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THEMA:   Gedichte Kapitel 39

 160 Antwort(en).

hl begann die Diskussion am 08.11.06 (16:09) :

Ein neues Kapitel mit einem herzlichen Gruss an KNS!


Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.


Rainer Maria Rilke


 Enigma antwortete am 08.11.06 (17:54):

Danke hl!

Begegnen wir Dir wieder mal?


Achim von Arnim
Einerlei

Ihr Mund ist stets derselbe,
Sein Kuß mir immer neu,
Ihr Auge noch dasselbe,
Sein freier Blick mir treu;


O du liebes Einerlei,
Wie wird aus dir so mancherlei!


Achim von Arnim
(1781-1831)


 eleisa antwortete am 09.11.06 (13:51):

DER KENNER.

Ein Mensch sitzt stolz, programmbewehrt,
in einem besseren Konzert.
Fühlt sich als Kenner überlegen-
Die anderen sind nichts dagegen.
Musik in den Gehörgang rinnt,
der Mensch lauscht kühn verklärt und sinnt.
Kaum das den ersten Satz sie enden,
rauscht er schon rasend mit den Händen
und spricht vernehmliche und kluge
Gedanken über eine Fuge
Und seufzt dann,vor Begeisterung schwach:
„Nein, wirklich himmlisch, dieser Bach!“
Sein Nachbar aber grinst abscheulich:
„Sie haben das Programm von neulich!“
und sieh,woran er gar nicht dachte:
Man spielt heut Abend Bruckners Achte.
Und jäh,wie Simson seine Kraft,
verliert der Mensch die Kennerschaft.

EUGEN ROTH


 Enigma antwortete am 09.11.06 (17:11):

Und noch einmal Achim von Arnim:

Ich liebte sie,
Verschlossen war sie, stille;
Und ihrer Schönheit Fülle
Versiegte nie.
Der Blume gleich,
Glaubt ich die Welt verstecket,
Wo nie ein Ton erwecket,
Ihr Herz wie reich.

Du liebe Zeit,
Da fängt sie an zu sprechen,
Will mir das Herze brechen,
Ach, wie sie schreit;
Ich fühl mich arm,
Nun sie sich reicher fühlet,
Wie ist mein Herz erkühlet,
Was einst so warm.

Achim von Arnim (1781-1831)


 hl antwortete am 09.11.06 (17:56):

Bettina von Arnim


»Wer sich der Einsamkeit ergibt,
Ach der ist bald allein;
Ein jeder lebt, ein jeder liebt
Und läßt ihn seiner Pein.«

Wer sich dem Weltgewühl ergibt,
Der ist zwar nie allein.
Doch was er lebt und was er liebt,
Es wird wohl nimmer sein.

Nur wer der Muse hin sich gibt,
Der weilet gern allein,
Er ahnt, daß sie ihn wieder liebt,
Von ihm geliebt will sein.

Sie kränzt den Becher und Altar,
Vergöttlicht Lust und Pein.
Was sie ihm gibt, es ist so wahr,
Gewährt ein ewig Sein.

Es blühet hell in seiner Brust
Der Lebensflamme Schein.
Im Himmlischen ist ihm bewußt
Das reine irdsche Sein.


 Enigma antwortete am 09.11.06 (18:24):

Bettina von Arnim
Der Knabe sprach mit Lust

Der Knabe sprach mit Lust,
Es saugt an meiner Brust
Ein kleines Kindlein fein;
Ei Knab, du bist betrogen,
Oder hast selbst gelogen,
Dies kann fürwahr nicht sein;
Die Fraun alleine haben
Die süßen Muttergaben,
Zu ziehn den Amor groß;
Denn daß in jungen Tagen
Alle am Busen lagen
Der Mutter in dem Schoß,
Das zieht den Knaben groß.



 eleisa antwortete am 09.11.06 (18:52):

Laß auch das Gras bedeuten
O Herr,in deinem Wind
Wenn nach dem Vesperläuten
Die Felder ruhig sind.

Die Vögel in dem Laube
Sind aus mit ihrem schrein
Der Laute wie der Taube
Schläft nun mit einem ein.

Mein Hals im Gras,dem blauen
Fühlt kühler deine Erd
Die Sterne sind in Haufen
Zu mir zurückgekehrt.

BERTHOLT BRECHT


 Marina antwortete am 10.11.06 (09:17):

Der Abgerissen Strick

Der abgerissene Strick
kann wieder geknotet werden
er hält wieder, aber
er ist zerrissen.

Vielleicht begegnen
wir uns wieder,
aber da,
wo du mich verlassen hast
triffst du mich
nicht wieder.

Bertolt Brecht


 Enigma antwortete am 10.11.06 (09:28):

Hallo Marina,
dann lass`ich ihn auch noch mal zu Wort kommen, den Bert Brecht:

Bert Brecht
Das Lied vom Anstreicher Hitler

Der Anstreicher Hitler
Sagte: Liebe Leute, laßt mich ran!
Und er nahm einen Kübel frische Tünche
Und strich das deutsche Haus neu an.
Das ganze deutsche Haus neu an.

Der Anstreicher Hitler
Sagte: Diesen Neubau hat's im Nu!
Und die Löcher und die Risse und die Sprünge
Das strich er einfach alles zu.
Die ganze Scheiße strich er zu.

O Anstreicher Hitler
Warum warst du kein Maurer? Dein Haus
Wenn die Tünche in den Regen kommt
Kommt der Dreck drunter wieder raus.
Kommt das ganze Scheißhaus wieder raus.

Der Anstreicher Hitler
Hatte bis auf Farbe nichts studiert
Und als man ihn nun eben ranließ
Da hat er alles angeschmiert.
Ganz Deutschland hat er angeschmiert.


 eleisa antwortete am 10.11.06 (10:08):

Oh,Bertolt ohne h.


 kropka antwortete am 10.11.06 (10:49):


Bertolt Brecht (gebürtig Eugen Berthold Friedrich Brecht;
* 10. Februar 1898 in Augsburg; † 14. August 1956 in Berlin)
https://de.wikipedia.org/wiki/Bertolt_Brecht

Kein Problem liebe Eleisa, das ist der gleiche! Grüße alle hier und bis später, bis heute Abend..
In eile kropka
Hier mein Lieblingsgedicht von B.B.:

Sonett Nr. 19

Nur eines möcht ich nicht: dass du mich fliehst.
Ich will dich hören, selbst wenn du nur klagst.
Denn wenn du taub wärst, bräucht ich, was du sagst
Und wenn du stumm wärst, bräucht ich was du siehst

Und wenn du blind wärst, möcht ich dich doch sehn.
Du bist mir beigesellt als meine Wacht:
Der lange Weg ist noch nicht halb verbracht
Bedenk das Dunkel, in dem wir noch stehn!

So gilt kein "Laß mich, denn ich bin verwundet!"
So gilt kein "Irgendwo" und nur ein "Hier"
Der Dienst wird nicht gestrichen, nur gestundet.

Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brauche dich, wie's immer sei
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Bertolt_Brecht


 Medea. antwortete am 10.11.06 (11:27):

Über die Heide

Über die Heide hallet mein Schritt;
dumpf aus der Erde wandert es mit.

Herbst ist gekommen, Frühling ist weit -
gab es denn einmal selige Zeit?

Brauende Nebel geisten umher;
schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.

Wär' ich hier nur nicht gegangen im Mai!
Leben und Liebe - wie flog es vorbei!


Theodor Storm


 eleisa antwortete am 10.11.06 (21:46):

Meiner Liebe Flammen

Ich hab dich geliebt und liebe dich noch!
Und fiele die Welt zusammen,
aus ihren Trümmern stiegen doch
hervor meiner Liebe Flammen.

Heinrich Heine

Grüße in den Abend.


 Enigma antwortete am 11.11.06 (07:32):

Aus gegebenem Anlass zum Auftakt nicht nur in München, sondern auch in Düsseldorf, Köln etc.: :-))

Busch, Wilhelm (1832-1908)
Karneval

Auch uns, in Ehren sei's gesagt,
Hat einst der Karneval behagt,
Besonders und zu allermeist
In einer Stadt, die München heißt.
Wie reizend fand man dazumal
Ein menschenwarmes Festlokal,
Wie fleißig wurde über Nacht
Das Glas gefüllt und leer gemacht,
Und gingen wir im Schnee nach Haus,
War grad die frühe Messe aus,
Dann können gleich die frömmsten Frau'n
Sich negativ an uns erbau'n.
Die Zeit verging, das Alter kam,
Wir wurden sittsam, wurden zahm.
Nun sehn wir zwar noch ziemlich gern
Die Sach' uns an, doch nur von fern
(Ein Auge zu, Mundwinkel schief)
Durchs umgekehrte Perspektiv.

Na dann: Alaaf und Helau....


 pilli antwortete am 11.11.06 (08:19):

lach...Enigma,

richtig! "nicht nur in ..." :-)

...

„Die Kölner haben sich unter anderem von Goethe beeinflussen lassen“, sagt Manfred Ruppert. So hätten viele Beobachtungen, die der Dichter in seiner Italienischen Reise beschrieb, Eingang in die rheinische Karnevalstradition gefunden.

Den deutschen Karneval gibt es also nicht. Ebenso wenig wie die deutsche Fastnacht. Es ist wie mit vielen Dingen in einem Land, das von außen als Einheit wahrgenommen wird. Das aber auf den zweiten Blick aus sehr vielen sehr unterschiedlichen Einheiten besteht."
(Ch. Hickmnn; entn. der u.a. seite des Goethe-Institut)

...

Johann Wolfgang von Goethe; Der Kölner Mummenschanz
Fastnacht 1825:

Da das Alter, wie wir wissen,
Nicht für Torheit helfen kann,
Wär es ein gefundner Bissen
Einem heitern alten Mann,

Daß am Rhein, dem vielbeschwommnen,
Mummenschar sich zum Gefecht
Rüstet gegen angekommnen
Feind, zu sichern altes Recht.

Auch dem Weisen fügt behäglich
Sich die Torheit wohl zur Hand,
Und so ist es gar verträglich,
Wenn er sich mit euch verband.

Selbst Erasmus ging den Spuren
Der Moria scherzend nach,
Ulrich Hutten mit Obskuren
Derbe Lanzenkiele brach.

Löblich wird ein tolles Streben,
Wenn es kurz ist und mit Sinn;
Heiterkeit zum Erdeleben
Sei dem flüchtigen Rausch Gewinn.

Häufet nur an diesem Tage
Kluger Torheit Vollgewicht,
Daß mit uns die Nachwelt sage:
Jahre sind der Lieb und Pflicht.

...

:-) Alaaf und Helau!

Internet-Tipp: https://www.goethe.de/ges/rel/thm/de83905.htm


 Enigma antwortete am 11.11.06 (08:28):

Jau, Jau, Alaaf und Helau...
Dach´ich mir`s doch, pilli... ;-))
Bist Du schon halb unterwegs zum Kölner Auftakt??

Joachim Ringelnatz
Leben wie Karneval

Jeder summt sein Sümmchen
Oder brummt sein Brümmchen
Wie ein Bär oder wie ein Bienchen,
Wenn er ganz in sich
Hindöst. – Aber öffentlich
Zieht dann jeder, jede,
Jedes sein Mienchen. – – –

(Fällt mir plötzlich ein Gerede
Ein, eines Arztes mit schizophrenen Fraun.
Hielt der Arzt sie heimlich lieb am Zügel.
Sagte eine: "Hängen Sie meinen
Linken Lungenflügel
An den Gartenzaun!")

Jedes flucht sein Flüchlein,
Wenn's nicht ging, wie's ihmnach gehen soll.
Manches weint ein Tüchlein
Oder scheißt ein Höslein voll.

Das störend niedrige Geschmeiß
Ist schwierig zu erreichen.
Es bleibt Gesetz: Die Schnake weiß
Dem Kuhschwanz auszuweichen.


 pilli antwortete am 11.11.06 (10:23):

ja Enigma ich bin :-)

auf dem weg, gegen 11.00uhr, wie so oft und immer gerne :-),

das *samstag-familien-freunde-einkauf-käffchen-frühstück*
zu geniessen und später dann, bei der fünfstündigen übertragung des WDR, werde ich dem besonderen tag die gebührende karnevalistische ehre erweisen. :-)

schade, datt datt sönnchen sich versteckt, den tausenden von jecken, die heute im schatten der hillijen Domtürme die saison-eröffnung feiern, himmlische strahlen zu senden! :-)

...

"Als ich eine Maske trug, mit der ich mich, mir selbst, verstellte, da konnte ich mich selbst auch nicht erkennen
- das habe ich für mich geändert - jetzt bin ich - einfach ich - nicht mehr und auch nicht weniger, sondern einfach ich!" (Bruno O. Sörensen)"

:-)


 pilli antwortete am 11.11.06 (10:37):

noch fix ein närrisches hörerlebnis von "onlinekunst.de" zu:

"Über Fasnet, Karneval, Fasching" :-)

mit hinweisen und bilddarstellungen.


:-)

Internet-Tipp: https://www.onlinekunst.de/karneval/index.html


 kropka antwortete am 11.11.06 (11:03):

:-) Alaaf und Helau!

"Tiere sind die besseren Menschen",
dachte der Sprachakrobat Roger Willemsen und widmete sich
dem berühmten Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns.

...
Hochverehrtes Publikum,
Damen, Herren, ungelogen:
Schön habt Ihr Euch angezogen.
Vom Pinguin den schwarzen Frack,
vom Goldfasan den Nagellack,
die dritten Zähne von der Zecke,
das Lipgloss von der Weinbergschnecke
und manche ält're Dame wusch
sich ihren Kopf Flamingo-Rouge.
Das sieht zwar tierisch festlich
aus und bringt Euch einigen Applaus,
doch im Vergleich zum lieben Vieh
seid Ihr nicht mehr als die Kopie
und gegen uns're Fauna nur
die schlechte Hälfte der Natur.
Könnt Ihr auch wiehern, fauchen, bellen,
Euch animalisch gut verstellen,
könnt "Hase" Euch und "Mäuschen" nennen
und wie die Schmusekater flennen,
könnt wie ein Haifisch Zähne zeigen,
wie die Amphibien ewig schweigen,
könnt gar wie eine Hirschkuh laufen
und "Homo sapiens" Euch taufen:
Vergeblich! Aus! Und ganz egal,
als Zoo seid Ihr viel zu banal,
...
Aus:
Volker Kriegel & Roger Willemsen
Karneval der Tiere
3-8218-0947-7

https://www.eichborn.de/

Das Leben ist zu kurz für langweilige Bücher!

https://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/23/0,1872,2086231,00.html


 Marina antwortete am 11.11.06 (11:10):

Karneval

Alaaf, Hellau seid Ihr bereit,
Willkommen zur Beklopptenzeit!
Mer kenne des aus Akte X,
doch Mulder rufe hilft da nix,
des kommt durch Strahle aus dem All,
und plötzlich dann ist Karneval.

Uff einen Schlach wern alle dämlich,
denn das befiehlt das Datum nämlich.
Es ist die Zeit der tollen Tage,
so eine Art Idiotenplage,
eine Verschwörung, blöd zu werden,
die jährlich um sich greift auf Erden.
E' wahre Ausgeburt der Hölle,
und Ausgangspunkt davon ist Kölle.

Denn dort gibts nicht nur RTL,
das Fernseh-Einheitsbrei-Kartell,
sondern aach jede Menge Jecken,
die sich auf Nasen Pappe stecken,
in Teufelssekten sich gruppieren,
danach zum Elferrat formieren,
und dann muß selbst das döfste Schwein,
dort auf Kommando fröhlich sein.

Auf einmal tun in allen Ländern,
die Leute sich ganz schlimm verändern.
Sie geh'n sich hemmungslos besaufe,
und fremde Mensche Freibier kaufe,
schmeiße sich Bonbons an de Schädel,
betatsche Jungens und aach Mädel
und tun eim jede den se sehen,
ganz furschbar uff die Eier gehen.

Sie tun nur noch in Reime spreche
und sind so witzisch, man könnt breche,
bewege sich in Polonäsen,
als trügen sie Gehirnprotesen,
man möchte ihnen - im Vertrauen -
am liebsten in die Fresse hauen.

Doch was soll man dagege mache?
Soll man vielleicht noch drüber lache?
Es hilft kein Schreie und kein Schimpfe,
man kann sich net mal gegen impfe,
die Macht der Doofen ist zu stark,
als daß man sich zu wehrn vermag.

Am besten ist, man bleibt zu Haus,
und sperrt den Wahnsinn einfach aus.
Man schließt sich ein paar Tage ein,
und läßt die Blöden blöde sein!
Der Trick ist, daß man sich verpisst,
bis widder Aschermittwoch ist.

Und steht ein Zombie vor der Tür,
mit so nem Pappnasengeschwür,
und sagt statt "Hallo" nur "Helau",
dann dreh se um, die dumme Sau,
und tritt ihr kräftig in den Arsch,
und ruf dabei "Narrhalla-Marsch"

Helau!

