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THEMA: Günter Eich
22 Antwort(en).
Elfenbein
begann die Diskussion am 01.02.07 (07:23) :
Günter Eich hätte Geburtstag am 1. Februar…
Günter Eich: Huhu
Wo die Beleuchtung beginnt, bleibe ich unsichtbar. Aus Briefen kannst du mich nicht lesen und in Gedichten verstecke ich mich.
Den letzten Schlag gab ich euch allen. Mich triffst du nicht mehr, solang ich auch rufe.
(G.E.: Gedichte. Ausgewählt von Ilse Aichinger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1973) *
Siehe URL.:
* Einen Essay mit guten biografischen und Texterklärungen:
https://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/587156/
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/585250
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kropka
antwortete am 01.02.07 (08:23):
Wo ich wohne
Als ich das Fenster öffnete, schwammen Fische ins Zimmer, Heringe. Es schien eben ein Schwarm vorüberzuziehen. Auch zwischen den Birnbäumen spielten sie. Die meisten aber hielten sich noch im Wald, über den Schonungen und den Kiesgruben.
Sie sind lästig. Lästiger aber sind noch die Matrosen (auch höhere Ränge, Steuerleute, Kapitäne), die vielfach ans offene Fenster kommen und um Feuer bitten für ihren schlechten Tabak.
Ich will ausziehen. Günter Eich
Fernsehtipp: 2. Februar 2007 ORF "Was ich glaube" Thema: Günter Eich https://www.onlinekunst.de/februar/Eich_wo_ich_wohne.htm
Internet-Tipp: https://www.onlinekunst.de/februar/01_01_Eich.htm
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kropka
antwortete am 01.02.07 (11:29):
Lese "Die Zeit" von heute, Literatur S. 51, Frau Iris Radisch: "Man sollte gleich später leben - Zum 100. Geburtstag des bedeutendsten Dichters der deutschen Nachkriegsliteratur"
und online: https://www.zeit.de/2007/06/L-Eich
Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2007/06/L-Eich
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Medea.
antwortete am 01.02.07 (18:46):
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!
(Günter Eich)
Das hat mich beeindruckt - und ein Stück versuche ich, danach zu leben.
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Elfenbein
antwortete am 02.02.07 (21:44):
... über Günter Eich:
https://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/589240
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Elfenbein
antwortete am 05.02.07 (14:48):
Ich werde noch einiges zum Werk und zum Gedenken an Günter Eich nachtragen:
Günter Eich: (Titel ??)
Laß nun die Abschiede uns unauffällig begehen, wir fahren single, weich, ohne Paßkontrolle, laß uns fahren, laß uns, und immer nach Friaul, nach Gradisca, nimm günstig auf meine Seufzer, meine Billette, die Eintragungen in Gipfelbücher, die in große lappige Ohren oder in greifende Rüssel geflüsterten Wörter.
(Aus: G.E.: Anlässe und Steingärten. 1966) *
Es ist zwar ungewöhnlich, eigentlich unzulässig, einen vom Dichter gewählten und als Verständnishilfe vorgegebenen Titel wegzulassen... Aber: Wie könnte der Titel zu dieser stark assoziativen "Einfühlung" lauten...? - Aufschluss kommt später... - ("Anlass" für Eich zu diesem Eröffnungstext des Gedichtbandes von 1966 war ein Zoobesuch...)
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Elfenbein
antwortete am 05.02.07 (15:43):
Günter Eich: TlMETABLE
Diese Flugzeuge zwischen Boston und Düsseldorf. Entscheidungen aussprechen ist Sache der Nilpferde. Ich ziehe vor, Salatblätter auf ein Sandwich zu legen und unrecht zu behalten. *
Diese lakonischen Zeilen werden gerne zitiert, auch im poetologischen Sinne, dass G.E. keine absoluten, soz. dogmatischen Festlegungen formulierte und sich auch in Interview zu keinen hinreißen ließ, weder politischen noch literaturtheoretischen. * Aus: G.E.: Anlässe und Steingärten. 1966. Innerhalb dieses Bandes hatte G.E. diesen Text ursprünglich dem Zyklus „Neue Postkarten“ zugeordnet.
