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THEMA: Gedichte Kapitel 37
102 Antwort(en).
hl
begann die Diskussion am 01.01.06 (12:23) :
Das Alter
Hoch mit den Wolken geht der Vögel Reise, Die Erde schläfert, kaum noch Astern prangen, Verstummt die Lieder, die so fröhlich klangen, Und trüber Winter deckt die weiten Kreise.
Die Wanduhr tickt, im Zimmer singet leise Waldvöglein noch, so du im Herbst gefangen. Ein Bilderbuch scheint alles, was vergangen, Du blätterst drin, geschützt vor Sturm und Eise.
So mild ist oft das Alter mir erschienen: Wart nur, bald taut es von den Dächern wieder, Und über Nacht hat sich die Luft gewendet.
Ans Fenster klopft ein Bot' mit frohen Mienen, Du trittst erstaunt heraus - und kehrst nicht wieder, Denn endlich kommt der Lenz, der nimmer endet.
Joseph von Eichendorff
Allen Poeten, Lyrikern und Lesern ein gutes neues Jahr!
Bald wird es Frühling :-))
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eleisa
antwortete am 01.01.06 (15:22):
Wie soll ich meine Seele halten, das sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie hinheben über dich zu andern Dingen? Ach gerne möchte ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkel unterbringen, an einer fremden Stelle, die nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen. Doch alles, was uns anrührt,dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Spieler hat uns in der Hand? O süßes Lied.
Rainer Maria Rilke
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hl
antwortete am 01.01.06 (18:40):
Gerade im web gefunden :-)
Zum neuen Jahr
Zum neuen Jahr ein neues Herze, ein frisches Blatt im Lebensbuch. Die alte Schuld sei ausgestrichen und ausgetilgt der alte Fluch.
Zum neuen Jahr ein neues Herze, ein frisches Blatt im Lebensbuch! Zum neuen Jahr ein neues Hoffen! Die Erde wird noch immer wieder grün.
Auch dieser März bringt Lerchenlieder. Auch dieser Mai bringt Rosen wieder. Auch dieses Jahr läßt Freuden blühn. Zum neuen Jahr ein neues Hoffen. Die Erde wird noch immer grün.
Karl von Gerok
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hl
antwortete am 01.01.06 (18:51):
Zum Autor: Gerok, Karl 1815–1890 Karl Friedrich Gerok Karl von Gerok [seit 1868] Schriftsteller, Theologe
https://www.dla-marbach.de/index.php?id=52819 und https://www.bautz.de/bbkl/g/gerok_k.shtml
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maedel
antwortete am 01.01.06 (19:15):
Was denken Tiere in der Neujahrsnacht?
Was denken in der Neujahrsnacht die Kater und die Katzen? Sie denken, dass im alten Jahr der Mausefang bescheiden war, und strecken in das neue Jahr begehrlich ihre Tatzen.
Was denken in der Neujahrsnacht die Pudel und die Möpse? Sie denken, dass nicht jeden Tag ein Knochen auf dem Teller lag, und wünschen für den Neujahrstag sich Leberwurst und Klopse.
Was denken in der Neujahrsnacht die Vögel hierzulande? Sie denken an die Storchenschar, die hier im Sommer fröhlich war und die nun wandelt, Paar um Paar, im warmen Wüstensande.
Was denken in der Neujahrsnacht die Knäblein und die Knaben? Sie denken, ob der Frost bald weicht und ob ein Mensch den Mond erreicht und ob sie nächstes Jahr vielleicht Schuhgröße vierzig haben.
Was denken in der Neujahrsnacht in aller Welt die Mädchen? Die Mädchen denken unentwegt und angeregt und aufgeregt an das, was man im Sommer trägt, ob Gretchen oder Kätzchen.
Was denken in der Neujahrsnacht die alten, alten Leute? Sie denken unterm weißen Haar, wie sonderbar das Leben war, und dass das Glück sie wunderbar geleitet hat bis heute.
(James Krüss)
Gefunden in einem Gedichtband, den mir vor langer Zeit eine Kollegin geschenkt hat.
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kropka
antwortete am 01.01.06 (20:45):
und.. was denkt eine Mutter in der Neujahrsnacht?..
Die Zeit, kleine Simone, da du mir bis zu Taille reichst, ist bald vorbei, das geht so schnell, schon reicht dein Staunen mir ans Herz. Der große Kampf steht dir bevor. Die Zeit, kleine Simone, scheint mir für ein paar Lehren reif, die Wahrheit will ich dir servieren, serviere du mir ein Glas Wein. So spricht sichs leichter, schenk mir ein.
Du wirst sehn, die Freunde sterben nie, die Kinder kennen kein Adieu, die Männer sind uns treu. Du wirst sehn, man lebt gut auf der Welt, der König zieht nicht mehr ins Feld, der Friede ist gemacht. Du wirst sehn..
Und dann, kleine Simone, bei uns wird nichts und niemand alt, die Krankheit hat keine Gewalt, der Tod ist nur ein Schwadroneur, der sich manchmal zu wichtig nimmt. Das Lachen und das Glück begegnen dir an jedem Tag, auch der Erfolg kommt Schlag auf Schlag, die Städte sind ein Paradies.
Die wehmutsvollen Frauen gibt es nur auf dem Aquarell, wer sollte weinen, wenn er weiß, dass ihn die Zärtlichkeit beschützt, dass man uns liebt und liebt und liebt. Ein Mann, kleine Simone,
der geht nicht unter wie ein Schiff, das schon die dümmsten Ratten fliehn, auf Männer, glaub mir, ist Verlass und jeder Abschied ist ein Spaß.
Du wirst sehn, die Häuser sterben nicht , die Ideen gehen nicht aus, das Herz, es steht nie still. du wirst sehn, wie die Freiheit regiert, wie das Böse verliert, du wirst leben und sehn, so wie ich. Die Zeit, kleine Simone, da du mir bis zu Taille reichst, ist bald vorbei, das geht so schnell, schon reicht dein Staunen mir ans Herz. Der große Kampf steht dir bevor. Die Zeit, kleine Simone, scheint mir für ein paar Lehren reif, die Wahrheit will ich dir servieren, und Lügen hörst du von mir nicht, nein, Lügen hörst du von mir nicht.
"Die Lehren einer Mutter an ihre Tochter"
Text: ANDRE HELLER aus: "Die Liebeslieder der Erika Pluhar" 1975
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lobelia
antwortete am 01.01.06 (22:18):
Und wieder ist ein Jahr zu Ende was ich als Anlas hier verwende um als Revue gewissermassen noch einmal es passier`n zu lassen
Zuerst war Frühling , schmolz der Schnee dem Winter sagten wir Ade und fasteten am vollen Tisch Karfreitag gab es Fisch
An Ostern läuteten Narzissen wir ruhten sanft auf Blumenkissen und haben Pfingsten durchgeochst ein paar Reformen durchgeboxt
und manche laue Juninacht mit Konferenzen zugebracht um dann, mit Sonnenbrand verseh`n dem Stress zwei Wochen zu entgehen
Ein Hoch auf diese Wetterkarte die bunze Presse offenbarte das Sommerloch enthält Ozon der Chef grüßte vom Pantheon
Der Herbst mit seinen gelben Mützen brachte uns Pflaumen mit und Pfützen und Abende mit Fußballspielen ddas Laub und auch die Preise fielen
Bis schließlich im Dezember dann auf einmal der Advent begann Die frohe Botschaft war erhellend der Umsatz sehr zufriedenstellend
Zum Fest gab`s ausnahmsweise Gans und Kinderaugenlichterglanz dazu ne wohltätige Spende und wieder geht ein Jahr zu Ende
Fides Trautmann-Schmidt
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Enigma
antwortete am 02.01.06 (08:19):
Jahresende
Verzweiflungsvoll, so geht das Jahr zu Ende; Zehn Tage lang der Himmel schwarz verhängt. Der Menschen Antlitz ward vom Frost zerrissen; Die Wagenräder sind vom Schnee bedrängt. Was mich betrifft: ich bin im Augenblicke Als einziger von Plagen unbeschwert. Des Morgens hab ich Reis in meiner Schale; Des Abends hab ich Holz im Küchenherd. Tief in der Kappe sind versenkt die Ohren, Warm in den schweren Pelz der Leib gehüllt. Und noch hinzu kommt dann der Wein im Becher, Der mir die Glieder stärkt wie Frühling mild. In Lo-yang ist, ob angesehn, ob nieder, Kein Haushalt mehr, der nicht im Elend steckt. An welchem Platz gäb es im Ofen Feuer, Und welcher Topf, der nicht von Staub bedeckt? Auf hundert Menschen kommt gewiss nicht einer, So satt wie ich, im wohlgeheizten Haus. Und weil ich dessen mich von Herzen schäme, Drück ich im Lied mein ganzes Fühlen aus. Po Chü-i (772-846)
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Enigma
antwortete am 04.01.06 (11:10):
Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration
Als er siebzig war und war gebrechlich drängte es den Lehrer doch nach Ruh denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu und er gürtete die Schuh.
Und er packte ein, was er so brauchte: wenig, doch es wurde dies und das So die Pfeife, die er abends immer rauchte und das Büchlein, das er immmer las Weißbrot nach dem Augenmaß
Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es als er ins Gebirg den Weg einschlug und sein Ochse freute sich des frischen Grases kauend, während er den Alten trug denn dem ging es schnell genug.
Doch am vierten Tag im Felsgesteine hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt "Kostbarkeiten zu verzollen?" - Keine und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: "Er hat gelehrt." Und so war auch das geklärt.
Doch der Mann in einer heitren Regung fragte noch: "Hat er was rausgekriegt?" Sprach der Knabe: "Daß das Wasser in Bewegung mit der Zeit den harten Stein besiegt. Du verstehst, das Harte unterliegt.
Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre trieb der Knabe wieder nun den Ochsen an. Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann und er schrie: "He Du! Halt an!
Was ist das mit diesem Wasser, Alter?" Hielt der Alte: "Intressiert es Dich?" Sprach der Mann: "Ich bin nur Zollverwalter. Doch wer wen besiegt, das intressiert auch mich. Wenn Du's weisst, dann sprich!
Schreib mir's auf! Diktier es diesem Kinde! So was nimmt man doch nicht mit sich fort. Da gibt's doch Papier bei uns und Tinte und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort. Nun, ist das ein Wort?"
Über seine Schulter sah der Alte auf den Mann: Flickjoppe, keine Schuh und die Stirne eine einzige Falte. Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu. Und er murmelte: "Auch Du?"
Eine höfliche Bitte abzuschlagen war der Alte, wie es schien, zu alt. Denn er sagte laut: "Die fragen, die verdienen Antwort." Sprach der Knabe: "Es wird auch schon kalt." "Gut, ein kleiner Aufenthalt."
Und von seinem Ochsen stieg der Weise sieben Tage schrieben sie zu zweit. Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise mit den Schmugglern in der ganzen Zeit.) Und dann war's soweit.
Und dem Zöllner händigte der Knabe eines Morgens einundachtzig Sprüche ein und mit Dank für eine kleine Reisegabe bogen sie um jene Föhre ins Gestein. Sagt jetzt: kann man höflicher sein?
Aber rühmen wir nicht nur den Weisen dessen Name auf dem Buche prangt. Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen darum sei der Zöllner auch bedankt. Er hat sie ihm abverlangt.
Bertolt Brecht
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hl
antwortete am 04.01.06 (18:44):
Boris Pasternak
In allem möchte ich zutiefst Den Kern ergründen, In Arbeit, Weg und Herzensnot Die Wahrheit finden.
Ich dringe in das Wesen ein Mit meiner Frage, Bis an die Wurzel, bis zum Quell Vergangner Tage.
Die Hand am Pulsschlag des Geschehns Möchte ich halten, Will lieben, denken, fühlen, sein, Neues gestalten.
Oh könnte es, wenn auch zum Teil, Mir nur gelingen, Die Wesenheit der Leidenschaft In Vers zu bringen.
Von Sünde gegen Pflicht und Norm, Von Jagd und hasten, Von schnellen Zufalls Augenblick, von Glut und Rasten.