11.11 Uhr? Hoffentlich haut das jetzt richtig hin mit der Zeit. Meine Uhr geht nämlich nicht exakt. :-)

Internet-Tipp: https://www.xxl-humor.net/witze-gedichte-014.php


 Marina antwortete am 11.11.06 (11:13):

Mist, eine Minute zu früh. :-)


 kropka antwortete am 11.11.06 (11:22):

mist, elf zu spät :O)))

https://www.lido-verlag.de/hoerp/mp3/3821852712.mp3
https://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/23/0,1872,2086231,00.html

Internet-Tipp: https://www.lido-verlag.de/hoerp/mp3/3821852712.mp3


 lola antwortete am 14.11.06 (07:47):

Sprüche von den Arabern.



Wollte Gott die Ameise vernichten,

dann ließe er ihr Flügel wachsen.



Süßer als der Genuss der Rache

Ist der Genuss des Verzeihens.



Wer ein Gebrechen besitzt, ist ein Tyrann.



Demut ist eine der Fallen für Macht.



Was sie nicht wissen, befeinden die Menschen.



Mehr ist, was der Kluge vermutet,

als was der Unwissende weiß.



Der Mensch unterwirft sich der Güte.



Nehmt euch in acht vor denen, die euer Herz haßt.



Bemerkst du an jemandem eine schlechte Eigenschaft,

dann mache dich auf ihre Schwester gefasst.



Fehler sind die Ammen der Tugend.



Gruß von lola.


 Marina antwortete am 14.11.06 (15:17):

Mensch - Du wirst alt

"Den Namen, nennen Sie den Namen!"
Da magst Du im Vergangenen kramen,
hast tausend Dinge griffbereit,
die Dir bewußt aus ferner Zeit,
Du hast sie alle aufgezählt,
der Name nur, der Name fehlt.
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Von vier der Dinge drei sind nichtig,
das vierte nur ist wirklich wichtig.
Damit's im Hirne nicht verdämmert,
hast Du's Dir gründlich eingehämmert!
Drei fall'n Dir ein - oh welche Qual,
das vierte fehlt, es ist fatal!
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Vom zweiten Stock steigst Du hinunter,
trittst auf die Straße frisch und munter;
doch plötzlich fragst Du dich verdrossen:
"Hab' ich auch wirklich abgeschlossen?"
Du könntest schwören viele Eide,
steigst dennoch rauf, Dir selbst zum Leide.
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Zum Frühstück nimmst Du drei Tabletten,
die sollen Dein Gedächtnis retten.
Du fragst Dich plötzlich ganz beklommen -
"Hab' ich sie eigentlich schon genommen"
Ja, ist mein Denken denn noch dicht?"
(und zweimal nehmen darf man nicht!)
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Und die Geschwätzigkeit senilis -
den anderen leider oft zu viel ist.
Zumal was gestern Du erzählt,
auch heute im Gespräch nicht fehlt,
und so, wie die Erfahrung lehrt,
auch morgen brühwarm wiederkehrt!
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Brauchst Du 'mal etwas aus dem Schrank,
der gut gefüllt ist - Gott sei Dank -
kaum hast geöffnet Du die Tür,
das fragst Du Dich "Was wollt' ich hier?"
Verstört bist Du, daß in Sekunden das,
was Du vorhast, ist entschwunden!
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Benutzt Du 'mal Dein Bügeleisen
(anschließend gehst Du gleich auf Reisen)
drei Wochen bangst Du, ungelogen -
"Hab' ich den Stecker rausgezogen?
Sitzt etwa der noch in derWand?
Bin ich inzwischen abgebrannt??"
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Und fährst Du 'mal woanders hin,
bewegst Du gleich in Deinem Sinn,
Dein Sparbuch bestens zu verstecken,
damit kein Dieb es kann entdecken.
Brauchst Du dann Geld, hast Du indessen
den stillen Ort total vergessen.
"Ei Gott" denkst Du ganz starr vor Schreck,
was soll ich tun, mein Geld ist weg!?"
Da ruft es aus dem Hinterhalt:
"Mensch, Du wirst alt!"

Maschinen kann man reparieren
und ihr Getriebe sorgsam schmieren.
Wenn 'mal Dein Fernseher kaputt,
ein neuer Chip - schon ist es gut.
Doch wenn der Kalk im Hirn sich dichtet,
gibt's nichts mehr, was das Dunkel lichtet!
Da fällt die düstre Stimme ein:
"Mensch, find Dich drein!"

(Verf. unbekannt)


 Enigma antwortete am 15.11.06 (11:27):

:-)))

Matthias Claudius
Der Mensch
Empfangen und genähret
vom Weibe wunderbar,
kömmt er und sieht und höret
und nimmt des Trugs nicht wahr;
gelüstet und begehret
und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret;
hat Freude und Gefahr;
glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr;
erbauet und zerstöret
und quält sich immerdar;
schläft, wachet, wächst und zehret;
trägt braun und graues Haar,
und alles dieses währet,
wenn's hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
und er kömmt nimmer wieder.

(1783)


 eleisa antwortete am 17.11.06 (18:22):

Zur Abwechselung,ein Sinngedicht.

Überlass es der Zeit.

Erscheint dir etwas unerhört
Bist du tiefsten Herzen`s empört
Bäume nicht auf,versuchs nicht mit Streit
Berühr es nicht überlass es der Zeit.
Am ersten Tage wirst du feige dich schelten,
am zweiten lässt du dein Schweigen schon gelten,
am dritten hasst du`s überwunden
alles ist wichtig nur auf Stunden.
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.

Theodor Fontane


 Marina antwortete am 20.11.06 (14:20):

Fantasie von übermorgen

Und als der nächste Krieg begann,
da sagten die Frauen: Nein!
Und schlossen Bruder, Sohn und Mann
fest in der Wohnung ein.

Dann zogen sie, in jedem Land,
wohl vor des Hauptmanns Haus
und hielten Stöcke in der Hand
und holten die Kerls heraus.

Sie legten jeden übers Knie,
der diesen Krieg befahl:
die Herren der Bank und Industrie,
den Minister und General.

Da brach so mancher Stock entzwei.
Und manches Großmaul schwieg.
In allen Ländern gab's Geschrei,
und nirgends gab es Krieg.

Die Frauen gingen dann wieder nach Haus,
zum Bruder und Sohn und Mann,
und sagten ihnen, der Krieg sei aus!
Die Männer starrten zum Fenster hinaus
und sahn die Frauen nicht an...

Erich Kästner:


 Enigma antwortete am 21.11.06 (07:55):

Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr,
Anna-Susanna?
Weißt du noch, was damals Mode war,
Anna-Susanna?
Die Literatur trug man vorne gerafft,
jede Woche gabs ein Genie.
Und alles murmelte: "Faaabelhaft!
Rein menschlich. . . irgendwie. . .!"
Wo sind die Blumen vom letzten Lenz,
Anna-Susanna?
Die Betonung des kosmischen Bühnen-Akzents,
Anna-Susanna?
Das gebildete Publikum lief zuhauf
mit der Kritiker-Artillerie.
Und die Stücke führt kein Mensch mehr auf,
rein menschlich irgendwie.
Wo ist der Schnee vom vergangenenJahr,
Anna-Susanna?
Brecht wird sein, was Sudermann war,
Anna-Susanna.
Sie brüllen sich hoch, die Reklame schreit,
das ist eine Industrie.
Pro Mann einen Monat Unsterblichkeit
- Anna-Susanna-
rein menschlich irgendwie.

Kurt Tucholsky


 Marina antwortete am 22.11.06 (14:13):

Winterlied

Ich hab die ganze Nacht vertan
Mit den alten Weibern am Küchenherd
Ihre schönen Geschichten bis in die Früh
Die waren nicht verkehrt.

Wir aßen schwarzes Brot mit Schmalz
Und in die Nase ein Wein
Und einen krebsrotfröhlichen Hals
Beim Küchenfeuerschein

So saß ich bis in den Morgen hin
Und hörte so viel, so viel
Zu Haus lag meine junge Frau
Allein und winterkühl

Wolf Biermann


 Elfenbein antwortete am 22.11.06 (14:21):

Ein Beitrag zum Thema Kirchenschließungen, besonders in den Großstädten des Ruhrgebiets...?

Kirche und Wolkenkratzer

Es läuten die Glocken: Bim-bam-bim-bam;
es sausen die Autos über den Damm;
die Kirche reckt ihren Turm zum Himmel
und macht Reklame mit ihrem Gebimmel.
Sie wirbt für den christlichen Gedanken –
aber drum herum die Häuser der Banken
sind eine Etage höher.


Wenn zu New York die Börse kocht,
dann beten die frommen Pfaffen:
dass keiner werde eingelocht,
dass sie alle Geld erraffen.
Aber wie sie auch beten in brausendem Chor:
die Banken ragen zum Himmel empor
eine Etage höher.


Und es beten die Pfaffen nach alter Art
gegen sündige Teufelsgedanken.
Das Kirchenvermögen liegt wohlverwahrt
nebenan, nebenan in den Banken.
Wer regiert die Welt –? Hier kann man das sehn.
Um alle Kirchen die Banken stehn
eine Etage höher.
*

"Theobald Tiger"; in: "Arbeiter Illustrierte Zeitung". 1930, Nr. 6. S.108; also: Kurt Tucholsky.


 Enigma antwortete am 22.11.06 (18:50):

Der andre Mann

Du lernst ihn in einer Gesellschaft kennen.
Er plaudert. Er ist zu dir nett.
Er kann dir alle Tenniscracks nennen.
Er sieht gut aus. Ohne Fett.
Er tanzt ausgezeichnet. Du siehst ihn dir an ...
Dann tritt zu euch beiden dein Mann.

Und du vergleichst sie in deinem Gemüte.
Dein Mann kommt nicht gut dabei weg.
Wie er schon dasteht – du liebe Güte!
Und hinten am Hals der Speck!
Und du denkst bei dir so: »Eigentlich ...
Der da wäre ein Mann für mich!«

Ach, gnädige Frau! Hör auf einen wahren
und guten alten Papa!
Hättst du den Neuen: in ein, zwei Jahren
ständest du ebenso da!
Dann kennst du seine Nuancen beim Kosen;
dann kennst du ihn in Unterhosen;
dann wird er satt in deinem Besitze;
dann kennst du alle seine Witze.
Dann siehst du ihn in Freude und Zorn,
von oben und unten, von hinten und vorn ...

Glaub mir: wenn man uns näher kennt,
gibt sich das mit dem happy end.
Wir sind manchmal reizend, auf einer Feier ...
und den Rest des Tages ganz wie Herr Meyer.
Beurteil uns nie nach den besten Stunden.

Und hast du einen Kerl gefunden,
mit dem man einigermaßen auskommen kann:
dann bleib bei dem eigenen Mann!


Theobald Tiger
Die Weltbühne, 21.10.1930, Nr. 43, S. 630,
wieder in: Lerne Lachen.


 lola antwortete am 23.11.06 (16:35):

Von: Léopold Sédar Senghor - Dichter -Staatsmann und Philosoph - bedeutender Vertreter afrikanischer Lyrik


Gesänge für Signare
(Für Flöten)

Eine Hand aus Licht streichelte meine nächtlichen Lider
Und dein Lächeln entstieg den Nebeln, die eintönig über
meinem Kongo hingen.
In der Frühe hallte mein Herz wider vom reinen Vogelsang
Wie mein Blut einst den Rhythmus gab zu dem strahlenden
Lied, das der Saft in den Zweigen meiner Arme sang.
Sieh, die Blumen der Wildnis, den Stern in meinem Haar
und das Stirnband des athletischen Hirten.
Ich will mir die Flöte leihen,die den Herden den Rhythmus
des Friedens bringt
Und den ganzen Tag im Schatten deiner Wimpern bei der
Quelle von Fimla sitzend
Will ich treu das helle Brüllen deiner Herde weiden.
Denn heute früh streichelte eine Hand aus Licht meine
nächtlichen Lider
Und den ganzen Tag hallte mein Herz wider vom
reinen Gesang der Vögel.



Gruß von lola.


 lola antwortete am 23.11.06 (20:58):

Der Zinnoberschlager

(Gedicht, das der hannoversche Dadaist Kurt Schwitters 1928 gedichtet hatte.)


Ach, wie ist die Welt so tinke,
und so sauber und so blank,
Denn sie trägt ne tinke Schminke,
Und zig Kilomenter lang.
Und die kleine Omama
Macht jetzt immer hoppsassa,
Stundenlang, stundenlang.
Gott sei Dank!
Denn in Kanada,
in Amerika
Hoppst die kleine Omama
Immer rinn in den Zinnober,
Immer knüppeldicke rinn,
Hoppst sie unter, hoppst sie ober,
Macht sie stets den dollsten Zinn.
Aber wie kam in den Zinn
In Amerika die kleine Omama?
In Amerika die kleine Omama?
Omama, Omama,

Der Dadaismus ist ein revolutionärer "Kunststil", der sich nach dem 1. Weltkrieg gegen das künstliche Edelgetue einiger "Kunstverständiger" stellt und das in absolut interessanter Art!
Kurt Schwitters lebte von 1887 bis etwa 1945 und hatte auch Probleme mit Hitlers Auffassung von Kunst!
Ob Ihr Spaß an diesem Gedicht habt?

fragt Euch die lola.


 lola antwortete am 24.11.06 (09:09):

Und Noch ein Lied von Kurt Schwitters - weil es eins seiner bekanntesten ist!


An Anna Blume


O du, Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, ich
liebe dir! - Du deiner dich dir, ich dir, du mir.
- Wir?
Das gehört (beiläufig) nicht hierher.
Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer? Du bist
- - bist du? - Die Leute sagen, du wärest, - laß
sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
Du trägst den Hut auf deinen Füßen und wanderst
auf die Hände, auf den Händen wanderst du.
Hallo, deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt.
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich dir! - Du
deiner dich dir, ich dir, du mir. - Wir?
Das gehört (beiläufig) in die kalte Glut.
Rote Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?
Preisfrage: 1.) Anna Blume hat ein Vogel.
2.) Anna Blume ist rot.
3.) Welche Farbe hat der Vogel?
Blau ist die Farbe deines gelben Haares.
Rot ist das Girren deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, du liebes
grünes Tier, ich liebe dir! - Du deiner dich dir, ich
dir, du mir, - Wir?
Das gehört (beiläufig) in die Glutenkiste.
Anna Blume! Anna, a-n-n-a, ich träufle deinen
Namen. Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.
Weißt du es, Anna, weißt du es schon?
Man kann dich auch von hinten lesen, und du, du
Herrlichste von allen, du bist von hinten wie von
vorne:" a-n-n-a".
Rindertalg träufelt streicheln über meinen Rücken.
Anna Blume, du tropfes Tier,ich liee dir!



Kurt Schwitters 1919


 lola antwortete am 24.11.06 (15:20):




Herbst


Der Herbst streut weiße Nebel aus,
Es kann nicht immer Sommer sein!
Der Abend lockt mit Lampenschein
Mich aus der Kühle früh ins Haus

Bald stehen Baum und Garten leer,
dann glüht nur noch der wilde Wein
Ums Haus, und bald verglüht auch der,
Es kann nicht immer Sommer sein!

Was mich zur Jugendzeit erfreut’,
es hat den alten frohen Schein
Nicht mehr – und freut mich nimmer heut –
Es kann nicht immer Sommer sein!

O Liebe, wundersame Glut,
Die durch der Jahre Lust und Mühn –
Mir immer hat gebrannt im Blut –
o Liebe kannst auch du verglühn?


Hermann Hesse




Gruß von Lola


 Enigma antwortete am 25.11.06 (07:16):

Doch lola, ich habe auch Spaß an Schwitters.... :-)

Und auch an ihm hier:


Der Backfisch

Papa ist heute furchtbar aufgeschwemmt.
Er blinzelt müde in die Morgenzeitung.
Mama im Morgenrock und ungekämmt,
Befaßt sich mit des Kaffees Zubereitung.

Dann spricht sie: Anton! Komm! Es wird bald Zeit!
Du darfst mir das Büro nicht noch versäumen! -
Ich sitz am Tisch in meinem Rosakleid
Und will den ganzen Tag in Rosa träumen.

Sie sagen in der ersten Mädchenklasse manchmal unanständige Sachen.
Ob Maria sich damit befasse?
Der Primaner Hubert hat doch Rasse.
Und sie lachen.
Und wir heben unsre Kleider, zeigen unsre hübschen Beine.
Manche möchten mit nervösen
Fingern sich zum Scherz ihr Mieder lösen...
Und ich weine...

Klabund


 Elfenbein antwortete am 25.11.06 (09:50):

Klabund...? Jawohl, engima!

Klabund:
Der Lehrer

Meist war er klein und kroch am Boden hin
Wie eine Küchenschabe braun und eklig.
Er stak in abgeschabten Loden drin
Und stank nach Fusel und nach Schweiß unsäglich.

Doch manchmal wuchs er riesig in das Licht,
Wuchs übern Kirchturm, schattete die Erde.
Am Himmel brannte groß sein Angesicht,
Damit die Schöpfung seines Glanzes werde.

Er schlug das Aug' auf wie das Testament (mich graust,
Wenn ich dran denk'), pfiff wie im Rohr die Dommeln,
Ließ donnern, blitzte, hob die Sonnenfaust
Und ließ sie furchtbar auf uns niedertrommeln.


 hl antwortete am 25.11.06 (09:52):


Späte Ringelblumen

So war es noch nie.
Im späten Garten,
unter kahlen Zweigen,
ist schon längst verwelkt
der rote Mohn.

Doch die Ringelblumen
blühen noch einmal.