* URL.: .. eine "Postkarte"
Internet-Tipp: https://www.antiquariat-loidl.de/L23/eich_andenken.jpg
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kropka
antwortete am 06.02.07 (18:14):
@Elfenbein: "Aber: Wie könnte der Titel zu dieser stark assoziativen "Einfühlung" lauten...? - Aufschluss kommt später... -" Bitte. Ich warte ungeduldig.
In der "Zeit" habe ich ein interessantes Gedicht eines Lesers gesehen, du auch? Jetzt ist es verschwunden...? Der Anfang war so: " Bäumeln bei Eichs Diese Eichen Fliegen wie die Flugzeuge Zwischen Lebus und Böllhausen und ... " Zu Günter Eich hier noch einige Links und ein Zitat:
"Die Etymologie hat nachgewiesen, dass Kalauer nicht aus Kalau stammen. Sie stammen aus Luckau. Ich weiß es, ich bin im Grenzgebiet beider Kreise aufgewachsen, Luckau hat eine Strafanstalt, Kalau hat gar nichts. Wie gesagt, Kalauer sind keine Steigerungen von Kalau, aber mir sind sie recht, eine Möglichkeit, die Welt zu begreifen, vielleicht die einzige, anspruchslos und lila."
Gelesen in: Wandlungen eines Dichters Vor 100 Jahren wurde Günter Eich geboren Von Ingo Kottkamp © 2007 Deutschlandradio https://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kalenderblatt/585713/
https://www.radiobremen.de/magazin/kultur/literatur/eich/index.html
https://www.radiobremen.de/magazin/kultur/literatur/eich/bildergalerie/index.html
https://www.guenter-eich-preis.de/
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kalenderblatt/585713/
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Elfenbein
antwortete am 06.02.07 (20:14):
Ja, der Nachfrage sei abgeholfen:
Das Eich-Gedicht, das den Besuch und den Umgang bei einem Dickhäuter, einem Elefanten, beschreibt, hat den Titel (das ist wahr:) "Elfenbein".
**
Günter Eich: Fußnote zu Rom
Ich werfe keine Münzen in den Brunnen, ich will nicht wiederkommen.
Zuviel Abendland, verdächtig.
Zuviel Welt ausgespart. Keine Möglichkeit für Steingärten. * (Aus: G.E.: Botschaften des Regens. Gedichte. 1955)
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kropka
antwortete am 07.02.07 (08:33):
Du bist manchmal sehr lieb! Sehr gütig, sollte ich sagen. Nein, ich sage nicht "danke", das Wort magst du nicht. Aber deine Beiträge hier sind einfach .. einmalig bemerkenswert! Ich bin fast immer begeistert. Wie wo findest du das alles? Ist das ein wunderbares Gedicht von Eich!...
Übrigens... "Die Etymologie hat nachgewiesen, dass Kalauer nicht aus Kalau stammen.“ Aber Polen (Polacy), und n i c h t "polacken", aus Polen (Polska)! Polak (-Er ist Polak) und Polka (-Sie ist Polka). Nicht mit dem tschechischen Tanz zu verwechseln, bitte.
Bleiben wir aber bei Günter Eich. Es ist eine Schande aber ich kannte Eich nicht. Und jetzt bin ich begeistert und das alles und viel mehr verdanke ich ST also Euch allen hier! Und ich muss und möchte DANKE sagen. Hans Magnus Enzensberger abgelegenes haus für Günter Eich
wenn ich erwache schweigt das haus. nur die vögel lärmen. ich sehe aus dem fenster niemand. hier führt keine straße vorbei. es ist kein draht am himmel und kein draht in der erde. ruhig liegt das lebendige unter dem beil. ich setze das wasser auf. ich schneide mein brot. unruhig drücke ich auf den roten knopf des kleinen transistors. »karibische krise ... wäscht weißer und weißer und weißer ... einsatzbereit ... stufe drei ... that's the way i love you ... montanwerte kräftig erholt ...« ich nehme nicht das beil. ich schlage das gerät nicht in stücke. die stimme des schreckens beruhigt mich, sie sagt: wir sind noch am leben. das haus schweigt. ich weiß nicht, wie man fallen stellt und eine axt macht aus flintstein, wenn die letzte schneide verrostet ist.
https://user.uni-frankfurt.de/~hradatz/POESIA_ALEMANYA.HTM#_1_35
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Elfenbein
antwortete am 07.02.07 (10:42):
@ liebe kropka: Eine schöne Anthologie unter der URL. Danke fürs Mitsuchen!
