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THEMA:   "Wunder des Vogelzuges"

 17 Antwort(en).

Cindy_568 begann die Diskussion am 01.07.06 (18:36) :

„Z’ Mariä Geburt fliag’n d’ Schwalb’n furt“ (8. September)

SEMINAR

mit WALTHER STREFFER, Stuttgart

Freitag, 8. und Samstag, 9. September 2006

WUNDER DES VOGELZUGES

Die regelmäßigen großen Wanderungen der Vögel gehören zu den eindrucksvollsten Phänomenen innerhalb der Tierwelt. Vogelzug ist ein weltweites Geschehen. Immer wieder fragen wir uns staunend, auf welchen Wegen die Vögel ziehen, wie sie ihre Winterquartiere erreichen und wie sie punktgenau ihre Brutgebiete wiederfinden.
Wir wollen uns intensiv mit den Orientierungsleistungen, den Flugeigenschaften und dem unter-schiedlich ausgeprägten geselligen Verhalten der Zugvögel befassen, ferner mit der Entstehung des Vogelzuges, der Ausbreitung und der Urheimat der Vögel wie auch mit der Weltoffenheit und Wanderfreudigkeit der Jungvögel. Abschließend richten wir den Blick auf die große Frage, wer so weisheitsvoll das Zuggeschehen lenkt..
Zum Problemkreis der Orientierungsfähigkeiten soll der Versuch unternommen werden, die gegensätzlichen Positionen der Naturwissenschaft (genetische Fixierung) und der Geistes-wissenschaft (Gruppenseele) einander anzunähern.
Freitag, 8. September, 20.00 Uhr - Einführung
Das Phänomen der großen Vogelwanderungen: Einiges über Flugverhalten und Zugleistungen von allein oder gesellig ziehenden Arten wie auch von Tag- und Nachtziehern
Samstag, 9. September
10.00 bis 12.30 Uhr - Wohin ziehen unsere Brutvögel? Woher kommen die bei uns rastenden Vögel? Treue zum Brutort und zu den Zugwegen. Günstige Beobachtungsplätze
15.30 bis 17.30 Uhr - Orientierungsfähigkeiten, über den inneren Kompass. Zur Entstehung des Vogelzuges. Wer lenkt das Zuggeschehen?

KULTURWERKSTATT Salzburg, Bayerhamerstr. 33

Anmeldung unbedingt erforderlich!
Für Quartierbesorgung sind wir gerne behilflich
Tel/Fax 0043-662-877 730 (Kulturwerkstatt Salzburg)
Tel/Fax 0043-662-643 640 (Dr. Ursin) und
Tel 0043-662-649 427 (Fr. Meisriemel)

Für Quartierbesorgung sind wir gerne behilflich


 Literaturfreund antwortete am 01.07.06 (20:28):

Ja, die großartigen Vogelzüge - immer noch ein Geheimnis der Koordination aus vielen physiologischen Fähigkeiten und Reaktionen der Vögel auf Faktoren und Bedingungen, nicht nur der Jahreszeiten, des Wetters, auch des Klimawandels - Orientierung in Schwärmen.

*

Hier die Meldung über Gänsegeier über Deutschland:

Internet-Tipp: https://f27.parsimony.net/forum66372/messages/3714.htm


 Literaturfreund antwortete am 01.07.06 (20:35):

Ein Lyriker, der der Natur noch glaubte, soweit oder wenn er sich nicht dem Alkohol hingab: "... Dem Vogelzug vertraue ich meine Verzweiflung an."

*

Günter Eich
(* 1907 Lebus/Mark Brandenburg † 1972 in Salzburg):

Ende eines Sommers

Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!

Wie gut, dass sie am Sterben teilhaben!
Die Pfirsiche sind geerntet, die Pflaumen färben sich,
während unter dem Brückenbogen die Zeit rauscht.

Dem Vogelzug vertraue ich meine Verzweiflung an.
Er misst seinen Teil von Ewigkeit gelassen ab.
Seine Strecken
werden sichtbar im Blattwerk als dunkler Zwang,
die Bewegung der Flügel färbt die Früchte.