Und auf dem einzigen,
dem güldenen Blatt
knospen Worte weiter.
Heute noch
gehen sie auf.

Koloman Stumpfögger


in "Wenn Sonnenblumen die güldenen Zeiger drehen - Gedichte"
1. Auflage, Ravensburg: Oberschwäbische Verlagsanstalt 1996
ISBN-3-926891-16-5


 eleisa antwortete am 25.11.06 (14:27):

Mich erfreuen immer wieder die heiteren Verse von „ Eugen Roth“.

Schlüpfrige Dinge

Ein Mensch,der auf der Straße ging,
mit seinen Augen sich verfing
in einem Laden drin ein Weib
höchst schamlos zeigte seinen Leib,
der nur aus Pappendeckel war,
doch fleischlich in der Wirkung war.
Von Hemd und Höschen zart umhüllt,
das Blendwerk nur den Zweck erfüllt,
zu schlagen eine breite Bresche
in dem erlaubten Wunsch nach Wäsche.
Und da dem Reinen alles rein,
sah das der Mensch auch alsbald ein
und ging mit einer grenzenlosen
Hochachtung fort für Damenhosen.

LG an alle


 kropka antwortete am 26.11.06 (21:02):

Wolf Biermann
Das 66. Sonett

Müd müd von all dem schrei ich nach dem Schlaf im Tod
Weil ich ja seh: Verdienst geht betteln hier im Staat
Seh Nichtigkeit getrimmt auf Frohsinn in der Not
Und reinster Glaube landet elend im Verrat

Und Ehre ist ein goldnes Wort, das nichts mehr gilt
Und einer Jungfrau Tugend wird verkauft wie’n Schwein
Und weil Vollkommenheit man einen Krüppel schilt
Und weil die Kraft dahinkriecht auf dem Humpelbein

Gelehrte Narrn bestimmen, was als Weisheit gilt
Und Kunst seh ich geknebelt von der Obrigkeit
Und simple Wahrheit, die man simpel Einfalt schilt
Und Güte, die in Ketten unterm Stiefel schreit

Von all dem müde, wär ich lieber tot, ließ ich
In dieser Welt dabei mein Liebchen nicht im Stich


(Leseprobe aus: Das ist die feinste Liebeskunst,
40 Shakespeare Sonette, 2004, Kiepenheuer & Witsch)

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/biermann.htm


 wanda antwortete am 27.11.06 (07:19):

Traurige Tage

Lass rauschen, Lieb, lass rauschen,
am Ende klappt die Tür,
ich hör ein Mädchen sagen,
es liegt doch nicht an dir.

Und einer kriegt den Wecker
und jammert wie ein Hund,
ich hör die Brandung gehen,
hat doch gebrannt dein Mund.

Lass rauschen, Lieb, lass rauschen
ein Fahrrad durch die Nacht,
wo ist das rote Nachthemd,
das hast du mitgebracht.

Denn einer will noch reden,
vielleicht ging es zu schnell,
ich hör die Autos rauschen,
es wird schon wieder hell.

Die Liebe ist verheult
und kaut am Morgen Toast,
ich hör ein Mädchen schreien,
ich will jetzt keinen Trost.

Dirk von Petersdorff


 lola antwortete am 27.11.06 (11:21):

Aus: Lob des Schwein's



Das Menschenvolk verachtet dich vergebens;
Der weise Epikur
Verspricht uns ja das höchste Glück des Lebens,
Wenn wir dir gleichen, nur.


Der stolze Mensch in seinem Hoheitstraume
Vergaß schon ganz und gar
Der Eichelkost, die unter einem Baume war.

Ja, die Gemeinschaft wäre ganz verschwunden,
Die dich zu uns gesellt,
Hätt' nicht ein grosser Heil'ger mit fünf Wunden
Sie wieder hergestellt.


Und hält dich gleich das Volk, das durch sein Stinken
Berühmt ist, nicht für rein,
So weiht man doch um Ostern deine Schinken
Für Christenmägen ein.


Und sind gleich deine groben Borsten nimmer
Von Schmutz und Koth befreit,
So danken wir doch diesen Borsten immer
All' uns're Reinlichkeit.


Dein köstlich Fleisch nimmt ohne viel Beschwerde
Beim schlecht'sten Futter zu:
Der Mensch verschlingt den Fünftelsaft der Erde:
Und nützt er so, wie du?


Sogar dein Speck kann uns in manchem Stücke
Von grossem Nutzen sein:
O würde doch so mancher, der vom Glücke
Sich mästen läßt - ein Schwein!



[Blumauer: Sämmtliche Gedichte. (vgl. Blumauer-Sämtl. Ged., S. 129)]

Gruß von lola.


 lola antwortete am 27.11.06 (20:46):

Textteil einer Freundin:

„Rapunzel hat sich für eine Kurzhaarfrisur entschieden, ich bin trotzdem zwei Tage unter ihrem Fenster geblieben. Das Warten hat sich nicht gelohnt, denn obwohl sie jetzt Parterre wohnt, sah sie irgendwie scheiße aus“



Lola


 lola antwortete am 29.11.06 (21:15):

„eine kleine schokolade, vielleicht die dümmste auf der Welt, legte sich einmal in die Sonne - um ein bisschen Braun zu werden“

oder „von einer die sich auszog um mich das Fürchten zu lehren“



Gruß von lola!


 Enigma antwortete am 30.11.06 (09:05):

Ja, was haben wir denn da?
Was hast Du uns denn da hinterlassen, lola?

Hast Du Dich doch etwas übernommen?
Hat es zum Gedicht nicht mehr so ganz gereicht? ;-))

Na, macht ja nichts.....

Ich versuche mal, mich auf Dich einzustellen und ein Gedicht einzustellen, dass Dir gefallen könnte.
Man kann es über den Internet-Tipp auch in der Original-Sprache abrufen:



Edna St. Vincent Millay:
Ich werd' Dich bald
vergessen, teurer Schatz

Ich werd' Dich bald vergessen, teurer Schatz,
drum nutz ihn bestens, Deinen kurzen Tag,
Dein Monat, Deinen kurzen Halbjahrsplatz -
eh ich vergessen, sterben, wegzieh'n mag
und mit uns zwei'n ist's Schluß; denn dann, demnächst,
wie schon gesagt, vergeß ich Dich - doch g'rade nun,
wenn Du mit süßen Lügen um mich flehst,
werd' ich den liebsten Schwur des Sträubens tun.
Ich wünschte schon, daß Liebe länger wär'
und Schwüre nicht so brüchig, wie sie sind -
allein so ist's, and die Natur bisher
hat nur ein Ringen ohne End bestimmt:
Ob, was wir suchen, wir auch finden werden
ist, biologisch, ganz egal auf Erden.

Internet-Tipp: https://myweb.dal.ca/waue/Trans/Millay-Forget.html


 Enigma antwortete am 30.11.06 (09:11):

... sorry, Tippfehler. Es muss natürlich heißen:

..."ein Gedicht einzustellen, das Dir ......"

Vielleicht hab`ich mich ja auch schon übernommen mit dem Gedicht!? ;-)


 Marina antwortete am 30.11.06 (14:45):

Enigma, du hast dich bestimmt übernommen mit dem Gedicht, so wird's wohl sein.:-) Nimm dir lieber ein Beispiel an lola, das habe ich jetzt auch getan, und um zu vermeiden, dass ich mich übernehme, hier ein kleines Gedichtlein:

Mord und Totschlag

Denkt ans fünfte Gebot:
Schlagt eure Zeit nicht tot!

Erich Kästner

:-))


 Medea. antwortete am 01.12.06 (07:26):

Lacht durch das Fenster
hell dir die Wintersonne
fällt sie in dein Herz.


 Elfenbein antwortete am 01.12.06 (12:18):

Mahnung an Moniteure
von Adolf Glaßbrenner

Halte nicht zurück die Meinung!
Aus dem Herzen in die Welt!
Lass getrost in die Erscheinung
Treten, was dir wohlgefällt.
Strafe kühn das Geistig-Hohle!

Mach dich zu der Wahrheit Hort!
Alles dient dem Staat zum Wohle,
Und bei uns heißt die Parole:
Licht und Luft dem freien Wort!

*

Eines der wenigen Glaßbrenner-Gedichte, die von der Zensur nicht verboten wurden, weil da keiner wusste, wie ein Akrostichon zu lesen ist.


 hl antwortete am 01.12.06 (19:11):

Der Empfehlung Glaßbrenners wollen wir hier lieber nicht folgen.

Der Advent beginnt, die Zeit der Erwartung, Besinnung und Erinnerung:


Erinnerung

Und du wartest, erwartest das Eine,
das dein Leben unendlich vermehrt;
das Mächtige, Ungemeine,
das Erwachen der Steine,
Tiefen, dir zugekehrt.

Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.

Und da weißt du auf einmal: das war es.
Du erhebst dich, und vor dir steht
eines vergangenen Jahres
Angst und Gestalt und Gebet.

Rainer Maria Rilke in Buch der Bilder


 Enigma antwortete am 02.12.06 (07:39):

@Elfenbein
Du bist mir ja ein ganz Hintersinniger!
aber ich mach`s wie hl und halte mich nicht an die Aufforderung "Halt`s Maul". ;-))

Jetzt stelle ich was ein von einer netten Frau, deren Homepage Ihr auch besuchen könnt - she. Internet-Tipp!

Und nett ist sie u.a. auch, weil sie mir erlaubt hat, das folgende Gedicht einzustellen. :-)


fragt sich wie

wieder klein sein
alles wagen
mit der alten unschuld
der kindlichen kraft

durch die kurve fliegen
alles riskieren
mit der leichtigkeit die
der glaube an festen boden
unter den füßen macht
fragt sich
der dichter ohne land
und neidet der eidechse den
nachwachsenden schwanz

Anna Breitenbach
Aus: Feuer. Land. Gedichte

Internet-Tipp: https://www.annabreitenbach.de/


 Enigma antwortete am 02.12.06 (10:44):

@Elfenbein

Ich wünsche Satisfaktion für den Glaßbrenner durch Lösen (Ergänzen) eines Rätsels, das irgendwie mit Literatur, zumindest aber mit Wörtern, zu tun hat!
;-))

Es geht um ein Schling-Füllrätsel (ein abgebrochener Satz wird durch einen Schüttelreim sinnvoll ergänzt)...
Los geht`s:

"Das Ende des Liebeskummers
Ein Jüngling quälte sich mit Gedanken, ob er es wagen dürfe, sich der Geliebten zu erklären. Da hatte er einen schönen Traum; es war ihm, als neige sich deren holdes Angesicht über ihn und küsse ihn auf die Lippen. Darüber erwachte er und fühlte sich prophetisch aufgemuntert. So wurde ihm... dal dil dal dil - dal dil dal dil “

Entnommen dem Buch: Franz Brentano Rätsel - she. Internet-Tipp!

PS
Es können natürlich auch andere ForistInnen mitraten. bzw. den Text wie beschrieben ergänzen. :-))

Internet-Tipp: https://www.aenigmatias.de/start.html


 Elfenbein antwortete am 02.12.06 (15:33):

Enigma -

warum forderst Du Satisfaktion - für ein Glaßbrenner-Gedicht, das Gedanken- und Wort-Freiheit fordert - und nur den Zensoren ein Schnippchen schlagen konnte, weil sie die Aufforderung an sie nicht kapierten...?
Wow - mit wem identifizierst Du dich da?

*

Soll dir Glaßbrenner den krypten Brentano aufmotzen?

Glaßbrenner auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin, Zeichnung von H. Scherenberg, um 1875.
Aus: Alt-Berliner Weihnacht / hrsg. von Renate Steinchen. -
Berlin : Argon Verlag, 1994, S. 2

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/A3zAoE34Z


 Enigma antwortete am 02.12.06 (16:12):

Nein, so ist es nicht gemeint, sondern Satisfaktion i.S.v. Zufriedenstellung, weil Glaßbrenner im Grunde ja auch raten ließ.

Die "Satisfaktion" sollte auch mehr oder weniger ein Witz sein.

In Ordnung?


 Elfenbein antwortete am 03.12.06 (09:56):

... war es Musenpost wie die für einen Pharao, der seiner Geliebte viel Kummer machte?

Oh, Pharao!
Der trug ein Seidenhemd seiner Geliebten, statt eines Wamses.
Ob bei Regen, bei Sonne, er war der schnieke Ramses!
Der Leibarzt warnt ihn sehr,
doch fand er kein Gehör.
Als Pharao verschied, sprach er: "Wow, nu ham Se's!"

*

Ramses, vertrocknet, im Grab, ohne Wams! (Vorsicht!)

Internet-Tipp: https://www.fam-reim.de/Ramses/Images/Ramses5.JPG


 hl antwortete am 03.12.06 (10:59):

Seele des Lebens

Verfall, der weich das Laub umdüstert,
Es wohnt im Wald sein weites Schweigen.
Bald scheint ein Dorf sich geisterhaft zu neigen.
Der Schwester Mund in schwarzen Zweigen flüstert.

Der Einsame wird bald entgleiten,
Vielleicht ein Hirt auf dunklen Pfaden.
Ein Tier tritt leise aus den Baumarkaden,
Indes die Lider sich vor Gottheit weiten.

Der blaue Fluß rinnt schön hinunter,
Gewölke sich am Abend zeigen;
Die Seele auch in engelhaftem Schweigen.
Vergängliche Gebilde gehen unter.

Georg Trakl


 hl antwortete am 03.12.06 (11:02):

:-)


Was sagt' der Herbst der Ros' ins Ohr

Was sagt' der Herbst der Ros' ins Ohr,
daß sie die Munterkeit verlor?
Er mahnt' sie an die Nichtigkeit
der Treue, die der Lenz ihr schwor.
Sie reißt entzwei den Schleier, den
sie nahm, als er zur Braut sie kor;
Und wie sie bleich vom Throne sinkt,
erseufzt der Nachtigallen Chor.
Wer brach entzwei das Lilienschwert?
So blank geschliffen war's zuvor.
Die Tulp' entfloh so eilig, daß
den Turban sie am Weg verlor.
Beschämt senkt der Jasmin sein Haupt,
weil ihm der Ost die Locken schor.
Es streut der Wind mit voller Hand
von Bäumen Blättergold empor.
Das dürre Laub schwirrt durch die Luft
wie Fledermäus' aus Gräbertor.
Das Totenlied der Schöpfung spielt
der Herbstwind auf geknicktem Rohr.
Die finstre Tanne trägt den Schnee
wie weißen Bund ums Haupt ein Mohr.
Der Berg nahm weißen Hermelin,
weil ihm die nackte Schulter fror.
O sieh des Jahrs Verwüstung an
und hole frischen Wein hervor!
Die Sonne sandt' uns, eh sie wich,
den jungen Most ins Haus zuvor,
Daß er uns leucht' an ihrer Statt,
wann ihre Kraft dämpft Wolkenflor.
Sieh, wie des Wintergreises Grimm
des Frühlingskindes Hauch beschwor.
Er weckt in Bechertönen ein'
verzaubert' Nachtigallenchor,
Und trunkne Blicke sich ergehn
auf schöner Wangen Rosenflor.
Du trink, und seufz' im Winter nicht;
denn auch im Frühling seufzt ein Tor.

Friedrich Rückert
Aus den Nachdichtungen zum Diwan des Hafis


 Marina antwortete am 03.12.06 (13:07):

Das Lachen

Höre oh Freund und Bruder: Wenn Du ein Kamel hast,
so habe acht, es langsam zu führen, denn du musst an
seine weichen Füsse denken, denen die harten
Bergwege Schmerz bereiten, da sie an den weichen
Wüstensand gewohnt sind. Wenn du ein Pferd hast,
lasse dich leicht sein auf seinem Rücken, dass es
dich wie eine Wolke fühle und daher fliege gleich
dem Wind. Wenn du einen Gedanken hast, oh Freund
und Bruder, so lasse ihn leise schreiten, mit des
Kamels weichen Füssen, lasse ihn daherbrausen mit
des edlen Pferdes heisser Hast und bleibe du selbst
verborgen wie in einer Wolke. Wenn du aber in
deinem Geiste eine wunderbare Lüge birgst, so mache
aus ihr ein Gedicht oder ein Lachen oder beides,
und reite schnell, sehr schnell - denn wer ein
Lachen bringt mit dem Atem einer Lüge, bringt ein
Geschenk.