Ja, Eich ist ein wunderbarer "Naturlyriker", mit seinen "Maulwürfen", auf die ich später noch komme, auch eine grotesk-anarchischer Dichter.
Zuerst noch etwas Verehrungslyrik seiner Freunde:
Frank Geerk: N a g a s a k i (für Günter Eich)
Einst hab ich Ziegen gehütet, Hollunderflöten geschnitzt, faul in der Sonne gebrütet, da lachte die Sonne verschmitzt.
Hab dann Kartoffeln gebraten, in rauchiger Flamme erhitzt, sind schwarz in den Magen geraten, da lachte die Sonne verschmitzt.
Und habe mir Ziegel geklaut, drein hab ich Fratzen geritzt, die schrien daran im Traume so laut, da lachte die Sonne verschmitzt.
Und mich um ein Messer geprügelt, weiß nicht, wers heute besitzt, es hat meine Kampflust beflügele, da lachte die Sonne verschmitzt.
Und als dann der Himmel genickt hat, und gelb dann die Bombe geblitzt, kein Bäumchen verschont, keine Stadt, da lachte die Sonne verschmitzt. * Eich hatte in mehrere seiner Hörspiele, die er auch "Träume" nannte, das höllische Geschehen von Hiroshima und Nagasaki auch als Ahnung für abendländisches Schicksal im "kalten Krieg" einbezogen. * (Die Schweizer Geerk und Rainer Brambach waren sehr gute Freunde Eichs.)
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Elfenbein
antwortete am 08.02.07 (10:49):
Günter Eich: Pigeons (Übersetzung von Michael Hamburger)
Flight of pigeons over ploughed fields a wingbeat more swift than beauty that cannot catch up with such speed but remains in my heart is discomfort.
As if the laughter of pigeons too could be heard in front of the dovecotes, dwarf dwellings painted green, and I begin to consider whether flight is important to them, what rank they accord to the earthward glance a.nd how they value the pecking of grain, how the recognition of hawks.
I advise myself to be afraid of pigeons. You are not the master, I say, when you throw them food, when you fasten messages to their legs, when you breed curious variants, new colours, new crests, or tufts of feathers above the feet. Put no trust in your power, then you'll not be astonished when you discover how little you count,
that beside your kind there are hidden kingdoms, languages without sounds that cannot be studied dominions without power and unassailable; that decisions are made by the pigeons' flight. * (Original heißt der Text "Tauben")
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pilli
antwortete am 08.02.07 (11:49):
zur weiter begegnung mit Eich und texten führt der u.a. link; vielleicht interessant?
:-)
...
zitiert aus "Lyrikzeitung":
"25. Eich 100 - Nachlese
Vor einiger Zeit, im Umfeld alternativer Literaturzeitschriften, konnten ekstatische Szenen vorkommen. Zum Beispiel ein Duell zwischen Günter Eich und Paul Celan: Da warfen die jeweiligen Sekundanten einander Zitate wie Beweise an den Kopf - "mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten" wurde gekontert mit "wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!", "wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis" mit "mein Alter möchte ich in der grünen Dämmerung des Weins verbringen". Und als der Celan-Mann zu seinem letzten Argument ansetzt: "Es ist Zeit, dass es Zeit wird", steigt der Eich-Vertreter auf den Nachtspeicherofen und deklamiert: "Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!"/ Helmut Böttiger, SZ 1.2.
Mehr: NZZ 1.2. (Samuel Moser) / BLZ 1.2. (Sabine Rohlf); Die Zeit 06 (Iris Radisch) / DLR Kalenderblatt 1.2. (mit weiteren Links) / SWR2 Retrospektive / DW 28.1. / NDR Kultur / Der Radiodichter. Autor im Zeitalter technischer Medien: Günter Eich zum Hundertsten . Von Andreas Ammer, SZ 1.2., S. 19
Aus dem Archiv der NYT: Ballett nach "Inventur", 29.1.1989:
In ''Inventur,'' Miss Bamonte turns to Gunter Eich, a German poet who described the basics of existence amid hardship in 1948 and adds her own program note: ''Sleepwalker waltzes/ potato dreams/ a collapsing march for homeland glory - how German is it?''