Ihren Beginn und ihr Gesetz Würd ich erkennen Und müßte ihrer Namen Klang stets wieder nennen.
Wie einen Garten pflanz ich dann meine Gedichte, Dort werden Lindenbäume blühn Zur Schnur gerichtet.
In meinen Vers dringt Minzenduft Der Duft der Rose, Das Gras, das Ried, gemähtes Heu, Des Donners Tosen.
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hl
antwortete am 04.01.06 (18:46):
Boris Pasternak
Feste
Ich trink die Bitternis herbstlicher Tuberosen Von Himmeln, die in Deiner Untreu flammen, Von Abenden und Nächten, wildes Tosen Der Volksaufläufe trink ich, Liederstammeln
Aus dumpfen Arbeitsstätten leere Dünste Sind wir,des guten Werkstücks ärgster Feind. Der scharfe Westwind - Mundschenk eitler Wünsche, Die als ein Trinkspruch in die Nacht er weint.
Ihr, Erblichkeit und Tod, seid Tischgenossen! Im Abendrot, dieweil die Wipfel glühn, Durchwühlt der Anapäst die Zuckerdose Und Aschenbrödel muss ihr Kleid umziehn.
Kein Krumen mehr am Tischtuch, frisch die Dielen, Still spricht der Vers wie leiser Kinderkuß. Im Glück kann Aschenbrödel in der Kutsche fliehen, Doch ist der letzte Heller fort, läuft sie zu Fuß.
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Enigma
antwortete am 05.01.06 (07:52):
Van Gogh geht zur Arbeit
Van Gogh geht zur Arbeit auf steiler abschüssiger Bahn. Der Boden brennt ihm unter den Füßen in kühler Dunkelheit. Eine immer schneller sich bewegende Lavamasse sein Wohnort. Feuerball, flüssige Sonne. Nicht anhalten, weiter. Von einem Fuß auf den andern. Nicht stehen- sitzen- liegenbleiben. Alles versengt. Ein Skifahrer bei der Abfahrt auf rotglühender Piste. Zur Arbeit. Und immer entlang dieser schwarzen Luft in die er eingehen wird – als Rauch – nach getaner Arbeit. Oder eher. Weiter. Zur Arbeit. Nichts anderes geht mehr. Schon das leichteste Feldbett würde in der kreisenden Hitze versinken und sich spurlos verflüssigen. Wirklich. Seine Glieder dürfen nie wieder weich werden. Nie mehr darf er sich hinlegen. Nie eine einzige Ruhe finden. Es ist kein Licht. Neben dem Glutstrom nichts als uferlose Kaltluft. Wer wirft denn den verkrüppelten Schatten hinter und unter ihn. Oder kommt er schon ins Rutschen. Ist dies schon die Sengspur des sich ankündenden Sturzes. Geh schneller, van Gogh, zur Arbeit. Lauf. Es ist vielleicht gerade noch Zeit zwischen Vereisen und Verglühen. Kein Zweifel, er wird sich ums Leben laufen bei diesen Arbeitsbedingungen. Noch ein paar Bilder kopfüber mit dem Flammenwerfer gemalt immer noch einmal gegen die letzte Mauer, die Leinwand. Sein Gepäck will nicht leichter werden. Er müßte sich selber durchbrennen wie ein Blutvergießer sich hinfeuern mit Haut und Haar. Dann – es ist schon passiert – geht ein dunkles, in alle Richtungen sich
dehnendes Blau das sommerliche Bewölkung nur teilweise abdeckt mit gelbgrünen Feldern und Wiesen ihm auf bis zum Horizont. Aus diesem Bild kommt keiner mehr lebend heraus. Bis in die Mitte muß er gehen sich einwühlen, an der Faltachse aufschlagen oder sich zerquetschen in der plötzlichen Enge. Die Erde reicht zu hoch, der Himmel zu tief. Er sieht die Wolkenschweife noch hektisch das Bild fliehen das stärkste Blau immer hohler werden. Er müßte hindurch. Ganz vorn noch und winzig schon im Rücken die Ansammlung roter Blumenköpfe. Wie ein Fangeisen schlägt es über ihm zusammen. Er ist zu weit gegangen. Van Gogh ist tot. Bei der Arbeit gestorben. Sein Rauch steigt auf in die Kaltluft. Sein Krüppelschatten kreist weiter auf unendlicher Umlaufbahn.
Anne Duden
Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Anne_Duden
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kropka
antwortete am 06.01.06 (23:10):
Späte Zeit, Dämmerung. Stunde, die Hoffnung, Trauer und Asche trägt. Atemholen. Einsam sein. Herbst der Gedanken und letzte Zuflucht für mich: Abendland, ich achte und verachte dich, Abendland.
Abendland, nicht meine Müdigkeit, sondern die Sehnsucht nach Träumen lässt mich Schlaf suchen. Die bestürzende Möglichkeit der Verwandlung meiner Figur in andere Figuren und Schauplätze: in den von der Vogelweide, Cervantes, Apollinaire und James Joyce.
Kinderkreuzzüge, Scheiterhaufen, Guillotinen, Kolonien der Ehrlosigkeit, in Hurenböcke auf Heiligem Stuhl, Expeditionen an den Saum des Bewusstseins, Bankrott der guten Vorsätze, Kongresse der zynischen Lachmeister, Marc Aurels "Astronomie der Besinnung", die Sturmtaufen Vasco da Gamas, Leonardos Spiegelschrift, Gaudis Anarchie der Gebäude. In Pablo Ruiz Picasso, der die Wünsche beim Schwanz packte.
Den Aufstand im Warschauer Ghetto, die großen Pogrome Armeniens und Spaniens, Parsival, Hamlet, Woyzeck, Raskolnikow, die Blumen des Bösen, de Sade, Hanswurst und den "Mann ohne Eigenschaften".
Abendland, Abendland, wir sind aus dir geboren, wir fahren auf deinem Narrenschiff dem Abschied entgegen.
Die Frau, bei der ich Kind war, lehrte mich beten. Worte, die älter waren als die Haut an ihrem Hals. Worte der Demut und Anmaßung. Jetzt, mit meiner Angst, die schon von jeher so zum Lachen war, will ich diese Worte sprechen, wie damals vor vielen, vielen Jahren, als ich das erste Mal begriff, daß wir nicht an der Fähigkeit zu sterben, sonder an der Unfähigkeit zu leben zugrunde gehen:
Herr gib, dass ich Liebe gebe, wo Haß ist, daß ich verzeihe, wo Schuld ist, vereine, wo Zwietracht herrscht,
nicht um getröstet zu werden, sondern um zu trösten, nicht um verstanden zu werden, sondern um zu verstehen, nicht um geliebt zu werden, sondern um zu lieben.
Nur dies ist wichtig.
Denn, da wir geben, empfangen wir, da wir uns selbst vergessen, finden wir, da wir verzeihen, erhalten wir Vergebung, da wir sterben, gehen wir in das neue Leben.
Späte Zeit, Dämmerung. Stunde, die Hoffnung, Trauer und Asche trägt. Atemholen. Einsam sein. Herbst der Gedanken und letzte Zuflucht für mich. Abendland, ich achte und verachte dich, Abendland.
"Abendland"
Text: ANDRE HELLER aus: "Ruf und Echo"
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Enigma
antwortete am 07.01.06 (07:24):
Die alten Geliebten Die alten Geliebten, mit denen ich lag, gestorben, verschollen, vergessen vor Tag, sie sind nun auf einmal mir nahe bei Nacht, als hätt ich mit ihnen nicht Schluß längst gemacht. Die erste war schüchtern und kindlich und mild, die zweite war stolz und war schön wie ein Bild; ich konnte sie beide nicht richtig verstehn, drum lassen so oft sie bei Nacht sich nun sehn. Die dritte war Freundin für Weinland und Flur, die vierte gab Lust mir wie nie eine Hur; sie gingen von mir, als sich wandte mein Glück, drum kommen im Elend zu mir sie zurück. Ich sag, was ich alles zu sagen vergaß, ich rieche das Sofa und rieche das Gras; ich liege mit ihnen, wie niemals ich lag; bald wird es stets Nacht sein und niemals mehr Tag.
Theodor Kramer Aus: Laß still bei dir mich liegen. Liebesgedichte
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maedel
antwortete am 07.01.06 (09:22):
Zum Wochenende etwas von Heinz Ehrhardt:
Gedanken am Samstagabend
Im Wasser schwimmt der Gummischwamm, denn heut ist Samstag, und ich bade. Zwei Zähne fehlen mir am Kamm, es duftet laut nach Haarpomade.
Das Waser tropft ins Abflußrohr, der Stöpsel scheint nicht gut zu schließen. Ich habe Seife in dem Ohr und Hühneraugen an den Füßen.
Das Wasser ist schon stark getrübt, und mühsam wälzen sich die Fluten. Ich bin seit vorgestern verliebt, da hilft kein Blasen und kein Tuten.
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kropka
antwortete am 07.01.06 (13:29):
guten morgen, ihr lieben! ;)
Einschlaf und Aufwachelied
Schlaf ein, mein Lieb, sonst ist die Nacht Vorbei und hat uns nichts gebracht Als wirre irre Fragen Gib mir dein' Arm und noch ein' Kuss Ich muß ja durch den Schlafefluß Und will dich rüber tragen
Wach auf, mein Lieb, du schläfst ja noch! Komm aus den dunklen Träumen hoch Und freu dich an uns beiden! Die Sonne hat längst dein Gesicht Gestreichelt, und du merkst das nicht - das mag ich an dir leiden.
WOLF BIERMANN
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kropka
antwortete am 07.01.06 (13:32):
Zwei Wünsche.
Ach, zwei Wünsche wünscht' ich immer Leider immer noch vergebens. Und doch sind's die innig-frommsten, Schönsten meines ganzes Lebens! Daß ich alle, alle Menschen Könnt' mit gleicher Lieb' umfassen, Und daß Ein'ge ich von ihnen Morgen dürfte hängen lassen.
Adolf Glaßbrenner (1810-1876)
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kropka
antwortete am 07.01.06 (13:42):
Die Wahren Abenteuer Sind Im Kopf
Ich wär ein schlechter Kapitän, die Meridiane sind mein Handwerk nicht. Und trommelte auch der Regen in den Tropen Neuguineas die Mangoblätter wund, es heißt, am Ende aller Reisen weiß man doch wiederum die Erde rund.
Und Abendstern und Kleiner Bär sind Feuer in der schwarzen Wiese über meinem Haus.
Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo. Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.
Der Maskenhändler mit der Blutmaschine, der Detektiv der kühlen Worte, das Saltorückwärts-Kind mit Bakelitperücke, die Schmerzensdienerin des Hokusei, Sie alle sind in meinem Kopf, und sind sie nicht in meinem Kopf, dann sind sie nirgendwo. Sie alle sind in meinem Kopf, und sind sie nicht in meinem Kopf, dann sind sie nirgendwo.
Im Jahr der Insekten, dem Dreimonatsjahr, gleitet von Ferne in der Nähe, bizarre, gefräßige Architektur aus Stachel und Zange, Schere und Lärm und stielt die Schatten aus den Zweigen und dringt in den Traum des Soldaten. Und die kleinen Gebärden der Hasardeure werden wie Segel eingeholt.
Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in meinem Kopf, und sind sie nicht in meinem Kopf, dann sind sie nirgendwo.
Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in deinem Kopf, und sind sie nicht in deinem Kopf, dann suche sie. Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in euren Köpfen, und sind sie nicht in euren Köpfen, dann suchet sie.
Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit trägt wirklich ein Forellenkleid und dreht sich stumm, und dreht sich stumm nach anderen Wirklichkeiten um.