Es heißt Geduld haben.
Bald wird die Vogelschrift entsiegelt,
unter der Zunge ist der Pfennig zu schmecken.


 schorsch antwortete am 07.07.06 (10:14):

Ich könnte Stunden lang den Schwalbeneltern zusehen, die den Jungen das Jagen lehren und sie damit flugtauglich für den grossen Ozean-flug vorbereiten....


 Literaturfreund antwortete am 07.07.06 (11:20):

dradio.de: LYRIK-KALENDER vom 04.07.2006

Der späte Ernst Jandl (1925-2000) hat es mit der Unerbittlichkeit sehr weit getrieben. Seine Gedichte sind zornige Ausfälle gegen die Unvollkommenheit des Körpers und die Schwäche des Fleisches, Flüche gegen jedwede religiöse oder metaphysische Tröstung. Sein Gedicht über den "wahren vogel", entstanden Anfang der 1980er Jahre, zeugt nicht unbedingt von Tierliebe.

Ernst Jandl:
der wahre vogel

fang eine liebe amsel ein
nimm eine schere zart und fein
schneid ab der amsel beide bein
amsel darf immer fliegend sein
steigt höher auf und höher
bis ich sie nicht mehr sehe
und fast vor lust vergehe
das müßt ein wahrer vogel sein
dem niemals fiel das landen ein

(E.J.: selbstporträt des schachspielers als trinkende uhr. Darmstadt/Neuwied 1983)

Als der "wahre Vogel" wird sarkastisch ein verstümmeltes Tier apostrophiert, dem die Beine abgeschnitten wurden und das damit zum ewigen Fliegen verdammt ist. Das scheint eine sadistische Phantasie zu sein und ist doch nur der Ausdruck einer Sehnsucht, sich vom Boden lösen zu können - das Leiden eines alten Mannes, der selbst nicht mehr richtig gehen kann. Der Dichter selbst gleicht diesem Vogel, der zum dauerhaften Singen und Fliegen verurteilt ist. Fast höhnisch, in bös-parodistischer Weise wird zudem Wilhelm Müllers romantisches Volkslied "Das Wandern ist des Müllers Lust" aufgerufen.
*

Literaturfreund meint, als unbezahlter Interpret, dass Jandl experimentelle, unverantwortliche Tierforschung angreifen wollte.
Die ewig fliegende Amsel, auf Fuß- und Ruhepunktsuche in allen Kulturbereichen - sie wäre lebenslang Klient bei Psychoanalytikern (privat gesponsort); ein ergreifendes Opfer für Gehirnforschungen in der CT-Röhre und ein Tagesschau-Sensation.
Aber den Nobelpreis für Biologie würde ihr ein ordentlich bestallter Ornithologe wegschnappen - der sie als ausgestopfte Beute aus der Innentasche herausziehen würde, wenn der schwedische König nachfragt...
*
URL:
Amseln unter Schlüsselreiztest

Internet-Tipp: https://www.mucl.de/~gymuntha/eigenesweb2/Schl%FCsselr.-Amsel.jpg


 Literaturfreund antwortete am 07.07.06 (11:32):

Am falschen Ort eingeflogen:

Ein Gedichtnix -
Ein Hoch der modernen Tierforschung, nach Ernst Jandl!

Irene Jundl:
Orientierungslos

Wohin hat dich deine Mutter entlassen,
Bruno?
In die von Wotan gewaffene Wildnis,
in die Menschen bestellte Natur.

Da wäre jede Hauptschule
besser für deine Erziehung
ob sie von Schalmeikünstlern oder
streikenden Lehrern
oder versteckten Luren
oder hippelnden
Hoppern besetzt.

Sie könnten
mit vereintem Krach
ferne
halten
die Schnappschießer
von den Brettern, die
Bühne des Bebens darstellen.

Armes Bruno!
Der nächste ursus arctos
italienischen Geblüts
soll unter meinem Taktus
den Marsch auf Berlin
auftreten,

wie seine schussernden Vettern.
Salvete victores! Morituri!

URL.: neu- und pelzartiges Schmusetuch!

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/ZNDLYzBK3


 Literaturfreund antwortete am 07.07.06 (11:34):

Ich hoffe, die URL stimmt jetzt...

