. Ich bin ein Mensch, der Mitleid haben kann....aber ich kann es mir nicht "leisten", mit zu LEIDEN; das würde mich zerstören (bin Dienststellenleiter im Sozialamt..vielleicht versteht Ihr mich dann besser). Es tut mir leid um jeden Toten in jedem Krieg und durch jede Gewalttat...durch jeden Verkehrsunfall (jeder Tote ist hier einer zuviel!) Aber Langzeittrauer ist m.E. eine Angelegenheit der Angehörigen; nicht der gesamten Menschheit. Ich bin der Meinung, daß nicht ein ganzes Volk auf Dauer zu einer Zwangstrauer verurteilt werden kann. WIE er trauert, muß jeder für sich alleine bestimmen können.
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heinzdieter
antwortete am 27.11.04 (19:47):
Ich war am 13.2. in Dresden; auch 1995. Die ganze Stadt ist am Abend auf den Beinen. Das damals durch die Bombadierung angerichte wird von Überlebenden erzählt, Bilder dokumentieren die Folgen in den darauffolgenden Tagen.
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Miriam
antwortete am 27.11.04 (19:55):
ueberhaupt, Chris, Illonka,
ich denke, ueberhaupt, wenn ich deinen letzten Beitrag lese, dass wir einander in unseren Äusserungen missverstehen. Karl schrieb: "Stellvertretend für diejenigen, die nicht mehr erinnern können, gilt es das Wissen um die Grauen des Krieges aufrechtzuerhalten".
Dies begreife ich einerseits als einen Akt der Pietät, andererseits als eine moralische Verpflichtung, die vielleicht helfen könnte solche Tragödien wie die Kriege des 20. Jahrhunderts, nicht zu wiederholen.
Auch Gedenken und Gedenktage, sind nur Stellvertreter, wenn du so willst. Keiner würde es vertragen, das ganze Ausmass der Greueltaten ständig gegenwärtig in seinem Gedächnis zu transportieren. Es geht also natürlich nicht um eine Langzeittrauer, wie du es ausdrückst.
Ich habe mir wahrscheinlich instinktiv, auch Stellvertreter ausgesucht, die für mich das Gedenken verkörpern. Dies schrieb ich heute schon einen guten Freund. für mich sind diese Symbolfiguren des Leidens, Paul Celan, Primo Levi und Jean Amery. Drei Überlebende, die ihr eigenes Überleben nicht verkraften konnten und den Freitod wählten.
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hugo1
antwortete am 27.11.04 (20:22):
ich bin der Meinung. Alles zu seiner Zeit, Alles in übersehbarem Rahmen. Erinnern und Trauern sollten sein, aber nicht ununterbrochen und überzogen. Ansonnsten erreicht man schnell den "Moment der trüben Augen" mit daraus folgender Unfähigkeit, den Blick auf wichtige Gegenwartsprobleme zu richten. Daraus folgt: "Lähmung verhindert die nötige Tat" und spielt der Wiederholung in die Fänge.
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ueberhaupt
antwortete am 27.11.04 (21:07):
@heinzdieter: Dabei fällt mir ein Hörspiel nach Thomas Mann ein, in dem der Untergang Dresdens plastischer/eindrucksvoller geschildert wurde, als es (für mich) je ein Film könnte (Hauptsprecher war ein Schaupieler namens Paul Bildt). Dieses Hörspiel werde ich nie vergessen; und deshalb ist mir der Bombenangriff auf Dresden, der vor meiner Zeit lag, wie gegenwärtig. Im Zusammenhang mit unserem Thema: In mir ist das Gefühl, daß sowas NIE WIEDER geschehen darf; das war grausam; aber ich lebe nicht mit diesem Gefühl. Ich hoffe, ich habe mich verständlich genug ausgedrückt.
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Karl
antwortete am 27.11.04 (22:36):
@ überhaupt,
es geht mir weniger um ein langandauerndes Trauern (ich persönlich habe keine Angehörigen in dieser Bombennacht verloren). M. E. muss die Erinnerung an Tage wie den heutigen (in Freiburg und anderswo) wach gehalten werden, um es zu ermöglichen, aus der Geschichte zu lernen. Tragödien zu erinnern macht wenig Sinn allein um der Tragödien willen. Es macht sehr viel Sinn Tragödien zu erinnern, um ihre Wiederholung zu vermeiden.
Erinnern ohne Konsequenzen zu ziehen, würde der Verpflichtung nicht gerecht werden, die wir als denkende Menschen haben.
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schorsch
antwortete am 28.11.04 (09:38):
Mit Trauermienen herumlaufen? Nein!
Aber vergessen auch nicht!
Wer dabei war, kann nicht vergessen - nur verdrängen!
Und: Wer zwar nicht vergessen kann - und auch nicht verzeihen - kann wenigstens begreifen, dass die heutige Generation keine Schuld trägt an den Jahren von 1925 bis 1945.
Und: Die dabei waren, können und müssen aber der heutigen Generation erzählen, wie es damals war - keine Märchen.....
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Miriam
antwortete am 28.11.04 (10:17):
@schorsch,
es geht eben um die Möglichkeit eines Miteinanders. Nach meinem Empfinden, führt(e) der Weg dahin über den Dialog, der Erinnerung, den Gedankenaustausch.
Dabei war und ist die Erinnerung für diejenigen, die hier in Deutschland geboren sind und deren Vorfahren hier gelebt haben, wenn sie wirklich die Vergangenheit an sich heranliessen, viel schmerzhafter, als für diejenigen, die hier eine zweite Heimat gefunden haben, nach all den Wirren des Krieges - ich gehöre ja zu letzteren.
Um "nicht verzeihen", kann dabei nicht die rede sein. Es gibt keine Kollektivschuld.
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Medea.
antwortete am 28.11.04 (13:45):
Erinnern gegen das Vergessen -
das ist es, was auch ich meine.
Darunter fallen auch die Greueltaten beim Einmarsch der Roten Armee, bei der gewaltsamen Vertreibung der Ostdeutschen, der Deutschen aus dem Banat, aus der Tschechei, Siebenbürgen, den Wolgagebieten etc.
erinnern gegen das Vergessen -
gilt ebenso für die Greuel, die von Deutschen verübt wurden.
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dutchweepee
antwortete am 04.12.04 (03:34):
@MIRIAM ...ich wollte eigentlich auch ein allgemeines anti-kriegs-statement verfassen, als ich den start-eintrag von KARL gelesen hatte. Karl hat natürlich recht, aber wer denkt an all die, die beim sterben zusehen müssen und weiter leben dürfen?
dein beitrag hat mich sehr berührt, weil ich etwas ähnliches 1982 in sibirien erleben musste, an dem ich manchmal nochimmer fast zerbreche. einen gruß an Paul Celan, Primo Levi und Jean Amery.
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Felix
antwortete am 05.12.04 (23:11):
Gut wäre eine Erinnerung an die Fehler der Vergangenheit ... um es in Zukunft besser zu machen!
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Tessy
antwortete am 05.12.04 (23:26):
Erinnerung an die Vergangenheit ist gut - solange wir nicht die Warnzeichen der Gegenwart übersehen oder verniedlichen.
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