ANDRE HELLER
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Enigma
antwortete am 08.01.06 (20:19):
Günter Kunert Gedicht zum Gedicht
Mehr als ein Gedicht ist beispielsweise: Kein Gedicht, denn das Nichtgedicht lebt als sanfte Lauheit der Inspiration: Umweltgefühl des Tropfens im Wasser. Der Leib fühlt sich geborgen. Das Herz fühlt nichts. Die Waage ist ausgeglichen. Das Lot hängt still. Gedicht ist Zustand, den das Gedicht zerstört, indem es aus sich selber hervortritt.
https://www.radiobremen.de/online/kunert/
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hl
antwortete am 09.01.06 (18:41):
fortschritt
damals noch gab ich mich wünschen hin wie blumen die nie welken in einem licht, das nichts verbirgt.
doch gab ich mich dann küssen hin so kurz nur blühend wie gepflückter mohn und wörtern die so feurig wie ein streichholz leuchten.
ich muß heut voller wehmut daran denken, weil ich gerad herunterschrubb' den staub von meinen träumen plastikrosengleich im schein der neonröhre.
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es sah aus wie liebe
es hörte sich an wie liebe
es schmeckte wie liebe
und vertrömte den verführerischen geruch von ewigkeit.
es offenbarte sich als sintflut - was auch immer es war.
seitdem bin ich schon meilenweit nach osten getrieben
Natalia Domagala in "bitte 4cl von deiner liebe für meinen tee" Tenea Verlag, Berlin 2005 ISBN 3-86504-134-5
Eine phantastische Sprache!
Internet-Tipp: /seniorentreff/de/09DkkavZy
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kropka
antwortete am 11.01.06 (21:02):
Die Luft riecht schon nach Schnee, mein Geliebter Trägt langes Haar, ach der Winter, der Winter der uns Eng zusammenwirft steht vor der Tür, kommt Mit dem Windhundgespann. Eisblumen Streut er ans Fenster, die Kohlen glühen im Herd, und Du Schönster Schneeweißer legst mir deinen Kopf in den Schoß Ich sage das ist Der Schlitten der nicht mehr hält, Schnee fällt uns Mitten ins Herz, er glüht Auf den Aschekübeln im Hof Darling flüstert die Amsel
Sarah Kirsch (geb. 1935)
https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/453673/
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Enigma
antwortete am 12.01.06 (07:51):
Elegie Ich bin der schöne Vogel Phönix Schüttle mich am Morgen, sage Pfeif drauf! bekomme sie, meine Seele Gänseblümchenweiss Ich bin Der schöne Vogel Phönix Aber durch das Flieg ich nicht wieder
Sarah Kirsch
Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/k/kirsch_s.htm
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kropka
antwortete am 12.01.06 (15:35):
Anrede
Ich bin der Wind das Spinnenschrittchen auf dein Schönroten Mund
Sarah Kirsch
Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/kirsch.htm
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Enigma
antwortete am 13.01.06 (14:00):
dableibt
liebe ist das was dableibt die, auch wenn das tauschgeschäft schief liegt, dableibt gelegentlich flieht liebe aus dem offenen fenster flieht den vielen worten liebe lebt auf dem saturn wenn jemand sagt: was hab ich davon in der stille kehrt sie zurück und deine schritte sind wieder schritte in der welt deine augen nicht mehr sortiermaschine, feinde nur armen würstchen, freunde getreide und knisternde küche liebe mag das turnen auf laken, gleichermaßen den zögernden und den kräftigen griff, liebe verschlampt den abwasch Udo Tiffert (*1963) * der Autor schreibt Lyrik, Geschichten und Kabarett-Texte, lebt in der Oberlausitz und Berlin. Zuletzt erschien: "Die Geschichten 2002-2005", August 2005 © beim Autor. https://www.udotiffert.de
Aber er hat es mir erlaubt, das Gedicht hier einzustellen. :-)
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Literaturfreund
antwortete am 16.01.06 (11:32):
Damit die schöne Spur wichtiger Gedicht nicht verloren geht: Wer schrieb denn dieses a k t u e l l e Gedicht…?
EINE FRAGE:
Da stehn die Werkmeister – Mann für Mann. Der Direktor spricht und sieht sie an: "Was heißt hier Gewerkschaft! Was heißt hier Beschwerden! Es muß viel mehr gearbeitet werden! Produktionssteigerung! Daß die Räder sich drehn!" Eine einzige kleine Frage: Für wen?
Ihr sagt: die Maschinen müssen laufen. Wer soll sich eure Waren denn kaufen? Eure Angestellten? Denen habt ihr bis jetzt das Gehalt, wo ihr konntet, heruntergesetzt. Und die Waren sind im Süden und Norden deshalb auch nicht billiger geworden. Und immer noch sollen die Räder sich drehn … Für wen?
Für wen die Plakate und die Reklamen? Für wen die Autos und Bilderrahmen? Für wen die Krawatten? die gläsernen Schalen? Eure Arbeiter können das nicht bezahlen. Etwa die der andern? Für solche Fälle habt ihr doch eure Trusts und Kartelle! Ihr sagt: die Wirtschaft müsse bestehn. Eine schöne Wirtschaft! Für wen? Für wen?
Das laufende Band, das sich weiterschiebt, liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt. Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug sacht eure eigne Kundschaft kaputt gemacht. Denn Deutschland besteht – Millionäre sind selten – aus Arbeitern und aus Angestellten! Und eure Bilanz zeigt mit einem Male einen Saldo mortale.
Während Millionen stempeln gehn. Die wissen, für wen.
Unter Angabe des Pseudonyms Theobald Tiger (Ersterscheinung: Die Weltbühne, 27. Januar 1931, Nr. 4, S. 123)
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Marina
antwortete am 16.01.06 (11:42):
Das ist Tucholsky und weiterhin oder wieder hoch aktuell, sogar aktueller denn je, fast beängstigend. Wiederholt sich Geschichte vielleicht doch?
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Literaturfreund
antwortete am 16.01.06 (15:23):
Ja... - Tucholsky ist jetzt ein nachdruckfreier Autor; vor 70 Jahren verstorben. Es erscheinen jetzt viele Texte von ihm im Internet.
Die freie Wirtschaft
Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen. Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen. Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen. Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen. Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein, wir wollen freie Wirtschaftler sein! Fort die Gruppen – sei unser Panier! Na, ihr nicht. Aber wir.
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen, keine Renten und keine Versicherungen. Ihr solltet euch allesamt was schämen, von dem armen Staat noch Geld zu nehmen! Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn - wollt ihr wohl auseinandergehn! Keine Kartelle in unserm Revier! Ihr nicht. Aber wir. Wir bilden bis in die weiteste Ferne Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne. Wir stehen neben den Hochofenflammen in Interessengemeinschaften fest zusammen. Wir diktieren die Preise und die Verträge - kein Schutzgesetz sei uns im Wege. Gut organisiert sitzen wir hier … Ihr nicht. Aber wir.
Was ihr macht, ist Marxismus. Nieder damit! Wir erobern die Macht, Schritt für Schritt. Niemand stört uns. In guter Ruh sehn Regierungssozialisten zu. Wir wollen euch einzeln. An die Gewehre! Das ist die neuste Wirtschaftslehre. Die Forderung ist noch nicht verkündet, die ein deutscher Professor uns nicht begründet. In Betrieben wirken für unsere Idee die Offiziere der alten Armee, die Stahlhelmleute, Hitlergarden … Ihr, in Kellern und in Mansarden, merkt ihr nicht, was mit euch gespielt wird? mit wessen Schweiß der Gewinn erzielt wird? Komme, was da kommen mag. Es kommt der Tag, da ruft der Arbeitspionier: "Ihr nicht. Aber Wir. Wir. Wir."
(Unter „Theobald Tiger“; zuerst in „Die Weltbühne“. 4. März 1930, Nr. 10, S. 351. * Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. 1930. 2003. S. 80f.
Internet-Tipp: https://www.sudelblog.de
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Enigma
antwortete am 18.01.06 (08:20):
Ono no Komachi (9. Jh.)
Seit ich im Schlaf
Seit ich im Schlaf den Mann gesehen, den ich von Herzen liebe, seit dieser Zeit erst liebe ich der Träume bunte Falter.
https://www.deutsche-liebeslyrik.de/landschaft/landschaft19.htm
Es lohnt sich auch, die Homepage des Malers zu besuchen - she. Internet-Tipp!
Internet-Tipp: https://lars.rhea.tacotec.de/index.php
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mmargarete01
antwortete am 18.01.06 (15:03):
Der rauhe Gesell
Ruhelos zieht der rauhe Gesell über Wiesen und Felder. Unbarmherzig schlägt er zu und streift noch die Wälder. Kristalle gehen ihm nie aus. schmeißt mit Schnee zu hauf. Der rauhe Gesell pustet alles an, Eisblumen malt er so gut er kann. Im Eisschloss zieht er sich zurück, wenn das Frühjahr Menschen beglückt.
© Margret Nottebrock
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kropka
antwortete am 18.01.06 (23:34):
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nachts, wenn die gesichter sich dehnen, uns die träume verschlucken, klackern die absätze des mondes die treppe herauf.
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dein herz, mutter – mit cremefarbenen wänden den vielen durchgangszimmern mit den zehnfarbigen fenstern so offen die türen. dein herz, mutter – hoch oben zwischen den wolken im letzten stock ohne fahrstuhl.
Natalia Domagala "bitte 4 cl von deiner liebe für meinen tee 113(Liebes-)Gedichte" TENEA Verlag, Berlin 2005
Internet-Tipp: https://www.tenea-verlag.de/verlagsprogramm/index.php?autor_ID=261
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mmargarete01
antwortete am 19.01.06 (10:46):
Noch einmal dein Lächeln sehen
Zeig mir noch einmal dein Lächeln, ich weiß dass du für immer gehst. Meine Trauer werde ich nicht zeigen, auch keine Tränen um dich weinen. Dein Lächeln soll mir im Herzen bleiben.
© Margret Nottebrock
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Enigma
antwortete am 19.01.06 (18:03):
Die Sesshaften Oft beunruhigt sie das Glück, sesshaft geworden zu sein. Sie planen Umzüge, Reisen, wechseln das Stammlokal, wechseln die Stellung, den Standpunkt, die Frau. Sie träumen von fremden Ländern und hoffen, in anderen Räumen verändert zu erwachen. Sie suchen den neuen Spiegel für ihr altes Gesicht und sehnen sich manchmal nach Feuersbrünsten, ohne versichert zu sein.
Wolfgang Bächler
Internet-Tipp: https://www.titel-forum.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=3415
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kropka
antwortete am 20.01.06 (23:26):
"An einen Ratsuchenden"
Aromatherapie, Eheberatung, Diät oder Mensch ärgere dich nicht spielen, an der Pforte des Trappistenklosters läuten und ein neues Leben anfangen,
das ist auch keine Lösung. Das Zweitstudium hast du hinter dir, und in Tibet warst du auch schon einmal. Einmal ist keinmal, glaubst du. Nur zu, alter Esel! Uns aber bleibst du bitte vom Leib mit deinem Gewinsel. Auf so einen wie dich können wir nämlich verzichten.
AN EINEN RATSUCHENDEN Von Hans Magnus Enzensberger
(Die Geschichte der Wolken. Suhrkamp Verlag Frankfurt 2004)
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Enigma
antwortete am 21.01.06 (12:41):
Freiheit
Ich kann dich lieben oder hassen – Ganz wie du willst. (Kann dich auch lassen.) Und du kannst schweigen oder sprechen. Ganz wie du willst. Daran zerbrechen Werd ich nicht mehr. (Ich kann auch gehn.) Ganz wie ich will, wird es geschehn.