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/HBpbp1Bii


 Literaturfreund antwortete am 07.07.06 (11:57):

Zurück zu den Vögelchen...

Reinhard Umbach:
Geheimnisse des Vogelzugs

Die Vögel fliegen weg
für einen guten Zweck.
Der Förster kann den Wald erneuern
und alte Nester mit verfeuern.

Voll Stolz erzählt der alte Star
dass er auf Lanzarote war.

Pinguin und Vogel Strauss
halten sich beim Fliegen raus.

Im Gegensatz zum Auerhahn
fährt der Pirol nur mit der Bahn.

Verräterisch am Flug der Wachtel
ist dieser Hang zu einem Achtel.

Der Spatz fliegt nur mal um die Ecke
und spart sich so den Rest der Strecke.

Fliegt die Schneegans einen Kreis,
ist das ein Symbol für Eis.
Fliegt sie mehr so im Carrée,
meint sie: «Vorsicht, Leute, Schnee!»

Der Wiedehopf fliegt meist allein.
So kommt er leicht in Östreich rein.

Zu Hause bleibt die Zirbelente,
weil sie wohl auch den Weg nicht fände.

Völlig ohne Marschverpflegung
setzt der Specht sich in Bewegung
Mit der Folge: Bei Bad Tölz
stürzt er wieder ins Gehölz.

*
Zur Url. gehört diese Unterschrift (dass man erkennt, was zu sehen ist:

"Hände weg vom Fehmarnbelt
Er gehört der Vogelwelt!"

Internet-Tipp: https://www.festebeltquerung.de/vogelzug-615-1c.jpg


 Literaturfreund antwortete am 07.07.06 (11:57):

Zurück zu den Vögelchen...

Reinhard Umbach:
Geheimnisse des Vogelzugs

Die Vögel fliegen weg
für einen guten Zweck.
Der Förster kann den Wald erneuern
und alte Nester mit verfeuern.

Voll Stolz erzählt der alte Star
dass er auf Lanzarote war.

Pinguin und Vogel Strauss
halten sich beim Fliegen raus.

Im Gegensatz zum Auerhahn
fährt der Pirol nur mit der Bahn.

Verräterisch am Flug der Wachtel
ist dieser Hang zu einem Achtel.

Der Spatz fliegt nur mal um die Ecke
und spart sich so den Rest der Strecke.

Fliegt die Schneegans einen Kreis,
ist das ein Symbol für Eis.
Fliegt sie mehr so im Carrée,
meint sie: «Vorsicht, Leute, Schnee!»

Der Wiedehopf fliegt meist allein.
So kommt er leicht in Östreich rein.

Zu Hause bleibt die Zirbelente,
weil sie wohl auch den Weg nicht fände.

Völlig ohne Marschverpflegung
setzt der Specht sich in Bewegung
Mit der Folge: Bei Bad Tölz
stürzt er wieder ins Gehölz.

*
Zur Url. gehört diese Unterschrift (dass man erkennt, was zu sehen ist:

"Hände weg vom Fehmarnbelt
Er gehört der Vogelwelt!"

Internet-Tipp: https://www.festebeltquerung.de/vogelzug-615-1c.jpg


 Enigma antwortete am 08.07.06 (11:15):

Interessante Sachen zum "Vogelzug".
Auf Anhieb fällt mir nichts Lyrisches ein ausschließlich zum Thema , aber ein Gedicht von Trakl erwähnt immerhin den “Vogelzug”, und deshalb stelle ich es doch mal hier ein:

Musik im Mirabell

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.
Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.
Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.
Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

Georg Trakl



Gestöbert habe ich in einer schönen Seite, die einige Informationen über den Vogelflug und -zug bereithält.
Für mögliche Interessenten gebe ich sie mal ein - she. URL!

Internet-Tipp: https://www.wildvogelhilfe.org/sonderbeitraege/grundwissen/vogelflug.html


 Enigma antwortete am 09.07.06 (12:36):

Ich habe mich erinnert, dass ich einmal ein Gedicht gelesen habe von Henrik Ibsen über den „Eidervogel“. Diese Vogelart gehört zur Familie der Entenvögel, bekannt auch unter dem Namen Eiderente. Die Eiderente kann gut schwimmen und tauchen und baut ihre Nester an den Küsten nördlicher Gewässer. Eine große Brutkolonie befindet sich z.B. auf Island.
Aus den ganz nördlichen Gefilden zieht sie im Winter häufig in etwas mildere Klimazonen.

