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THEMA:   Wandern in den Alpen

 2 Antwort(en).

Magistra begann die Diskussion am 21.09.06 (11:26) :

Aus dem Wanderbuch von Ulrich Grober:

?Begegnung mit dem Glück? - Die FAZ brachte schon das große Herman-Hesse-Kapitel (17.08.06; R S.6) - aus dem Wanderbuch meines Partners: Ulrich Grober: Vom Wandern. Neue Wege zu einer alten Kunst. Zweitausendeins. 2006.


Aus dem Kapitel "Über die Alpen"
Auf dem Engadiner Höhenweg: von Sils-Maria, nach Maloja und ins Bergell:

Sils-Maria erreichen wir drei Tagesetappen später, nachdem wir beschlossen hatten, St. Moritz und Umland zu »überspringen«. Zu viel »Flair«, zu viele Baustellen. Dazu kam, dass ich am Morgen mit Schmerzen im Fuß aufgewacht war. Die legen sich nach und nach, als wir in Sils-Maria aus dem Bus steigen und lostippeln. Das Nietzsche-Haus hat geschlossen. Es steht vor einer bewaldeten Steilwand am Ortsrand. Ganz so ärmlich, wie es in der Literatur oft beschrieben wurde, wirkt es von außen nicht. Das Haus zeige, hatte ich bei Adorno gelesen, »wie würdig man vor achtzig Jahren arm sein konnte« und wie man sich »um den Preis bescheidenster Lebensführung die geistige Unabhängigkeit« erkaufen kannte. Zu Nietzsches Zeit mag es eine einfache Pension in einem abgelegenen Dorf gewesen sein. Heute ist es edel hergerichtet. Das wirklich schlichte Haus an der Stadtmauer in Naumburg an der Saale fällt mir ein, der andere Lebensmittelpunkt des armen Meisterdenkers. Ich kenne es gut. Nur ein paar Gassen weiter stand, bis es nach der Wende von einer Immobilienfirma aufgekauft und abgerissen wurde, das Elternhaus meines Vaters. Ich lehne Rucksack und Wanderstöcke an die Tür und mache ein Erinnerungsfoto. Ein Plakat am Eingang; kündigt einen Vortrag an: »Den Süden in sich wiederentdecken«.
Wir machen uns auf den Weg. Sils-Maria ist ein gepflegter Ort. An den breiten Promenadenwegen steht alle 100 Meter eine Ruhebank mit dem Namen des Sponsors. Vom Ufer aus schweift der Blick in die Runde. Ein eisiger Wind weht vom Maloja-Pass herüber. Nebelschwaden ziehen über den See. Wolkenbänder steigen auf. Das Oberengadin ist eine Hochebene, Flachland auf hohem Niveau am Talschluss des Inn, umgeben von einer majestätischen Bergwelt. Die Halbinsel Chasté am nordöstlichen Ufer des Silser Sees; ist ein starker Platz. Nach einer ausgiebigen Brotzeit folgen wir auf dem beschilderten Rundweg Nietzsches Spuren. Der Gang führt durch Nadelwald. Lärchen, Arven, Fichten, Meine Feuchtwiesen mit welkem Gras,, und immer wieder Durchblicke auf die Wasserfläche. An der Südspitze steht ein Gedenkstein mit Versen aus dem Zarathustra. Sein »Höhenluft-Buch« hat Nietzsche auf einsamen Gängen rund um Sils-Maria imaginiert und zum Teil hier geschrieben. Die Figur des Zarathustra ist ein Wanderer, »ein Freund des Alleingehens«. Er ist einer, »der das Leben bejaht«. Einer, der nicht sein Vaterland, sondern seiner »Kinder Land« liebt. »Bleibt mir der Erde treu, meine Brüder...«
So verhängnisvoll und böse die zu Schlagwörtern degradierten Formulierungen über den »Übermenschen« und den »Willen zur Macht;« im 20. Jahrhundert auch gewirkt haben - den Zarathustra in der Höhenluft und dem Licht der Engadin-Landschaft zu lesen oder neu zu lesen wäre wohl trotz alledem ein inspirierendes Erlebnis für heutige Sinnsucher.
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Sils-Maria: Die alte Nietzsche-Pension, die ein Museum wurde.

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Wer kennt Sils-Maria...


 Magistra antwortete am 21.09.06 (11:30):

Auf dem Engadiner Höhenweg (Forts.)