Eva Strittmatter
Internet-Tipp: https://www.mdr.de/doku/archiv/kultur/232389.html
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kropka
antwortete am 21.01.06 (14:28):
WENN DU SAGST
Weine nicht im Brief schreib nicht das Schicksal hätte dir einen Tritt versetzt es gibt auf Erden keine Situationen ohne Ausweg wenn Gott die Tür schließt-öffnet er ein Fenster
erhol dich schau hin von den Wolken fallen kleine große Unglücksfälle nötig für das Glück und lerne die Ruhe von den gewöhnlichen Dingen und vergiß dass du bist wenn du sagst ich liebe
Jan Twardowski 1.06.1915 - 18.01.2006
Übertragen von Karl Dedecius
Internet-Tipp: https://www.welt.de/data/2006/01/20/833618.html
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Enigma
antwortete am 21.01.06 (19:49):
Heimatlos Und stelltest du einst mir, die sich Heimatlose nennt, die sanfte Frage, welch Bild ich in mir trage, von dem, was ihr Heimat nennt, so sagte ich: ein Turm vielleicht, umwachsen von den dunklen Ranken eines Efeus nein, besser noch, ein Mühlenhaus, in dessen Flügeln des Gewerks der Singsang niemals ruht zu künden vom ewigen Gebet des Windes, der Meister ist des Tanzes und der Zeit. Glückseligkeit, fänd meinen Platz ich einst auf einer Insel oder auch inmitten jenes Bergs, der Nabel meines kleinen Kindheitsdorfes war … Doch denk ich nach mit allem Ernst, der meinem Sehnen zu Gebote steht, so sei's mir doch am liebsten eins dieser buntgeschmückten Zelte am Feuer eines Karawan-Serails, das Schutz gewährt dem Ruhelosen, der von den Träumen lebt, wie unsereins vom Brot der unerfüllten Hoffnung. Und erst zuletzt, nach mannigfacher Irreführung deines Anteilnehmens, gestände ich dir ein, dass jeder Platz mir Heimat wäre, den du in deinem Herzen mir gewährst. Penny McLean
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kropka
antwortete am 22.01.06 (14:23):
Noch ist Raum für ein Gedicht
Noch ist das Gedicht ein Raum wo man atmen kann
Rose Ausländer
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Enigma
antwortete am 23.01.06 (08:59):
Und mich Wenn du willst nehme ich alles zurück meine Tränen fließen mir in die Augen mein Lachen flieht hinter meine Lippen scheuen vor deinen zurück hast du alles genommen was will ich mehr als alles zurück. Alle hastigen Züge zu dir fahre ich zurück durch die platten Wiesen kaum Mai. Jede Ankunft bei dir ein Abschied mehr. Jedes Wort schlag ich mir in die Kehle zurück nehm ich alles was du nicht willst und mich. Ulla Hahn
Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/hahnulla.htm
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polykrit
antwortete am 23.01.06 (17:21):
GAR NICHT AUSZUDENKEN
Heil-, kopf-, geist- und ahnungslos bleibt der Mensch ein Fleischklops bloß.
Nur, den Führern, welche Pein, geht er immer auf den Leim. Folglich muss er sich beim Denken hoffnungslos auf sich beschränken. Ist er davon überzeugt, bleibt sein Denken ICH-gebeugt. Rela- sowie subjektiv denkt der Mensch im Kollektiv, von der Wiege bis zur Bahre, dass er eine Meinung habe, über alles was geschieht.
Wenn er blind ins Abseits flieht, wo die „Ismen“ auf ihn warten, hat er wieder schlechte Karten, da erneut er denken lässt. Zwischen Cholera und Pest wählt natürlich niemand gerne. Also stehen seine Sterne schlecht bis absolut verquer für die Zukunft. Denn das Heer derer, die den Bauch verschmähen, für das Absolut-Verstehen, wächst rapide weiter an. Also denke stets daran:
Heil-, kopf-, geist- und ahnungslos bleibt der Mensch ein Fleischklops bloß!
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kropka
antwortete am 23.01.06 (19:58):
Fink und Frosch
Wenn einer, der mit Mühe kaum Geklettert ist auf einen Baum, Schon meint, daß er ein Vogel wär, So irrt sich der.
Wilhelm Busch
Ein Kurzgedicht, das Bände spricht ;-))
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Enigma
antwortete am 24.01.06 (08:17):
Da ich aus dem Ruhrgebiet komme, möchte ich mal einen Songtext der "Misfits" hier einstellen, die vielleicht einigen bekannt sind, sich aber inzwischen getrennt haben. Die beiden Frauen verfolgen nun eine Solokarriere. Frau Jahnke hat mir sehr nett die Erlaubnis erteilt, den Text hier einzustellen.
missfits ihr oberhausen
die wurst auffem grill am rhein-herne-kanal oder pommes rot-weiß auffer hand, ganz egal , kannse samstach abend ein bierchen trinken, und zwischendurch mal nem schiffchen winken wer is schon so blöde, spazieren zu gehn, wenn bei ebbe anner emscher die winde wehn stehse auffem gasometer im sturmesbrausen und alles, watte siehst, is oberhausen
die neue mitte der stadt is ein kaufparadies, doch wat willse dir holen mit so wenig kies früher fuhrse nach venlo, um kaffee zu kriegen, heute siehse im centro die holländer fliegen wat soll dat, dat macht nix, dat stecken wir weg genau wie die zechen, die kohle, den dreck lieber auffem gasometer im sturmesbrausen und alles, watte siehst, is oberhausen
zehntausend plätze, um bier zu konsumieren und jede menge büsche, sein herz zu verlieren, am sonntag im kaisergarten sich küssen, bei den hängebauchschweinen tiger vermissen andere städte haben auch einen zoo, aber so wie bei uns issat nirgendwo, (nirgendwohooooo), lieber auffem gasometer im sturmesbrausen und alles, watte siehst, is oberhausen
wenn die sonne versinkt über der A 3 is der rest der welt dir total einerlei alle spielense fussball, aber keiner kommt weiter als bis kurz vor der liga, als ewiger zweiter, und dann stehse anner ecke, anner bude, mit ner fluppe münchen und hamburg sind dir völlig schnuppe lieber auffem gasometer im sturmesbrausen und alles, watte siehst, is oberhausen
und wennze mich fragst, wat soll ich noch hier, dann komm doch ma gucken, dann zeig ich et dir kommse auffen gasometer im sturmesbrausen und alles, watte wills, is ......oberhausen
Musik: Manfred Miketta Text: Gerburg Jahnke/Stephanie Überall Verlag ROOF Musik GmbH, Bochum
Internet-Tipp: https://www.fraujahnke.de
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Enigma
antwortete am 24.01.06 (09:33):
...Sorry, da habe ich doch tatsächlich die Missfits nur mit einem "s" geschrieben. Zur Strafe noch ein Hinweis auf Stephanie Überall, der Zweiten des ehemaligen Duos. :-))
https://www.missfits.de/uberall.html
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kropka
antwortete am 24.01.06 (23:47):
Abschied von der Junggesellenzeit
Agathe, wackel nicht mehr mit dem Busen! Die letzten roten Astern trag herbei! Laß die Verführungskünste bunter Blusen, Das Zwinkern laß, den kleinen Wohllustschrei... Nicht mehr für dich foxtrotten meine Musen - Vorbei - vorbei - Es schminkt sich ab der Junggesellenmime: Leb wohl! Ich nehm mir eine Legitime!
Leb, Magdalene, wohl! Du konntest packen, Wenn du mich mochtest, bis ich grün und blau. Geliebtendämmerung. Der Mond der weißen Backen Verdämmert sacht. Jetzt hab ich eine Frau. Leb, Lotte, wohl! Dein kleiner fester Nacken Ruht itzt in einem andern Liebesbau... Lebt alle wohl! Muß ich von Kindern lesen: Ich schwör sie ab. Ich bin es nicht gewesen.
Nur eine bleibt mir noch in Ehezeiten - In dieser Hinsicht ist die Gattin blind -, Dein denk ich noch in allen Landespleiten: Germania! Gutes, dickes, dummes Kind! Wir lieben uns und maulen und wir streiten Und sind uns doch au fond recht wohlgesinnt... Schlaf nicht bei den Soldaten! Das setzt Hiebe! Komm, bleib bei uns! Du meine alte Liebe - !
Kurt Tucholsky
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Enigma
antwortete am 25.01.06 (07:39):
Der Bauer nach geendigtem Prozeß
Gottlob, daß ich ein Bauer bin Und nicht ein Advokat, Der alle Tage seinen Sinn Auf Zank und Streiten hat. Und wenn er noch so ehrlich ist, Wie sie nicht alle sind, Fahr ich doch lieber meinen M... In Regen und in Wind. Denn davon wächst die Saat herfür, Ohn Hilfe des Gerichts; Aus nichts wird etwas denn bei mir, Bei ihm aus etwas nichts. Gottlob, daß ich ein Bauer bin, Und nicht ein Advokat! Und fahr ich wieder zu ihm hin, So breche mir das Rad!
Matthias Claudius
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kropka
antwortete am 25.01.06 (10:25):
EHEKRACH ...
"Ja!" "Nein!" "Wer ist schuld?" "Du!" "Himmeldonnerwetter, laß mich in Ruh!" "Du hast Tante Klara vorgeschlagen! Du läßt Dir von keinem Menschen was sagen! Du hast immer solche Rosinen! Du willst bloß, ich soll verdienen, verdienen - Du hörst nie. Ich red Dir gut zu ... Wer ist schuld? "Du." "Nein." "Ja."
"Wer hat den Kindern das Rodeln verboten? Wer schimpft den ganzen Tag nach Noten? Wessen Hemden muß ich stopfen und plätten? Wem passen wieder nicht die Betten? Wen muß man vorn und hinten bedienen? Wer dreht sich um nach allen Blondinen? "Du - !" "Nein." "Ja." "Wem ich das erzähle...! "Ob mir das einer glaubt - und überhaupt!" "Und überhaupt!" "Und überhaupt!"
Ihr meint kein Wort von dem, was ihr sagt: Ihr wißt nicht, was Euch beide plagt. Was ist der Nagel jeder Ehe? Zu langes Zusammensein und zu große Nähe.
Menschen sind einsam. Suchen den andern. Prallen zurück, wollen weiter wandern ... Bleiben schließlich ... Diese Resignation: Das ist die Ehe. Wird sie Euch monoton? Zankt Euch nicht und versöhnt Euch nicht: Zeigt Euch ein Kameradschaftsgesicht und macht das Gesicht für den bösen Streit lieber, wenn ihr alleine seid.
Gebt Ruhe, ihr Guten! Haltet still. Jahre binden, auch wenn man nicht will. Das ist schwer: ein Leben zu zwein. Nur eins ist noch schwerer: einsam sein.
Kurt Tucholsky
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kropka
antwortete am 25.01.06 (10:37):
SCHNEEWITTCHEN
hinter den sieben Bergen betrügt mich mit sieben Zwergen die dumme Liese braucht sieben Berge braucht sieben Zwerge Ich war ihr Riese.
Peter Maiwald
Guter Dinge. DVA , Stuttgart 1987
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Enigma
antwortete am 25.01.06 (10:56):
Anna Ritter Schneewittchen in der Wiege So stille ist's im Schlosse, Geht Alles auf den Zeh'n, Die Bronnen hört man rauschen, Die Winde hört man wehn. Schneewittchen in der Wiegen Träumt lächelnd für sich hin, Die Mutter schaukelt's leise, Die blasse Königin. Sie singt ein altes Liedchen, Das hat so wehen Klang, Durch hohe Bogenfenster Schwebt zitternd der Gesang. Da reckt der Tag die Glieder Die Tauben werden wach, Die Sonne klettert lustig Bis auf des Schlosses Dach. Schneewittchen in der Wiegen Träumt lächelnd für sich hin Die Mutter ist gestorben, Die blasse Königin. :-))
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kropka
antwortete am 25.01.06 (12:18):
Es legte Adam sich im Paradiese schlafen; da ward aus ihm das Weib geschaffen. Du armer Vater Adam, du! Dein erster Schlaf war deine letzte Ruh.