Die Eiderdaunen sind ein großer Wirtschaftsfaktor, weil sie ungeheuer leicht und wärmend sind.
Darum hat man in der Vergangenheit dem Nest des Eidervogels, das er mit seinen Brustfedern, einem ganz zarten Flaum, auspolstert, in der Regel zweimal das Gelege geraubt, um diese Daunen zu gewinnen.
Ich habe allerdings gelesen, dass heute nur noch ein Teil der Eier oder der Daunen dem Nest entnommen wird, den die Eider ergänzen können oder - ebenfalls aus Gründen des Tierschutzes - die Federchen erst nach der Brut, wenn die Jungen das Nest verlassen haben, entfernt werden.

Diesen Vorgang hat Ibsen als Beobachter wunderbar geschildert.

Hen(d)rik Ibsen
Der Eidervogel

Wo der blaue Fjord die Küste zersägt,
Der Eidervogel sein Nest aufschlägt.

Er pflückt von der Brust sich den weichen Daun,
Es traulich und warm in den Fels zu baun.

Des Fjordfischers Herz hat für Mitleid nicht Raum;
Er plündert das Nest bis zum letzten Flaum.

Der Vogel, voll trotziger Lebenslust,
Zerrupft sich von neuem die eigene Brust.

Und aber geplündert, er bettet sich doch,
Von neuem sein Nest in ein wohlversteckt Loch.

Doch wenn ihn das Schicksal zum dritten Mal schlug,
So hebt er die blutende Brust zum Flug -

Und flieht aus dem kalten, ungastlichen Land,
Gen Süden, gen Süden nach sonnigem Strand.

(Übertragung: Christian Morgenstern)


Fotos she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.onlinefotoagentur.de/galerie-eiderente-1.htm


 Literaturfreund antwortete am 28.07.06 (15:57):

Von etlichen Vogelbeobachtungen am Meraner Höhenweg soll hier dieses Gedicht zeugen:


Aber: Welcher Vogel ist gemeint?
Es ist ein Epigramm von …, bei dem ich nur die Anrede an den Vogel verändert habe: statt des Tiernamens "Federbund"...; aber es ist von Morgensterns Christian, der hinter die Dingen oder Gegenstände oder Tier oder Menschen schaute, wenn sie metaphorisch dazu Anlass boten.


Wie ward dir, Federbund, so große Kraft!
Von deinem Klopfen tönt der ganze Schaft
Der hohen Kiefer. Wär auch mir vergönnt,
dass ich den Menschen so durch klingen könnt!

URL.: ein Bild von einer Lehrer-Seite:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/KWU014APN


 Literaturfreund antwortete am 28.07.06 (22:41):

Unverfälscht und richtig abgetippt soll es hier stehen, das Gedicht.

Morgenstern: Der Specht

Wie ward dir, kleiner Specht, so große Kraft!
Von deinem Klopfen tönt der ganze Schaft
der hohen Kiefer. Wär auch mir vergönnt,
dass ich den Menschen so durch klingen könnt!


 Literaturfreund antwortete am 31.07.06 (11:24):

LYRIK-KALENDER - 31.07.2006
Bertolt Brecht: Als ich im weißen Krankenzimmer der Charité

Als ich in weißem Krankenzimmer der Charité
Aufwachte gegen Morgen zu
Und die Amsel hörte, wußte ich
Es besser. Schon seit geraumer Zeit
Hatte ich keine Todesfurcht mehr. Da ja nichts
Mir je fehlen kann, vorausgesetzt
Ich selber fehle. Jetzt
Gelang es mir, mich zu freuen
Alles Amselgesanges nach mir auch.

(B.B.: Die Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2000)

Als er im Frühjahr 1956 wegen einer Grippe stationär behandelt wird, schreibt Bertolt Brecht (1898-1956) dieses Gedicht über den Umgang mit der Todesfurcht. Er zitiert dabei einige Verse aus dem Lehrgedicht "De rerum natura" des römischen Dichters Lukrez, das im 3. Buch von der Todesfurcht handelt.