Elsa Sophia von Kamphoevener


 Enigma antwortete am 04.12.06 (08:29):

Marie von Ebner-Eschenbach

Sankt Peter und der Blaustrumpf

Ein Weiblein klopft an's Himmelsthor,
Sankt Peter öffnet, guckt hervor:
- »Wer bist denn du?« - »Ein Strumpf, o Herr ...«
Sie stockt, und milde mahnet er:
»Mein Kind, erkläre dich genauer,
Was für ein Strumpf?« »Vergieb - ein blauer.«
Er aber grollt: »Man trifft die Sorte
Nicht häufig hier an unsrer Pforte.
Seid samt und sonders freie Geister,
Der Teufel ist gar oft nicht dreister,
Geh hin! er dürfte von dir wissen,
Der liebe Herrgott kann dich missen.«
- »Das glaub ich wohl - doch ich nicht Ihn,
O Heilger, wolle noch verziehn!«
Sie wagt es, sein Gewand zu fassen,
Hat auf die Knie sich sinken lassen:
»Du starker Hort, verstoß mich nicht,
Laß blicken mich in's Angesicht
Des Ewgen, den ich stets gesucht.«
- »In welcher Weise, ward gebucht;
Man strebt ihm nach, wie's vorgeschrieben,
Du bist uns fern und fremd geblieben.«
Das Weib blickt flehend zu ihm auf:
»Wär dir bekannt mein Lebenslauf,
Du wüßtest, daß in selgen Stunden
Ich meinen Herrn und Gott gefunden.«
Der Pförtner stutzt: »Allwo? - Sprich klar!«
- »Daselbst, wo ich zu Hause war,
(Mein Handwerk brachte das mit sich)
Im Menschenherzen. Wunderlich
War dort der Höchste wohl umgeben;
Oft blieb von seines Lichtes Weben
Ein glimmend Fünklein übrig nur
Und führte doch auf Gottes Spur.
Ob er sich nun auf dem Altare
Den Frommen reicher offenbare -
Das zu entscheiden ist dein Amt:
Bin ich erlöst? bin ich verdammt?«
Sankt Peter zu derselben Frist
Etwas verlegen worden ist,
Dacht eine gute Weile nach,
Nahm endlich doch das Wort. Er sprach
Und rückt dabei den Heilgenschein:
»Besprich es drin - ich laß dich ein.«

:-)


 Marina antwortete am 05.12.06 (12:07):

Immer wieder

Der Winter ging, der Sommer kam.
Er bringt aufs neue wieder
den vielbeliebten Wunderkram
der Blumen und der Lieder.

Wie das so wechselt Jahr um Jahr,
betracht ich fast mit Sorgen.
Was lebte, starb, was ist, es war,
und heute wird zu morgen.

Stets muß die Bildnerin Natur
den alten Ton benützen
in Haus und Garten, Wald und Flur
zu ihren neuen Skizzen.

Wilhelm Busch


 Enigma antwortete am 06.12.06 (17:22):

Ob du der alte Heine bist?
Ich wüßt’ es nicht zu entscheiden;
Doch sicher ist’s: Du bist immer neu –
Das mag ich eben leiden.

Die Träne rollt dir noch vom Aug’,
Und wie in früheren Zeiten;
Du hast die alte Grazie,
Und Kraft und Lust zu streiten.

Und wenn du über Deutschland schimpfst,
So kommt’s dir aus dem Herzen;
Ach, was wir lieben, das macht uns ja
Die ungeheuersten Schmerzen

Eduard von Bauernfeld (13.1.1802 Wien – 9.8.1890 Wien)


 lola antwortete am 10.12.06 (10:52):

ein muslimisches Liebesgedicht von einer Frau, die im 8.Jahrhundert in der irakischen Stadt Basra lebte.
Aus der Welt der persönlichen Gottsuche und der Mystik in der Liebe - als Liebe Gottes zum Menschen und als Liebe des Menschen zu Gott -


" Auf zweifache Weise liebe ich Dich:in selbstischer Hingabe
oder weil Du dessen wert bist.
Selbstische Hingabe heißt, daß ich aufgehe
im Gedenken an Dich, fern von allem außer Dir.
(Liebe) aber, die Deiner wert ist, heißt,
daß Du die Schleier hebst, so daß ich Dich schaue.
Weder das eine noch das andere ist mein Verdienst;
für beides gehört Dir aller Preis!"

Wiedergegeben von Josef van Ess: Islamische Perspektiven.


Gruß von lola.


 Elfenbein antwortete am 10.12.06 (11:16):

Liebeslied
(wie es bei zigeunerisch Lebenden beheimatet ist...)

Werd' ich einen Liebsten haben,
Will ich dann ein Brünnlein graben;
Kommt ein Fremder hier vorüber,
Fließ' es trüb und immer trüber;
Will er trinken, dann, o Quelle,
Rasch versiege deine Welle;
Will mein Liebster Wasser haben,
Dann sollst du ihn köstlich laben,
Dann verwandle, klare Quelle,
Rasch in Wein sich deine Welle!
*
(Liebeslied der Zigeuner)
*

Aus: Der Völker Liebesgarten

Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/liebesgarten/liebesgarten.htm


 Enigma antwortete am 10.12.06 (14:09):

Wenn ich dich frage

Ob du mal meine Hand halten würdest
Nur so
Nur so zum Spaß
Nur so, damit es nicht so kalt ist
Dem kleinen, dem Ring-, dem Mittel-, dem Zeige-,
dem Daumenfinger
Nur so, weil ich dann aufhöre zu fragen
Sagst du sicher
Nein
Weil du das immer sagst
Wenn ich dich frage
Ob du mal meine Hand halten würdest
Nur so
Nur so zum Spaß
Vor den anderen
Vor den anderen Mädchen, den anderen Jungs, den
anderen eben
Wenn du mal meine Hand halten würdest
Nur so
Nur so zum Spaß
Wäre das ja auch kein Spaß mehr
Kein einfaches Warmhalten von Daumen-, Zeige-,
Mittel-, Ring- und kleinem Finger
Dann wäre das ja
Das wäre dann ja einer Bitte entsprechen und das wäre
Schlecht
Schlecht wäre das
Schlecht wäre das, dem Wunsch nachkommen, der
Bitte entsprechen
Ganz schlecht
Vor den anderen, den anderen, den anderen eben
Ich bin gar nicht mehr glücklich
Nicht mehr glücklich mit dir, nicht mehr glücklich mit
mir
Ja, ganz unglücklich mit dir, ganz unglücklich mit mir
Ganz schlecht
Ganz schlecht und unglücklich bin ich
Kein Spaß
Ja, ich weiß
Das ist kein Spaß mit kalten Fingern

Nora-Eugenie Gomringer

Aus:
Sag doch mal was zur Nacht. Mit Audio-CD
Erschienen bei: Voland & Quist - 03/200

Freundliche Erlaubnis der Autorin zum Einstellen hier liegt vor.
Zur Homepage von Frau Gomringer - she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.noragomringer.de/


 kropka antwortete am 12.12.06 (14:03):

Diesen Winter

als du kamst,
und ich Mandarinenschalen verbrannte
und dich fragte Wo bist du gewesen?
als ich ein Badetuch um deine Schultern legte
und sagte Ich will es nicht wissen
als ich lächelte
und die schwarze Schleife in deinem Haar löste
als du sagtest Ich auch

Von Volker Sielaff

(Postkarte für Nofretete. Zu Klampen Verlag, Springe 2003)

© 2006 Deutschlandradio

https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/


 Enigma antwortete am 13.12.06 (11:10):

MYLADY mit dem blauen hut
H.C. Artmann


MYLADY mit dem blauen hut,
ich finde sie so äußerst chic,
ihr angewandter silberblick,
der fest auf meinem frischen frackhemd ruht,
geht mir wie amors pfeil durchs blut.

die jazzband dudelt im savoy,
man tanzt den english waltz, den fox,
im whisky klirren kühl die rocks,
ich hoff, madame, sie bleiben mir doch treu,
klopf an das stuhlbein, toi, toi, toi!

sie rauben mir perfekt die ruh,
wie klimpern ihre wimpern keck,
madame, ich bin vor liebe weg,
der ober drückt bereits ein auge zu,
mir sinkt das herz bis in die schuh.

ich bin bekannt mit vielen fraun
und mit den meisten kaum per sie,
ein tête à tête, ein vis à vis,
und mir ist auch schon nimmermehr zu traun,
wenn sie aus schönen augen schaun.

jedoch vor ihnen bin ich scheu,
pardon, ich staune über mich,
das läuft mir förmlich gen den strich,
mir ist das wirklich gar nicht einerlei,
so sie und ich hier im savoy.

mylady mit dem blauen hut,
wie kann denn sowas möglich sein,
trotz curaçao, chartreuse und wein
verlier ich plötzlich meinen ganzen mut
vor ihrer blicke heißer glut.
;-)


1975 Residenz Verlag Salzburg
Aus: Aus meiner Botanisiertrommel. Balladen und Naturgedichte
she. auch Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.lyrikline.org/index.php?id=162&L=0&author=ha00&show=Poems&poemId=41&cHash=4947e7a57d


 kropka antwortete am 13.12.06 (15:21):

;-)

was ich vor allem misse,
astronom du,
sternenarchitekt der silben,
ist der klang deiner stimme

H. C. Artmann
a tribute to ernst jandl


Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/


 kropka antwortete am 13.12.06 (15:30):

Ich starb
6840 Meter über dem Meeresspiegel
am vierten Mai im Jahr des Pferdes.
Der Ort meines Todes
lag am Fuß einer eisgepanzerten Felsnadel,
in deren Windschatten ich die Nacht überlebt hatte.
Die Lufttemperatur meiner Todesstunde
betrug minus 30 Grad Celsius,
und ich sah, wie die Feuchtigkeit
meiner letzten Atemzüge kristallisierte
und als Rauch in der Morgendämmerung zerstob.
Ich fror nicht. Ich hatte keine Schmerzen.
Das Pochen der Wunde an meiner linken Hand
war seltsam taub.
Durch die bodenlosen Abgründe zu meinen Füßen
trieben Wolkenfäuste aus Südost.
Der Grat, der von meiner Zuflucht
weiter und weiter
bis zur Pyramide des Gipfels emporführte,
verlor sich in jagenden Eisfahnen,
aber der Himmel über den höchsten Höhen
blieb von einem so dunklen Blau,
daß ich darin Sternbilder zu erkennen glaubte:
den Bärenhüter, die Schlange, den Skorpion.
Und die Sterne erloschen auch nicht,
als über den Eisfahnen die Sonne aufging
und mir die Augen schloß,
sondern erschienen in meiner Blendung
und noch im Rot meiner geschlossenen Lider
als weiß pulsierende Funken.
Selbst die Skalen des Höhenmessers,
der mir irgendwann aus dem Klumpen
meines Handschuhs gefallen
und in die Wolken hinabgesprungen war,
blieben wie eingebrannt in meine Netzhaut:
Luftdruck, Meereshöhe, Celsiusgrade . . .

CHRISTOPH RANSMAYR

1 Auferstehung in Kham. Östliches Tibet, 21. Jahrhundert.

(Leseprobe: Der fliegende Berg, Roman, 2006, S. Fischer)

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/


 Enigma antwortete am 15.12.06 (11:14):

Das Ende vom Lied ...
Ich säh Dich gern noch einmal, wie vor Jahren
zum erstenmal. - Jetzt kann ich es nicht mehr.
Ich säh Dich gern noch einmal wie vorher,
als wir uns herrlich fremd und sonst nichts waren.

Ich hörte Dich gern noch einmal wieder fragen,
wie jung ich sei ... was ich des abends tu -
und später dann im kaumgeborenen "Du"
mir jene tausend Worte Liebe sagen.

Ich würde mich so gerne wieder sehnen,
Dich lange ansehn stumm und so verliebt -
und wieder weinen, wenn Du mich betrübst,
die viel zu oft geweinten dummen Tränen.

Das alles ist vorbei. .. Es ist zum Lachen!
Bist Du ein anderer oder liegts an mir?
Vielleicht kann keiner von uns zweien dafür.
Man glaubt oft nicht, was ein paar Jahre machen.

Ich möchte wieder Deine Briefe lesen,
die Worte, die man liebend nur versteht.
Jedoch mir scheint, heut ist es schon zu spät.
Wie unbarmherzig ist das Wort: "Gewesen!"

Mascha Kaléko


 kropka antwortete am 16.12.06 (14:21):

Täglich zu singen

Ich danke Gott, und freue mich
wie’s Kind zur Weihnachtsgabe,
dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
schön menschlich Antlitz! habe.

Dass ich die Sonne, Berg und Meer,
und Laub und Gras kann sehen,
und abends unterm Sternenheer
und lieben Monde gehen.

Und dass mir dann zumute ist,
als wenn wir Kinder kamen,
und sahen, was der heil’ge Christ
Bescheret hatte, Amen!

Ich danke Gott mit Saitenspiel,
dass ich kein König worden;
ich wär geschmeichelt worden viel
und wär vielleicht verdorben.

Auch bet ich ihn von Herzen an,
dass ich auf dieser Erde
nicht bin ein großer reicher Mann,
und auch wohl keiner werde.

Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht,
hat mancherlei Gefahren,
und vielen hat’s das Herz verdreht,
die weiland wacker waren.

Und all das Geld und all das Gut
gewährt zwar viele Sachen;
Gesundheit, Schlaf und guten Mut
kann’s aber doch nicht machen.

Und die sind doch, bei Ja und Nein!
ein rechter Lohn und Segen!
Drum will ich mich nicht groß kastein
des vielen Geldes wegen.

Gott gebe mir nur jeden Tag,
soviel ich darf zum Leben.
Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach;
wie sollt er’s mir nicht geben!

Matthias Claudius (1740-1815)


 Marina antwortete am 16.12.06 (14:59):

Der Glanz der Weihnacht

Lichterschläuche, Lampen, Sterne,
grell bestückt ist jeder Strauch.
Immer bunter und recht gerne
ziert man Häuser-Kanten auch.

Form und Farbe in der Klarheit
scheiden den Geschmack durchaus,
doch wie sieht die Wahrheit
hinter den Fassaden aus?

Weihnachtsmann, stets rot, mit Schlitten. –
Wer weiß noch, dass dieses Stück
einer Werbung ist entglitten?
Coca-Colas „Kunden-Glück“.

Nikolaus von Myra, heilig. –
Ist er das, der alte Mann?
Viel Geschenke bringt das Christkind. -?-
Grenzen fließen dann und wann.

Bethlehem in diesen Tagen:
Palästina / Heil’ges Land. –
Niemand hier um nachzufragen,
was man dort vor Zeiten fand?

Es war Christus, Kind und Sieger,
Herrscher über Tod und Zeit!
Und kein Festtagssinn-Verbieger
wie wir Menschen weit und breit.

Darum lasst uns neu beginnen,
wohl zu feiern den Advent:
Ankunft, Weihnacht. Tief von innen.
Licht ist da. – Am Firmament.

Ulrich-Georg Loth


 Enigma antwortete am 18.12.06 (08:39):

Da sprach der Landrat unter Stöhnen:
"Könnten Sie sich an meinen Körper gewöhnen?"
Und es sagte ihm Frau Kaludrigkeit:
"Vielleicht. Vielleicht.
Mit der Zeit...mit der Zeit..."
Und der Landrat begann allnächtlich im Schlafe
Laut zu sprechen und wurde ihr Schklafe.
Und er war ihr hörig und sah alle Zeit
Frau Kaludrigkeit - Frau Kaludrigkeit!

Und obgleich der Landrat zum Zentrum gehörte,
wars eine Schande, wie daß er röhrte;
er schlich der Kaludrigkeit ums Haus...
Die hieß so - und sah ganz anders aus:
Ihre Mutter hatte es einst in Brasilien
Mit einem Herrn der bessern Familien.
Sie war ein Halbblut, ein Viertelblut:
Nußbraun, kreolisch; es stand ihr sehr gut.
Und der Landrat balzte: Wann ist es soweit?
Frau Kaludrigkeit - Frau Kaludrigkeit!

Und eines Abends im Monat September
War das Halbblut müde von seinem Gebember
Und zog sich aus. Und sagte: "Ich bin..."
Und legte sich herrlich nußbraun hin.
Der Landrat dachte, ihn träfe der Schlag!
Unvorbereitet fand ihn der Tag.
Nie hätt er gehofft, es noch zu erreichen.
Und er ging hin und tat desgleichen.

Pause

Sie lag auf den Armen und atmete kaum.
Ihr Pyjama flammte, ein bunter Traum.
Er glaubte, ihren Herzschlag zu spüren.
Er wagte sie nicht mehr zu berühren...
Er sann, der Landrat. Was war das, soeben?
Sie hatte ihm alles und nichts gegeben.
Und obgleich der Landrat vom Zentrum war,
wurde ihm eines plötzlich klar:
Er war nicht der Mann für dieses Wesen.
Sie war ein Buch. Er konnt es nicht lesen.
Was dann zwischen Liebenden vor sich geht,
ist eine leere Formalität.

Und so lernte der Mann in Minutenfrist,
daß nicht jede Erfüllung Erfüllung ist.
Und belästigte nie mehr seit dieser Zeit
Die schöne Frau Inez Kaludrigkeit.

Kurt Tucholsky

:-))


 kropka antwortete am 18.12.06 (13:41):


https://www.rammstein-europe.com/main.php?sekce=lyrics&l=en

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Rammstein


 Elfenbein antwortete am 18.12.06 (16:03):

@ Kropka!
Bitte, nach welchen Kriterien oder Gefühlen stellst du hier "Ramm(el)stein" vor??
Wg. der Musik - wg. der Texte? Wg. der Lautstärke? Wg. der diffusen Metaphorik?


 hl antwortete am 18.12.06 (16:16):

Lieder/Songs sind gesungene Gedichte und Rammstein singt sehr schöne Texte.

Leider muss das wohl wieder gelöscht werden, weil es sonst bösen Ärger wegen der Urheberrechte geben kann.


 Enigma antwortete am 18.12.06 (19:39):

Die Lyrics von Rammstein gefallen mir auch meist, besser jedenfalls als die Musik (ja, ich weiß und akzeptiere, dass das persönlicher Geschmack ist). :-)
Aber von ihm gefallen mir auch die Texte - she. Internet-Tipp!