Matthias Claudius
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Enigma
antwortete am 25.01.06 (12:41):
Ein modernes Weib
Ein Mann beleidigte ein Weib. Es war Von jenen schnöden Thaten eine, die Kein Weib vergessen und vergeben kann. Geraume Zeit verstrich. Da eines Abends Ward an die Thür des Frevlers laut gepocht. Er rief: "Herein", und sah voll tiefen Staunens, In Trauerkleidern eine Frau vor sich. Sie schlug den Schleier bald zurück. Er blickte In ihre großen stolzerstarrten Augen, In diese großen schmerzversengten Augen ... Er lächelte verlegen, denn ein Schauer Erfaßte ihn ... Er bot ihr höflich Platz, Sie aber dankte, und mit ruhiger Stimme Sprach sie zu ihm: "Du hast mich schwer beleidigt, Es war nur Gott dabei ... vor diesem Gott, Vor dir, und mir allein, will ich den Flecken Den Makel meiner Ehre, zugefügt Von deiner Hand, verlöschen. Höre nun! Um dies zu thun, bleibt mir ein Mittel nur: Ich kann nicht gehn, um einem fremden Menschen Das was ich selbst mir kaum zu sagen wage, Zu offenbaren. Für mich herrscht kein Richter, Er wär' denn blind und taub und stumm, deshalb (Ein Schildern des Vergangenen glich' aufs Haar Der neuen That, hieß' selber mich entehren), Deshalb gibt's eins nur: hier sind Waffen, wähle!" Sie stellte auf den Tisch ein Kästchen hin Und öffnete den Deckel. - - Lange standen Die beiden Menschen stumm. Er sah sie an, Sie hielt das glänzend große Aug' gerichtet Fest auf die Waffen. Plötzlich brach er aus In lautes Lachen. Da durchglühte feurig Ein tiefes Rot die farbenlosen Wangen Der jungen Frau. Wie, wenn die ganze Antwort Dies Lachen wär'? Sie hätte schreien mögen Vor Wut und Elend. Aber sie bezwang sich, Und sagte mild: "Wenn dir ein Unvorsichtiger Zufällig auf den Fuß getreten wäre, Du würdest ohne lange Ueberlegung Ihm deine Karte in das Antlitz schleudern, Nichts Lächerliches fändest du dabei. Nun denk': nicht auf den Fuß trat mir ein Mensch, Mein Herz trat er in Stücke, meine Ehre! Verlang' ich mehr, als du verlangen würdest Für einen unvorsichtigen Schritt, sag' selbst, Ist das nicht billig?" Lächelnd sah er ihr Ins zornerglühte Antlitz. "Liebes Kind, Du scheinst es zu vergessen, daß ein Weib Sich nimmer schlagen kann mit einem Manne. Entweder geh zum Richter, liebes Kind, Gesteh ihm alles, gerne unterwerfe Ich seinem Urteil mich. Nicht? Nun dann bleibt Dir nur das eine noch: vergesse, was du Beleidigung und Schmach nennst. Siehst du, Liebe, Das Weib ist da zum Dulden und Vergeben ..." Jetzt lachte sie. "Entweder Selbstentehrung Wenn nicht, ein ruhiges Tragen seiner Schmach, Und das, das ist die Antwort, die ein Mann In unserer hellen Zeit zu geben wagt Der Frau, die er beleidigt." "Eine andere Wär' gegen den Brauch." "So wisse, daß das Weib Gewachsen ist im neunzehnten Jahrhundert," Sprach sie mit großem Aug', und schoß ihn nieder. Maria Janitschek
:-))
Internet-Tipp: https://www.wortblume.de/dichterinnen/janit_b.htm
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kropka
antwortete am 26.01.06 (10:18):
Bahnhof
Meine Nichtankunft in die Stadt N. erfolgte pünktlich.
Du bist benachrichtigt worden durch den nicht abgesandten Brief.
Du schafftest es, in der vorgesehenen Zeit nicht zu kommen.
Der Zug kam am Bahnsteig drei an. Viele Reisende stiegen aus.
In der Menge strebte zum Ausgang das Fehlen meiner Person.
Einige Frauen vertraten mich eilig in dieser Eile.
Zu einer lief jemand, der mir fremd war, doch sie erkannte ihn sofort.
Sie tauschten beide nicht unseren Kuss, dabei ging nicht mein Koffer verloren.
Der Bahnhof der Stadt N. bestand das Examen in objektivem Dasein mit Gut.
Alles war an seinem Platz. Die Details trieben auf vorgezeichneten Bahnen.
Sogar das Treffen fand wie verabredet statt. Jenseits der Reichweite unseres Dabeiseins.
Im verlorenen Paradies der Höchstwahrscheinlichkeit.
Woanders Woanders. Wie diese Wörtchen klingeln.
Wislawa Szymborska
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kropka
antwortete am 26.01.06 (10:21):
Eden
weißt Du wo das Paradies ist? weit dort oben in dem Blau und Gold
unsere Seelen treiben im unendlichen Raum gewärmt von der Sonne goldenen Glanz
leicht wie eine Feder schweben wir
ohne Gedanken nur voller Liebe und Dankbarkeit sein zu dürfen
Heidi Lachnitt
Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/gedicht_der_woche/gedicht_der_woche1.htm
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Enigma
antwortete am 26.01.06 (11:30):
Überraschendes Wiedersehen
Wir begegnen einander höflich, behaupten: Wie nett, sich nach Jahren wiederzusehn. Unsere Tiger trinken Milch. Unsere Habichte laufen zu Fuß. Unsere Haie ertrinken im Wasser. Unsere Wölfe gähnen vor dem offenen Käfig. Unsere Schlangen haben sich freigeschüttelt von Blitzen, Affen von Einfällen, Pfauen von Federn. Die Fledermäuse sind längst aus unseren Haaren geflüchtet. Wir verstummen mitten im Satz, rettungslos lächelnd. Unsereiner hat sich nichts mehr zu sagen.
Wislawa Szymborska Aus: Hundert Freuden. Die Gedichte
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kropka
antwortete am 26.01.06 (18:07):
einmalige gelegenheit
leben - die einzige art, blätter zu treiben, auf dem sand nach luft zu schnappen, sich emporzuschwingen auf flügeln;
ein hund zu sein oder sein fell zu streicheln;
den schmerz zu unterscheiden von allem, was nicht er ist;
in ereignissen platz zu haben, in aussichten unterzukommen, zwischen irrtümern den kleinsten zu suchen.
einmalige gelegenheit, einen augenblick lang zu behalten, worüber man bei gelöschtem licht sprach;
und wenigstens einmal über einen stein zu stolpern, nass zu werden im regen, die schlüssel im gras zu verlieren;
dem funken im wind mit den augen zu folgen;
und ständig etwas wichtiges nicht zu wissen.
wislawa szymborska aus: notiz - übersetzt von karl dedecius
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kropka
antwortete am 26.01.06 (18:35):
fremde zeichen
es könnte viel bedeuten: wir vergehen, wir kommen ungefragt und müssen weichen. doch dass wir sprechen und uns nicht verstehen und keinen augenblick des andern hand erreichen,
zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen. schon den versuch bedrohen fremde zeichen, und das verlangen, tief uns anzusehen, durchtrennt ein kreuz, uns einsam auszustreichen.
ingeborg bachmann - aus: es könnte viel bedeuten
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Enigma
antwortete am 27.01.06 (12:35):
Herr Mozart und das Warzenschwein
Ein Warzenschwein, das Mozart liebt, Grunzt alles, was es von ihm gibt. Auch mit der kleinen Nachtmusik versucht es dann und wann sein Glück.
Herr Mozart kann das nicht ertragen: “Das schlägt mir einfach auf den Magen. Wann wirst`es endlich mal begreifen: Die Nachtmusik kannst`höchstens pfeifen!”
Das Warzenschwein läuft voller Eifer zu einem alten Regenpfeifer und zahlt zehn Euro pro Lektion. Jedoch - es schafft nicht einen Ton.
Vor Stress bald nur noch Haut und Knochen, hat es die Stunden abgebrochen. Es läßt den Mozart Mozart sein und grunzt nur noch von Schwein zu Schwein.
Doch plötzlich droht neue Gefahr: 2006 - Das Mozartjahr. Da heißt`s ganz cool zum Warzenschwein: “Auch du ladst mir den Mozart ein!”
Der kommt - ist das nicht richtig nett? - mit einem Warzenschwein-Quintett: Dies Opus ist allein zum Grunzen. Da kann auch`s Schwein nicht viel verhunzen.
Es bleibt sogar noch auf ein Bier, Sagt:”fei gemütlich habt ihr`s hier.” Und trägt in den Kalender ein: “Einmal im Jahr zum Warzenschwein!”
Martin Geck
Das Gedicht war kürzlich in unserer Tageszeitung veröffentlicht.
Mehr zu Martin Geck: https://www.fb16.uni-dortmund.de/musik/institut/homepages/geck/geck.shtml
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hl
antwortete am 01.02.06 (08:09):
1.Februar - der Frühling ist ein Stückchen näher gekommen :-)
So wie der Baum nicht endet an der Spitze seiner Wurzeln oder seiner Zweige - so wie der Vogel nicht endet an seinen Federn und seinem Flug - so wie die Erde nicht endet an ihrem höchsten Berg:
So ende auch ich nicht an meinem Arm, meinem Fuß, meiner Haut, sondern greife unentwegt nach außen hinein in allen Raum und alle Zeit mit meiner Stimme und meinen Gedanken; denn meine Seele ist das Universum.
(Norman H. Russel, Teil-Cherokee, geb. 1921)
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Enigma
antwortete am 03.02.06 (10:15):
Als mein Vater ein Junge war, kam ein alter Mann oft zu Besuch in das Haus Mammedatys, meines Großvaters. Es war ein hagerer alter Mann mit zu Zöpfen geflochtenem Haar, der durch sein Auftreten und die Anzahl seiner Jahre bei allen großen Eindruck hinterließ. Sein Name war Cheney, und er war Pfeilmacher. Jeden Morgen, so erzählt mir mein Vater, bemalte Cheney sein runzeliges Gesicht, ging ins Freie hinaus und betete mit lauter Stimme zu der aufgehenden Sonne. In meiner Vorstellung sehe ich den alten Mann so deutlich, als stünde er vor mir. Ich liebe es, ihn zu betrachten, wenn er sein Gebet spricht. Ich weiß genau, wo er steht, von wo er seine Stimme ausschickt über das wogende Gras, und ich weiß, an welcher Stelle die Sonne emporsteigt. Dort, in der Morgendämmerung, kannst du die Stille spüren. Sie ist kühl und klar und tief wie Wasser. Sie erfaßt dich und läßt dich nicht mehr los.
Momaday (Weisheit der Indianer)
In Deutschland ist meines Wissens etwas von Momaday im Unions-Verlag erschienen.
Internet-Tipp: https://www.achievement.org/autodoc/page/mom0bio-1
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hl
antwortete am 03.02.06 (18:32):
"Der Historiker, Dichter und Maler N. Scott Momaday ist Kiowa-Indianer; er wuchs in einem Reservat in Südwest-Oklahoma auf. Heute lebt er in Arizona und lehrt an der anglistischen Fakultät der University of Arizona. Er hatte verschiedene Gastprofessuren an europäischen Universitäten inne, u.a. auch an der Universität Regensburg. Für seinen Erstlingsroman »House made of Dawn« erhielt er den Pulitzerpreis. Er gilt als Wegbereiter der zeitgenössischen Literatur nordamerikanischer Indianer." Sein Buch "Im Sternbild des Bären" ist noch lieferbar. (s.u.)
Internet-Tipp: https://www.unionsverlag.com/info/person.asp?pers_id=165#biografie
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Enigma
antwortete am 04.02.06 (15:27):
@hl Danke für die Ergänzung.
Und noch zwei "Indianer-Gedichte":
"Wenn du dein Herz nicht hart werden lässt, wenn du deinen Mitmenschen kleine Freundlichkeiten erweist, werden sie dir mir Zuneigung antworten. Sie werden dir freundliche Gedanken schenken. Je mehr Menschen du hilfst, desto mehr dieser guten Gedanken werden auf dich gerichtet sein. Dass Menschen dir wohlgesinnt sind, ist mehr wert als Reichtum." HENRY OLD COYOTE (Crow)
"Ich sitze in freier Natur, am See. Die Weißen möchten, dass ich wie sie arbeite, wie sie viel Geld verdiene, wie sie ein Auto kaufe und wie sie in freier Natur, an einem See, Urlaub mache und angle. Ich sitze schon in freier Natur, am See ..." KANADISCHER INDIANER
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hl
antwortete am 04.02.06 (16:59):
Catarina Carsten
Die Worte proben den Aufstand. Sie meinen's wörtlich sie stehen auf.