Reinhard Döhl: 5 Texte über Eich"
....
Internet-Tipp: https://www.pom-lit.de/lyrikzeitung/
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Elfenbein
antwortete am 09.02.07 (11:40):
Danke für die Ergänzungen...!
Jürgen Becker: G e d ä c h t n i s Für Günter Eich
- im Hansa-Viertel zuletzt; Tage in der Akademie; Spree-Enten noch über dem Englischen Garten. Vor diesem Abflug, dem Abschied, zwischen Eigelb und gelber Frühstücksmarmelade schnell sprechend (» ... nutzlos Gedichte ... wozu und frage nicht mehr danach ... Sie denken ja doch anders ...«) am Tisch (: am Ort, zuvor, von Samuel Beckett: täglich, vor den Proben; einmal zusammengefaltet die Zeitung: »Die üblichen Katastrophen.«), und im summenden Haus eine Stimme, die zur Reise nach Tempelhof rief - immer erst später die Bestimmbarkeit der Momente; Zusammenhänge, und was sie bedeuten.
Was bedeutete denn ein Gespräch über Lederjacken, in der Pulvermühle im Herbst 67, als der fränkische Wein die Erinnerung produzierte an den Herbst 63, den Auftritt mit Lederjacke, die Lesungen in der Klettenbergstraße in Frankfurt
(Die Satze verschmolzen die Jahre in einem Haus unter dem Rauschen wirklicher Pappeln / wo einmal rauschte im Radio das Radio-Geräusch einer Brandung / und hier das neue Verlassenem jetzt) — in einem Regen (in einem Wörter-Bild des Regens) erheben sich die alten Metaphern, die Nachrichten des Bewußtseins, (aber »in der Sprache, von welcher ich glaubte, niemand kenne sie außer mir -«) - soviel, sowenig zum Gedächtnis. Und das Wirkliche kommt wieder, beweist sich: in der Leopoldstraße zuletzt (»An verschiedenen Tagen gesehen, die Pappeln der Leopoldstraße«), Tage in München, keine Enten dort über dem Englischen Garten, aber Geräusche noch aus den Pappeln bis zu den Pappeln der rheinischen Bucht — **
Ein Erinnerungsbogen des Kölner Autoren Jürgen Becker an Akademie-Tagungen in Berlin und an Versammlungen der Gruppe 47, wo beide mit Lesungen auftraten. (Der Text ist in seinen Halb- und eingerückten Zeilen hier im ST nicht original wiederzugeben. – Die von mir zusammengestellten Texte stammen einem Erinnerungsbuch für Günter Eich nach seinem Tod 1972; das ich im Original z. Zt. nicht besitze, sondern nur in einzelnen kopierten Seiten, aber bald wieder einsehen kann.)
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Elfenbein
antwortete am 12.02.07 (09:42):
KD Wolff, 1967/68 Bundesvorsitzender des SDS, Gründer und Verleger des Verlages Stroemfeld/Roter Stern, in dem er heute Hölderlin und Kafka verlegt, berichtete 1999 von einer Günter-Eich-Lesung in Frankfurt, zu Beginn der aufrührerischen Studentenzeit:
Internet-Tipp: https://www.freitag.de/1999/40/99400202.htm
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Elfenbein
antwortete am 19.02.07 (09:20):
GÜNTER EICH: Pfaffenhut
Oktober tötet. Oh Blumenblut! Den Waldsaum rötet der Pfaffenhut.
Es reißen die Pfeile des Sonnenlichts Blume wie Stunden ins blaue Nichts.
Der Mond, das Messer, von Tränen geätzt, am Stein der Leiden zur Schärfe gewetzt,
so noch am Tage zielt er auf mich. Die wuchernde Schrift Der Ranken erblich.
Den flammenden Wunden Entfließt kein Blut. Es glüht unterm Pfeile Der Pfaffenhut. * In: Günter Eich: Abgelegene Gehöfte (1948)
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Enigma
antwortete am 27.02.07 (13:01):
Ich glaube, das steht hier noch nicht:
Zu spät für Bescheidenheit
Wir hatten das Haus bestellt Und die Fenster verhängt, Hatten Vorräte genug in den Kellern, Kohlen und Öl, Und zwischen Hautfalten Den Tod in Ampullen verborgen.