In sachlichem Gestus zieht Brecht Bilanz: Was am Ende des Lebens bleibt, fasst er nicht in politischen Begriffen oder einer aufs Soziale zielenden Rhetorik. Es geht um eine Ich-Inventur, die das Erlöschen der Subjektivität gelassen hinnimmt. In der Perspektive der Todesgewissheit gibt es dennoch Anlass zur Freude: Es ist die Schönheit des Amselgesanges, die den Dichter überleben wird. Mit dieser poetischen Reflexion über den Tod, die nicht Verluste, sondern Momente der Ich-Erweiterung ins Zentrum stellt, hat Brecht selbst ein Lehrgedicht geschrieben.
S. URL.:
*
Zusatz:
„Von den Vorteilen der Amseln“ mochte B.B. sein Gedicht nicht nennen; da er sich materialistisch und atheistisch selber kein Weiterleben, keine Auferstehung oder ähnliche Erfindungen zugestand, wusste er natürlich, dass Amseln nicht an Sprache und poetischer Gestaltung und Kultur teil haben.
Seine eigene Dichtung, die hielt er für überlebenswert; wie die der literarischen Tradition, die er, ob in Liebe oder Distanz, wie kein anderer Dichter seiner Zeit vermittelte, nicht nur als Amselgesang.
Und 50 Jahre nach seinem Tod erlebte B.B. wieder mehr Beachtung. (Als Klassiker, nicht mehr als kommunistisch verschriener Provokateur in Ost-Berlin.)

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/523768/


 Literaturfreund antwortete am 31.07.06 (14:19):

Eugen Drewermann: Die Mauersegler

An einem regnerischen Nachmittag besuchte ich, mehr zufällig als absichtlich, die Schloßkirche in Bregenz. Auf dem menschenleeren Vorplatz, eingeschlossen in vier wuchtigen Blöcken, hoch auf einem Marmorsockel, erblickte ich das Kriegerdenkmal, das Bild des gefallenen Galliers, wie er, zu Boden gesunken, auf sein Schwert gestützt, sein Leben opfert in dem verlorenen Freiheitskampf seines Volkes. «Für unsere Helden 1914-1918». Alle waren sie aufgezählt, mit ihren Abteilungen und den Angaben der Orte, an denen sie fielen: die Somme, der Chemin de Dames, das Fort Douaumont, Ypern, Verdun, Cambral - die Westfront im Ersten Weltkrieg. Daneben die Namen all derer, die im Reservelazarett zu Bregenz ihren Verwundungen erlagen. Abseits, in Reihengräbern, die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Zwanzigjährige, Dreißigjährige, Angehörige der Waffen-SS ... Wofür sind sie gestorben?
Eine etwa siebzigjährige Frau kam unversehens auf mich zu. «Mein Mann ist vermißt. Wir waren damals erst fünfundzwanzig. Für die Vermißten bringt man keine Tafeln an. An die denkt niemand.»
Tränen traten in ihre Augen.
«Aber Sie denken an ihn, nicht wahr?» -
«Ich komme manchmal hierher. Ich habe länger als zwanzig Jahre auf ihn gewartet. Noch heute - wenn ich ihn am Ende der Straße sähe, ich würde, so schnell ich könnte, ihm entgegenlaufen. Aber es hat ja keinen Zweck mehr zu warten.»
«Sie meinen, er ist tot?»
Mit großen Augen schaute sie mich an.
«Tot? Nein, mein Mann ist nicht tot. Er lebt. Ich habe ihn nur zu lange in der Vergangenheit gesucht."
Ich nickte zustimmend. «Ich verstehe: Ihr Mann lebt, so lange wenigstens Sie an ihn denken. In Ihnen ...»
«Nein, junger Mann», entgegnete sie, «Sie verstehen nicht richtig. Auch ich werde bald sterben. Aber tot? Das kann ich nicht glauben. Ich denke an ihn, weil er lebt. Er ist mir näher als jeder Mensch hier. Er war all die Zeit bei mir, trotz meines Wartens; und oft rede ich mit ihm. Ich weiß nicht, was im Tode geschieht. Aber ganz bestimmt werde ich ihn wiedersehen. Das ist mein Halt und mein Trost. Wissen Sie, vor ein paar Jahren habe ich die Briefe fortgetan, die er mir aus dem Feld geschrieben hat. Ich kenne sie alle auswendig. Er hat den Krieg nie gewollt. 'Es ist unvorstellbar, was hier passiert', hat er noch aus Ostpreußen geschrieben. Er war nur mitgegangen, um die vielen Flüchtlinge zu schützen. Es dürfte keine Kriege geben. Es dürfte überhaupt keine Grenzen geben, die man zwischen den Völkern zieht. Wir sind doch alle nur Menschen. Eines Tages werden wir alle sterben. Und dann? Solange wir noch Kinder zu Soldaten erziehen, leben wir nicht richtig. jetzt hängen die Wolken sehr tief über Bregenz. Aber wenn die Sonne durchkommt, können Sie die schneebedeckten Gipfel von Vorarlberg sehen. Es gibt nur einen Himmel ohne Unterschiede. Und es gibt nur ein Leben. Sehen Sie, wie die Mauersegler den Kirchturm umfliegen? Sie sind gerade zurückgekehrt über Italien, Frankreich, Österreich, Deutschland bis hinauf nach Schweden und Norwegen. Sie sind immer dort, wo der Sommer ist. jetzt sind sie hier. Aber in ein paar Monaten schon werden sie wieder nach Süden fliegen, immer der Wärme der Sonne nach. Sie brauchen die Flugbahnen nicht zu lernen. In ihnen selbst liegt das Wissen, wie sie nach Hause gelangen. Alle Lebewesen tragen doch einen Kompaß in sich, der ihnen zeigt, was zu tun ist. Wir müßten nur dem folgen, was jeder in sich trägt - wie diese Mauersegler. Das wäre der Frieden. Der Himmel auf Erden.»