Und - neben den Anmerkungen - auch noch ein Gedicht, und da bin ich ziemlich sicher, dass es hier LiebhaberInnen hat... :-)

Beeilt euch, ihr Stunden


Beeilt euch, ihr Stunden, die Liebste will kommen.
Was trödelt, was schleppt ihr, was tut ihr euch schwer?
Herunter da, Sonne, und Abschied genommen.
Verstehst du nicht, Tag, man verlangt dich nicht mehr.


Mit seinen Droschken und Schwalben und Hunden
Wird mir das ganze Leben zum Joch.
Schluß mit Geschäften. Beeilt euch, ihr Stunden.
Und wärt ihr Sekunden, ich haßte euch noch.


Ich kann nicht erwarten, den staunenden Schimmer
In ihrem zärtlichen Auge zu sehn.
Verschwindet, ihr Stunden, am besten für immer.
Die Liebste will kommen, die Welt soll vergehn.



Peter Hacks
Aus: Liebesgedichte

Internet-Tipp: https://www.riolyrics.de/song/id:93


 kropka antwortete am 18.12.06 (20:27):

@ Elfenbein!
Beides! Alles!: Musik und Texte! Und meine Gefühle auch! Immer. Ich finde Rammstein mindestens so aufregend,
so gut wie Nina Hagen. "Enigma sprach" von der Liebe, ich auch. Hast übersehen? Manchmal passe ich mich auch
thematisch an.
Und... ist Franz Xaver Kroetz h i e r erlaubt? Erlaubst du es?? Diesen liebe ich auch! So sehr wie Handke! :-)


Zwei Drittel Lebens sind getan.
Ich steh am letzten Bogen.
Im besten Mannesalter bin ich Kind.
Der Schrecken schreckt mich und
das Dunkle macht mich blind.
Ich lache unbegründet, weine schnell.
Man soll mir Märchen sagen.
Die tägliche Gemeinheit macht mich krank.
Zwei Drittel Lebens sind getan.
Ich steh am letzten Bogen.
Ich bin dem Leben nicht gewachsen.
Mein Beruf ist Kind.

Beruf Kind
Von Franz Xaver Kroetz

© 2006 Deutschlandradio


Danke Enigma für Int.-Tipp.

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/572558/


 hl antwortete am 18.12.06 (21:15):

Liebe Kropka, das hat nichts mit "erlaubt" zu tun sondern mit Urheberrecht. :-)

https://de.wikipedia.org/wiki/Urheberrecht

Wenn das nicht beachtet wird, könnte es sein (muss nicht), dass irgend ein Abmahnanwalt Forderungen an den Betreiber und Webmaster dieser Seite stellt.

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Urheberrecht


 kropka antwortete am 18.12.06 (21:22):

ja, hl.


 kropka antwortete am 19.12.06 (15:38):

"ich will nicht sein/ so wie ihr mich wollt"

der unerwünschte
Von Ernst Jandl

ich geh ja schon
er geht ja schon
er ist ja schon fort
er war garnicht hier
er war ja überhaupt nicht hier
aber hat nicht einer ich gesagt
wer hat denn da ich gesagt
ich hab ich gesagt
da ist er ja immer noch
ich geh ja schon

(poetische werke, Bd. 9, Luchterhand Literaturverlag, München 1997)

dradio.de

*
Ich gehe nicht. ;-))
Grüße an alle mir liebgewonnenen Dichter und Denker! kropka.

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/569518/


 Marina antwortete am 20.12.06 (10:12):

Berliner Moritat

Herr Jottfried Knaute war een Jungjeselle
Un schwermte sehr for weiblichen Vakehr.
Et jingen ville Mädchen ieba seine Schwelle,
Un keenen Abend war de Wohnung leer.
Un jleich uff allet Foljende zu weisen:
Wat a am Abend mit sich heimjebracht,
Bezoch a niemals nich aus feinsten Kreisen,
Weil ihn det zu vill Mihe hett jemacht.

Un eenet Morjens fand man ihn im Bette,
Wat eejentlich nich sondaba aschien,
Wenn a nur noch normal jeatmet hette.
So aba fand man bloß als Leiche ihn.
Um seene Jurgel war een Strump jeschlungen.
Een schwarza Damenstrump aus dinnem Flor.
Denn war ihm noch wat in den Kopp jedrungen,
Dem Dokta kam's wie eene Beilspur vor.

De Kostbarkeeten waren alle flitisch
Un ooch da Wein, den a so jern jenoß,
Denn noch det Jeld, woraus janz foljerichtich
De Kommission uff eenen Raubmord schloß.
Zum Jlick konnt de Portiöhsfrau sich besinnen,
Det eene von de Damens Lola hieß,
Un de Rescherschen konnten jleich bejinnen,
Bis man ooch bald uff Lola Lemke stieß.

Da Lola half nich Reden un nich Schweijen.
In ihre Stube stand da Kommisar
Un ließ sich ihre janzen Strimpe zeijen,
Un richtig fehlte eena zu een Paar.

Een schwarza Damenstrump aus dinnem Flore,
Jleich dem, den man um Knautes Jurgel fand.
Denn fand man ooch de andere Kabohre:
Den Ring, de Uhr un sonst noch allahand.

Da Lude Lolas war da Blattern-Fritze.
A jing in de Kaschemme dann vaschütt,
Bis bald darauf in des Vahöres Hitze
Ihm een Jeständnis aus dem Munde jlitt.
Un tachs darauf saß a im jrinen Wagen
Un fuhr mit Lola hin nach Mojabit.
Wat sich denn weita allet zujetragen,
Een jeda aus de neiste Zeitung sieht.

Leo Heller


 kropka antwortete am 20.12.06 (11:56):

Jeden Tag ein neues Lied!
Der tönende Adventskalender auf ZEIT online..

Z.B. war der 16.12.06 ein wundervoller Tag!...
(Hören Sie "Wenn du willst" - und der Winterspaziergang durch Leipzigs graue Seitenstraßen
wird zum glamourösen Abenteuer)...

https://apollo.zeit.de/redirects/play_mm.php?to=https://medien.zeit.de/
medialinks/ak-brokdorff-wennduwillst.mov&height=280&width=400

Internet-Tipp: https://gewinnspiele.zeit.de/advent/popup.html


 kropka antwortete am 20.12.06 (12:05):

es tut mir leid.. ein versehen! das gehört natürlich zur thema: advent advent..


 kropka antwortete am 24.12.06 (08:38):

Zum 24. Dezember 1890

Noch einmal ein Weihnachtsfest.
Immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm' ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte -
Rechnet sich aus all dem Braus
Doch ein richtig' Leben 'raus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.

Theodor Fontane
(1819-1898)


 Enigma antwortete am 28.12.06 (16:08):

Erfolg.

Herr Sensatore,
Ihr Roman
Bricht flott sich Bahn,
Macht viel furore,
Dieweil er so beweglich,
So nervaufreglich,
So bunt, so frei
Und auch so Leih-
Bibliotbeklich.


Zweiseitig.

Nach neben, wenn Vortheil riechend,
Nach oben jederzeit kriechend,
Nach unten grob und roh –:
Manch' ein Beamter ist so;
Auch ein Minister,
Mitunter so ist er.

beides von:
Friedrich Theodor Vischer
;-)


 Enigma antwortete am 05.01.07 (20:17):


Das Geschehene
schläft in mir
Ich lege mir Ketten um geschenkte trojanische Sätze
und die Sprache in die ich gekleidet
war rannte der Katze nach über die Dächer
ließ mich mit logistischen Sorgen allein
Wohin mit diesen Erinnerungen an Gelesenes und
Ungelesenes und was war eigentlich mit der Realität
Ich hörte
daß es im Dorf laut geworden war wegen
all der Leute vom Film die
etwas über den Regen machen wollten
Ich nahm die Ketten ab überlegene
fiese Geschenke
und die Gedanken die sich verhakt hatten bekamen
wieder frisch Luft Sämtliche Bücher
begannen zu schnurren Die Wohnung
stand plötzlich voll mit gepolsterten Körbchen
Das war friedlich
und ich fand auch
die passende Frage dazu
Möchtest du herkommen

Silke Scheuermann
Aus: Der zärtlichste Punkt im All. Gedichte

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Silke_Scheuermann


 Enigma antwortete am 09.01.07 (07:52):

Hallo kropka,

wie Du schon sagst, die beiden sind wunderbare Poeten, in deren HPs ich auch schon rumgelesen habe (sie haben beide eine im Netz).

Und nun komme ich mit einem, der auch eine besondere Art hat:
:-)

Wunder der unsichtbaren Welt

Wein, der Lippen und Zunge blutig färbt,
Dann deine halb geflüsterte Geschichte,
Wie junge Hexen
Einst in Nächten wie dieser
Auf Ehemännern durch den Himmel ritten.

Die Sterne waren wie brennende Kerzen
Allein auf der Wanderschaft,
Und der neblige Wald
Ein weiß fließendes Nachtgewand.
Als steckte uns erst gestern, sagte ich,
Der Alte Samiel in ein Bett aus toten Blättern.

Du wurdest zu einer schwarzen Katze,
Und auf allen vieren lief ich dir nach
In eine Kirche - oder war es ein Wohnzimmer,
Wohin ein Hund uns jagte,
Der, den wir im Dorf jetzt bellen hören.

Charles Simic Aus: Mein lautloses Gefolge. Gedichte

Einige Gedichte von Simic sind als Leseprobe beim Hanser-Verlag zu finden - she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://specials.hanser.de/lyrik-kabinett/3-446-20772-4/index.htm


 kropka antwortete am 09.01.07 (10:28):

Danke Enigma,

In der ZEIT fand ich Simic Biografie:
https://www.zeit.de/marktplatz/hanser/simic_biografie
und einige Gedichte:

https://www.zeit.de/marktplatz/hanser/index

"Den Träumen" Gedicht hat mir sehr gut gefallen!

Den Träumen
Ich wohne immer noch an sämtlichen alten Adressen,
Trage selbst im Haus eine dunkle Brille ... Von Charles Simic

Ich wohne immer noch an sämtlichen alten Adressen,
Trage selbst im Haus eine dunkle Brille,
Teile mein Bett insgeheim
Mit Phantomen, gehe nach Mitternacht
In die Küche und kontrolliere den Wasserhahn.
Ich komme zu spät zur Schule, und wenn ich dort bin,
Scheint mich niemand zu erkennen.
Ich sitze da, verstoßen, einsam und in mich gekehrt.

Diese kleinen Läden, wo ich meine bescheidenen
Einkäufe mache, öffnen erst abends,
Diese Hinterhofkinos in schäbigen Vierteln zeigen
Immer noch unscharfe Filme von meinem Leben.
Der Held, ständig voll extravaganter Hoffnungen,
Verliert am Ende alles? – was es auch war –
Geht dann hinaus in das kalte, ungläubige Licht
Und wartet schmallippig am Ausgang.

Aus dem Englischen von Wiebke Meier

© Hanser Verlag 2006

https://www.zeit.de/marktplatz/hanser/index

auch sein Gedicht "Die heimliche Lehre"
Psst, psst, psst, Sagt der Schnee Dem stillen Wald ...
mag ich sehr gerne.

Ich lese, Simic war auch Gast beim Internationalen Literaturfestival 2001 in Berlin:

https://www.literaturfestival.com/bios1_1_6_642.html

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/marktplatz/hanser/index


 Enigma antwortete am 10.01.07 (08:11):

Ja, die gefallen mir auch beide sehr gut.

Petr Borkovec
Die Couch

Als ich erfuhr, dass Jirí gestorben war
(zwei Telegramme kamen aus Karlsbad,
eines, er lebe nicht mehr, das zweite, man hätte ihn obduziert),
setzte ich mich, ich weiß nicht wie, im Zimmer in den Fauteuil
und starrte auf die Couch vor mir und sah,
dass sie blau war, sah, dass sie evident blau war,
und wiederholte für mich: Sie ist blau,
blau, das sieht doch ein jeder –
denn von dem Tag an, als wir sie hergebracht hatten,
konnten wir uns nie über ihre Farbe einigen,
Jirí sprach immer von einem eigenartigen Grün.
Ich saß wie vor den Kopf geschlagen da in dem Zimmer
und sagte in einem fort: Wie konntest du so blind sein,
diese Couch ist doch von blauestem Blau,
nein, das hättest du nicht tun dürfen, du hättest
mir nicht sagen dürfen, dass sie grün ist. Dann hörte
ich mich voll Entsetzen selber, und brach, als wäre ich erwacht,
in schreckliches Weinen aus.


aus: Petr Borkovec: Feldarbeit.
Gedichte. Zweisprachig.
Aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier.
Wien: Edition Korrespondenzen 2001.

She. auch Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.radio.cz/de/artikel/39895


 kropka antwortete am 12.01.07 (10:43):

Die Schneelast drückt gewaltig auf die Zweige des Essigbaums schau

Welche Schwerter liegen frei auf den Feldern
wenn wir spazierengehn? Ich bin sicher
Hand in Hand läßt sich alles tun Engelchen flieg

Engelchen stirb Dies ist nur eine Unterhaltung
wenn wir spazierengehn über dies und jenes
ich weiß und du jetzt auch Alles mögliche

ist vergangene Woche passiert
Letztes Jahr bogen sich links am Waldrand die Bäume in
Schneelast Wir haben unseren Standfestigkeitsnachweis

gebracht finde ich in den vergangenen
geglückten Sommern
Ich schaue immer in die Luft wenn du sagst

wir kommen wieder einmal sicher durch den Vollmond
Laß uns einen Urlaub planen diesmal weiter in die
Sonne noch näher hin

Das wäre doch fast schon
als legten wir uns hier in der Junihitze miteinander
lachend ins wilde Bett

in den Acker Ich sage Darling du sagst auch
Darling Die Schwerter lächeln uns zu niemand hebt
eines auf Ich behaupte wir werden zusammen alt

Silke Scheuermann

Aus: Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen
Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001
https://www.lyrikline.org/

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2007/03/L-Scheuermann?page=all


 Elfenbein antwortete am 12.01.07 (19:06):

... wie aus einer anderen Welt. Ob aus der Kindheit des Autors?

Thomas Böhme:

NIEDRIGE HÄUSER sind es, in denen das Glück wohnt.
Der Salzstreuer auf dem Tisch ist gefüllt. Licht brennt,
und der Geruch von Pfeifentabak zieht durch die Räume.
Der Wein hat Aroma und Farbe der heimischen Böden.
An der Wand eine Spinne, nein zwei, und die Schutzheiligen
wachen in ihren Nischen, in den Ställen rumort das Vieh.
Der Wind, der vom Meer kommt, trägt die Namen
längst vergessener Götter wieder an Land.

Flache Dächer, vom Rauch der Kamine geschwärzt,
ein klappriger Lieferwagen lehnt an der Mauer.
Das Radio bringt Nachrichten in einer fremden Sprache,
nachdem die vertraute Musik plötzlich abbricht.
Die Kinder schlafen jetzt, und die Liebenden warten,
daß auch die Alten zu Bett gehn. Die Kerzen sind
runtergebrannt. An den Fenstern klappern die Läden,
die Treppe knarrt. Die Stiefel stehen neben der Tür.
*
(Thomas Böhme: Nachklang des Feuers. Druckhaus Galrev 2005; wegen des Abdrucks für ST habe ich angefragt.)


 Enigma antwortete am 14.01.07 (21:13):

Es sei mir verziehen, wenn ich dieses Gedicht, das ich sehr schön finde, hier auf Englisch einsetze.
Aber ich habe leider keine passende Übersetzung. Vielleicht hat die ja jemand??


A Game of Chess

The Chair she sat in, like a burnished throne,
Glowed on the marble, where the glass
Held up by standards wrought with fruited vines
From which a golden Cupidon peeped out
(Another hid his eyes behind his wing)
Doubled the flames of sevenbranched candelabra
Reflecting light upon the table as
The glitter of her jewels rose to meet it,
From satin cases poured in rich profusion.
In vials of ivory and colored glass,
Unstoppered, lurked her strange synthetic perfumes,
Unguent, powdered, or liquid--troubled, confused
And drowned the sense in odors; stirred by the air
That freshened from the window, these ascended
In fattening the prolonged candle-flames,
Stirring the pattern on the coffered ceiling.
Huge sea-wood fed with copper
Burned green and orange, framed by the coloured stone,
In which sad light a carvèd dolphin swam.
Above the antique mantle was displayed
As though a window gave upon the sylvan scene
The change of Philomel, by the barbarous king
So rudely forced; yet there the nightingale
Filled all the desert with inviolable voice
And still she cried, and still the world pursues,
"Jug Jug" to dirty ears.
And other withered stumps of time
Were told upon the walls; staring forms
Leaned out, leaning, hushing the world enclosed.
Footsteps shuffled on the stair.
Under the firelight, under the brush, her hair
Spread out in fiery points
Glowed into words, then would be savagely still.

'My nerves are bad tonight. Yes, bad. Stay with me.
'Speak to me. Why do you never speak. Speak.
'What are you thinking of? What thinking? What?
'I never know what you are thinking. Think.'

I think we are in rats' alley
Where the dead men lost their bones.

'What is that noise?'
The wind under the door.
'What is that noise now? What is the wind doing?'
Nothing again nothing.
'Do
'You know nothing? Do you see nothing? Do you remember
'Nothing?'