Durch den Türspalt sehn wir die Welt: Einen geköpften Hahn , Der über den Hof rennt.
Er hat unsere Hoffnungen zertreten. Wir hängen die Bettücher Auf die Balkone Und ergeben uns.
Günter Eich
Aus: “Zu den Akten“, Gedichtband, 1964
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Elfenbein
antwortete am 27.02.07 (13:57):
Ja, danke, Enigma!
dradio.de - Lyrik-Kalender vom 18.07.2006 - den Text kann man sich näher ankucken, URL.
Und als Beispiel für die Eichsche Absage an die frühe (auch an seine eigene...) Naturlyrik und ihre idyllische Selbstbeschränkung interpretieren...
Nur, man muss lesen:
"Wir hängen die Betttücher..."
Eich schrieb den Text 1956/57; damals hatte keiner Bet-Tücher zu Hause; eine Auseinandnersetzung zwischen Religionen gab es nicht. Man - d.h. der Mensch im Abendland - war christlich; man hatte aber noch Erinnerungen an Kapitulationen im Hinterkopf. Und Eich als Soldat, der die ersten wichtigen Gedichte im Gefangenenlager schrieb, sicherlich; weil sie ihm Überleben boten.
Und ein solches "Bett-Tuch", wie es nach 1945 viele Deutsche, die überleben wollten, raushängten, ist hier gemeint.
Nach der alten Rechtschreibregel (für drei aufeinander folgende Konsonanten) war das aber nicht zu unterscheiden von Bet-Tuch, außer wenn man es mit Bindestrich geschrieben hätte.
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/517383
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Enigma
antwortete am 27.02.07 (14:18):
Ja, ich habe es nochmal nachgelesen beim Deutschlandradio.
Und bei der Gelegenheit, als ich nach Günter Eich suchte, fand ich noch ein interessantes Gedicht (nicht von ihm), das ich darum unter "Gedichte Kapitel 39" einstelle.
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Elfenbein
antwortete am 02.03.07 (12:01):
Günter Eich: Brüder Grimm
Brennesselbusch. Die gebrannten Kinder warten hinter den Kellerfenstern. Die Eltern sind fortgegangen, sagten, sie kämen bald.
Erst kam der Wolf, der die Semmeln brachte, die Hyäne borgte sich den Spaten aus, der Skorpion das Fernsehprogramm.
Ohne Flammen Brennt draußen der Brennesselbusch. Lange Bleiben die Eltern aus.
**
Wie kommt das: ein „Brennnesselbusch“ in der Lyrik…? Wie kann denn sich der in die Poesie verirren? Struppig, abweisend; lädt ein, an ihm vorsichtig vorbeizugehen…. - anhaltend stechend ("brennend") wie sein Name es jedem vor-sagt, der hören kann (sonst muss er fühlen…):
*
Na, ja: von Börries von Münchhausen: „Die Ballade vom Brennnesselbusch“, darin wird auch das Grimmsche Märchen von der „Jungfrau Maleen“ wieder lebendig in einer Liebesszene:
'Brennettelbusch, Brennettelbusch so klene, wat steist du hier allene? ik hef de Tyt geweten, da hef ik dy ungesaden ungebraden eten.'
Günter Eich hat ein solches Programm:
"Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!"; das waren nicht nur Endzeilen eines Gedichts, sondern auch ein poetologisches, nicht so sehr ein politisches Bekenntnis.
Vom Märchen-Typus her ist, was so realistisch nachkriegsmäßig allgemein bekannt ist, das Geschehen der im Keller eingesperrten Kindern, die sich irgendwie und auch mit Märchenerzählen und biblischen Gschichten beschäftigen müssen; vergleichbar mit "Der Prinzessin in der Erdhöhle" - dem Märchentyp AT: 870; bei den Brüdern Grimm ist es die "Jungfrau Maleen" (KHM 198) * Interpretation folgt.
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Elfenbein
antwortete am 07.03.07 (13:29):
Günter Eich: Bevor Störtebecker stolpert
Kniend, geschoren. Eine Reihe zu neunt, an eine Deichsel gebunden. Des Hauptmanns Kopf in einem Weidenkorb. Sein Rumpf steht aufrecht, setzt die Füße. Wen er erreicht, der kommt frei. Ich bin der neunte, ein schlechter Platz. Aber noch läuft er. * (Aus: G.E.: Ein Tibeter in meinem Büro. 1970)
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"Störtebecker" – hieß er wirklich so?