Am Südufer des Sees entlang wandernd erreichen wir Maloja. Im Dorf fragen wir nach der Salecina-Hütte. Herbert und ich wussten beide von diesem legendären Projekt der Gegenkultur der 70er Jahre. Der Zürcher Buchhändler und Mäzen Theo Pinkus hatte Salecina als Treffpunkt, Rückzugsort, Bildungsstätte der westeuropäischen Linken gegründet. Nicht zufällig in der Nähe der Grenze. Im Notfall sollte die Hütte politischen Flüchtlingen als Asyl dienen können. In den letzten Jahren hatte man nicht mehr viel davon gehört. Wir wussten nicht mal, ob die Hütte noch existiert. Als wir nach kurzem Anstieg von Maloja vor der Hütte stehen, wird uns klar, dass Salecina lebt. Ja, man habe mehr als genug Platz, sagt die gerade amtierende Hüttenwartin, eine junge Frau aus Ardez. Feste Preise habe man nicht. Jeder gibt, was er kann. Im Durchschnitt 40 bis 60 Franken für eine Übernachtung mit Frühstück, Lunchpaket und Abendessen. Jeder beteiligt sich am Hüttendienst, also am Kochen und Putzen. Im Büro hängt ein Foto aus dem Sommer 1976. Vor dem Eingang der Hütte stehen Herbert Marcuse, der Philosoph, ins Gespräch vertieft mit Max Frisch, dem Dichter. Im Hintergrund Theo Pinkus, der Gastgeber. Die Gebäude des in den 70er Jahren umgebauten, uralten Bergbauernhofs sind nach modernsten baubiologischen Gesichtspunkten renoviert: Küche, Speiseraum, Kaminzimmer, Bibliothek, Abstellraum für Wanderschuhe, Skier und Rucksäcke, Waschküche und Trockenraum, die zwei Etagen mit Vierbettzimmern, das Büro - alles ist ; architektonisch sorgfältig durchdacht, gediegen, schlicht und schön eingerichtet.
Abends die Tafelrunde von Salecina. Hans und Wolfgang, zwei Mainzer, beide um die 60, nach bewegter politischer Vergangenheit heute als Taxifahrer jobbend, haben ein Käse-Fondue zubereitet. Es wird von allen Seiten hoch gelobt. Eine 'Künstlerin aus Berlin ist da, eine Mutter mit Tochter aus Basel, zwei Attac-Aktivisten aus dem Ruhrgebiet, ein paar andere.

Das Tischgespräch ist geistreich. Man fachsimpelt über die Touren, die man tagsüber gemacht hat, blödelt, politisiert, erzählt von neuen Projekten und alten Zeiten. Die Hüttenwartin verkündet die aktuellste Wetterprognose. Die Schneefallgrenze sinke unter 2000 Meter. Dann bespricht sie die Arbeit für morgen. Im Kaminzimmer beim Rotwein plaudert und diskutiert man weiter, Ende offen ... »Hüttenzauber« der ganz besonderen Art.
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Salecina:
Im Winter an der Salecina-Hütte. (Im Winter waren wir hier noch ncht.)

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/qjqIwzc0U


 Magistra antwortete am 21.09.06 (11:35):

Forts.: durchs Bergell...

Über den Malojapass brechen wir am nächsten Morgen nach Frühstück, Putzdienst und Abschied von Salecina zu unserer letzten Etappe auf. Von der Hütte aus schaut man über die Häuser von Maloja hinweg auf eine Felswand, von der ein Gebirgsbach beinahe senkrecht zum Silser See stürzt. Das ist der Inn, der dort oben im Gletschersee des Lunghin seinen Ursprung hat. Auf dem Malojapass überqueren wir die kontinentale Wasserscheide. Die Maira, der wir ab hier folgen, mündet in den Corner See und fließt zur Adria ab.
In Casaccia zweigt der Bergeller Panoramaweg von der Passstraße ab. Noch einmal ziehen wir durch eine grandiose Bergwelt. Allerdings sind die Granitgipfel und Gletscherzonen der Dreitausender auf der gegenüberliegenden Seite grau verhangen. Wir wandern zum ersten Mal im Nebel. Von den Buchen, Linden und Eichen am Weg tropfe es. Der felsige, durchwurzelte Pfad ist rutschig und schwer begehbar. Ab und zu überquert ein hölzerner Steg einen wild rauschenden Bach. Dauerregen setzt ein. Trotzdem ist es bestimmt fünf Grad wärmer als auf dem Malojapass. Kurz darauf sehen wir unter ums die verwinkelte Dachlandschaft von .Soglio. Die Häuser, die Kastanienwäldchen in der Umgebung geben dem Ort ein sehr südliches, schon mediterranes Flair.
Für den Maler Giovanni Segantini, der im 19. Jahrhundert im Bergell lebte, war Soglio »la soglia del Paradiso«, die Schwellte zum Paradies. Ein Teller Schoppa da giotta und ein Glas Veltliner im schon von Rilke gerühmten »Palazzo Salis« stärken uns für die letzten Kilometer. Mit neuem Schwung und in ungeahnter Leichtigkeit ziehen wir der italienischen Grenze und den Palmen von Chiavenna entgegen. Genau zwei Wochen nach dem Aufbruch in Füssen sind wir am Ziel. Das Gefühl, aus eigener Kraft die Alpen überquert zu haben, ist einfach triumphal. Die Strapazen sind schnell vergessen. Die körperliche Kräftigung hält bis in den Winter hinein an.

(Aus: Ulrich Grober: Vom Wandern. Neue Wege zu einer alten Kunst. Zweitausendeins. 2006. - Aus dem Kapitel "Über die Alpen".S. 246ff.)
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>Turm Belvedere, Maloja
https://www.pronatura.ch/gr/images/sgebiete/maloja/turm_belvedere_maloja.jpg


Hotel Palazzo Salis in Soglio:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/lD4MyVgrL