I remember
Those are pearls that were his eyes.
'Are you alive, or not? Is there nothing in your head?'
But
that Shakespeherian Rag--
It's so elegant
So intelligent
'What shall I do now? What shall I do?'
'I shall rush out as I am, and walk the street
'With my hair down, so. What shall we do tomorrow?
'What shall we ever do?'
The hot water at ten.
And, if it rains, a closed car at four.
And we shall play a game of chess,
Pressing lidless eyes and waiting for a knock upon the door.

When Lil's husband got demobbed, I said--

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 14.01.07 (21:17):

Fortsetzung!
I didn't mince my words, I said to her myself,
HURRY UP PLEASE IT'S TIME
Now Albert's coming back, make yourself a bit smart.
He'll want to know what you done with that money he gave you
To get yourself some teeth. He did, I was there.
You have them all out, Lil, and get a nice set,
He said, I swear, I can't bear to look at you.
And no more can't I, I said, and think of poor Albert.
He's been in the army four years, he wants a good time.
And if you don't give it him, there's others will, I said.
Oh is there, she said. Something o' that, I said.
Then I'll know who to thank, she said, and give me a straight look.
HURRY UP PLEASE IT'S TIME
If you don't like it you can get on with it, I said.
Others can pick and choose if you can't.
But if Albert makes off, it won't be for lack of telling.
You ought to be ashamed, I said, to look so antique.
(And her only thirty-one.)
I can't help it, she said, pulling a long face,
It's them pills I took, to bring it off, she said.
(She's had five already, and nearly died of young George.)
The chemist said it would be all right, but I've never been the same.
You are a proper fool, I said.
Well, if Albert won't leave you alone, there it is, I said.
What you get married for if you don't want children?
HURRY UP PLEASE IT'S TIME
Well, that Sunday Albert was home, they had a hot gammon,
And they asked me in to dinner, to get the beauty of it hot--
HURRY UP PLEASE IT'S TIME
HURRY UP PLEASE IT'S TIME
Goonight Bill. Goonight Lou. Goonight May. Goonight.
Ta ta. Goonight. Goonight.
Good night, ladies, good night, sweet ladies, good night, good night.






She.auch Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Das_w%C3%BCste_Land


 yankee antwortete am 15.01.07 (15:22):

Mein Lieblingsgedicht in Englisch ist von Robert Frost aus dem Gedichtband "New Hampshire". Der Letzte Vers ist auch bekannt geworden durch den amer. Spielfilm "Telefon".

Stopping By Woods On A Snowy Evening

Whose woods these are I think I know.
His house is in the village though;
He will not see me stopping here
To watch his woods fill up with snow.

My little horse must think it queer
To stop without a farmhouse near
Between the woods and frozen lake
The darkest evening of the year.

He gives his harness bells a shake
To ask if there is some mistake.
The only other sound's the sweep
Of easy wind and downy flake.

The woods are lovely, dark and deep.
But I have promises to keep,
And miles to go before I sleep,
And miles to go before I sleep.


 Enigma antwortete am 15.01.07 (15:47):

Ja, Yankee, woher bist Du denn wieder aufgetaucht??
Aber schön, dass Du wieder mal da bist. :-)

Und das Gedicht von Frost ist wirklich toll. In dem Film hat - glaube ich - Charles Bronson mitgespielt...

Dann hoffe ich, dass das folgende von Frost auch gefällt, diesmal mit Übersetzung:

Robert Frost:
Acquainted With The Night
I have been one acquainted with the night.
I have walked out in rain—and back in rain.
I have outwalked the furthest city light.
I have looked down the saddest city lane.
I have passed by the watchman on his beat
And dropped my eyes, unwilling to explain.
I have stood still and stopped the sound of feet
When far away an interrupted cry
Came over houses from another street,
But not to call me back or say good-by;
And further still at an unearthly height
One luminary clock against the sky
Proclaimed the time was neither wrong nor right.
I have been one acquainted with the night.

Robert Frost:
Mit der Nacht vertraut
Bin einer, der vertraut ist mit der Nacht.
Ich ging im Regen aus - im Regen heim.
Ging weiter als die Stadt das Licht gebracht.
Ich sah der Straßen längstes Traurigsein.
Ich ging an des Gesetzes Aug' vorbei
Und senkt' den Blick - da ließ er mich allein.
Bin still gestanden, daß es stille sei
Wenn über Straßen, über Häuser weh
Im Winde flog ein abgeriss'ner Schrei:
Kein 'Komm zurück!' für mich und kein 'Ade!';
Und, weiter noch, wie erdenfern erdacht
Am Himmel ich das Licht der Turmuhr seh':
Drauf Zeit, die richtig nicht, nicht falsch gemacht.
Bin einer, der vertraut ist mit der Nacht.


 Elfenbein antwortete am 15.01.07 (16:08):

Wer zu dem Frost-Gedicht eine Übertragung lesen will - hier im Forum:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a449.html


 yankee antwortete am 15.01.07 (16:12):

Hallo Enigma,
ja diese Frostgedichte passen so schön zu diesem tristen nebligen Tag. Das "Mit der Nacht vertraut" ist auch wirklich so geschrieben als würde man es selbst miterleben.
Muß jetzt leider wieder los. Tschüß


 kropka antwortete am 17.01.07 (07:41):

Lyrikmail heute:
D.H. Lawrence
Puma

Ansteigend durch den Januarschnee, in den Lobo-Canyon,
dunkel wachsen die Fichten, blau ist der Balsam, Wasser rauscht
noch ungefroren, und der Pfad ist noch deutlich.

Menschen!
Zwei Männer!
Menschen: Das einzige Tier auf der Welt zum Fürchten!

Sie halten inne. Wir halten inne.
Sie haben ein Gewehr.
Wir haben kein Gewehr.

Dann gehn wir alle weiter, aufeinander zu.

Zwei Mexikaner, Fremde, heraustretend aus dem Dunkel,
dem Schnee, dem tiefen Tal des Lobo.
Was machen die hier auf diesem schwindenden Pfad?

Was schleppt der eine?
Etwas Gelbes.
Einen Hirsch?

Que tiene, amigo?
Leon -

Er lächelt, dümmlich, als wär er bei etwas Unrechtem ertappt.
Und wir lächeln albern, als wüßten wir's nicht.
Er ist ganz freundlich und dunkelgesichtig.

Ein Puma ist es,
eine lange, lange schlanke Katze, gelb wie eine Löwin.
Tot.

Heut morgen habe er sie erwischt, sagt er einfältig lächelnd.

Emporgedreht ihr Gesicht,
ihr rundes, leuchtendes Antlitz, strahlend wie Frost.
Ihr rundes, fein geformtes Haupt, mit zwei toten Ohren
und Streifen im glitzernden Frost ihres Gesichts, scharfe feine
dunkle Strahlen,
dunkle, scharfgezeichnete, feine Strahlen im glitzernden Frost
ihres Gesichts.
Wundervolle tote Augen.

Hermoso es!

Sie gehen ins Offene hinaus;
wir gehen weiter ins Duster des Lobo.
Und jenseits der Bäume fand ich das Lager der Löwin,
ein Loch in den blutorangeglänzenden Felsen, die aufragen,
eine kleine Höhle.
Und Knochen und Zweige, und einen gefahrvollen Aufstieg.

So soll sie nimmermehr diesen Pfad hinan hechten, mit dem gelben
Blitz eines weiten Satzes des Berglöwen!
Und ihr leuchtendes streifiges Frostantlitz wird nimmermehr lauern,
aus dem Dämmer der Höhle heraus, im blutorangenen Fels,
über den Bäumen der dunklen Talmündung des Lobo!

Statt dessen blicke ich nun hinaus.
Hinweg über die Trübnis der Wüste, gleich einem Traum, nimmer real:
zum Schnee des Sangre-de-Cristo-Gebirges, dem Eis der Berge
von Picoris,
und schräg gegenüber, auf dem Schnee-Abhang, zu den grünen Bäumen,
die reglos im Schnee stehn wie Spielzeug zur Weihnacht.

Und ich denke, in dieser leeren Welt ist für mich und für
einen Berglöwen Platz.
Und ich denke, wie leicht könnten wir in der Welt da draußen
auf ein oder zwei Millionen Menschen verzichten,
ohne sie je zu vermissen.
Doch welch eine Lücke in der Welt: wenn das weiße Frostgesicht
fehlt jenes schlanken gelben Pumas!

Lobo.
deutsch: Wolfgang Schlüter
---
(C) 2000 Weidle Verlag
aus: Vögel, Blumen und wilde Tiere
Gedichte von D.H. Lawrence
Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Schlüter
Weidle Verlag, Bonn
https://www.weidle-verlag.de
https://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3931135462/lyrik-21


 Enigma antwortete am 20.01.07 (07:58):

Eifersüchtig

Verzeih! Wenn ich dir wehgetan.
Verzeih! Es war nicht meine Schuld:
Dass ich da bei dem anderen saß
Das hat der Zufall so gewollt.
Und wenn ich auch mit ihm gesprochen
Man muss doch höflich sein.
Warum nicht mehr Vertrauen?
Wieso gleich eifersüchtig werden?
Du hast mich kaum bei ihm erblickt
Da hab´ ich schon erkannt
Du hast verletzt den Blick gewandt
Und wollt´st unglücklich sein.
Deine Augen waren tränenfeucht
Die Wangen ärgerrot. –
Wer weiß, wie hast du mich verwünscht
In deiner Herzensnot.
Ich habe all dem zugeseh´n
Es hat mich traurig gestimmt,
Doch schön warst du in deinem Leid
So schön wie nie zuvor.
Und wüsste ich, dass ich dein Herz
Nicht allzu sehr verletzte:
Ich tät es sehr viel öfter noch
Weil ich dich gerne mag.

Putty (Pierre-Ernest) Stein

Mehr zu "Putty" Stein she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.land.lu/html/dossiers/dossier_luxemburgensia/stein_311299.html


 Elfenbein antwortete am 22.01.07 (15:20):

Als Ergänzug zu kropkas schönem Beitrag.

Ich erinnerte mich an ein Gedicht "Die Schlange" von Lawrence. Ich habe es aber nicht in Deutsch gefunden.

Deshalb:

D.H. Lawrence: Snake

Internet-Tipp: https://www.thebeckoning.com/poetry/misc/dhlawrence1.html


 kns antwortete am 23.01.07 (11:41):

bitte um ein Hilfe:
von welchem Verfasser stammt die Halbzeile "... und der Jünglinmg errötend blicket zurück ... "
Dank im voraus,
kNs


 Elfenbein antwortete am 23.01.07 (12:27):

Ich glaube, du meinst aus Schillers „Lied von der Glocke“:

"Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Tränen,
Er flieht der Brüder wilden Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren,
(…)"


 kns antwortete am 23.01.07 (17:27):

Liebes Elfenbein, herzlichen Dank für die Hilfe,
kns


 Enigma antwortete am 25.01.07 (08:43):

Kürzlich bin ich auf dieses Gedicht von Wordsworth gestoßen und habe es sehr schön gefunden:

My heart leaps up when I behold
A rainbow in the sky:
So was it when my life began;
So is it now I am a man;
So be it when I shall grow old,
Or let me die!
The Child is father of the Man;
And I could wish my days to be
Bound each to each by natural piety.

William Wordsworth
(1770-1850)



Als ich nach einer Übersetzung suchte, fiel mir eine - wie ich finde - sehr schöne Seite im Internet auf.
Es haben mich noch viele der Gedichte, die dort auf Englisch und in deutscher Übersetzung zu finden sind, begeistert, u.a. „we are seven“.

Interessant ist auch die dort zu findende „Notiz des Übersetzers“ (Dietrich H. Fischer), die beschreibt, wie er darauf gekommen ist, die Übersetzungen in Angriff zu nehmen!

Alles zu finden - she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.william-wordsworth.de/index.html


 Elfenbein antwortete am 25.01.07 (09:41):

Eine geschützte Übertragung des Wordsworth-Poem -
von Dietrich H. Fischer - findet sich auf der Website die enigma angab:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/zm1MXqJmT


 Elfenbein antwortete am 25.01.07 (09:59):

Alterswunsch für mein Herz

(Nach Wordsworth's "My heart..")

Es hüpft das Herz mir, wenn ich ihn schau:
den Regenbogen hoch im Himmelsblau!

So war’s als Kind von Anbeginn,
so ist’s, da ich erwachsen bin.

So sei’s, wenn alt ich werd’ und grau und still;
so auch, wenn Tod mich holen will.

Des Mannes Vater ist die Kindeslieb,
und wär’s ein Wunsch, der mir verblieb:

Den Tagen sei, die ich mag darben,
ein einig Band als Harmonie der Farben.


 Enigma antwortete am 26.01.07 (08:01):

Eine Nachdichtung ohne Angabe des Verfassers?
Ziehe ich daraus den richtigen Schluss?
Auf jeden Fall danke! :-)

Johann Peter Uz (1720-1796)

Ein Traum

O Traum, der mich entzücket!
Was hab ich nicht erblicket!
Ich warf die müden Glieder
In einem Thale nieder,
Wo einen Teich, der silbern floß,
Ein schattigtes Gebüsch umschloß.

Da sah ich durch die Sträuche
Mein Mädchen bey dem Teiche.
Das hatte sich, zum Baden,
Der Kleider meist entladen,
Bis auf ein untreu weiß Gewand,
Das keinem Lüftgen widerstand.

Der freye Busen lachte,
Den Jugend reizend machte.
Mein Blick blieb sehnend stehen
Bey diesen regen Höhen,
Wo Zephyr unter Lilien blies
Und sich die Wollust greifen ließ.

Sie fieng nun an, o Freuden!
Sich vollends auszukleiden;
Doch, ach! indems geschiehet,
Erwach ich und sie fliehet.
O schlief ich doch von neuem ein!
Nun wird sie wohl im Wasser seyn.


 kropka antwortete am 01.02.07 (08:29):

O Menschenangesicht: aus solcher Flut
von immer Irrtum immer wieder tauchend,
nichts, nur ein wenig Bleibens brauchend,
trotz allem grüßend, gebend, beinah gut -.
O Menschenangesicht aus solcher Flut.
Und über Dir nur Züge, kein Gesicht
aus Maßen, daß Du Dich dazu bezögest;
und wenn Dus von den Bergen niederbögest:
-------------------------------
Ach über Dir nur Züge kein Gesicht.

Aus: Die Gedichte 1910 bis 1922 (Wien, 10. Mai 1916)

https://www.rilke.de/


 Enigma antwortete am 06.02.07 (09:06):

Tschau Goethe

Er stand an einer merkwürdigen
gelben Wegkreuzung und
flirtete intensiv mit dem Milch-
mädchen aus Frankfurt.

Ich fuhr mit dem Fahrrad vorbei,
klingelte auf dem Gepäckträger
saß Arno Schmidt
und rief Tschau Goethe
dieser ging
schleunig nach Hause,
zog sich aus bis aufs geblümelte Nachthemd
und schrieb weiter an seiner Welt-
literatur

Beat Brechbühl

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Beat_Brechb%C3%BChl


 kropka antwortete am 06.02.07 (15:12):

... Dann bleibe ich bei "Flut".
Und beim Goethe! Einverstanden Enigma?

Die Flut der Leidenschaft...

»Die Flut der Leidenschaft, sie stürmt vergebens
An's unbezwungne feste Land.«
Sie wirft poetische Perlen an den Strand,
Und das ist schon Gewinn des Lebens.

J.W. Goethe

West-östlicher Divan
(1814-1836)


 Enigma antwortete am 07.02.07 (17:43):

:-))
Ja kropka, einverstanden.
Du bleibst bei Goethe und ich bleibe bei einem Gedicht über Goethe.
o.k.?

Abenteuer mit Dichtung

Als ich Goethe ermunterte einzusteigen
war er sofort dabei
während wir fuhren
wollte er alles ganz genau wissen
ich ließ ihn mal Gas geben
und er brüllte: „Ins Freie“
und trommelte auf das Amaturenbrett
ich drehte das Radio voll auf
er langte vorn herum
brach den Scheibenwischer ab
und dann rasten wir durch das Dorf
über den Steg und in den Acker
wo wir uns lachend und schreiend
aus der Karre wälzten

Jürgen Theobaldy

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Theobaldy


 Enigma antwortete am 08.02.07 (08:37):

Wallfahrt nach Sesenheim

Wo man rechts von der Haupt-
straße abbiegt, verhält der
große Vogel neben dem Wagen
Schatten über den Scheiben
wir hören die schweren lang
anhaltenden Schläge er schraubt
sich hoch jäh bricht er aus
und davon -

Wir essen im berühmten Gast-
hof am Platze im Nebenzimmer
Verstreutes vom alten Genie
neben der Scheune (bestens
erhalten) der Pfarrhof

Später spazieren wir heiter
am kleinen Gedenkhaus vorbei
lächeln verständig uns an
und schaun (wie auf Befehl)
nach Straßburg hinüber

Karl Hotz


 Elfenbein antwortete am 12.02.07 (05:52):

Johann Wolfgang von Goethe:
Lied des Türmers

Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Ich blick in die Ferne,
Ich seh in der Näh
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mir's gefallen,
Gefall ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!