(Aus: E. D.: Von Tieren und Menschen. Moderne Fabeln. Zürich und Düsseldorf 1998. S. 125f.)

Zur URL.; kein Vogelschwarm..:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/gMjKazrgk


 Enigma antwortete am 31.07.06 (17:38):

Hallo Literaturfreund,

Deine beiden heutigen Beiträge finde ich sehr schön.

Etwas möchte ich auch beitragen:

Adler und Taube
Ein Adlersjüngling hob die Flügel
Nach Raub aus;
Ihn traf des Jägers Pfeil und schnitt
Der rechten Schwinge Sennkraft ab.
Er stürzt' hinab in einen Myrtenhain,
Fraß seinen Schmerz drei Tage lang
Und zuckt' an Qual
Drei lange, lange Nächte lang:
Zuletzt heilt ihn
Allgegenwärt'ger Balsam
Allheilender Natur.
Er schleicht aus dem Gebüsch hervor
Und reckt die Flügel. Ach!
Die Schwingkraft weggeschnitten!
Hebt sich mühsam kaum
Am Boden weg
Unwürd'gem Raubbedürfnis nach,
Und ruht tieftrauernd
Auf dem niedern Fels am Bach;
Er blickt zur Eich' hinauf,
Hinauf zum Himmel,
Und eine Träne füllt sein hohes Aug'.

Da kommt mutwillig durch die Myrtenäste
Dahergerauscht ein Taubenpaar,
Läßt sich herab und wandelt nickend
Über goldnen Sand am Bach
Und ruckt einander an;
Ihr rötlich Auge buhlt umher,
Erblickt den Innigtrauernden.
Der Tauber schwingt neugiergesellig sich
Zum nahen Busch und blickt
Mit Selbstgefälligkeit ihn freundlich an.
"Du trauerst", liebelt er:
"Sei guten Mutes, Freund!
Hast du zur ruhigen Glückseligkeit
Nicht alles hier?
Kannst du dich nicht des goldnen Zweiges freu'n,
Der vor des Tages Glut dich schützt?
Kannst du der Abendsonne Schein
Auf weichem Moos am Bache nicht
Die Brust entgegenheben?
Du wandelst durch der Blumen frischen Tau,
Pflückst aus dem Überfluß
Des Waldgebüsches dir
Gelegne Speise, letzest
Den leichten Durst am Silberquell
O Freund, das wahre Glück
Ist die Genügsamkeit,
Und die Genügsamkeit
Hat überall genug."
"O Weise!" sprach der Adler, und tief ernst
Versinkt er tiefer in sich selbst,
"O Weisheit ! Du redst wie eine Taube!"

