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THEMA:   Hilde Domin ist tot

 8 Antwort(en).

marie2 begann die Diskussion am 23.02.06 (18:11) :

Heute verstarb Hilde Domin im Alter von 96 Jahren.

Mein Herze wir sind verreist
Für E.W.P.

Mein Herze
wir sind verreist
nach verschiedenen Weltteilen
Eurydike
meine Hand
deine Schulter berührend
Ich schreibe mit deinem Stift
ich möchte eintreten
durch diese großen Trichter
am Meer
in das Reich
in dem du gehst oder liegst
oder stehst
in dem du jetzt alles weißt
oder alles vergißt

Ich dein schneller dein zu langsamer
Weggefährte
Ich komme hinter dir her
"Langsamer" sagst du wie immer
"Sei langsam"

So sitze ich hier
hoch über dem Meer
blau grün fern
deinen Stift in der Hand

aus "Der Baum blüht trotzdem"


 Enigma antwortete am 24.02.06 (07:57):

Ein schönes Gedicht, auch zum Abschied.

Mir gefallen fast alle ihre Gedichte, u.a. dieses:


Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
in der äußersten Spitze des Zweigs.
Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehn.
Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere
Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.
Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet

nur eine Rose als Stütze

(Hilde Domin)


 mart antwortete am 24.02.06 (10:25):

Über ihr Leben sagte sie einmal:

"In dieser Situation gibt es nur zwei Möglichkeiten zu überleben - entweder man geht auf die Couch (Psychotherapie!)
oder man wird kreativ, um alles zu verarbeiten!"

Diesen letzten Weg hatte sie gewählt, daher stammen ihre herrlichen und tiefempfundenen Gedichte!

Das stammt aus einem der Threads, in denen Hilde Domin bereits oft angesprochen wurde.


 marie2 antwortete am 24.02.06 (11:04):

"So lange man noch Neugierde in sich hat und staunen kann, ist das Alter egal."
Ein wunderbarer Leitspruch von Hilde Domin. Dazu noch ein Gedicht aus ihrem letzten Gedichtband "Der Baum blüht trotzdem", S. Fischer Verlag:

Wunsch

Ich möchte von den Dingen die ich sehe
wie von dem Blitz
gespalten werden
Ich will nicht daß sie vorüberziehen
farblos bunte
sie schwimmen auf meiner Netzhaut
sie treiben vorbei
in die dunkle Stelle
am Ende der Erinnerung


 mart antwortete am 24.02.06 (11:37):

Heute gibt es zum Tod von H.Domin auf perlentaucher.de folgende direkt anklickbare Artikel:


Die Mutmacherin
(faz) - Zum Tode von Hilde Domin: Wenige Dichter sind von ihrem Publikum so geliebt worden wie sie, eine große Lyrikerin, die im Exil ihre zweite Geburt erlebte und in die Sprache zurückkehrte.Und Weitere Nachrufe von:
(tf) - Peter Mohr: Drei Arten von Mut.
(sp) - Daniel Haas: Nur eine Rose als Stütze.
(faz) - Marcel Reich-Ranicki: Ausserhalb jeder Regel.
(fr) - Michael Braun: Vertrauen, dieses schwerste ABC.
(bl) - Sabine Rohlf: Da stand ich auf und ging heim, in das Wort.
(welt) - Ulrich Weinzierl: Meine Worte sind Vögel mit Wurzeln: Ein langes Leben auf dem Trapez des Gefühls.

Dazu unteren Link aufrufen und unter Medienticker die Zeitungsartikel aufrufen.

Internet-Tipp: https://perlentaucher.de/artikel/2951.html


 maedel antwortete am 24.02.06 (13:30):

Ein Zitat von ihr:

"„Gestorben wird auch an blauen Tagen / bei jedem Wetter / Auch an blauen Tagen / bricht das Herz”

Im www fand ich ein Interview, das 1994 mit ihr in Heidelberg geführt wurde.

Internet-Tipp: https://www.ila-bonn.de/lebenswege/schicksaldomin.htm


 hl antwortete am 24.02.06 (19:13):

Hilde Domin


Du mußt mit dem Obstbaum reden.

Erfinde eine neue Sprache,
die Kirschblütensprache,
Apfelblütenworte,
rosa und weiße Worte,
die der Wind
lautlos
davonträgt.

Vertraue dich dem Obstbaum an
wenn dir ein Unrecht geschieht.

Lerne zu schweigen
in der rosa
und weißen Sprache.


 Enigma antwortete am 25.02.06 (07:44):

Schöne Beiträge über und von Hilde Domin.

Und noch einer:

Hilde Domin

Schöner

Schöner sind die Gedichte des Glücks.

Wie die Blüte schöner ist als der Stengel
der sie doch treibt
sind schöner die Gedichte des Glücks.

Wie der Vogel schöner ist als das Ei
wie es schön ist wenn Licht wird
ist schöner das Glück.

Und sind schöner die Gedichte
die ich nicht schreiben werde.


 kropka antwortete am 27.02.06 (23:59):


Ich gehe vorüber -
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume im Abend
auf einem Stückchen Papier.

Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.

Aus: "Nur eine Rose als Stütze"


..Sehr traurig über ihren Tod.
HILDE DOMIN wird bleiben – in unserem Gedächtnis,
in unserer Sprache, in unseren Herzen.