*
Interpretation:

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/590335


 kropka antwortete am 15.02.07 (09:41):

Im dunklen Erdteil Afrika
Von Joachim Ringelnatz

Im dunklen Erdteil Afrika
Starb eine Ziehharmonika.
Sie wurde mit Musik begraben.
Am Grabe sassen zwanzig Raben.
Der Rabe Num'ro einundzwanzig
Fuhr mit dem Segelschiff nach Danzig
Und gründete dort etwas später
Ein Heim für kinderlose Väter.
Und die Moral von der Geschicht? -
Die weiss ich leider selber nicht.

https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/590347/

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/590347/


 Enigma antwortete am 15.02.07 (10:53):

Dan Danila


DICHTERTREFFEN

Es wurden Hypothesen aufgestellt, Beweise erbracht,
viele alte Traktate zitiert
und nach hitzigen Erörterungen
gelangte man zu folgender
einstimmig angenommenen Definition: das Gedicht ist
ein Atemhauch im kristallenem Flaschen,
ein Komet mit hyperboräischer Bahn,
das auf dem Mars verborgene Herbarium des Planeten,
die Geheimsprache autistischer Kinder,
eine feingemahlene Tanagrastatuette,
der Kolophoniumgeist alter Geigen,
ein weißer, ins Licht verliebter Maulwurf,
die Wolke, die da Vinci inspirierte,
eine Träne, in der Lastensegler Schiffbruch erleiden,
der Monolog im Termitenhaufen,
eine runenbedeckte Elfenbeinkugel,
in den Augenwinkel geritztes Gleichnis,
das Lächeln, das wir in der Kolonne durchschreiten,
die Traurigkeit, die wir einzeln überstehn,
eine Sammlung chronophager Texte,
ein Prophet, der das Kräutlein Vergessen zuteilt,
ein Kodifiziergerät mit verwischten Tasten,
die Orchidee, die der Mann mit der Maske seziert,
der Fakir im Schloss aus Pferdemist,
ein fragender Schleier, ein körperloser,
ein zittriger Brief unter bengalischem Feuer,
ein Kaktus, der einmal im Saeculum blüht,
der Traum, den wir stets vergessen,
ein klarer See mit einer Nixe,

erleichtert atmeten die Delegierten auf,
unterzeichneten und wandten beglückt
sich Bahnhöfen, Flugplätzen, Haltestellen der U-
wie Straßenbahn, Taxen und Luftschiffen zu.

She. auch Internet-Tipp!

Das Treffen fand aber ofenbar nicht im ST statt. ;-))

Internet-Tipp: https://www.dan-danila.de/bio.html


 Enigma antwortete am 15.02.07 (10:55):

..."offenbar..." Tippfehler!


 kropka antwortete am 16.02.07 (07:32):

Sei Poet
benütz die Sprache als ein Federbrett,
spring einen Salto in die Alphabete,
zieh jeden Satz wie eine Flagge hoch.

Sei Poet,
nicht Schaf im Wolfspelz für ein Schattenspiel,
nicht Winterkleid für all die dünnen Phrasen,
die jedermann zu jedermann an jedem Tag erzählt,
Dann kannst Du Gärtner der Träume sein,
hurra!
Und kannst Kalif von Bagdad sein,
hurra!
Mehr will ich nicht von dir,
Mehr will ich nicht von dir,

Sei Poet,
Den innern Erdteil sollst Du projizieren
mit magischen Laternen und mit Spiegeln,
die man für zwei Kometen überall erhält.

André Heller
(geschrieben 1972)

https://www.geocities.com/Athens/Forum/9962/seipoet.html
https://www.neon.de/kat/zeigeallesongszu/?id=35776


 Enigma antwortete am 16.02.07 (11:46):

Linie 1



Ein adrett gekleideter
grauer Pavian
entstieg der U - Bahn
am Kottbusser - Tor
Er trat geradewegs
auf mich zu
und blickte mich mit freien Augen an
So fragte ich ihn nach seinem Namen und ob
seine Außergewöhnlichkeit
nicht auffalle
Er antwortete
daß er schon viele Jahre
in Berlin wohne und diese Strecke
hundertmal am Tag führe
er gehöre zu den Sehenden
kenne viele Tricks
und das Telefonbuch auswendig
Ich prüfte ihn
und fragte nach der Nummer
des Menschen
worauf er mich
auf mich selbst verwies
und mir zuflüsterte
er sei eigentlich gar kein
U- Bahn fahrender Pavian
sondern nur ein Teil meiner Freiheit
Es wurde ein guter Tag



Gerhard Mell


aus " abgezockt und zugenäht"
Poems und Storys von nebenan und untendrunter

Internet-Tipp: https://www.wiesenburgverlag.de/belletristik/autoren/Mell.htm


 Enigma antwortete am 19.02.07 (19:11):

Su lang mer noch am Lääve sin

Su lang mer noch am Lääve sin, am Laache, Kriesche, Danze sin,
su lang - mer noch am Lääve sin. Mer sin wirklich offe, mer schwaade nit drömröm.
Uns Hätze schlage allsamp im Rhythmus vun ner Tromm.
Mer drieße jet op morje, denn hück do han mer Lauf.
E schläch Jewisse un Sorje, jo, dat nemme mer in Kauf.

Su lang mer noch am Lääve sin, am Laache, Kriesche, Danze sin,
su lang - mer noch am Lääve sin.
Su lang mer noch am Lääve sin, am Laache, Kriesche, Danze sin,
su lang - mer noch am Lääve sin.

Mer sin echt nit kleinlich, uns kütt et nit drop an
op du gerade heute frisch bist oder klamm.
Mer welle, dat in unsrer Stadt jeder glücklich weed.
Et jit jet, dat mer üvverall op d´r Welt versteiht.

Songtext Gruppe Brings

pilli, ich habe leider keine Übersetzung! :-((

Aber "Brings" gehört zu meinen Lieblingsgruppen, nicht nur "zur 5. Jahreszeit". :-))


 Enigma antwortete am 19.02.07 (19:39):

....reinhören geht aber schon mal - she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.brings-fanclub.de/text.html


 kropka antwortete am 19.02.07 (23:07):

Refrain (17x):

So lang wir noch am leben sind
am lachen, weinen, tanzen sind
so lang - wir noch am leben sind.

so lang wir noch am leben sind!!!!!

... noch mehr??..
aber da ist so ein hässliches Wort:
"Mer drieße jet op morje".. ja ja.. das zweite.. :-(


 kropka antwortete am 20.02.07 (11:29):

Halbamtlich, eigentlich viertelamtlich, sei noch mitgeteilt,
daß farbiges Konfetti in den verehrlichen Apotheken
nicht mehr als Kopfwehpulver verkauft werden darf,
und deshalb rufe ich unter Tränen aus:
"Nieder mit dem Aschermittwoch - nieder mit dem Karneval - Es lebe der 1. April!!!"

Aus KARL VALENTIN, der heuer (4. Juni) vor 125 Jahren zur Welt kam,
ersten "Narrenrede" (1918/20)

https://www.muc.kobis.de/lernwerkstatt/schwerpunkte/valentin/valentin.htm

https://www.muenchen.de/Stadtleben/Specials/valentin125/186096/index.html

Ach, es ist doch schrecklich g’wiss
Wenn der Mensch recht mager ist...


 Enigma antwortete am 23.02.07 (08:41):

Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst

Soll i aus meim Hause raus?
Soll i aus meim Hause nit raus?
Einen Schritt raus?
Lieber nit raus?
Hausenitraus -
Hauseraus
Hauseritraus
Hausenaus
Rauserauserauserause ......

Christian Morgenstern

PS
Der Unterschied zwischen der Hausschnecke und mir ist zumindest der, dass ich weiß, dass ich raussoll und rauswill. :-)


 kropka antwortete am 26.02.07 (09:05):

baubo sbugi ninga gloffa

siwi faffa
sbugi faffa
olofa fafamo
faufo halja finj

sirgi ninga banja sbugi
halja hanja golja biddim

mâ mâ
piaûpa
mjâma

pawapa baungo sbugi
ninga
gloffalor

Hugo Ball

Katzen und Pfauen
aus: Laut- und Klanggedichte

(Lyrikmail Nr. 1482 22.02.2007)


 yankee antwortete am 26.02.07 (19:27):

Mit diesen Klang und Lautgedichten kann ich einfach nichts anfangen. Dafür reicht meine beschränkte Bildung einfach nicht aus. Deshalb streue ich mal wieder was klassisches ein :-)

Liebe

Was die Liebe kann begehren
Liebe darf es frei gewähren

Was durch Liebe ward verschuldet
gern durch Liebe wirds geduldet

Alles Fehlen alles irren
Liebe weiß es zu entwirren

trägt mit seliger Gebährde
alle Not und Schuld der Erde

am Geliebten jeden Flecken
weiss Sie sorgsam zu verdecken

ja, Ihn völlig frei zu sprechen
lächelnd teilt Sie sein Verbrechen.

Robert Prutz


 Enigma antwortete am 27.02.07 (08:14):



Was du bist

Du bist nicht
was du tun willst
Du bist das
was du tust

Du bist nicht
was du sagst
Du bist das
was du tust

Du bist nicht
was du denkst
Du bist das
was du tust

Du bist nicht
einfach
was du bist
Du bist das
wofür du dich entscheidest
es zu tun.

Evelyne Weissenbach

Quelle: she. Internet-Tipp!
Eingestellt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Internet-Tipp: https://lyricgallery.twoday.net/stories/2167766/


 yankee antwortete am 27.02.07 (10:17):

Breite und Tiefe

Es glänzen viele in der Welt
die wissen von allem zu sagen (besonders hier im ST :-))
und wo was reizet und wo gefällt
man kann es bei ihnen erfragen
man dächte, hört man sie reden laut
sie hätten wirklich erobert die Braut

Doch gehn sie aus der Welt ganz still
ihr Leben war verloren
den wer etwas treffliches leisten will
hätt gern etwas großes geboren
drum sammle still und unerschlafft
im kleinsten Punkt die höchste Kraft

Der Stamm erhebt sich in die Luft
mit üppig prangenden Zweigen
die Blätter glänzen und hauchen Duft
doch können sie Früchte nicht zeugen
der Kern allein im schmalsten Raum
verbirgt den Stolz des Waldes, den Baum.

Friedrich Schiller


 yankee antwortete am 27.02.07 (10:24):

Sorry, kleiner Fehler in der dritten Zeile.

und wo was reizet und wo was gefällt


 Elfenbein antwortete am 27.02.07 (11:25):

heute im dradio.de - im Lyrischen Kalender; ein wichtiges politisches Gedicht, das als einfaches "Kinderlied" firmiert. (Einem Christian Klar müsst man das erklären könne; aber das würde sich wohl nicht interessieren, wenn man sein "Kampf-Manifest-chen" gelesen hat.)


Uljana Wolf:
kinderlied

mein vater
der kleine trompeter
gab sein blut
für unsre kehlen

singend führn wir
ihn im schilde
spielend schaufeln
wir sein grab

mein wächter
der kleine trompeter
mit dem blech
an seinen lippen

bläst uns
wenn die herzen
aus der deckung treten
seinen marsch

(Uljana Wolf: kochanie ich habe brot gekauft. Gedichte. Kookbooks, Berlin 2005.)

*
Nachzulesen, um es erfassen zu können:

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/595554


 Enigma antwortete am 27.02.07 (14:21):

Rätsel
Von Axel Sanjosé
Es ist nicht blau, es ist nicht bunt,
es ist nicht groß und auch nicht rund,
es hat zehn Beine, keinen Kopf
und in der Mitte nur ein Loch,
es ist mal anders und mal so,
steht oft vergeblich irgendwo,
man sieht es aus der Ferne schlecht,
im Winter ist es niemals echt,
wir kennen's nicht aus der Natur,
was ist es nur, was ist es nur?

Des Rätsels Lösung findet man über den Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/565632/


 kropka antwortete am 01.03.07 (12:12):

Hallo Yankee,
Bildung hin, Bildung her.. ob "beschränkt" ?.. Das würde ich niemals so bezeichnen. Ich habe im Regal ein schönes Reclam Büchlein ca. 400 Seiten: Poetische Sprachspiele - Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Es macht mir einfach Spaß diese Gedichte zu lesen, sie zu sehen auch!
https://www.reclam.de/detail/978-3-15-018238-3

Und dass viele hier glänzen und von allem etwas zu sagen wissen.. finde ich gut, davon "profitiere" ich auch!
Wünsche dir viel Freude und streue bitte mal wieder was klassisches hier ein :-)... Gruß kropka


Das große Lalula

Kroklokwafzi? Semememi!
Seiokrontro -- prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo...
Lalu lalu lalu lalu la!
Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lalu la!
Simarar kos malzipempu
silzuzankunkrei (;)!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei []!
Lalu lalu lalu lalu la!

Christian Morgenstern: Galgenlieder, Berlin 1905

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Lautpoesie


 kropka antwortete am 01.03.07 (12:36):

Hier ein ganz anderes, (mein Lieblings-) Gedicht aus dem Film POEM.
Danke Enigma für diese Erinnerung! Meine Freundin und ich sind damals 80 km gefahren
um den Film in einem Studio-Kino sehen zu können...

https://www.poem-derfilm.de/index2.htm

Der Falter

Wenn der Falter fliegt,
denkt er dann,
sobald das Licht ihn trifft
an Untergang?
Oder fühlt er nur neuen Lebensmut?
durchs Licht
die Liebe
und stürzt sich freudig in die Glut?

Wenn der Falter glüht,
ist er dann
seinem Traum ganz nah
oder ist ihm bang?
Verflucht er seine Leidenschaft
und stemmt die Flügel gegens Licht
mit allerletzter Kraft?

Wenn der Falter stirbt,
fühlt er dann
seines Herzens letzten Schlag
und weiß er dann
dass mit dem Licht sich sein ganzes Leben gelohnt?

Isabel Tuengerthal

Internet-Tipp: https://www.poem-derfilm.de/index2.htm


 yankee antwortete am 01.03.07 (16:45):

Hallo kropka,
da ja jede Bildung beschränkt ist habe ich mir nichts böses bei der Formulierung gedacht :-). Ich finde lediglich einfach keinen Draht zu den Laut und Klanggedichten. Da hab ich größte Schwierigkeiten schon beim lesen. Vielleicht kannst du mir mal erklären, was dich daran so fasziniert. Vielleicht fehlt mir einfach auch nur die nötige Kreativität. Das Faltergedicht gehört auch zu meinen Lieblingsgedichten. Dazu passt hier noch ein traurig romatisches von Gottfried Keller

Siehst du den Stern

Siehst du den Stern im fernsten blau
der flimmernd fast erbleicht
sein Licht braucht eine Ewigkeit
bis es dein Aug erreicht.

Vielleicht vor tausend Jahren schon
zu Asche stob der Stern
und doch steht dort sein milder Schein
noch immer still und fern.

Dem Wesen solchen Scheines gleicht
er ist und ist doch nicht
O Lieb, dein anmutvolles Sein
wenn du gestorben bist.


 kropka antwortete am 03.03.07 (18:27):

O Yankee, ist das traurig.. Zu traurig! Seine, (mir bekannte) Gedichte mag ich nicht besonders..
Ich habe mal ein anderes am 24.01.06 im Deutschlandradio gehört, hier für dich, bitte:

WINTERNACHT
Von Gottfried Keller

Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee.
Nicht ein Wölklein ging am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.

Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix' herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.

Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied:
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied um Glied.

Mit ersticktem Jammer tastet' sie
An der harten Decke her und hin,
Ich vergeß' das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!

URL: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/454160/

"Vielleicht kannst du mir mal erklären, was dich daran so fasziniert" schreibst du.
Nein, kann ich nicht. Das musst du fühlen, du aber fühlst die Sprache anders als ich weil.. vielleicht weil Deutsch deine Muttersprache ist?.. Nicht aber meine. Ich nehme gerne die Sprache "auseinander", versuche sehr genau zu verstehen.. (und verstehe oft falsch, z. B. das Wort "beschränkt" klingt für mich negativ) usw. Für mich ist auch Rhythmus, Melodie, ein Klang der Sprache sehr wichtig. Ein Gedicht ist für mich auch ein Wortspiel, es ist wie Musik..
Und wie hört sich das an? Aber bitte lies das du selbst und nicht diese schreckliche "Vorlesestimme", die nicht mal "kropka" richtig aussprechen kann ;-)

Liebeserklärung des Raben Ralf
an die Räbin Louise Broxak

Tor! tor! tor!
broxak!broxak!
kokoloko? klokoko!

Serbo-serbo-
broxak!broxak!
kolkrekolu! krekloko?

Kar! Kar! Kar!
broxak!broxak!
Kalakaka! Kralkaka!

www.christian-morgenstern.de/

Ist es nicht köstlich? ;-))
Du sagst vermute ich: "Nein!"...

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/454160/


 kropka antwortete am 03.03.07 (18:31):

Dann noch ein andres, "abgründig-komisch", auch Christian Morgenstern, auch dradio.de vom 2.03.07:

Das Fest des Wüstlings

Was stört so schrill die stille Nacht?
Was sprüht der Lichter Lüstrepracht?
Das ist das Fest des Wüstlings!

Was huscht und hascht und weint und lacht?
Was cymbelt gell? Was flüstert sacht?
Das ist das Fest des Wüstlings!

Die Pracht der Nacht ist jach entfacht!
Die Tugend stirbt, das Laster lacht!
Das ist das Fest des Wüstlings!