Johann Wolfgang von Goethe

Das ist wahrscheinlich etwas biederer, aber dafür kann auch jeder, der den Link anklickt und Lautsprecher angeschlossen hat, die Stimme eines Adlers hören. :-)

Internet-Tipp: https://www.blog.de/srv/media/media_taggeditems.php?tag_ID=282&user_ID=16177


 Literaturfreund antwortete am 04.08.06 (19:36):

Aus Mörikes Vogel-Welt:

Eduard Mörike: Auf dem Krankenbette

Gleichwie ein Vogel am Fenster vorbei mit sonnebeglänztem
Flügel den blitzenden Schein wirft in ein schattig Gemach,
Also, mitten im Gram um verlorene Jahre des Siechbetts,
Überraschet und weckt leuchtende Hoffnung mich oft.
*

Auf den Tod eines Vogels

O Vogel, ist es aus mit dir?
Krank übergab ich dich Barmherzgen-Schwester-Händen,
Ob sie vielleicht noch dein Verhängnis wenden;
So war denn keine Hilfe hier?
Zwei Augen, schwarz als wie die deinen,
Sah ich mit deinem Blick sich einen,
Und gleich erlosch sein schönes Licht.
Hast du von ihnen Leids erfahren?
Wohlan, wenn sie dir tödlich waren,
So war dein Tod so bitter nicht!
**

Mörike hat sich ein Leben lang mit Tieren umgeben, denen der emotionale und soziale Einsichten andichtete.

URL.: … wie man Mörike verehren kann:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/CFyS1rjF


 Literaturfreund antwortete am 06.08.06 (23:15):

Carl Zuckmayer: Lob der Spatzen

Grau mit viel Braun und wenig weißen Federn,
Das Männchen auf der Brust mit schwarzem Fleck,
Sie leben unter Palmen, Fichten, Zedern,
Und auch in jedem Straßendreck.

In Ingolstadt und in der City Boston,
Am Hoek van Holland und am Goldnen Horn
Ist überall der Spatz auf seinem Posten
Und fürchtet nicht des Schöpfers Zorn.

Inmitten schwarzer Dschungeln von Fabriken
Und todgeladner Drähte kreuz und quer
Sieht man die Spatzen flattern, nisten, brüten, mausern, picken,
Als ob die Welt ein Schutzpark wär!

Es stört sie nicht der Lärm der Transmissionen
Und keineswegs das Tempo unsrer Zeit –
Sie leben (schnell und langsam) seit Äonen
Wo sie der Himmel hingeschneit.

Als Jesus über Gräser, Zweige, Blumen
Einritt, und alle Hosianna schrien,
Da pickt’ ein Spatz gemächlich gelbe Krumen
Aus dem noch warmen Mist der weißen Eselin.

Herr gib uns Kraft und Mut wie Deinen Spatzen,
Mach unser Leben ihrem Rinnstein gleich.
Dann mag wer will von edleren Tauben schwatzen,
Denn unser ist Dein gutes Erdenreich.
(C.Z.: „Abschied und Wiederkehr“. Fitabu.)

Ob „Zuck“ vom Sperling bei Einritt in Jerusalem weiß, ist mir nicht bekannt. Er erwähnt such nicht die verschiedenen Sperlinge in Palästina: den Haussperling (den wir auch am besten kennen), der Feldsperling, der Italiensperling, der Weidensperling und der Steinsperling
An zwei Stellen wird vom Sperling berichtete, der eine kleine Kostbarkeit zum Braten war: Mt 10;29,31; Lk 12;6,7.
Die Spatzen in dieser Ode sind eine Parteinahme „Zucks“ für die einfachen Menschen, die Arbeiter, die Tagelöhner, die auf den Einzug Jesus große Hoffnungen setzten.