Am stärksten sind die, die lange Zeit im Schweigen der Wüste lebten,
geflohen vor Missbrauch gedankenloser Benützung versuchtem Totschlag
Den Schmelz des Ursprungs haben sie abgestreift, die Narben nicht.
Tapfer stehen sie auf noch einmal zu kämpfen für die Auferstehung der Wahrheit.
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hl
antwortete am 05.02.06 (10:52):
Noch etwas 'indianisches' - aus dem Archiv geholt ;-)
Mythos der Cherokee: Zur Zeit der Schöpfung erhielt der Weiße Mann einen Stein und der Indianer ein Stück Silber. Da der Weiße Mann den Stein für nichts achtete, warf er ihn fort. Der Indianer, dem das Silber ähnlich wertlos erschien, warf es ebenfalls fort. Später nahm der Weiße Mann das Silber und benutzte es als eine Quelle materieller Macht. Der Indianer nahm den Stein und verehrte ihn als eine Quelle heiliger Macht. Denn für ihn ist die kosmische Kraft eingeschlossen in einem gewöhnlichen Stein.
Ich halte diesen Türkis-Stein in meinen Händen. Meine Hände halten den Himmel, gestaltet in diesem kleinen Stein. Da steht eine Wolke am äußersten Rand. Und die Welt liegt irgendwo darunter. Ich wende den Stein, und der Himmel weitet sich. Dies ist die heitere Klarheit, die nur in Steinen möglich ist, der Ort eines Gefühls, zu dem man gehört. Ich bin glücklich, wie ich diesen Himmel halte in meinen Händen, in meinen Augen und in mir selbst.
(Simon J.Ortiz, Pueblo, geb.1941) aus "Indianischer Sonnengesang" /Rudolf Kaiser
Einen schönen sonnigen Sonntag wünsche ich allen hier.
Herzlichen Gruss.. Heidi
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Enigma
antwortete am 05.02.06 (11:12):
Auch von mir einen schönen Sonntag..
Steh nicht weinend an meinem Grab, Ich bin nicht dort unten, ich schlafe nicht. Ich bin tausend Winde, die wehn, Ich bin das Glitzern der Sonne im Schnee, Ich bin das Sonnenlicht Auf reifem Korn, Ich bin der sanfte Regen im Herbst.
Wenn Du erwachst in der Morgenfrühe Bin ich das schnelle Aufsteigen Der Vögel Im kreisenden Flug, Ich bin das sanfte Sternenlicht In der Nacht.
Steh nicht weinend an meinem Grab, Ich bin nicht dort unten, Ich schlafe nicht.
(American Indian)
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Enigma
antwortete am 09.02.06 (09:27):
Paradies steht zum Verkauf. In Eden ein Stück Grund Kann wer da will erwerben Trotz Adams Kündigung.
Emily Dickinson Aus: Dichtungen
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mmargarete01
antwortete am 10.02.06 (12:01):
Fantasie
Gibt es noch eine andere Welt, wo jedes Herz den Frieden findet. Wo nie ein böses Wort fällt, wo finde ich diese andere Welt, wo das Wort Liebe noch zählt.
© Margret Nottebrock
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Enigma
antwortete am 13.02.06 (08:07):
Wie ein behutsamer Umgang
Dein Gesicht. Wie ein schwaches Lächeln. Eine Gefühlsstausprengung. Eine leichte Kehrtwende. Auf der Suche. Nach Zweisamkeiten.
Deine Lippen. Wie ein verborgener Wunsch. Eine Abholdiensteifrigkeit. Eine vorsichtige Angebotsseite. Im Aufbruch. Nach Dienstbarkeiten.
Dein Körper. Wie ein Nachfrageappell. Eine Zuspruchsbeziehung. Eine geladene Anspruchseingabe. Auf dem Sprung. Nach Berührungsfreuden.
Deine Sicht. Wie ein behutsamer Umgang. Eine Zugangsgemeinschaft. Eine wertfreie Warenprobe. Vor der Wahl. Vielleicht sich zu vergeuden.
Deine Denke. Wie eine hochgeputschte Achterbahn. Eine Vorteilsnahme. Eine selbstgerechte Zauberformel. Im Gepäck. Für Bettgeflüster.
Dein Anspruch. Wie ein schwerer Aufgabenkatalog. Ein Einzelgängerspaß. Ein gradliniger Selbstzweck. Im Aufbau. Ein Ungeküsster.
Hartmut Brie Aus: Dem Gedicht auf der Spur
Herr Brie war so nett, mir das Einstellen hier zu erlauben.
Weiterer Hinweis auf seine Kurz-Vita und einige seiner Gedichte she. Internet-Tipp!
Internet-Tipp: https://www.gedichte-brie.de
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hl
antwortete am 19.02.06 (13:23):
Christian Morgenstern
Ich will aus allem nehmen, was mich nährt, was übereinstimmt mit mir längst Vertrautem; so wird mir manches stille Glück gewährt.
In Eurer Weisheit fand ich manch geheime Bestätigung zu von mir selbst Geschautem und brachte sie zu meiner Art in Reime.
Es gibt so vieles Schöne, Gute, Wahre; wie bin ich dankbar, daß ich Mensch sein darf und immer Neues solcher Art erfahre!'
Erfahre denn noch dies dazu: entfernt bist du vom Ernst noch. Dein Gewissen warf dir noch nicht vor, daß Weisheit sich nur - lernt.
Mit solchem Blumenpflücken, Kränzchenwinden - was ist getan? sieh dir ins Angesicht und prüfe, ach, solch allzu lau Empfinden.
Du fühlst der Weisheit Weg noch nicht als - Pflicht. Und so: ob von Glühwürmchen oder Sternen dir Licht zufließt - dir ist's das gleiche Licht.
Dir sind die echten Tiefen, wahren Fernen noch stumm; sie, deren Siegel einzig bricht: ein tiefdemütig lebenlanges - Lernen.
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Enigma
antwortete am 20.02.06 (08:17):
Meinungsfreiheit
Zu keiner Zeit paßte den Herrschaften wie lange wird man noch sagen dürfen? wer wird offen oder verdeckt? es wird geschehen sein sie dachten Geldgier wäre wirklich demokratisch Frei ist nur die Sucht sich das Terrain zurückzuholen die Speicher zu füllen andere Meinungen stören nur sie hatten das einfach prinzipiell falsch verstanden schon immer wollten wir nur eine bestimmte Meinung frei geben Sind wir nicht vorgewarnt? man stellt sich das besser nicht so genau vor sind wir nicht doch sicher? immer diese vielen Grautöne wozu überhaupt etwas zensieren sagen wir überhaupt etwas was sich noch lohnte verboten zu werden? Marko Ferst 7/2005
Hat er mir erlaubt, der Marko Ferst, das Einstellen hier im ST.
Internet-Tipp: https://www.umweltdebatte.de/index-ohnegezuechtetedornen.htm
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Enigma
antwortete am 20.02.06 (08:28):
Noch eines, das er mir netterweise mitgeschickt hat, ein etwas anderes:
Ich darf nicht denken
Weites Land das nach Weizen duftet ich ahnte nicht nie wieder werde ich in deine Arme gleiten deine Haut spüren hast einfach so aufgegeben mich und dich treiben lassen Weizenwind wohin soll ich loslassen? gefangen von alten Träumen heißer, langer Sommer eine Kette aus Küssen wollte ich dir noch schenken mein Atem hält an knappe Luft Feldrand Marko Ferst
2004
https://www.umweltdebatte.de/
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kropka
antwortete am 20.02.06 (09:14):
..ist das s c h ö n Enigma! Beides. Vieles von Dir. Ich bin froh, dass ich "deine Gedichte" wieder lesen darf. ..schon machte ich mir Sorgen.
Bevor du aber "gehst", sag mir bitte "wohin" ;-) Auch du, Literaturfreund. Bitte.
Lieben Gruß und alles Gute! Herzlich Ewa
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Enigma
antwortete am 21.02.06 (07:43):
Hallo kropka,
bitte nicht übertreiben, was mich angeht (die Gedichte kannst Du gerne loben). :-))
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Wenn ich zwei Vöglein wär, und auch vier Flügel hätt, flög die eine Hälfte zu dir und die andere, die ging auch zu Bett, aber hier zu Haus bei mir.
Wenn ich einen Flügel hätt' und gar kein Vöglein wär, verkaufte ich ihn dir und kaufte mir dafür ein Klavier.
Wenn ich kein Flügel wär (linker Flügel beim Militär) und auch keinen Vogel hätt', flög ich zu dir. Da's aber nicht kann sein, bleib' ich im eignen Bett allein zu zwein.
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kropka
antwortete am 22.02.06 (14:29):
Selbdritt
Bin ich einmal mit mir allein, dann mißtraue ich allen drei’n.
Stanislaw Jerzy Lec
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Enigma
antwortete am 22.02.06 (17:30):
:-) ...war da etwa noch "der unsichtbare Dritte" nach Hitchcock dabei?
GEBETCHEN VOM MÄDCHEN Sei und bleibe mir vom Leibe. Faß mich ja nicht an! Weg die Hände, sonst, am Ende laß ich Dich noch ran.
F. W. Bernstein Aus: Die Gedichte
Internet-Tipp: https://www.hugendubel.de/Detail.aspx?gid=1238094
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kropka
antwortete am 22.02.06 (22:22):
...ich übertreibe doch gerne Enigma ;-)) und Ringelnatz liebe ich! Im Park Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum still und verklärt wie im Traum. Das war des Nachts elf Uhr zwei. Und dann kam ich um vier Morgens wieder vorbei. Und da träumte noch immer das Tier. Nun schlich ich mich leise - ich atmete kaum - gegen den Wind an den Baum, und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips. Und da war es aus Gips.
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Enigma
antwortete am 23.02.06 (07:58):
Gerrit Engelke Der Tod im Schacht
Zweihundert Männer sind in den Schacht gefahren. Mütter drängen sich oben in Scharen. Rauch steigt aus dem Schacht. Die Kohlenwälder nachtunten glühen, urwilde Sonnenfeuer sprühen. Rauch steigt aus dem Schacht. Retter sind hinabgestiegen; kamen nicht wieder, sie blieben liegen. Rauch steigt aus dem Schacht. Der Brandschlund frisst seine Opfer - und lauert. Die brennenden Stollen werden zugemauert. Rauch steigt aus dem Schacht. Zweihundert waren in den Schacht gefahren. Mütter weinen an leeren Nahren. Rauch steigt aus dem Schacht.
https://www.lyrikwelt.de/gedichte/engelkeg1.htm
Internet-Tipp: https://www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/engelke.html
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kropka
antwortete am 23.02.06 (08:44):
Mein Dörfchen Von Peter Hacks
Mein Dörfchen, das heißt DDR, Hier kennt jeder jeden. Wenn Sie in Rostock flüstern, Herr, Hört Leipzig, was Sie reden.
Das Mädchen, das zu lieben lohnt, Kennt auch Ihr Freund genauer. Es gibt nichts Neues unterm Mond, Nicht dieserseits der Mauer.
(Die Gedichte. Edition Nautilus, Hamburg 2000)
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/471195/
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Enigma
antwortete am 24.02.06 (07:45):
Letzter Wille
Wenn ich Pflanze werden sollte dann lieber Wiese oder Rasen giftiger Schierling will ich nicht sein Wenn ich unter einem Weg begraben werde dann sollen da oben Hochzeitskutschen fahren nicht Panzer oder Kriegsgerät Kinder sollen laufen über mir nicht Soldaten, weder Flüchtling noch Verfolger Wenn ihr Ziegelsteine aus mir macht dann nutzt mich in der Schule niemals im Gefängnis Macht Stifte aus mir, Bleistift, Filzer oder Kuli und schreibt damit Gedichte über Liebe nie schreibt mit mir ein Todesurteil Wenn ich sterbe, soll ich leben in den Frühlingsblättern doch um Gottes Willen nie, niemals in Waffen will ich weiterleben. Aziz Nesin
She. auch Internet-Tipp!