(zu flüstern)

© 2007 Deutschlandradio

URL: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/598526/

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/598526/


 kropka antwortete am 03.03.07 (18:34):

Jetzt aber sehr, sehr ernst und sehr romantisch :-)
hier mein Lieblingsgedicht des "grandiosen Komikers und Meisters der Groteske" Morgenstern:

Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.
Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.

Christian Morgenstern, 1908

Internet-Tipp: https://www.onlinekunst.de/liebesgedichte/liebe_morgenstern.html


 Enigma antwortete am 07.03.07 (08:51):

Hartmut Kasper

BATMAN UND ICH

In der Nacht, nachdem ich
im mittleren Regal von dreien
mein Batman-Museum eingerichtet hatte,
rechnete ich mich reich: Wenn
jeder meiner Verwandten (und ich rechnete die entlegensten Tanten
und den legendären Onkel dazu, der als Kellner über der Eisdiele hauste)
nur einmal pro Monat käme und 50 Pfennig Eintritt bezahlte,
spülte mir das
12 mal 13 mal 50 Pfennig gleich 78 Mark pro Jahr in die Museumskasse!
Kämen sie wöchentlich, kämen sie täglich -
Das ließ sich im Dunkeln schon gar nicht mehr rechnen!
Ja, die Supermann & Batman-Hefte, die schwarze
Maske von Robin und das Matchbox-Batmobil waren eine gute
Investition.
Natürlich kam niemand, und bis ich Bafög bekam,
blieb ich arm.
Die Maske von Robin habe ich übrigens immer noch, aber
ich setze sie selten ein.

Internet-Tipp: https://www.dasgedicht.de/dg13_lyr.htm


 kropka antwortete am 08.03.07 (07:27):

Danke Enigma! Viele schöne Gedichte..
Ich suchte mal im Internet (und fand nicht) eins von Joachim Fuhrmann, es hieß: Begegnung mit Sprache.
Erinnre mich an die letzte Strophe:

tu das tu dies
mach das mach dies
lass das lass dies
wie oft soll ich dir
noch sagn
wie oft soll ich dir
noch erklärn
kannst du nich hörn
willst wohl nich
dann wolln wir mal
eine andre sprache
sprechn

;-)


 Enigma antwortete am 09.03.07 (08:17):

Danke kropka,

die Begegnung mit der Sprache hat mir gefallen.

Nun noch eine Begegnung: ;-))

Der Fall Strohmaus

Es lag die Maus im Stroh herum
Und nuckelte am Strohrum rum
Sie tat so gern am Strohrum nuckeln
Und danach im Stroh rumkugeln
Doch plötzlich war die mausetot
Da kam Inspektor Pausenbrot
Sah tot im Stroh die Maus noch prall
Es war sein erster Strohmaus-Fall


Willy Astor
Aus: Unverrichter der Dinge.Humor direkt vom Erzeuger

Homepage von Willy Astor - she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.willy-astor.de/


 yankee antwortete am 09.03.07 (16:28):

Hier auch eine Begegnung

Begegnung

Das süße Lächeln starb dir im Gesicht,
Und meine Lippen zuckten wie im Fieber;
Doch schwiegen sie - auch grüßten wir uns nicht,
Wir sahn uns an und gingen an uns vorüber.

Theodor Storm


 kropka antwortete am 09.03.07 (16:56):

.. und hier noch eine!

Begegnung

Ich sah dich schon.
Im Sonnenschein
beim Roggenfeld am Wiesenrain
stand wilder Mohn;
die Kelche blühten blutrot breit,
den Schoß voll blauer Dunkelheit,
und jäh aus einer Knospe quoll
ihr glühendes Seelchen, unruhvoll.

So sah ich Dich, du knospiges Kind, erglühn,
gestern im Feld am stillen Fichtenhain,
als im Vorübergehn mein Blick dich küßte;
mit allen Adern schienst du aufzublühn,
so scheu und rein,
als ob ich um Verzeihung bitten müßte.

War's ein Erglühn? War's nur ein Widerschein?
das Rot des roten Sommerkleids um dich?
das Abendrot, das fern verglomm im Tann?
War's ein Erglühn, das erste war es dann,
das deine jungen Schläfen so beschlich;
so bang, so schwer sahst du mich an,
so fast voll Angst zurück nach mir,
als du verschwandest sacht im dichten
Gewühl der silbergrünen Fichten.

Doch meine Seele folgte dir,
dein blautief Auge blieb in mir.

Ich sah dich schon,
du flüchtendes Kind:
heiß durch den Roggen strich der Wind
und bebend neigte sich der Mohn.
Ich hab eine rote Blüte verwehn,
zwischen den Halmen zerflattem sehn,
und habe den Blättern nachgeträumt;
und immer ist mir noch, ich schaue
in ihren Kelch, der glutumsäumt
sich jäh vertieft ins Dunkle, Blaue...

Richard Dehmel

Internet-Tipp: https://www.onlinekunst.de/gedichte/mohn/


 Enigma antwortete am 09.03.07 (17:39):

... und noch eine:

Heine, Heinrich
Begegnung

Wohl unter der Linde erklingt die Musik,
Da tanzen die Burschen und Mädel,
Da tanzen zwei, die niemand kennt,
Sie schaun so schlank und edel.

Sie schweben auf, sie schweben ab,
In seltsam fremder Weise;
Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
Das Fräulein flüstert leise:

Mein schöner Junker, auf Eurem Hut
Schwankt eine Neckenlilie,
Die wächst nur tief in Meeresgrund ­
Ihr stammt nicht aus Adams Familie.

Ihr seid der Wassermann, Ihr wollt
Verlocken des Dorfes Schönen.
Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,
An Euren fischgrätigen Zähnen.

Sie schweben auf, sie schweben ab,
In seltsam fremder Weise,
Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
Der Junker flüstert leise:

Mein schönes Fräulein, sagt mir, warum
So eiskalt Eure Hand ist?
Sagt mir, warum so naß der Saum
An Eurem weißen Gewand ist?

Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick
An Eurem spöttischen Knickse ­
Du bist kein irdisches Menschenkind
Du bist mein Mühmchen, die Nixe.

Die Geigen verstummen, der Tanz ist aus,
Es trennen sich höflich die beiden.
Sie kennen sich leider viel zu gut,
Suchen sich jetzt zu vermeiden.


 Elfenbein antwortete am 11.03.07 (10:37):

... von einer Begegnung auf hoher See erzählt MLK:

Marie-Luise Kaschnitz:
Niemand

Wer nirgends ist, ist niemand. Ich
Auf dem soundsovielten Breitengrad
Aber umgeben von nichts als Wasser und Luft
Bin nicht mehr ich.
Mein starkes Schiff Provence
Ist wie jedes ein Fliegender Holländer.
Kommt nur in Booten. Klettert über die Bordwand.
Da trinken Herr Niemand Frau Niemand
Da schlafen Herr Niemand Frau Niemand
Kind Niemand sitzt auf dem Holzpferd
Ich Niemand schreib in den Wind.

(M.L.K.: Gesammelte Werke. Hrsg. v. Büttrich/Miller. Bd. 5. Frankfurt am Main 1985)
*

Wer dazu bei radio.de nachlesen will:

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/600305


 Enigma antwortete am 11.03.07 (11:05):

...und hier von einem Liebespaar auf dem Jahrmarkt.
Ich finde beide Gedichte toll... wie fast alles von ihr!

Marie Luise Kaschnitz

Liebespaar auf dem Jahrmarkt

Der Himmel, das ist dein grünes Gesicht
Und die aufgerissenen Augen darin
Wir gehen nicht
Du und ich
Zur Wahrsagerin
Wir wissen schon, was unser Schicksal ist
Wir sitzen nicht unter dem Zelt
Wo die Alten essen und trinken
Essen und trinken sollen
Die, nicht mehr lieben wollen
Laß sie rufen und winken
Auf den Tanzboden steigen wir nicht
Und drehen uns Brust an Brust
Unser Wein ist die Nachtluft
Unsere Lust ist nirgends zu sein
Unsern Tod haben wir voraus
Wir nehmen ihn Hand in Hand
Wir streifen die Spitze des Turms
Und die Ränder der Wolkenwand
Alles kommt zur Ruhe
Wenn die Nacht vergeht
Der Tatzelwurm und die träge Planetenbahn
Nur die feurigen Arme heben
Senken und drehen sich
Der Himmel, das ist dein grünes Gesicht
Wir sterben nicht
Du und ich
Fahr hin, hartes herrliches Leben -

Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/kasch.htm


 kropka antwortete am 11.03.07 (23:31):

Seither

Seither bedeutet Küssen
eigentlich nur noch
dich küssen
also nur noch
geküßt haben
nicht mehr küssen
nicht wirklich mehr küssen dürfen
also vielleicht auch
nicht wirklich mehr
küssen können
Aber eigentlich hat Küssen
nicht nur Küssen bedeutet
sondern auch bei dir sein

Und eigentlich
bedeutet seither
auch sein
nichts als bei dir sein
und atmen
nichts als dich einatmen
oder in dich hineinatmen
also nichts als
bei dir gewesen sein
und bei dir geatmet haben
also eigentlich
nicht mehr atmen
und nicht mehr sein

Erich Fried


 Enigma antwortete am 14.03.07 (07:30):

Ali Abdollahi
Zu ende
Selbst wenn ihr zurückkehrtet,
Das Buch umblättern würdet - rückwärts -
Von Künftigem uns entferntet,
Euer Gejohle
Die Tage erfüllte,
Und eure Stricke
Meine Kehle küßten.
Mein Traum führt mich
Zur anderen Seite,
Und das Buch lese ich
Zu Ende.

Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/ax/abdollahi_a.htm


 Elfenbein antwortete am 14.03.07 (14:36):

Eva Zeller: Das Wörtlein

Es soll auf unserm Erdenrund
über dreitausend geschriebene
und fast zweitausend nur
gesprochene Sprachen geben
Eine davon die Mutter-
die Vater- die Unsersprache
geschrieben gesprochen
nicht zu vergessen gesungen
darüberhinaus an
verschiebbaren Perlen entlang
geflüstert kaum daß man dabei
die Lippen bewegt
als habe man sich des alt-
gewordenen Vokabulars zu schämen
das sich nicht plaudern läßt

Selbst dem geringsten
unter den Worten
das sich klein gemacht hat
zum Wörtlein
hört man seine Herkunft noch an
Das kann fällen
das Wörtlein
den altbösen Feind
Der will uns um
unsere Sprache bringen
die tonlos gemurmelte
und uns gar verschlingen
Wir können ein Lied davon singen
*
Über Eva Zeller, die schon 83 Jahre wurde:

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Eva_Zeller


 kropka antwortete am 14.03.07 (22:14):

Aber vielleicht

Meine großen Worte
werden mich nicht vor dem Tod schützen
und meine kleinen Worte
werden mich nicht vor dem Tod schützen
überhaupt kein Wort
und auch nicht das Schweigen zwischen
den großen und kleinen Worten
wird mich vor dem Tod schützen

Aber vielleicht
werden einige
von diesen Worten
und vielleicht
besonders die kleineren
oder auch nur das Schweigen
zwischen den Worten
einige vor dem Tod schützen
wenn ich tot bin

Erich Fried


 kropka antwortete am 21.03.07 (10:22):


Heute ist Tag der Lyrik

O Knute, o Knute!
Die schwingen man tute,
Machst Wirkung sehr gute
Bei frevelndem Mute.
Was dem Kinde die Rute,
Ist dem Volke die Knute;
Du stillest die Wute
Rebellischem Blute.
Das alles, das tute
Die Knute, die Knute!
Weshalb ich mich spute,
In einer Minute
Poetischer Glute
Schrieb ich an die Knute
Dies Gedichtchen, dies gute.

Johann Nestroy

Internet-Tipp: https://www.nestroy.at/


 Enigma antwortete am 29.03.07 (08:51):

Simone Katrin Paul
Wo sind die guten Vorsätze hin

dass sie hin sind vermut ich
denn es geht von ihnen keine Rede mehr um
so wie früher von Toten
so offensichtlich wie rohe
vom Gold verschwiegene, verdreckte
Diamanten im Kimberlit
wo sind die guten Vorsätze, ich frag nach denen
und nach den schwachen, den längst gefassten
den wieder aufgegebenen
Katzengoldflimmersternzeichen
auf graphitgrauer Treppe
ich frag mich selbst wie ein Kind
vor jedem neuen Jahr
kaum spricht wer davon, dass ein Neues beginnt
als wär's nicht der Rede mehr wert
was wer mit ihm vorhat
stattdessen gehen die Reden
von Einsätzen im Zeichen des Mars
und wie wild geworden von Tänzen ums neue Geld
berichten die Medien allenfalls Neues
vom Schnee dieses Winters
und ich frag mich, wo die Vorsätze hin sind
nicht nur die guten
die aufgegebenen, die aus Schwäche gefassten
die in die Mühlen der Zeit geratenen
die erst zwischen den Schleifsteinen Ja und Nein
ihre Kraft offenbaren
all das Vorkommen der Sätze, die noch besagen, was Leben,
und wenn's nicht das Rechte für Dich, wie es wird.

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/paulsimone.htm


 kropka antwortete am 03.04.07 (00:27):

EPILOG

Man muß nie verzweifeln, wenn etwas verloren geht,
ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück;
es kommt alles noch herrlicher wieder.
Was abfallen muß, fällt ab;
was zu uns gehört, bleibt bei uns,
denn es geht alles nach Gesetzen vor sich,
die größer als unsere Einsicht sind
und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen.
Man muß in sich selber leben und an das ganze Leben denken,
an alle seine Millionen Möglichkeiten,
Weiten und Zukünfte,
denen gegenüber es nichts Vergangenes und Verlorenes gibt. –


Rainer Maria Rilke, Rom, 29. April 1904

Viele Grüße an alle Hunde, Katzen, Papageien etc. und besonders liebe an die G e s i c h t e r die ich nicht vergessen werde.
Viel Freude, viel Glück, viel Erfolg wünscht kropka :-))


 Enigma antwortete am 03.04.07 (08:36):

Nanu kropka, das klingt ja nach Abschied.
Willst Du den nicht mit uns umziehen in den Neuen ST?
Herzliche Grüße jedenfalls!

Der Kobold
von Werner Bergengrün

Das Haus hab ich erbaut
Vom Keller bis zum Dach.
Wer hat den Kobold eingesetzt,
Der unter der Treppe wohnt?
Er trinkt von meinem Wein,
Er nagt am Schinkenbein.
Er steckt sich Zucker in den Sack,
Er schmaust von meinem Rauchtabak,
Macht allen Vorrat klein.
Was tut er zum Vergelt?
Er geigt um Mitternacht.
Er gibt auf meine Kinder acht,
Daß keins die Treppe fällt!
Was tut er noch zum Dank?
Er putzt das Mondhorn blank.
Damit es silberrein
In meine Fenster schein.


 Enigma antwortete am 03.04.07 (08:38):

... "Willst Du denn nicht mit uns umziehen..." muss es natürlich heißen. :-)


 yankee antwortete am 05.04.07 (18:27):

Damit es in Sachen Gedichte mal wieder weiter geht, hier noch aus meinem alternden Gedächtnis ein, wie ich finde, schönes Gedicht von Schiller.

Der Spruch des Konfuzius

Dreifach ist des Raumes Maß
rastlos, fort, ohn Unterlass,
strebt die Länge fort ins Weite
endlos gießet sich die Breite
grundlos senkt die Tiefe sich.

Dir als Bild sind Sie gegeben
rastlos vorwärts musst du streben
nie ermüdet stille stehn
willst du die Vollendung sehen.

Musst ins Breite dich entfalten
soll sich dir die Welt gestalten
in die Tiefe musst du steigen
soll sich dir das Wesen zeigen.

Nur Beharrung führ zum Ziel
nur die Fülle führt zur Klarheit
und im Abgrund wohnt die Wahrheit.


 kropka antwortete am 05.04.07 (21:17):

Danke yankee (warum nennst du dich so?) für die Erinnerung an Schiller.
Noch in der Schule in Polen vor vielen vielen Jahren war er mir viel "lieber" als Goethe, ich kann nicht sagen warum...
Dann... noch ein "Spruch des Konfuzius 1795" und ein Gruß an dich!


Dreifach ist der Schritt der Zeit,
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.

Keine Ungeduld beflügelt
Ihren Schritt, wenn sie verweilt.
Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt
Ihren Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu, kein Zaubersegen
Kann die stehende bewegen.

Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die zögernde zum Rat,
Nicht zum Werkzeug deiner Tat.
Wähle nicht die fliehende zum Freund,
Nicht die bleibende zum Feind.


 kropka antwortete am 10.04.07 (12:16):

Raum

Noch ist Raum
für ein Gedicht
Noch ist das Gedicht
ein Raum
wo man atmen kann

Rose Ausländer


 kropka antwortete am 10.04.07 (12:23):


entfremdung

wir treffen uns
hinter der heimat
im haus mit
gebrochenem flügel

schenken uns fremde
einer des andern
findling

staub auf den lippen
wortein wortaus

wir tragen meilensteine
wohin

dein atem weht
in andre richtung
ich falle
aus deinen pupillen
ins dickicht

ich erkenne dich nicht

rose ausländer

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https://milongablog.de/


 Karl antwortete am 01.07.07 (21:10):

Thread kann wieder beschrieben werden. Fehler behoben. Entschuldigung.