Das große, letzte Schlachten, nachdem die Naves possidentes, die Reeder, die Schiffseigner, die Kapitäne, die Kaufleute, die Senatoren, die Richter – nicht nur in Hamburg - lange gezittert hatten... Nicht mehr Poseidon allein rüttelte an ihren Schiffen, Geldsäcken, Strand- und Stadtburgen und Palais und Ehefrauen.
Am 20. Oktober 1401 rollten auf der Elbwiese Grasbrook in Hamburg die Köpfe der Verwegenen, der Gesetzesbrecher, der Ruhestörer, der volkstümlichen Kämpfer.
Freibeuter und Vorkämpfer Klaus Störtebeker, der jahrelang die See-, d.h. Handelswege des Nordens mit seiner Piraterie zum Schauplatz ausgleichender Gerechtigkeit verwandelt hatte, wurde an diesem Tag mit siebzig seiner Gefährten enthauptet. Die Überlieferung - dem Volksmund nach - will, dass dem Delinquenten kurz vor der Hinrichtung noch ein letzter, grotesker Wunsch gewährt worden sei: Man werde alle todesbereiten Piraten begnadigen, an denen der Geköpfte noch vorbeilaufen könne.
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Elfenbein
antwortete am 08.03.07 (09:22):
Ein Berliner junger Dichter, Jan Wagner, antwortete auf diese lakonisch-eindringliche Annäherung des Ich an eine Existenzgefährdung und mögliche Erlösung von Eich in seinem "Maulwurf" mit einer lyrischen Kontrafaktur beantwortet, die sich erzählerisch-einfühlsam gibt.
Wie bei dem „mul“ – oder mit dem Maul etwas aufwerfenden Eich spricht hier das lyrische Ich aus der Perspektive eines Todeskandidaten, der noch auf den letzten Freundschaftsdienst seines Anführers hofft. Es ist noch ungewiss, wann der vorwärts taumelnde Körper des Enthaupteten endgültig fällt und das Todes-Spektakel beenden könnte. Aber, ätsch, es war alles eine Show. Alle Nordsee-Kämpfer wurden hingerichtet. Vielleicht damit keiner erzählen konnte, Störtebecker hätte seine klassen-kämpferischen Gesellen im Stich gelassen. Im Tode.
Jan Wagner: Störtebeker
"Ich bin der neunte, ein schlechter Platz. Aber noch läuft er." (Günter Eich)
noch läuft er, sieht der kopf dem körper zu bei seinem vorwärtstaumel. aber wo ist er, er selbst? in diesen letzten blicken vom korb her oder in den blinden schritten? ich bin der neunte und es ist oktober; die kälte und das hanfseil schneiden tiefer ins fleisch. wir knien, aufgereiht, in tupfern von weiß die wolken über uns, als rupfe man federvieh dort oben - wie vor festen die frauen. vater, der mit bleichen fäusten den stiel umfasst hielt, und das blanke beil, das zwinkerte im licht. das huhn derweil lief blutig, flatternd, seinen weg zu finden zwischen zwei welten, vorbei an uns johlenden kindern.
* Jan Wagner (* 1971 in Hamburg, lebt in Berlin). Aus seinem zweiten Gedichtbuch "Guerickes Sperling“. * Ein Beitrag dazu: Michael Braun: Vor der Enthauptung
Internet-Tipp: https://www.freitag.de/2004/21/04211402.php
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kropka
antwortete am 06.04.07 (20:34):
Himbeerranken
Der Wald hinter den Gedanken, die Regentropfen an ihnen und der Herbst, der sie vergilben läßt –
ach, Himbeerranken aussprechen, dir Beeren ins Ohr flüstern, die roten, die ins Moos fielen.
Dein Ohr versteht sie nicht, mein Mund spricht sie nicht aus, Worte halten ihren Verfall nicht auf.
Hand in Hand zwischen undenkbaren Gedanken. Im Dickicht verliert sich die Spur. Der Mond schlägt sein Auge auf, gelb und für immer.
Günter Eich
https://www.lyrikline.org/
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