Internet-Tipp: https://www.ada.net.tr/nesin_vakfi/almanca/biografger.htm
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hl
antwortete am 01.03.06 (17:16):
Frühling?
Ein wenig Sonne, und der Schnee schmilzt.
Ein wenig Wärme, und das Eis bricht.
Ein wenig Güte, und Menschen tauen auf.
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Enigma
antwortete am 02.03.06 (08:07):
Klára Huková Nacht
Seidig, samt ihrem zerrissenen Wolkenschleier fließt sie hinab durchs offene Fenster und verströmt Düfte aus nie gelebten Landschaften und schweigt so beunruhigend vor Schlaflosigkeit Geziert mit Mondsteinen die niemals wirklich strahlen macht sie dir vor du könntest Eisvögel züchten in Käfigen aus Blei Und wenn ihr Haar sich öffnet gießt es sich wie ein schwarzes Meer über die zermahlnen Diamanten in den Tiefen
(Vor der Sonnenwende, 2002)
Klára Huková, eine interessante und mehrsprachige Frau. In welcher Sprache wohl ihre Gedichte entstehen? She. auch Internet-Tipp!
Internet-Tipp: https://www.hurkova.de/
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Enigma
antwortete am 02.03.06 (14:01):
Sorry, ich hatte den Namen entstellt. Die Dame heißt natürlich "Hurkova (das "r war mir wohl abhanden gekommen). :-)
Da ich vorher E-Mail-Kontakt mit ihr hatte wegen der Urheberrechte, hat sie mir freundlicherweise per Mail meine letzte Frage wie folgt beantwortet:
"Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Dieses Gedicht habe ich auf Deutsch geschrieben. Ich schreibe jeweils in der Sprache, die ich gerade "im Kopf" präsent habe, d.h. die ich im Alltag spreche. Das ist meistens Deutsch, manchmal noch Tschechisch (auf Englisch habe ich nur geschrieben, als ich ein halbes Jahr in England lebte). Gelegentlich übersetze ich ein Gedicht von mir aus dem Deutschen ins Tschechische oder umgekehrt, aber selten.
Herzlich Klara Hurkova"
Ich finde, dass sie sehr nett reagiert hat.
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hl
antwortete am 04.03.06 (13:23):
Vor der Sommersonnenwende
Kornfelder unter dem hohen Himmel sind erstarrt zwischen Frühling und Sommer. Schwacher Geruch der Ähren liegt verlegen über dem flachen Land mit schlafenden Pferden.
Dann plötzlich trillert die hochsteigende Lerche um den Frühling zu retten. Eine schöne Bilder-Sprache hat sie, die Klara Hurkova.
Internet-Tipp: https://www.alkyon-verlag.de/Hurkovsonnprob.htm
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Enigma
antwortete am 05.03.06 (08:43):
Gsella am Donnerstag Unvergessene Testspiele (1) Italien – Deutschland 74:0
Der Ball läuft gut. Sepp Ballack schaut erfreut und neidlos zu. Bei Gegentoren klatscht er laut und denkt sich still: „Ja nu –
natürlich hatten wir uns hier ein 1:1 erhofft. Doch ist Italien mehr als wir am Ball und trifft recht oft.
Es ist auf jeder Position mit Weltklasse besetzt, es strengt sich an, bekommt den Lohn, und also führt es jetzt.
Bei uns klafft zwischen Mittelfeld und ‚Sturm’ ein Riesenloch, und Esel Lehmann – huch! Er hält! Nein, Quatsch. Italien hoch!“
:-))
Internet-Tipp: https://www.titanic-magazin.de/index.php
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Literaturfreund
antwortete am 05.03.06 (10:04):
Danke, enigma, für das Thema Fußball! *
Ulla Hahn: Geballte Sehnsucht
Es sehnt sich ewig jeder Ball ins Weite und möchte vorwärts immer vorwärts streben von Fuß zu Fuß und nicht am Rasen kleben nicht an die Hand und nicht hinaus zur Seite
sich schlagen lassen; vielmehr schnell und leicht vom Mittelfeld mit spanngenauen Flanken mit Fallrückziehern und gefälschten Pässen zur Steilvorlage in den Strafraum ranken. Dort reicht
dem Balle sich entgegen nun der Fuß der ihn verwandelt in die reine Lust. Der Ball erbebt, stößt vor, zerreißt die Luft. Ein Schuß!
so von Linksaußen auf den rechten Fleck. Es sehnt sich ewig jeder Ball ins Tor und auch der Kahnste muß mitunter passen.
* Ulla Hahn, veröffentlichte u.a. »So offen die Welt«, 2004
Bis zur Fußballweltmeisterschaft 2006 stellt die ZEIT eine deutsche Dichter-Nationalmannschaft auf. 33 bisher unveröffentlichte Fußballgedichte erscheinen wöchentlich im Ressort Leben. Sie werden im Radioprogramm NDR Kultur dienstags und donnerstags jeweils um 10.45 Uhr und um 19.25 Uhr ausgestrahlt. Die Gedichte können auch unter www.ndrkultur.de/fussballgedichte abgehört werden.
© DIE ZEIT 27.10.2005 Nr.44
Internet-Tipp: https://www.zeit.de/online/2005/43/dichter_am_ball4
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kns
antwortete am 05.03.06 (22:42):
Fußball-Weltmeisterschaft 2006
Auf grünem Rasen bewegen Zweiundzwanzig den gefleckten Ball.
Um welchen Gewinn geht es; um Siegestore etwa?
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Enigma
antwortete am 06.03.06 (09:09):
Diesen Himmel schenke ich dir Diesen Himmel schenke ich dir. Er ist nicht mehr neu. Ich habe ihn öfters gebraucht, besonders das Blaue: Du siehst die Spuren am Einband. Vom Abendrot sind die Ränder zurückgeblieben, und der Regen, du weißt, hat einige Seiten ganz ausgeblichen. Manchmal war auch die Sonne zu grell, da sind mir Blätter vergilbt, und der Nachtsturm riss eine Seite ein, damals, da war ich nicht bei dir. Die Sterne haben Löcher gesengt, ich habe nicht aufgepasst, der Mond hat die Wolken unachtsam verschoben, das sind die Flecken im Dunkel. Er ist nicht mehr neu, mein Himmel, es ist nicht leicht, ihn zu lesen. Aber die Ränder, die Risse, die Spuren gehören mir, das verblichene Blau, und ich schenke ihn dir, diesen Himmel. Kay Hoff
https://top.schleswig-holstein.de/magazin/drucken.php?artikel=2743&type=
Internet-Tipp: https://www.literaturhaus-sh.de/autordetail_45.html
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Literaturfreund
antwortete am 06.03.06 (11:45):
Quer durch die Zeiten, zu neuen und alten Autoren...?
Aus dem täglichen Lyrik-Kalender vom Deutschland-Radio:
„Und die Menschen gehn in Kleidern“ Gedicht von Franz Kafka
Nur ein einziges Mal wird Franz Kafka (1883-1924), der wohl größte Prosaautor und literarische Verhängnisforscher des 20. Jahrhunderts, als Lyriker sichtbar. Seiner ersten Erzählung, dem Fragment "Beschreibung eines Kampfes", in der ersten Fassung zwischen 1904 und 1906 entstanden, stellt er ein fünfzeiliges Gedicht voraus, das er noch während seines Studiums geschrieben hatte.
F.K.: "Und die Menschen gehn in Kleidern schwankend auf dem Kies spazieren unter diesem großen Himmel der von Hügeln in der Ferne sich zu fernen Hügeln breitet."
In einem Brief an Hedwig Weiler nimmt Kafka im August 1907 dieses Gedicht als Exempel für seine Ungeselligkeit und für sein mangelndes "Interesse an den Menschen". Die Kafka-Forschung verweist auf die Ausflüge des Dichters auf die in der Moldau gelegene Schützeninsel, die damals aufgrund ihrer schattigen Kieswege ein beliebtes Ziel der Prager Bürger war. Unter dem "großen Himmel" und seiner weiten Ausdehnung zwischen den Fernen wirken die Menschen wie verloren. * S. URL.:
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/472767
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Literaturfreund
antwortete am 06.03.06 (12:51):
Auch aus dem Lyrik-Kalender vom "Deutschland-Radio"
"Märznacht" von Theodor Storm
Das einsame Ich wartet schlaflos am Fenster auf ein Zeichen der Außenwelt - fast eine Urszene des romantischen Dichters. Der norddeutsche Patriot Theodor Storm (1817-1888) hat die romantische Empfindungsfähigkeit, die er bei seinem großen Vorbild Joseph von Eichendorff vorfand, für sein eigenes poetisches Verhältnis zu den Naturerscheinungen fruchtbar gemacht.
Th. Storm: Märznacht
Am Fenster lehn ich, müd, verwacht. Da ruft es weithin durch die Nacht. -
Hoch oben hinter Wolkenflug Hinschwimmt ein Wandervögelzug.
Sie fahren dahin mit hellem Schrei Hoch unter den Sternen in Lüften frei.
Sie sehn von fern den Frühling blühn, Wild rauschen sie über die Lande hin.
O, Herz, was ist's denn, das dich hält? Flieg mit hoch über der schönen Welt!
Dem wilden Schwarm gesell dich zu; Vielleicht siehst auch den Frühling du!
Dann gib noch einmal aus Herzensdrang Einen Laut, ein Lied, wie es einstens klang!
*
Den Flug der Wandervögel, die mit "hellem Schrei" dahinziehen, erlebt das Ich des Gedichts als eine Verheißung: Er steht für den Aufbruch ins Unbekannte, für die Reise zu den fernen Glücksversprechen der Vergangenheit. Lange Jahre wurde durch Storms Konzentration auf die Gattung der Novelle - er schrieb insgesamt 88 - seine "Lyrik völlig verschluckt". Das Gedicht "Märznacht", das in den meisten Sammlungen unter dem Titel "Am Fenster lehn ich" geführt wird, stammt indes aus dem Spätwerk: Es findet sich in der "Nachlese" von 1885. * URL.: Storm Büste im Husumer Schlosspark
Internet-Tipp: https://www.husum.org/media/custom/15_12_1_m.JPG
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Enigma
antwortete am 07.03.06 (07:24):
Mancher Wahnsinn ist göttlichster Sinn - Für den geschärften Blick - Mancher Sinn - der nackte Wahnsinn - Es ist Majorität Die hier, wie Überall, bestimmt - Stimm zu - und du bist kerngesund - Ficht an - gleich fühlt man sich bedroht - Und hängt dir Ketten um -
Emily Dickinson Aus: Dichtungen
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kropka
antwortete am 17.03.06 (12:05):
Traumstadt eines Emigranten Ja, ich bin recht, es ist die alte Gasse. Hier wohn ich dreißig Jahr ohn Unterlaß . . . Bin ich hier recht?? Mich treibt ein Irgendwas, Das mich nicht losläßt, mit der Menschenmasse.
Da, eine Sperre starrt . . . Eh ich mich fasse, Packt's meine Arme: »Bitte, Ihren Paß!« Mein Paß? Wo ist mein Paß!? Von Hohn und Haß Bin ich umzingelt, wanke und erblasse . . .
Kann soviel Angst ein Menschenmut ertragen? Stahlruten pfeifen, die mich werden schlagen, Ich fühl noch, daß ich in die Kniee brach . . .
Und während Unsichtbare mich bespeien: »Ich hab ja nichts getan«, - hör ich mich schreien, »Als daß ich eure, meine Sprache sprach.«
Franz Werfel (1890-1945) (Das Lyrische Werk. Hrsg. v. Adolf I. Klarmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1967)
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/477706/
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Enigma
antwortete am 17.03.06 (15:08):
Zwölf Freier
Zwölf Freier möcht' ich haben, dann hätt' ich genug, Wenn alle schön wären und alle nicht klug. Einen, um vor mir herzulaufen, Einen, um hinter mir drein zu schnaufen; Einen, um mir Spaß zu machen, Und einen, um darüber zu lachen; Einen traurigen, den wollt' ich schon fröhlich herzen, Einen lustigen, ich wollt' ihm vertreiben das Scherzen. Einem, dem reicht' ich die rechte Hand, Einem, dem gäb' ich die linke zum Pfand; Einem, dem schenkt' ich ein freundlich Nicken, Einem, dem gäb' ich ein holdes Blicken; Noch einem, dem gäb' ich vielleicht einen Kuß, Und dem letzten mich selber aus Überdruß.
Friedrich Rückert Aus: Himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt. Poesie für alle Liebeslagen
Natürlich ist die Zahl 12 völlig willkürlich. Es könnten auch 13 sein. ;-))
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Enigma
antwortete am 18.03.06 (09:22):
Nach dem "Jux" von gestern jetzt wieder was anderes:
Kinderdrachen
Tanzend im hellen Windblau, bunt, ohne Gedächtnis, allein vor dem Himmel: frei, leicht, entlassen von Alltag und Uhren und Allemande, schwankend wie Liebe, maßlos, und einen Augenblick, dann gelassener Stillstand, klar wie Wahrheit und Traum: vergessen die Fessel, einen Augenblick lang, das Band und die Hand, die es hält und einholt, am Ende, zu uns herab
Von Kay Hoff ist eine Gesamtausgabe im Carl-Boeschen-Verlag erschienen; im Bd 9 sind seine Gedichte enthalten. she. Internet-Tipp!
Internet-Tipp: https://www.carl-boeschen-verlag.de
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Literaturfreund
antwortete am 22.03.06 (09:21):
dradio.de LYRIK-KALENDER vom 22.03.2006
Ein Gedicht von Johannes R. Becher
Der Dichter Johannes R. Becher (1886-1956) begann seine Karriere als wilder Expressionist. 1910 inszenierte der psychisch labile Jungpoet einen missglückten Doppelselbstmord mit seiner Geliebten, den die junge Frau nicht überlebte. Im Januar 1919 trat der Morphinist und Suizid-Kandidat der neu gegründeten KPD bei. Später stieg er zum Vorzeige-Poeten der DDR auf, deren literaturpolitische Ideale er als erster Kulturminister idealtypisch verkörperte.
Der Turm zu Babel Von Johannes R. Becher
Das ist der Turm von Babel, Er spricht in allen Zungen. Und Kain erschlägt den Abel Und wird als Gott besungen.
Er will mit seinem Turme Wohl in den Himmel steigen Und will vor keinem Sturme, Der ihn umstürmt, sich neigen.
Gerüchte aber schwirren, Die Wahrheit wird verschwiegen. Die Herzen sich verwirren - So hoch sind wir gestiegen!
Das Wort wird zur Vokabel, Um sinnlos zu verhallen. Es wird der Turm zu Babel Im Sturz zu nichts zerfallen. * (Gesammelte Werke, Bd. 1-6: Gedichte. AUFBAU Vlg., 1965-1973) * In seinem in den 1950er Jahren entstandenen Gedicht vom "Turm von Babel" hat Becher seine Zweifel am Siegeszug der sozialistischen Utopie deponiert. In biblischen Topoi versteckt, benennt er die Lebenslügen des realen Sozialismus. Die Akteure sind trotz solcher Camouflage leicht erkennbar: Hinter dem Erbauer des Turms, der seine Rivalen zur Strecke bringt, verbirgt sich wohl kein geringerer als Stalin, der grausame Exekutor kommunistischer Machtansprüche. Die Prognose, die der Dichter dem Erbauer des Turms stellt, ist ernüchternd. (© 2006 Deutschlandradio)
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Heidi_hl
antwortete am 25.03.06 (23:05):
Dietrun Gebert-Feth in "Selbst die Schatten tragen ihre Glut"
Dein Lächeln
Zufällig fange ich dein Lächeln ein und stecke es in meine Tasche als Begleiter für den Tag
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Heidi_hl
antwortete am 25.03.06 (23:14):
Abend
Der Abend wechselt langsam die Gewänder, die ihm ein Rand von alten Bäumen hält; du schaust: und von dir scheiden sich die Länder, ein himmelfahrendes und eins, das fällt;
und lassen dich, zu keinem ganz gehörend, nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt, nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt -
und lassen dir (unsäglich zu entwirrn) dein Leben bang und riesenhaft und reifend, so daß es, bald begrenzt und bald begreifend, abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.
Rainer Maria Rilke
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kropka
antwortete am 26.03.06 (12:02):
Sozusagen grundlos vergnügt
Ich freu mich, daß am Himmel Wolken ziehen Und daß es regnet, hagelt, friert und schneit. Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit, Wenn Heckenrosen und Holunder blühen. - Daß Amseln flöten und daß Immen summen, Daß Mücken stechen und daß Brummer brummen. Daß rote Luftballons ins Blaue steigen. Daß Spatzen schwatzen. Und daß Fische schweigen. Ich freu mich, daß der Mond am Himmel steht Und daß die Sonne täglich neu aufgeht. Daß Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter, Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter, Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn. Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn! Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn. Ich freue mich vor allem, daß ich bin.
In mir ist alles aufgeräumt und heiter: Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt. An solchem Tag erklettert man die Leiter, Die von der Erde in den Himmel führt. Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben, - Weil er sich selber liebt - den Nächsten lieben. Ich freue mich, daß ich mich an das Schöne Und an das Wunder niemals ganz gewöhne. Daß alles so erstaunlich bleibt, und neu! Ich freu mich, daß ich... Daß ich mich freu.
Mascha Kaléko
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Heidi_hl
antwortete am 26.03.06 (13:50):
:-) Mascha Kaléko, eine meiner Lieblingsdichterinnen
Was tut wohl die Rose zur Winterszeit? Was tut wohl die Rose zur Winterszeit? Sie träumt einen hellroten Traum. Wenn der Schnee sie deckt um die Adventszeit, Träumt sie vom Holunderbaum. Wenn Silberfrost in den Zweigen klirrt, Träumt sie vom Bienengesumm, Vom blauen Falter, und wie er flirrt... Ein Traum, und der Winter ist um!
Und was tut die Rose zur Osterzeit? Sie räkelt sich, bis zum April. Am Morgen, da weckt sie die Sonne im Blau, Und am Abend besucht sie der Frühlingstau. Und ein Engel behütet sie still - Der weiß ganz genau, was Gott will! - Und dann über Nacht, wie ein Wölkchen, ein Hauch, Erblüht sie zu Pfingsten am Rosenstrauch.
Mascha Kaléko
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kropka
antwortete am 27.03.06 (22:04):
Mein liebster Traum
Die Nacht ist nicht mehr weit und du mein liebster Traum ziehst deine silberhellen Flügel an
Gerhard Rombach
Internet-Tipp: https://home.swipnet.se/GerhardR/index.htm
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Heidi_hl
antwortete am 27.03.06 (22:12):
:-)
Regenbogen
Ich tanze auf dem Regenbogen ich fliege auf den Mond zünd auf den Sternen die Lichter an schau nach wer im Himmel wohnt
im Reich der bunten Phantasie da kann ich glücklich sein in meinen Träumen ist alles wahr und niemand ist dort allein
Ich zünd auf den Sternen die Lichter an ich tanze auf dem Regenbogen und wenn du willst dann tanz mit mir bis in den Himmel droben
/hl
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tiger
antwortete am 30.03.06 (15:11):
Ich bin neu in diesem Forum und auch im ST.Kann mir jemand helfen bei der Suche nach dem Autor des folgenden Gedichtes: Fern von euch und eurer Freude einsam und verlassen ganz flecht ich in Gedanken heute Dir den stillen Myrthenkranz.
Drück ihn in die braunen Locken sehe noch einmal so schön Dich, von Ahnung süß erschrocken bräutlich und errötend stehn.
Dies sind die beiden ersten Verse - es gibt noch 7 weitere!
Herzlichen Dank, falls jemand mir helfen kann.
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Enigma
antwortete am 31.03.06 (10:51):
Ich sagt diese stimme mein erbstück mein wortführer mein lispelnder versucher mein mönchischer bruder ich teile deine zelle die verrückten früchte deiner hirnschale ich bin deine hand dein mund ich bin da wenn der kuß fort ist (dein bißchen glück war immer sprachlos) ich zimmre dir ein leben beleg dich rückwärts mit daten beschönige verschweige das macht sinn ich war dein himmelschreiender anfang deine greisenhafte verweigerung dein trotziges ja hier bin ich und ich bin auf dem rückzug langsam unaufhaltsam (Doris Runge)
https://www.litlinks.it/r/runge_doris.htm
Internet-Tipp: https://www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/SLF/Germanistik/neueredeutschlitwi/Forschung/Doris_Runge
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kropka
antwortete am 01.04.06 (10:51):
Eskapismus, ruft ihr mir zu, vorwurfsvoll. Was denn sonst, antworte ich, bei diesem Sauwetter! -, spanne den Regenschirm auf und erhebe mich in die Lüfte. Von euch aus gesehen, werde ich immer kleiner und kleiner, bis ich verschwunden bin. Ich hinterlasse nichts weiter als eine Legende, mit der ihr Neidhammel, wenn es draußen stürmt, euern Kindern in den Ohren liegt, damit sie euch nicht davonfliegen.
Der fliegende Robert Von Hans Magnus Enzensberger (Die Furie des Verschwindens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., 1980)
© 2006 Deutschlandradio
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/482023/
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Enigma
antwortete am 02.04.06 (07:32):
:-)
Lied von denen, auf die alles zutrifft und die alles schon wissen
Dass etwas getan werden muss und zwar sofort das wissen wir schon dass es aber noch zu früh ist um etwas zu tun dass es aber zu spät ist um noch etwas zu tun das wissen wir schon und dass es uns gut geht und dass es so weiter geht und dass es keinen Zweck hat das wissen wir schon und dass wir schuld sind und dass wir nichts dafür können dass wir schuld sind und dass wir daran schuld sind dass wir nichts dafür können und dass es uns reicht das wissen wir schon und dass es vielleicht besser wäre die Fresse zu halten und dass wir die Fresse nicht halten werden das wissen wir schon das wissen wir schon und dass wir niemand helfen können und dass uns niemand helfen kann das wissen wir schon und dass wir begabt sind und dass wir die Wahl haben zwischen nichts und wieder nichts und dass wir dieses Problem gründlich analysieren müssen und dass wir zwei Stück Zucker in den Tee tun das wissen wir schon und dass wir gegen die Unterdrückung sind und dass die Zigaretten teurer werden das wissen wir schon und dass wir es jedes Mal kommen sehen und dass wir jedes Mal recht behalten werden und dass daraus nichts folgt das wissen wir schon und dass das alles wahr ist das wissen wir schon und dass das alles gelogen ist das wissen wir schon und dass das alles ist das wissen wir schon und dass Überstehn nicht alles ist sondern gar nichts das wissen wir schon und dass wir es überstehn das wissen wir schon und dass das alles nicht neu ist und dass das Leben schön ist das wissen wir schon das wissen wir schon das wissen wir schon und dass wir das schon wissen das wissen wir schon
Hans Magnus Enzensberger
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kropka
antwortete am 06.04.06 (09:36):
A
Bevor du B sagst, verweile doch, horch, bedenk, was du gesagt hast. Ein Vokal, der wenig bedeutet, viel in Bewegung setzt. Einmal den Mund aufgemacht, und du treibst deine sterbliche Hülle zu Leistungen an von kosmischer Komplexität: ganze Kaskaden von Reizen, Berechnungen, Turbulenzen, hinter dem Rücken dessen, der Ich ist – vom Gehirn, das nicht redet und jeder Wissenschaft spottet, zu schweigen.
Hans Magnus Enzensberger © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1995 Aus: Kiosk. Neue Gedichte Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995 ISBN: 3-518-40680-9
Internet-Tipp: https://www.lyrikline.org/de/
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kropka
antwortete am 06.04.06 (09:42):
https://www.lyrikline.org/de/list_az.aspx?authorId=he00
Internet-Tipp: https://www.lyrikline.org/de/list_az.aspx?authorId=he00
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